ALPMANN SCHMIDT 8. Auflage 2013
Frank Müller Rechtsanwalt 8. Auflage 2013 ISBN: 978-3-86752-299-1 Verlag: Alpmann und Schmidt Juristische Lehrgänge Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG, Münster Die Vervielfältigung, insbesondere das Fotokopieren der Karteikarten, ist nicht gestattet ( 53, 54 UrhG) und strafbar ( 106 UrhG). Im Fall der Zuwiderhandlung wird Strafantrag gestellt.
Inhaltsverzeichnis Überblick... 2 1 Gliederung des Strafverfahrens... 2 2 Instanzenzug... 2 3 Verfahrensgrundsätze... 2 4 16 Verfahrensbeteiligte... 2 17 24 Zwangs- und Ermittlungsmaßnahmen... 2 25 43 Rechtsschutz gegen Zwangsmaßnahmen... 2 44 Abschluss des Ermittlungsverfahrens... 2 45 Verfahrensvoraussetzungen... 2 46 Ablauf des Hauptverfahrens... 2 47 Beweisaufnahme... 2 48, 49 Beweisverbote... 2 50 58 Verfahrensbeendende Absprachen ( Deal )... 2 59, 60 Besondere Verfahrensarten... 2 61, 62 Rechtsmittel... 2 63 66 Rechtskraft... 2 67 68 Strafvollstreckung/Entschädigung... 2 69 Ordnungswidrigkeiten... 2 70, 71 Ü Definition ê! Beachte Beispiel
Überblick 1 I. Begriff Strafprozess = staatlich geordnetes Verfahren, in dem über das Vorliegen einer Straftat zu entscheiden ist und ggf. eine strafrechtliche Sanktion festgesetzt wird. II. Gesetzliche Grundlagen Allgemeines Verfahrensrecht GVG Zuständigkeit und Aufbau der Gerichte/StA JGG Materielles und formelles Jugendstrafrecht StGB Verfahrensvoraus - setzungen,verfol - gungs hindernisse (z.b. 77 ff., 78 ff.) GG Verfassungsrecht liche Grundlagen (Art. 20 III, 96 ff., 101 ff.) ZPO Zustellungen, 37 i.v.m. 166 ff. MRK Rechtsstaatliche Garantien, Art. 5, 6 Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) / Anordnung über Mitteilung in Strafsachen (MiStra) als interne Verwaltungsanordnungen
Gliederung des Strafverfahrens 2 I. Erkenntnisverfahren Abschnitt Voraus - setzungen Bezeichnung des Verdächtigen Verfahrensherrschaft Verfahrensabschluss 1. Er mitt lungs - ver fahren, 160 177 ò Anfangsverdacht, 160 I StA, 152 II Beschuldigter Hinreichender Tatverdacht? ( ): Einstellung, 170 II (+): Anklageerhebung, 170 I ð 2. Zwischen - verfahren, 199 211 ò Eingang der Anklageschrift bei Gericht Gericht, 199 Angeschuldigter, 157 Hinreichender Tatverdacht? ( ): Ablehnungs beschluss, 204 (+): Eröffnungs beschluss, 203, 207 ð 3. Haupt - verfahren, 213 295 ò Wirksame Eröffnung des Hauptverfahrens Zuständiges Gericht Angeklagter, 157 Sachurteil, 260 : Zweifelsfreie Schuld? ( ): Freispruch (+): Verurteilung ð Prozessurteil, 260 III, bei Verfahrens einstellung (ggf. Rechtsmittelverfahren, 296 358 ) ò II. Vollstreckungsverfahren 449 463 d (Vollstreckungsbehörde ist die StA, 451 )
Ablauf des Hauptverfahrens I. Vorbereitung der Hauptverhandlung ( 213 225 a ) 47 II. Durchführung der Hauptverhandlung ( 226 275 ) 01. Aufruf zur Sache, 243 I 1 /Anwesenheitsfeststellung, 243 I 2 02. Zeugen- und Sachverständigenbelehrung mit vorübergehender Entlassung aus dem Sitzungszimmer, 52, 72, 243 II 1 03. Vernehmung des Angeklagten zur Person, 243 II 2 04. Verlesung des Anklagesatzes durch den StA, 243 III 05. Belehrung des Angeklagten und ggf. Vernehmung zur Sache, 243 IV 06. Beweisaufnahme, 244 ff. 07. Schlussplädoyer und Anträge des StA, des Verteidigers und des Angeklagten, 258 I 08. Letztes Wort des Angeklagten, 258 II, III 09. Geheime Beratung und Abstimmung des Gerichts, 192 ff. GVG, 263 10. Urteilsverkündung, 260 I, 268 (und Rechtsmittelbelehrung, 35 a ) n Die Leitung der Verhandlung