Ekaterina Anokhina Matrikelnummer 2710939 Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Masterstudiengang Interdisziplinäre Medienwissenschaft Universität Bielefeld 12.08.2017 Exposé für ein Masterprojekt zum Thema Die Rolle der Kernprinzipien von cultural software in der Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen 1. Problemstellung und aktueller Forschungsstand zum Thema Die in den 1960-er Jahren begonnene Transformation von Gesellschaftsprozessen fing vor der Ausbreitung der digitalen Technologien an und erreichte eine neue Dimension, als die computergestützten Technologien aus der Periphärie ins Zentrum der gesellschaftlichen Praktiken rückten. Sie betraf alle Lebensbereiche in unterschiedlichem Maße. Der relativ konservative Bildungsbereich geht mit der Digitalisierung immer noch vorsichtig um. Die Rolle digitaler Medien im Bildungsbereich, u.a. in der Schule wird momentan viel und kontrovers diskutiert. Digitale Medien als Teil schulischer Bildung werden von Medienpädagogen vor allem aus mediendidaktischer (Lernen mit Medien) und medienerzieherischer (Lernen über Medien) Perspektive betrachtet. In diesem Kontext gibt es viele einzelnen Lösungen, deren Ziel als optimaler Einsatz digitaler Medien im Lernprozess beschrieben werden kann: Einführung eines medienspezifischen Pflichtfaches (Informatik / Medienkunde / Programmieren usw.), schuleigene Lernplattform, Tablet- Klassen, Vermittlung von Medienkompetenz, fächerübergreifende Projekte usw. Dabei werden die digitalen Medien ausschließlich als Instrument gesehen. Dieser Ansatz scheint aber im langfristigen Kontext zu eng zu sein, weil die Digitalisierung einen starken Einfluss auf die Struktur und Formen von Bildung allgemein und des Schulsystems insbesondere hat. In der Diskussion über digitale Medien (oder Digitalisierung, oder neue Medien) in der Schule (oft auch Diskussion über digitale Schule oder digitale Bildung genannt) werfen beide Begriffe Fragen auf. Zum einen: Was sind digitale Medien? Wird damit einfach der Computer bezeichnet? Die digitalen Medien gibt es nicht. Das, was digitale Medien genannt wird, ist die Software, und zwar cultural software (Manovich 2013). Das Verhältnis zwischen den traditionellen Medien und der medialen Form, die sich mit den Computertechnologien ausgebreitet hat, ist viel komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Es geht nicht um alte und neue Medien. Der Computer ist kein neues Medium, sondern das erste Metamedium (Begriff von Alan Kay): er hat nicht nur alle anderen 1
Medientypen akkumuliert, sondern ist selbst ein System zum Generieren neuer Medientypen, tools und Software. So werden, laut Manovich, Medien zu Software und es braucht deswegen eine neue wissenschaftliche Disziplin an der Schnittstelle von Informatik und Kultur- und Medienwissenschaften nämlich Software Studies. Der andere Begriff, der Klärung braucht: Was heißt in der Schule? Meistens wird damit nur der Fachunterricht gemeint. Die Schule ist aber viel mehr als Fachunterricht und nicht nur eine gestaltete (Blömecke 2009) Bildungsinstitution. In der Zeit der schnellen gesellschaftlichen Transformation wird die Perspektive der Veränderung der Schule unter dem Begriff Schulentwicklung thematisiert. Die Schulentwicklung (nach Rolff 1998, Schulz-Zander 2001, Holtappels 2010) umfasst drei bis fünf Dimensionen: Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung, Organisationsentwicklung, (Kooperationsentwicklung, Technologieentwicklung). Die Schule wird als lernende Organisation gesehen. So kann das Thema Digitale Medien in der Schule zu Cultural Software in der Schulentwicklung umformuliert werden. 2. Erkenntnisinteresse und Ziel In diese Abschlussarbeit wird versucht, auf das Thema Cultural Software in der Schulentwicklung einen medienwissenschaftlichen Blick zu werfen und die Rolle, die die einzelnen Prinzipien der Software in Bezug auf die Dimensionen der Schulentwicklung spielen (können), zu ermitteln. Die Prinzipien stammen aus dem Buch The language of new media (2001) von Lev Manovich. Sie spiegeln die Logik von Software wieder, die sich stark von der analogen Logik der traditionellen Medien unterscheidet. Die Prinzipien sind: Numerische Repräsentation (numerical representation); Modularität (modularity); Automation (automation); Variabilität (variability); Transkodierung (transcoding). Diese Prinzipien verursachen und fördern Änderungen in der schulischen Lernkultur. So führt, zum Beispiel, das Prinzip der numerischen Representation zum Leitmedienwechsel in der Schule: das Wissen wird nicht mehr primär über die Textform vermittelt, sondern auch über die Bild-, Videoform, Form der 3D-Simulation usw. Das Prinzip der Modularität steuert den modularen Aufbau des Curriculums und das Mikrolernen. Die Automation öffnet neue Möglichkeiten zum personalisierten Lernen (z.b. Gamification, learning analytics). Das Prinzip der Variabilität sorgt für ständige Updates: in den Lerninhalten, Lehrerweiterbildung, 2
