8 Die Auslegung einer Willenserklärung sowie der Dissens. 1. Die Auslegung der Willenserklärung, 133, 157 BGB

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Allgemeine Geschäftsbedingungen

Transkript:

8 Die Auslegung einer Willenserklärung sowie der Dissens Weiterführende Literatur: Bickel, Die Methoden der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen; Nicklisch, Ergänzende Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlagenlehre ein einheitliches Rechtsinstitut, BB 1980, 949; Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht NJW 1962, 737; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften; Medicus, Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage, FS Flume1978, 629; Trupp: Die Bedeutung des 133 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen, NJW 1990, 1346. 1. Die Auslegung der Willenserklärung, 133, 157 BGB Erinnern wir uns: Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird mit dem in ihr enthaltenen Inhalt mit ihrem Zugang wirksam. Ein Vertrag kommt dann zustande, wenn die ausgelegten äußeren Tatbestandsmerkmale der beiden Willenserklärungen vollständig sind und übereinstimmen. Ist jedoch der äußere Erklärungstatbestand einer (oder mehrerer) Willenserklärung(en) missverständlich, undeutlich oder gar widersprüchlich, muss im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob überhaupt ein Handlungs- und Rechtsbindungswille vorliegt, welcher Geschäftswille geäußert worden ist, ob die zum Zustandekommen des Vertrages abgegebenen Willenserklärungen übereinstimmen. Für die Auslegung der Erklärung gilt: Wird der wirkliche Wille erkannt, ist alleine dieser maßgebend, anderenfalls wird die Erklärung so wirksam, wie sie aus Sicht eines sorgfältigen Empfängers verstanden werden durfte, es sei denn: die Parteien haben die Erklärung gemeinsam formuliert, der Erklärende hat die Erklärung vorformuliert oder es handelt sich um eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. 1.1 Der wirkliche Wille der Parteien

Wird der tatsächliche Wille des Erklärenden bewiesen..., dann bestimmt dieser Wille den Inhalt des Rechtsgeschäfts,... denn der wirkliche Wille des Erklärenden geht... nicht nur dem Wortlaut, sondern jeder anderweitigen Interpretation vor (BGH NJW 1984, 721). Mithin wird die Willenserklärung mit dem wirklichen Willen wirksam, auch wenn die - äußere - Erklärung etwas Abweichendes besagt. Bsp.: V hat mehrere Grundstücke, die aneinandergrenzen. Er verkauft an K ein zuvor besichtigtes Grundstück, das aus zwei Gründstücksparzellen besteht. Im notariellen Vertrag wird als Kaufgegenstand nur das Grundstück mit der Bezeichnung Flur 41, Flurstück 173 (anstelle von tatsächlich besichtigten Flurstücke 173 und 174) erwähnt. K kann von V aus dem Kaufvertrag auch die Übereignung des Flurstückes 174 verlangen, denn der übereinstimmende innere Wille beider war auf den Verkauf beider Flurstücke gerichtet (falsa demonstatio non nocet). 1.2 Die Auslegung aus Sicht des sorgfältigen Empfänger Da der Erklärende die Möglichkeit hat, seinen Willen unmissverständlich und eindeutig zu erklären, hat er auch das Risiko dafür zu tragen, wenn seine Erklärung vom Empfänger anders als gewollt verstanden wird. Demgemäß wird seine Erklärung mit dem Inhalt wirksam, wie sie ein sorgfältiger - objektiver - Empfänger verstehen durfte (Empfängerhorizont). Bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen empfiehlt es sich, wie folgt vorzugehen: (1) Feststellung, dass der wahre - innere - Wille nicht erkannt worden ist; (2) Ermittlung des wirklichen Inhalts der Erklärung. Als Auslegungshilfen bieten sich hierzu im Einzelfall an: der Wortlaut der Erklärung; die Beweggründe und Begleitumstände, die zur Abgabe der Erklärung geführt haben; der Zweck des Rechtsgeschäfts; die bestehende Interessenlage; Treu und Glauben; die Verkehrssitte.