erfolgt durch den Vorsitzenden, 238 I. ê! Eine hiergegen gerichtete Verfahrensrüge (Revision gem. 337, 338 Nr. 8 ) setzt grds. den rechtzeitig eingelegten besonderen Zwischenrechtsbehelf des 238 II voraus. n Über die HV ist ein Sitzungsprotokoll ( 271 274 ) aufzunehmen. Die positive und negative Beweisvermutung des Protokolls ermöglicht in der Rechts mittel in stanz die Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit der HV im Hinblick auf den Gang, die wesentlichen Förmlichkeiten und die gestellten Anträge ( 273, 274 ). Verlesung des Anklagesatzes, Anwesenheit der in 226 genannten Beteiligten, Ausschluss der Öf fent lichkeit, Be leh rung über Schweigerechte, Beweis- und Ablehnungsanträge
Beweisaufnahme (1) 48 I. Beweisarten 1. Strengbeweis 2. Freibeweis n Beweisverfahren nach den 244 256 unter Beachtung des Unmittelbarkeits-, Münd lich - keits- und Öffentlichkeitsgrundsatzes n Erforderlich für Feststellungen in der HV, die für die Schuld- oder Straffrage relevant sind Tathergang, Schuldfähigkeit n Ausschließliche Beweismittel: (ð SABUZ ) 1) Sachverständige, 72 ff. 2) Augenschein, 86 ff. 3) Beschuldigtenaussage, 243 IV 4) Urkunden, 249 ff. 5) Zeugen, 48 ff. n Gilt für alle Beweiserhebungen außerhalb der HV und sonstige beweiserhebliche Tat sa chen in der HV (vgl. 251 III ), insbesondere Verfahrensfragen und Tatsachen, die zu einem Beweisverbot führen. Klärung der Umstände einer protokollierten Aus sage (Belehrung, Zwang gem. 136 I 2, 136 a?) n Freie Wahl der Beweismittel; keine Bindung an die 244 256 Schriftliche Erklärungen, dienstliche Äußerungen, telefonische Auskünfte ê! Doppelrelevante Tatsachen (= Umstände, die sowohl eine Schuld-/Straffrage als auch eine Pro zess ent - schei dung betreffen) müssen immer im Strengbeweis festgestellt werden. Ermittlung der Tatzeit, die auch für die Frage der Verjährung relevant ist
Beweisaufnahme (2) 49 II. Beweisantrag n Voraussetzung eines Beweisantrags: bestimmte Bezeichnung des Beweisthemas (der zu beweisenden Tat - sache) und des konkreten Beweismittels Ich beantrage, Herrn Egon Müller, wohnhaft Parkstr. 3 in 48145 Münster, als Zeugen zum Beweis dafür zu vernehmen, dass sich der Angeklagte am von 12 15 Uhr in seinem Haus aufgehalten hat. n Ist das Beweisthema und/oder -mittel nicht konkret bezeichnet, so handelt es sich um einen Be weis ermitt - lungs antrag, der formlos abgelehnt werden kann. Ich beantrage, die Kontoauszüge des Angeklagten durchsehen zu lassen. n Aufgrund seiner Aufklärungspflicht muss das Gericht grds. Beweisanträgen von Verfahrens be tei lig ten nachkommen, vgl. 244 II. n Rechtsfolgen: Die Ablehnung eines Beweisantrags bedarf eines Gerichtsbeschlusses ( 244 VI ) und darf nur aus den Gründen der 244 III V, 245 II erfolgen. Unzulässigkeit (z.b. wegen 190 S. 2 StGB), Wahrunterstellung, Bedeutungslosigkeit (Beachte: Eine Ab - lehnung wegen bereits bestehender Überzeugung vom Gegenteil ist unzulässig!), Un er reichbarkeit des Beweismittels (ist nicht gegeben bei Möglichkeit einer audio-visuellen Ver neh mung, 247 a ), Ver - schleppungsabsicht (Verfahrensverzögerung muss bezweckt sein!) Beweisanträge können auch an eine Bedingung geknüpft werden. Falls das Gericht einen Zeugen für glaubwürdig hält; falls unerwünschte Rechtsfolgen verhängt werden sollen ê! Auch zulässig als sog. Hilfsbeweisantrag im Rahmen des Schlussplädoyers; dieser wird ohne Wieder eintritt in die Be weisaufnahme im Urteil beschieden, sofern er abgelehnt wird.
