ANTIEPILEPTIKA U. Holzer Inst. f. Exp. u. Klin. Pharmakologie, Med. Uni Graz, WS 2004/05 1 Grobe Einteilung der Epilepsien generalisiert fokal / lokal / partiell idiopathisch (primär) Grand mal versch. kindliche Anfallstypen kindliche und juvenile Absencen versch. myoklonische Epilepsien (Kindheit u. Jugend) West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe) Lennox-Gastaut Syndrom myoklon.-astatische Anfälle symptomatisch frühkindl. Encephalopathien Temporallappenepilepsie (40%) (sekundär) hereditäre Stoffwechselerkrankungen andere - je nach Lokalisation lokalisierbarer Herd des Herdes spezielle Syndrome Gelegenheitsanfälle, Fieberkrämpfe isolierter Anfall / isolierter Status epilepticus toxische Ursachen (z.b. Alkohol, Medikamente, Eklampsie) 2
Epilepsieformen im EEG Normales EEG Generalisierter Anfall (grand mal) tonisch-klonischer Anfall Generalisierter Anfall (petit mal) Absence Partieller Anfall 3 Mechanismen der pathologischen Erregung intrinsische Burst-Mechanismen Serie von Na + -abhängigen Aktionspotentialen, aufgesetzt auf Ca ++ -abhängiger Depolarisation extrazelluläres K + weitere Depolarisation neuronale Enthemmung Hemmung im wesentlichen GABAerg Feedforward-Erregung v.a. über NMDA-, aber auch AMPA-Rezeptoren 4
Biochemische Vorgänge bei epileptischen Anfällen neuronale Aktivität O 2 -Verbrauch Glucoseverbrauch ATP, Creatinphosphat Glutamatfreisetzung Ausbreitung der Erregung über NMDA-Rezeptoren extrazell. K + -Konzentration Pufferkapazität der Astroglia für K + und Glutamat Defekt der Astroglia? extrazell. Cl - weitere Freisetzung von Glu und Asp 5 Wirkungen von Antiepileptika gegen intrinsische Burst-Mechanismen < Blockade von spannungsabhängigen Na + -Kanälen Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon, Valproat, Lamotrigin, Felbamat, Topiramat, Gabapentin 6
Zustände des spannungsabhängigen Na + - Kanals Depolarisation K n Antiepileptika binden an refraktären Kanal þ use-dependent block 7 UH-WS2003/04 Wirkungen von Antiepileptika gegen intrinsische Burst-Mechanismen < BlockadeovonospannungsabhängigenoNa+-Kanälen Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon Valproat, Lamotrigin, Felbamat, Topiramat, Gabapentin < BlockadeovonospannungsabhängigenoCa ++ -Kanälen Valproat, Ethosuximid /Topiramat 8
Spannungsabhängige Ca 2+ -Kanäle Einteilung nach den elektrischen Eigenschaften L-Typ ("large") großer Strom - gehemmt durch "Ca- Kanalblocker" (Verapamil, Nifedipin, Diltiazem, Flunarizin / Topiramat T-Typ ("tiny") geringer Strom, "low voltage-activated" - gehemmt durch Valproat oder Ethosuximid N-Typ ("neither") gehemmt durch T-Conotoxine (GVIA oder MVIIA = Ziconotid) auch P/Q-, R-Typ Kanäle 9 Wirkungen von Antiepileptika gegen intrinsische Burst-Mechanismen < BlockadeovonospannungsabhängigenoNa+-Kanälen Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon Valproat, Lamotrigin, Felbamat, Topiramat, Gabapentin < BlockadeovonospannungsabhängigenoCa ++ -Kanälen Valproat, Ethosuximid /Topiramat + < Verstärkung von K + -Strömen (fördert Hyperpolarisation) Carbamazepin 10
Wirkungen von Antiepileptika gegen intrinsische Burst-Mechanismen < Blockade von spannungsabhängigen Na + -Kanälen Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon, Valproat, Lamotrigin, Felbamat, Topiramat, Gabapentin < Blockade von spannungsabhängigen Ca ++ -Kanälen Valproat, Ethosuximid / Topiramat < Verstärkung von K + -Strömen (fördert Hyperpolarisation) Carbamazepin gegen Enthemmung < Verstärkung der GABA-Wirkung Benzodiazepine, Phenobarbital, Primidon, Topiramat / Valproat, Vigabatrin, Tiagabin, Gabapentin 11 GABAerge Neurotransmission GABAB- Rezeptor GABA -Rezeptor A 12
Wirkungen von Antiepileptika gegen intrinsische Burst-Mechanismen < Blockade von spannungsabhängigen Na + -Kanälen Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon, Valproat, Lamotrigin, Felbamat, Topiramat, Gabapentin < Blockade von spannungsabhängigen Ca ++ -Kanälen Valproat, Ethosuximid / Topiramat < Verstärkung von K + -Strömen (fördert Hyperpolarisation) Carbamazepin gegen Enthemmung < Verstärkung der GABA-Wirkung Benzodiazepine, Phenobarbital, Primidon, Topiramat / Valproat, Vigabatrin, Tiagabin, Gabapentin gegen Feedforward-Erregung < Hemmung der glutamatergen Aktivität Felbamat (NMDA), Topiramat (AMPA/KA) / indirekt durch Na + -Kanalblocker 13 Glutamaterge Transmission (NMDA-Rezeptor) Carbamazepin Phenytoin Valproat Lamotrigin Topiramat Gabapentin Felbamat Felbamat Felbamat 14