Bsp.: Fall Der reservierte Ferrari (Grundvariante) Kfz-Händler H hat in seinem Ausstellungsraum einen roten Ferrari Testarossa stehen. Student A möchte das Fahrzeug unbedingt einmal fahren. Er macht sich schick, geht zu H und gibt sich ihm gegenüber als Kaufinteressent aus. H erklärt ihm das Fahrzeug und nennt ihm den Kaufpreis. A meint daraufhin, vor einem Kauf wolle er das Fahrzeug aber wenigstens einmal testen. Nach der Probefahrt sucht A eine Möglichkeit, um elegant aus der Situation herauszukommen. Ein wenig großspurig sagt er zu H vor dem Hinausgehen: Ich habe heute nicht so viel Bargeld dabei. Reservieren Sie mir bitte den Testarossa. Fünf Tage später ruft H bei A an und verlangt Abnahme des Fahrzeuges und Zahlung des Kaufpreises. Zu Recht? - 433 BGB? Einigung? Angebot des H (+) Annahme durch A? Rechtsgedanke 133, 157 BGB: Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie ein normaler Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte (BGH NJW 06, 3777 m.w.n.) Bei der Auslegung sollen nur die Umstände berücksicht werden, die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder erkennbar waren. Auf den Empfängerhorizont ist auch dann abzustellen, wenn der Erklärende seine Erklärung anders verstanden wissen wollte. H konnte die Reservierungserklärung des A nur so verstehen, dass A den Testarossa kaufen wollte. Über Haupt- und Gegenleistung ist damit Einigung erzielt worden. 1.3 Ausnahmen 1.3.1 Die Auslegung der Willenserklärung im Falle gemeinsamer Formulierung Im Falle gemeinsamer Formulierung kann eine Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht erfolgen, da Erklärender und Empfänger identisch sind. In solchen Fällen ist der wahre Wille - so er sich überhaupt ermitteln lässt - unter Berücksichtigung der gesamten Umstände sowie nach Treu und Glauben aus dem objektiven Sinngehalt der Erklärung zu ermitteln. Bsp.: Fall: Einbrennofen für 2.500 Dollar Auf einer Gebrauchsgütermesse in Leipzig, stellt der französisch sprechende Amerikaner V Einbrennöfen aus. Der deutsche Interessent K will einen dieser Öfen erwerben. Nach längeren Verhandlungen verfassen K

und V gemeinsam einen schriftlichen Vertrag auf Französisch, in dem u.a. als Kaufpreis 2.500 Dollar, als Geschäftssitz des V Detroit und als geltendes Recht Deutsches Recht angegeben sind; diesen Vertrag unterschreiben beide. Als V Bezahlung von 2.500 US-$ verlangt, ist K empört. Er meint, der Kaufpreis könne nur 2.500 kanadische-$ betragen. Muss K den Ofen abnehmen und den geforderten Kaufpreis zahlen? - Anspruchsgrundlage eines Kaufpreisanspruches ist 433 Abs. 2 BGB. Die Frage, ob sich die Parteien geeinigt haben und worüber, ist durch Auslegung zu ermitteln. Zur Ermittlung des objektiven Sinngehalts der gemeinsam formulierten Erklärung muss hier auf die gesamten Umstände, Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte abgestellt werden. Nach 270 Abs. 1 BGB ist Zahlungsort der Wohnsitz des Gläubigers (vgl. auch Art. 57 CISG). Geldschulden werden normalerweise in der Währung des Erfüllungsortes begleichen. Mithin haben sich V und K über Zahlung in US-$ geeinigt. 1.3.2 Die Auslegung einer vorformulierten Erklärung Wer eine Willenserklärung formuliert, muss eine eindeutige Erklärung abgeben. Das Misslingen fällt in seinen Risikobereich. Wer Kataloge versendet, Speisekarten auslegt, durch Preislisten oder allgemeine Werbung zum Ausdruck bringt, zu welchen Bedingungen er bereit ist, Angebote entgegenzunehmen, muss diese von ihm vorformulierten Erklärungen so gegen sich gelten lassen, wie sie ein durchschnittlicher Besteller verstehen durfte (gilt auch bei AGB`s). Bsp.: Ein Hotelier versendet neue Hausprospekte, denen er aus Versehen alte Preislisten beifügt. - Bestellt ein Gast daraufhin unter Bezugnahme auf die Unterlagen ein Zimmer, ohne den Preis zu nennen und nimmt der Hotelier dieses Angebot an, kommt der Beherbergungsvertrag zum alten Preis zustande. 1.3.3 Die Auslegung einer einseitigen nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung Bei der Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen (z.b. Auslobung, 657 BGB) kommt eine Berücksichtigung des Empfängerhorizontes nicht in Betracht. Entscheidend ist hier der wirkliche Wille des Erklärenden.