I. Beweiserhebungsverbote Beweisverbote (1) Ü hindern die Erhebung und/oder Verwertung von Beweisen durch das Gericht (= Einschränkung der Amtsaufklärungspflicht des 244 II und des 261 ). ê! Beweisverbote sind auch im Vorverfahren von der StA zu beachten; ein Beweismittel, für das ein Verwer tungs verbot in der HV bestehen würde, muss auch für die Anklageerhebung außer Betracht bleiben. Ü stehen bereits der Gewinnung von Beweisen entgegen (z.b. einer Aussage bei verbotenen Ver neh mungs - methoden, 136 a I ; Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger, 160 a ). II. Beweisverwertungsverbote (BVV) Ü schließen ermittelte Tatsachen und gewonnene Beweise von der Berücksichtigung im Urteil aus; der Verstoß begründet einen revisiblen Verfahrensfehler, wenn das Ur teil auf dem Fehler be ruht (vgl. 337 ). ê! Eine verfahrensfehlerhafte Beweiserhebung begründet nicht zwangsläufig ein BVV. 1. Gesetzlich normierte BVV a) Beschuldigtenaussage bei Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden, 136 a III 2 ê! Anwendbar auch bei Zeugen/SV ( 69 III, 72 ) und für Vernehmungen durch StA/Polizei ( 161 a I 2, 163 a III 2, IV 2, V ) aa) Voraussetzungen: (1) Vernehmung: Ü Jede Situation, in der der Vernehmende in amtlicher Funk tion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft Auskunft verlangt ( formeller Begriff der Rspr.; die Lit. verzichtet z.t. auf das Merk - mal des Gegenübertretens in amtlicher Funktion ). ê! Äußerungen außerhalb von Vernehmungen unterfallen grds. nicht dem Schutz des 136 a. 50
1. Gesetzlich normierte BVV (Fortsetzung) Beweisverbote (2) 51 Auf Gespräche des Beschuldigten mit verdeckten Ermittlern, V-Leuten oder einem agent provocateur ist 136 a grds. nicht analog anwendbar (Ausnahme: Äußerungen eines Unter su chungs häftlings gegen über einem gezielt zum Zwecke des Aushorchens auf ihn angesetzten Mit häft ling!). Die Hörfalle (= Tatverdächtiger wird auf Veranlassung der Strafverfolgungsorgane in ein mitgehörtes Ge spräch mit einer Privatperson verwickelt und ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht zu selbstbelastenden An gaben veranlasst) hat keinen Vernehmungscharakter; ein BVV kann sich nach der umstr. Rspr. jedoch aus dem Rechts - staatsprinzip aufgrund einer umfassenden Abwägung im Ein zelfall ergeben; es ist zu verneinen bei der Auf klä - rung von schweren Straftaten und keiner erfolgversprechenden Möglichkeit anderweitiger Ermittlungs metho den. (2) Beeinträchtigungen der Willensfreiheit durch verbotene Methoden i.s.d. 136 a I, II Misshandlung (z.b. Schläge), Ermüdung (eng auszulegen, ab ca. 30 Stunden ohne Schlaf), Quälerei (z.b. Dunkel - haft), körperliche Eingriffe Verabreichen von Mitteln (z.b. hemmungslösenden Medikamenten), Hypnose Versprechen unzulässiger Vorteile (z.b. Haftentlassung trotz bestehender Fluchtgefahr), verbotener Zwang Drohung mit unzulässigen Maßnahmen (z.b. mit Haftbefehl, obwohl keine Haftgründe vorliegen); ê! Warnungen, Belehrungen und Hinweise sind keine Drohungen. Täuschung (z.b. wahrheitswidriges Vorspiegeln einer erdrückenden Beweislast) ê! Der Begriff ist eng auszulegen; kriminalistische List (Fangfragen, Verschweigen von Tatsachen) und heimliches Vorgehen ( Hörfalle ) sind nicht verboten. bb) Rechtsfolge: absolutes unmittelbares und mittelbares BVV (1) Verbot der Verlesung des Vernehmungsprotokolls, des richterlichen Vorhalts und der Ver neh mung der seinerzeitigen Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen (2) Keine Einwilligung des Betroffenen in die Verwertung möglich, 136 a III
1. Gesetzlich normierte BVV (Fortsetzung) Beweisverbote (3) 52 (3) Unverwertbarkeit der Aussage auch in weiteren Verfahren gegen Dritte ê! Fortwirkung des Verstoßes, d.h., auch eine nachfolgende ordnungsgemäße Vernehmung ist unverwertbar, wenn keine qualifizierte Belehrung hinsichtlich der Unverwertbarkeit der ersten feh ler haften Vernehmung erfolgt. b) Unzulässige Erkenntnisse aus einem großen Lauschangriff, 100 c IV VII c) Getilgte/tilgungsreife Verurteilung, 51 I BZRG d) Daten aus dem Autobahnmauterfassungssystem, vgl. 4 II 2, 7 II 2 ABMG (Autobahnmautgesetz) e) Eingeschränkte BVV, die unter bestimmten normierten Voraussetzungen nicht verwertet werden dürfen: 81 c III 5, 98 b III 3 f) Für Zufallsfunde aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gelten die Verwertungs beschrän kun gen der 161 II, 477 II (ð 2 39). 2. Von der Rspr. entwickelte BVV Sind die Folgen einer Rechtsverletzung bei der Beweisgewinnung nicht gesetzlich normiert, so muss durch Wertung ermittelt werden, ob ein BVV anzunehmen ist. ê! Maßgebliche Kriterien (nach der sog. erweiterten Rechtskreistheorie und der Abwägungslehre ) für ein BVV n Verletzte Norm dient dem Schutz des Rechts kreises des Beschuldigten n Verletzung des Kernbereichs von Grundrechten n Schwerer Verstoß gegen Verhältnismäßigkeitsprinzip n Bewusste Verletzung von Verfahrensvorschriften Ä Von der Rspr. hiernach entwickelte Fallgruppen: gegen ein BVV n (vorwiegend) Rechtskreis eines Dritten betroffen n Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften n Aufklärung von Schwerstkriminalität n Beweismittel wäre rechtmäßig zu erlangen gewesen