Juristische Fakultät Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I WS 2012/13 Fall 3a Kranker Geschäftspartner A. Anspruch des K gegen V auf Übereignung und Übergabe des Bildbandes gem. 433 I 1 BGB I. Anspruch entstanden Der Anspruch ist entstanden, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen und keine rechtshindernden Einwendungen bestehen. 1. Kaufvertragsschluss Voraussetzung von 433 I 1 BGB: Kaufvertrag (Kauf)Vertrag = zwei inhaltlich korrespondierende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen von mindestens zwei Personen, Angebot bzw. Antrag ( 145 BGB) und Annahme ( 147 ff. BGB). Dabei muss eine Einigung über die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) erzielt werden, also über Kaufgegenstand, Kaufpreis und Vertragsparteien. a) Angebot und Annahme laut Sachverhalt (+) b) Einigung über essentialia negotii (+) 2. Wirksamkeit des Vertrages (rechtshindernde Einwendungen)? WE des V könnte wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig sein, gem. 105 I i.v.m. 104 Nr. 2 BGB. Aber: V war zum Zeitpunkt des Abschlusses des KV am 10. Januar noch geschäftsfähig. 1
3. Zwischenergebnis Anspruch auf Übereignung und Besitzverschaffung K gegen V gem. 433 I 1 BGB entstanden II. Anspruch erloschen rechtsvernichtende Einwendungen? 1. Erfüllung gem. 362 I BGB Erfüllung ( 362 BGB) = Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolges. Hier geschuldet: Verschaffung von Eigentum und Besitz am Buch, 433 I 1 BGB a) Übereignung gem. 929 S. 1 BGB aa) Einigung (Dinglicher Vertrag) Nach dem objektiven Empfängerhorizont ( 133, 157 BGB) gibt V ein (konkludentes) Angebot auf Übereignung des Buches ab, indem er es überreicht. Da V aber am 5. März geisteskrank war, konnte er gem. 105 I i.v.m. 104 Nr. 2 BGB keine wirksame Willenserklärung abgeben. Es fehlt daher an einem Angebot des V. Einigung (-) bb) Zwischenergebnis mangels Einigung Eigentumsübertragung (-) b) Besitzverschaffung V hat dem K den Besitz an dem Bildband verschafft. (Dafür ist nur ein natürlicher Wille, nicht aber die Geschäftsfähigkeit erforderlich) 2
c) Zwischenergebnis: Anspruch aus 433 I 1 BGB bzgl. der Besitzverschaffung gem. 362 I BGB erfüllt, nicht allerdings bzgl. der Eigentumsverschaffung. 2. Ergebnis Anspruch aus 433 I 1 BGB teilweise erloschen III. Ergebnis K hat einen Anspruch gegen V auf Übereignung des Bildbandes aus 433 I 1 BGB. V kann wegen seiner Geschäftsunfähigkeit auch in Zukunft nicht am Geschäftsverkehr teilnehmen und damit auch nicht seine Pflicht nach 433 I 1 BGB erfüllen. Deshalb muss ihm ein Betreuer nach 1896 ff. BGB bestellt werden, damit dieser die erforderlichen Erklärungen für V abgeben kann (vgl. 1902 BGB). B. Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung gem. 433 II BGB I. Anspruch entstanden Wirksamer KV und keine rechtshindernden Einwendungen (+), s.o. II. Anspruch erloschen (+), wegen Erfüllung gem. 362 I BGB V war zum Zeitpunkt der Übertragung des Eigentums am Geld von K an ihn (10. Januar) noch geschäftsfähig Anspruch ist erloschen III. Ergebnis V hat keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gem. 433 II BGB 3