2. Der Dissens (Einigungsmangel), 154, 155 BGB Dissens bedeutet Nichtübereinstimmen der Willenserklärungen, d.h. der äußeren Erklärungstatbestände. Er beruht darauf, dass die Parteien einen unterschiedlichen Geschäftswillen geäußert haben. Dabei ist zu unterscheiden zwischen offenem Dissens, 154 BGB, und verstecktem Dissens, 155 BGB. 2.1. Der offene Dissens Haben sich die Parteien über den Inhalt eines Vertrages noch nicht vollständig geeinigt (z.b. weil eine Partei eine Nebenleistungspflicht besonders geregelt wissen will) und sind sich die Parteien dessen bewusst, ist der Vertrag im Zweifel nicht zustandegekommen. Gleiches gilt, wenn die Schriftform/notarielle Beurkundung eines Vertrages vereinbart, aber nicht vollzogen wurde. Ausnahme: Die Auslegungsregeln des 154 BGB greifen nicht ein, wenn sich die Parteien trotz der noch offenen Punkte erkennbar vertraglich binden wollen. Bsp: Trotz sich widersprechender AGB wickeln die Vertragsparteien einen Kaufvertrag ab. 2.2 Der versteckte Dissens Ein versteckter Dissens liegt vor, wenn die Parteien von einer Einigung über die Vertragsbestandteile ausgehen, diese Einigung aber in Wirklichkeit nicht erzielt wurde. Ein versteckter Dissens liegt also vor, wenn: die Einigung unbewusst unvollständig geblieben ist, ein Erklärungsdissens vorliegt oder ein Scheinkonsens gegeben ist. Rechtsfolge: Das Vereinbarte ist nur gültig, wenn angenommen werden kann, dass ein Vertrag auch ohne die offengebliebenen Punkte abgeschlossen worden wäre. 2.2.1 Die verdeckte Unvollständigkeit

Eine verdeckte Unvollständigkeit liegt vor, wenn ein regelungsbedürftiger Punkt unbewusst vergessen oder übersehen worden ist. Bsp.: V und K verhandeln über den Kauf einer großen Maschine. K erklärt sich mit dem Kaufpreis nur einverstanden, wenn noch eine für ihn günstige Regelung über die Transport- und Installationskosten getroffen werden kann. Ohne dass auf diesen Punkt verzichtet wird, wird später ein Vertrag fixiert, in dem diese Kosten überhaupt nicht geregelt werden. Da K eine Einigung über die Transport- und Installationskosten wollte, er also ohne entsprechende Abrede den Vertrag überhaupt nicht abschließen wollte, liegt keine vollständige Deckungsgleichheit von Angebot und Annahme vor. 2.2.2 Der Erklärungsdissens Ein Erklärungsdissens liegt vor, wenn äußerlich voneinander abweichende Erklärungen abgegeben werden, die auch ihrem Sinn nach auseinander gehen. Bsp.: Angebot: IBM-Druckkassetten, Annahme: Original IBM-Druckkassetten (OLG Hamm NJW RR 1998, 1747). 2.2.3 Der Scheinkonsens Ein Scheinkonsens liegt vor, wenn die Parteien zunächst vom Zustandekommen des Vertrages ausgehen. Später stellt sich jedoch heraus, dass das Vereinbarte objektiv mehrdeutig ist und sich auch im Wege der Auslegung kein eindeutiger Sinn der Erklärungen ermitteln lässt. Bsp(e): Unterschiedliche Bedeutung der Begriffe Eigenkapital bzw. Größe ca. oder Zusammensetzung der Titel eines Best of -Albums.