AE: Hemmung von Ionenkanälen 1 Phenytoin (Diphenylhydantoin) 150 Hemmung von spannungsabhängigen Na + -Kanälen neue Entwicklung: Fosphenytoin (wasserlöslich Serumkonzentration von Phenytoin (µmol/ l) 100 50 0 0 100 200 300 400 500 600 15 Tagesdosis Phenytoin (mg) Phenytoin-Serumspiegel in 5 Patienten (nach Richens & Dunlop 1975) therapeutischer Bereich schraffiert UH-WS2003/04 Phenytoin - Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung um 5% þ Anstiegodero freien,o wirksamen Phenytoinkonzentration um 50%! 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 % proteingebundener Anteil frei gelöster Anteil 16
spannungsabhängiger Na + - Ca ++ - Kanal NMDA Kanal T-Typ N Typ -R Bemerkungen Indikation Phenytoin Carbamazepin Struktur ähnl. tric. AD gener. + part. Anfälle part. + gener. Anfälle Valproat GABA-T Hemmung prim.gener. Anf., Absencen, Myokl. Lamotrigin Glu-Freisetzung v.a. generalis. Anfälle Primidon GABA-W. am Rezeptor part. + gener. Anfälle Ethosuximid Felbamat Glu-Freisetzung Topiramat AMPA/KA-Antagonist, GABA-W. am Rezeptor Levetiracetam? Absencen nur Lennox- Gastaut-Syndrom partielle Epilepsien partielle Epi. (add-on) 17 O H N 2 Verstärkung der GABA-Wirkung am GABA A- Rezeptor Benzodiazepine: Diazepam Status epil. Clonazepam Myoklon.Anf. Barbiturate: (Phenobarbital) Primidon Topiramat irreversible Hemmung der GABA Transaminase Vigabatrin γ-vinyl-gaba H N 2 OH O OH komplexpartielle Epi. Valproat Erhöhung des GABA-Spiegels Erhöhung der GABA-Synthese Gabapentin NH 2 O OH zusätzlich Modulation der Glutamat-Synthese part. + general. Anf. Hemmung des GABA-Transporters = Hemmung der Rückaufnahme H 3 C S KI: Absencen! (außer Valproat) CH 3 Tiagabin S N O part. Epilepsien +/- Generalisierung OH 18
allgemein häufig Müdigkeit, Schwindel, Ataxie Phenytoin: Osteomalazie, Hyperglykämie, Hirsutismus, Gingivahyperplasie Folsäuremangel megaloblastäre Anämie, periphere Neuropathien, teratogen Carbamazepin: Leukopenie, Leberschäden (nicht bei Oxcarbazepin!) Valproat: Tremor, Nausea, Leberschädigung, teratogen: Neuralrohrdefekte Vigabatrin, Tiagabin: Gesichtsfeldausfälle Ethosuximid: Leberschädigung idiosynkratisch: Exanthem (v.a. bei Lamotrigin), Fieber, Lymphadenopathie Leberparenchymnekrosen (v.a. bei Kindern durch Valproat) 19 Enzyminduktion (v.a. Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Felbamat) Toleranzentwicklung mit notwendiger Dosissteigerung beschleunigter Abbau anderer Pharmaka (Kontrazeptiva, Cumarinderivate) Konkurrenz um metabolische Inaktivierung (v.a. Phenytoin, Valproat, Felbamat) Plasmaspiegel von Sulfonamiden, Chloramphenicol, Antiphlogistika, Benzodiazepine, Cimetidin hohe Plasmaproteinbindung (v.a. Phenytoin, Valproat, Tiagabin) WW mit oralen Antidiabetika, Sulfonamiden, Cumarinderivaten, Antiphlogistika 20
21 Richtlinien für die Therapie mit Antiepileptika 1 "Epilepsie" wird eher zu oft als zu selten diagnostiziert. Beim geringsten Zweifel soll ein Spezialist zu Rate gezogen werden, in jedem Fall bei einer Erstmanifestation nach dem 25. Lebensjahr. Ein einzelner Anfall ist noch keine Epilepsie, die als Neigung zu wiederholten Anfällen definiert ist. Keinen einzelnen Anfall medikamentös behandeln! Echte petit mal-absencen nicht mit Absencen bei Temporallappenepilepsie verwechseln die richtige Therapie hängt von einer korrekten Diagnose ab! Antiepileptika wenn irgend möglich höchstens zweimal täglich einnehmen lassen Mittagsdosen werden oft vergessen, bzw. könnte die Tabletteneinnahme in der Schule Kinder in Verlegenheit bringen. Bei jedem Auftreten irgenwelcher neuropsychiatrischer Symptome an Überdosierung des Antiepileptikums denken! 22
Richtlinien für die Therapie mit Antiepileptika 1 Passendes Medikament auswählen! Mittel 1. Wahl: Valproat bei primär generalisierten Epilepsien Carbamazepin bei fokalen Epilepsien Nur ein Antiepileptikum verwenden, aber Dosisbereich ausschöpfen unter Kontrolle des Plasmaspiegels. Im Falle einer Therapieresistenz Medikament wechseln, aber nicht zu bald ein zweites zum ersten dazu verabreichen. Behandlung mit zwei oder mehr Antiepileptika ist nur selten wirklich notwendig, dann aber Mittel mit sich ergänzenden Mechanismen wählen. Zusätzliche Medikamente (für andere lndikationen) nur nach reiflicher Überlegung verabreichen es gibt häufige und schwer-wiegende Arzneimittelinteraktionen! Antiepileptika nie abrupt absetzen,ein Status epilepticus kann resultieren! Jeder Status epilepticus ist ein Notfall und soll mit Clonazepam, Diazepam oder Fosphenytoin i.v. behandelt werden. (Bei Kindern ev. Diazepam rektal.) I.m. verabreichte Medikamente wirken zu langsam. Phenytoin nie i.m. geben! 23