internen Schulorganisation. Nach dem Prinzip der Transkodierung wird die Logik der Netzwerke oder Peer-to-peer-Verbindungen auf die schulischen Strukturen übertragen: in Form von internen und externen Bildungsnetzwerken, Peer-to-peer-Beratung der Lehrenden und Lernenden usw. Das folgende Schema gibt einen Überblick über den Zusammenhang und die Auswirkung von Software-Prinzipien auf Schulentwicklungsprozesse. Ausführlich wird die Zuordnung und jedes einzelne Element in der Masterarbeit erläutert. Abb. 1. Schema: Der Zusammenhang von Software-Prinzipien und den Schulentwicklungsprozessen. 3. Format Die Masterarbeit ist als zweiteiliges Projekt aufgebaut: Theoretischer Teil (30-40 Seiten); Praktischer Teil (Webseite). Im theoretischen Teil wird die Verbindung zwischen Software Studies und Schulentwiklung aus medienwissenschaftlicher Perpektive erklärt und es wird auf die konkreten Prinzipien der Software / neuen Medien eingegangen. Einzelne Potenziale für Schulentwicklung, die sich daraus ableiten lassen, werden ausführlich beschrieben. Der praktischer Teil besteht aus einer Website, für die die Inhalte aus dem theoretischen Teil aufbereitet und entsprechend dargestellt werden. Die Website wird von Grund auf 3
programmiert (HTML, CSS, JavaScript; Software: Adobe Dreamweaver), und dient zwei Zwecken. Einerseits wird dadurch die technische (Programmier-) Kompetenz der Verfasserin demonstriert, was auch im Sinne der Interdisziplinären Medienwissenschaften, Digital Humanities und Software Studies ist (Aufhebung der Grenze zwischen technischen und geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen). Andererseits unterstützt dies die Idee der Openess, die für digitale Kultur grundlegend ist. 4. Vorläufige Gliederung Teil 1. EINFÜHRUNG 1.1. Warum ist Software wichtig für die Schule? 1.2. Methodisches Vorgehen: Ein medienpraktisches Projekt 1.3. Gliederung und Aufbau 1.4. Projektbezogene Webseite: Programmierung, Tools Teil 2. SOFTWARE STATT DIGITALE MEDIEN 2.1. Die (digitale) Transformation 2.2. Digitale Medien oder Software? 2.3. Software im Schulentwicklungsprozess Teil 3. DIE ROLLE DER SOFTWARE IN DER SCHULISCHEN BILDUNG 3.1. Die digitale und nicht-digitale Komplexität 3.2. Prinzipien des Digitalen und Änderungen in der schulischen Bildung 3.2.1. Numerische Repräsentation 3.2.2. Modularität 3.2.3. Automation 3.2.4. Variabilität 3.2.5. Transkodierung Teil 4. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 4.1. Zusammenfassung 4.2. Ausblick LITERATURVERZEICHNIS 5. Literatur (Auswahl) Blömeke, Sigrid; Herzig, Bardo (2009). Schule als gestaltete und zu gestaltende Institution ein systematischer Überblick über aktuelle und historische Schultheorien. In Blömeke, Sigrid u.a. (Hrsg.). Handbuch Schule: Theorie Organisation Entwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt [u.a.]. S. 15-28. 4
Bohl, Thorsten; Helsper, Werner; Holtappels, Heinz Günter; Schelle, Carla (Hrsg.). Handbuch Schulentwicklung : Theorie - Forschungsbefunde - Entwicklungsprozesse Methodenrepertoire. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Burow, Olaf-Axel (2014). Digitale Dividende: ein pädagogisches Update für mehr Lernfreude und Kreativität in der Schule. Weinheim [u.a.]: Beltz. Dewdney, Andrew; Ride Peter (2014). The digital media handbook. London [u.a.]: Routledge. Döbeli Honegger, Beat (2016). Mehr als 0 und 1: Schule in einer digitalisierten Welt. Bern: hep der bildungsverlag. Fend, Helmut (2006). Neue Theorie der Schule: Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. Fuller, Mathew (2008). Software Studies. A Lexicon. Cambridge, Mass.: The MIT Press. Hansen, Mark B. N. (2006). New philosophy for new media. Cambridge, Mass. [u.a.]: MIT Hentig, Hartmut von (2012). Die Schule neu denken: eine Übung in pädagogischer Vernunft. Weinheim; Basel; Berlin: Beltz. 6. Auflage. Herzig, Bardo (2010). Digitale Medien im Unterricht. In: Bohl, Thorsten; Helsper, Werner; Holtappels, Heinz Günter; Schelle, Carla (Hrsg.). Handbuch Schulentwicklung: Theorie - Forschungsbefunde - Entwicklungsprozesse Methodenrepertoire. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S.342-345. Kitchin, Rob; Dogde, Martin (2011). Code/Space. Software and Everyday Life. Cambridge, Mass.: The MIT Press. Kolleck, Nina; Kulin, Sabrina; Bormann, Inka ; de Haan, Gerhard; Schwippert, Knut (Hrsg.). Traditionen, Zukünfte und Wandel in Bildungsnetzwerken. Münster ; New York : Waxmann. Manovich, Lev (2001). The language of new media. Leonardo. Cambridge, Mass.: MIT Press. Manovich, Lev (2013). Software takes command. New York: Bloomsbury Academic. Papert, Seymour (1993). The Children s Machine: Rethinking School in the Age of the Computer. New York : BasicBooks. Perkins, David N. (2014). Future Wise: Educating Our Children for a Changing World. San Francisco: Jossey-Bass. Rolff, Hans-Günter (2016). Schulentwicklung kompakt: Modelle, Instrumente, Perspektiven. Weinheim; Basel: Beltz. Schelhowe, Heidi (2007). Technologie, Imagination und Lernen. Grundlagen für Bildungsprozesse mit digitalen Medien. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. Schulz-Zander, Renate (2001). Neue Medien als Bestandteil von Schulentwicklung. In: Aufenanger, Stefan; Schulz-Zander, Renate; Spanhel, Dieter (Hrsg.). Jahrbuch der Medienpädagogik 1. Opladen: Leske + Budrich. S. 263-281. Stalder, Felix (2016). Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp. 5