C. Anspruch des V gegen K auf Herausgabe des Buches gem. 985 BGB Voraussetzungen von 985 BGB: 1. Anspruchsberechtigter = Eigentümer 2. Anspruchsgegner = Besitzer des Buches 3. Anspruchsgegner hat kein Recht zum Besitz, 986 I 1 BGB I. Eigentum des V V ist immer noch Eigentümer des Buches, s.o. II. Besitz des K K hat von V jedoch wirksam den Besitz übertragen bekommen, s.o. III. Kein Recht zum Besitz des K, 986 I 1 BGB Als Recht zum Besitz kommen sowohl absolute (gelten gegenüber jedermann) als auch relative (gelten nur gegenüber einer bestimmten Person) Rechte in Betracht. Hier besteht zwischen V und K ein Kaufvertrag. K hat daraus ein relatives Recht zum Besitz. IV. Ergebnis Anspruch aus 985 BGB (-) 4
D. Anspruch des V gegen K auf Herausgabe des Buches gem. 812 I 1 Alt. 1 BGB I. Erlangtes Etwas Etwas = jeder vermögenswerte Vorteil K hat zwar nicht Eigentum, aber Besitz am Buch erlangt. Auch der Besitz ist ein vermögenswerter Vorteil. II. Durch Leistung (des V) Leistung = bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens V will Pflicht aus KV erfüllen. V mehrt bewusst das Vermögen des K durch Besitzverschaffung III. Ohne Rechtsgrund Rechtsgrund (causa) ist hier der wirksame Kaufvertrag Ein Rechtsgrund für die Erlangung des Besitzes ist gegeben. IV. Ergebnis V hat keinen Anspruch aus 812 I 1 Alt. 1 BGB 5
Fall 3b Weinversteigerung A. Anspruch des A gegen K auf Kaufpreiszahlung gemäß 433 II BGB? I. Anspruch entstanden Voraussetzung: wirksamer Kaufvertrag 1. Angebot des A durch Ausrufen des Weins Rechtsbindungswillen (-) lediglich invitatio ad offerendum; vgl. auch 156 S. 1 BGB 2. Angebot des K durch das Winken? a) Objektiver Tatbestand der Willenserklärung aa) Handlungswille (+) bb) Rechtsbindungswille (+) Heben der Hand auf Versteigerung ist aus der Sicht eines objektiven Dritten als konkludente Abgabe eines Angebots zu verstehen cc) Geschäftswille (+) b) Subjektiver Tatbestand der Willenserklärung aa) Handlungswille (+) 6
bb) Erklärungsbewusstsein (-) K wollte seinem Freund F zuwinken er wollte keine rechtserhebliche Erklärung abgeben Problem: Rechtsfolge? (i) e.a. Willenstheorie: WE kann nur mit Erklärungsbewusstsein wirksam sein Arg.: Privatautonomie des Erklärenden/ 118 BGB danach WE (-) (ii) a.a. Erklärungstheorie: WE auch ohne Erklärungsbewusstsein wirksam, aber Anfechtbarkeit gem. 119 I Alt. 2 BGB analog Arg.: Schutz des Erklärungsempfängers danach WE (+) (iii) h.m. (vermittelnde Ansicht): Sog. potentielles Erklärungsbewusstsein ausreichend, d. h. WE auch ohne Erklärungswillen wirksam, aber Anfechtung analog 119 I Alt. 2 BGB möglich, wenn Erklärender die Rechtserheblichkeit seiner Handlung bei Wahrung der verkehrsüblichen Sorgfalt hätte erkennen können und der Empfänger das Handeln auch tatsächlich als WE aufgefasst haben muss (s.o. bei objektiver Erklärungstatbestand) Subsumtion danach WE (+) 7
c) danach WE (+),Ergebnis: Winken des K ist ein wirksames Angebot 3. Annahme des A Objektiver Tatbestand der Willenserklärung (+) durch Zuschlag, 156 S.1 BGB Subjektiver Tatbestand der Willenserklärung (+) 4. Ergebnis Anspruch des A gegen K aus 433 II BGB entstanden EXKURS Der Anspruch könnte durch eine Anfechtung des K zum Erlöschen gebracht werden. Dazu müsste K die Anfechtung noch erklären, ein Anfechtungsgrund liegt mit 119 I Alt. 2 BGB in analoger Anwendung vor. Die Anfechtung wird mit ihren besonderen Problemen ausführlich in Fall 6, 7 und 8 behandelt und wird hier daher noch nicht näher erläutert. Im Falle der Anfechtung hätte A gegen K zwar keinen Anspruch aus 433 II BGB, sehr wohl aber einen Anspruch auf Schadensersatz aus 122 BGB in Höhe von 200, da dies dem negativen Interesse des A entspricht. 8