Definition Delir Ein plötzlich einsetzendes hirnorganisches Syndrom mit unspezifischer Ätiologie aber charakteristischer Symptomatik Prinzipiell reversibel Meist bedingt durch eine Erkrankung, Drogengebrauch oder -entzug
Symptome laut ICD-10 Störung der Psychomotorik: hyperaktiv, hypoaktiv, gemischt Störung des Schlaf-Wach- Rhythmus Störung des Bewusstseins = verminderte Klarheit in der Wahrnehmung der Umgegung Praktisch häufig inadäquate oder gesteigerte affektive Reaktion Störung der Kognition: Desorientierung, formale und inhaltliche Denkstörung, Desorienterung Störung der Wahrnehmung: Verkennungen, Illusionen, Halluzinationen Stets akuter Beginn und fluktuierender Verlauf, prinzipiell reversibel ( Demenz) Organische Grundlage / substanzinduziert
Ätiologie Risikofaktoren Hohes Alter Demenz etwa 9/10 der Pat. mit Demenz entwickelt im Spital Delir; 2/3 aller Delirien bei Pat. mit Demenz Schwere Grunderkrankung Substanzabhängigkeit Auslöser Chirurgische Eingriffe Medikation (Anticholinergika) Stoffwechselstörung, Elektrolytentgleisung Infektion Exsikkose Entzugssyndrom
Prävalenz/Inzidenz des Delirs (Review: Innouye et al., Lancet 2014)
Morbidität / Mortalität / Kosten Signifikante Assoziation mit längerem Krankenhausaufenthalt höherer Mortalität schlechterem Outcome hoher Institutionalisierung Ökonomische Aspekte: bei konservativer Berechnung nach WHO und OECD Zahlen (Innouye 2014) Delirkosten jährlich ca. 170 Mrd in 18 EU Staaten inkl. Österreich
Wie ist das Delir erfassbar? Psychopathologie nach ICD-10 Validierte Screening-Bögen (>10 beschrieben), z.b. Confusion Assessment Method (CAM), Inouye 1990, ist am besten untersuchtes und unterstütztes Instrument (Wong 2010). Benötigtes Zeitbudget: 5 min Delirium Observation Screening Scale (DOSS), Schuurmans 2003. Benötigtes Zeitbudget: 5 min
Studie: Delirfrüherkennung / Bewusstseinsbildung
KH Hietzing, 1. Med. Abt. Schwerpunkte Gastroenterologie incl. diagnostischer und interventioneller Endoskopie, Hepatologie, Funktions- und Ultraschalldiagnostik, Ernährungsmedizin sowie internistischer Intensivmedizin incl. nicht-invasiver Beatmungsmöglichkeit 61 Betten, davon 6 Überwachungsbetten Jährlich etwa 2700 stationäre PatientInnen mit gastroenterologischhepatologischen, aber auch allgemein-internistischen Erkrankungen Chronisches Erkrankungsspektrum: Malnutrition, Alkoholerkrankungen, Diarrhoe mit Exsikkose, Elektrolytstörungen, Lebererkrankungen mit hepatischer Enzephalopathie, entzündliche Darmerkrankungen, infektiöse Erkrankungen, Akute Notfälle incl. gastrointestinale Blutungen
Ziel der Studie Erhebung relevanter Kennzahlen in Wien Identifikation zentraler Risikofaktoren Evaluation präventiver und therapeutischer Maßnahmen
Methodik: der DOS-Fragebogen
Auswertung / Gruppierung Wahrscheinliches Vorliegen eines (leicht / stark ausgeprägten) Delirs: 0-2 Punkte: wahrscheinlich kein Delir 3-5 Punkte: mittlere Ausprägung 6-13 Punkte: starke Ausprägung
Statistik 1) Deskriptive Auswertung Inzidenz Dauer 2) Modellierung des Zeiteffektes Mixed-Effects-Modelle Modellselektion bottom-up Finales Modell (R mit Paket lme4): points ~ poly(time, 2) * group * sex + (1 id)
Demografische Daten 874 Beobachtungen (374 weiblich) Alter: 72,6 ± 16,6 (Mittel ± SD) Jahre Erkrankungen / Risikofaktoren in vorliegende Auswertungen noch nicht einbezogen
Inzidenz wahrscheinlich deliranter Pat. Pro Beobachtung: Anzahl Tage mit DOS 3 In Prozent bezogen auf weiblich / männlich
DOS-Punkte im Zeitverlauf Frauen < Männer hinsichtlich Anzahl Punkte, insb. bei vermutlich schwerem Delir Sign. nicht-linearer Einfluss von Zeit Möglicherweise Verbesserung bei starker Ausprägung, kaum Veränderung bei mittlerer Ausprägung
Erste Hypothesen zur höheren Inzidenz bei Männern Hyperaktives Delir bei Männern, hypoaktives Delir bei Frauen hyperaktiv: psychomotorische Erregung, vegetative Symptome, Rededrang, Irritierbarkeit, starke affektive Symptomatik, offensichtliche produktive Symptomatik hypoaktiv: Bewegungsarmut, vermindertes/langsames Sprechen, wenig Kontaktaufnahme, Apathie, Halluzinationen erst bei Nachfrage Erkrankungsabhängigkeit Altersabhängigkeit Möglicherweise protektive Faktoren des biologischen Geschlechtes
Mögliche Ausweitung der Studie Weitere Abteilungen Einbeziehung des CAM-Bogens, würde durch 4-Augen- Prinzip Resultat reliabler machen und Diagnosestellung ermöglichen Abklärung der Medikation Einbeziehung der Laborwerte Einbeziehung der Grunderkrankungen und Risikofaktoren
Therapie Beseitigung des Auslösers (kausal) Adaptation der Medikation, Ausgleich von BZ/Elektrolytstatus, Fokussuche bei Infekt, Substitution bei Entzug,... Oft nicht möglich / durchgeführt, weil Delir nicht ausreichend beachtet Unzureichende Suche nach Auslösern Medikamentöse Behandlung (symptomatisch) nur bei Versagen kausaler Maßnahmen und nichtpharmakologischer Strategien
Therapie / Prävention Präventive und stützende Maßnahmen (Innouye 1990) Kontinuität, Regelmäßigkeit im Alltag Raumfaktoren: Beleuchtung, Orientierungshilfe (Uhr) Orientierende Kommunikation Frühe Mobilisierung Ausreichende Flüssigkeitszufuhr Regulierung Schlaf-Wach-Rhythmus Einsatz von Seh- und Hörhilfen Bei Auftreten zusätzlich Bedside-Sitter Familie aktivieren Intensive Überwachung
Wenig supportive Maßnahmen routinemäßig eingebunden Zu wenig Pflegepersonal um adäquate Betreuung gewährleisten zu können Häufig Beschränkungen Präventive Maßnahmen kaum etabliert
Prävention: Maßnahmen Bewusstsein schaffen (Vorträge, Kurzanleitungen, Poster) Schulung Ärzteschaft / Pflegepersonal Routineeinführung adäquater Screeningmaßnahmen Verbesserung der Grundbedingungen: bauliche Maßnahmen / Orientierungshilfen / Beleuchtung Kosten/Nutzen-Analyse präventiver Maßnahmen, wie bespielsweise durch Rizzo et al. (2001), Lee et al. (2014)
Konkrete Maßnahmen KH Hietzing
Konkrete Maßnahmen KH Hietzing
Kontakt Dr. Wolfgang Huf Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel / Medizinische Universität Wien wolfgang.huf@meduniwien.ac.at