RECHT und RICHTIG im Angesicht von Sterben und Tod RA Prof. Robert Roßbruch Institut für Gesundheits- und Pflegerecht Mehlgasse 6 56068 Koblenz Tel.: 0681/5867-775 Web: rossbruch.htwsaar.de E-Mail: robert.rossbruch@htwsaar.de Inhalt der Vorlesung Aktive und passive Sterbehilfe Selbstbestimmung und Fremdbestimmung Rechtlich verantwortbares Handeln des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin Aktuelle Rechtsprechung zum Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen Begriffe zur Sterbehilfe Der Begriff Sterbehilfe wird für verschiedene Sachverhalte verwendet. Es ist daher angezeigt, zunächst einen Überblick über die verschiedenen Formen von Sterbehilfe zu geben. 1
Sterbehilfe Sterbehilfe im weitesten Sinne ist jedes aktive oder passive Verhalten, das zu einem menschenwürdigen Sterben beiträgt. Es werden folgende Erscheinungsformen unterschieden: Aktive Sterbehilfe Der Begriff der aktiven Sterbehilfe umfasst als Oberbegriff zwei Formen von Sterbehilfe, nämlich die direkte und die indirekte aktive Sterbehilfe. Direkte aktive Sterbehilfe Unter direkter aktiver Sterbehilfe ist die gezielte Herbeiführung des Todes eines Menschen zu verstehen, in der Absicht, dessen Schmerz und Leid zu beenden. Direkte aktive Sterbehilfe ist nach den Bestimmungen des 216 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar; dies gilt selbst dann, wenn die Tötung auf ausdrückliches und ernstliches Verlangen des Sterbewilligen erfolgt ist ( 216 Abs. 1 StGB Tötung auf Verlangen). 2
Indirekte aktive Sterbehilfe Indirekte aktive Sterbehilfe liegt vor, wenn zur Linderung unerträglicher Schmerzen schmerzlindernde Medikamente eingesetzt werden, welche als Nebenwirkung die Überlebensdauer herabsetzen können. Das Hauptziel der Behandlung liegt in der Schmerzlinderung und nicht in der Beschleunigung des Todeseintritts. Die indirekte aktive Sterbehilfe wird allgemein als zulässig anerkennt. Passive Sterbehilfe Unter passiver Sterbehilfe ist der Abbruch oder die Nichtaufnahme einer für die Lebenserhaltung notwendigen Behandlung zu verstehen. Es wird darauf verzichtet, Vorkehrungen zu ergreifen, die den Todeseintritt hinauszögern könnten. Zu denken ist etwa an Maßnahmen wie künstliche Wasser- und Nahrungszufuhr, Sauerstoffzufuhr, künstliche Beatmung, Medikation, Bluttransfer und Dialyse. Bei der passiven Sterbehilfe handelt es sich um ein eigentliches Sterbenlassen; der natürliche Todesablauf wird nicht aufgehalten. Auch diese Form der Sterbehilfe bildet kein strafbares Verhalten. Beihilfe zum Suizid Beihilfe zur Selbsttötung besteht darin, dass jemand einen Menschen bei der Verwirklichung eines bereits gefassten Entschlusses zur Selbsttötung unterstützt. Die Beihilfe zum Suizid ist straflos; es sei denn, der Hilfeleistende handle aus selbstsüchtigen Beweggründen. Die Vertreter von Sterbehilfeorganisationen, welche dem Suizidenten die nötigen Mittel verschaffen oder ihm die erforderlichen Instruktionen erteilen, damit dieser selbst seinem Leben ein Ende setzen kann, begehen somit nach bundesdeutschem Recht keine strafbare Handlung. 3
Gibt es ein Recht auf den eigenen Tod? Im Folgenden ist zu untersuchen, ob dem Einzelnen ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht auf den eigenen, würdevollen Tod zukommt und, wenn ja, welche Ansprüche ein derartiges Recht beinhaltet. Verfassungsgrundlagen I Im bundesdeutschen Schrifttum wird allgemein davon ausgegangen, dass dem Einzelnen die Freiheit zukommt, über Art und Zeitpunkt der Beendigung seines eigenen Lebens zu befinden. Dieses Recht folgt zum einen aus der in Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz gewährleisteten persönlichen Freiheit. Zum anderen wird es aus dem in der Bundesverfassung, in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) garantierten Recht auf Achtung des Privatlebens abgeleitet. Das Recht auf den eigenen Tod ergibt sich aber auch ganz allgemein aus dem Recht auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz). Verfassungsgrundlagen II Das ebenfalls im Grundgesetz, in der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und im UNO-Pakt II garantierte Recht auf Leben steht der Freiheit, seinem Leben ein Ende zu bereiten, nicht entgegen, denn den Staat trifft keine Pflicht, den Träger des Rechts auch gegen seinen ausdrücklichen Willen vor sich selbst zu schützen. Der Staat ist indessen verpflichtet, das Leben des Einzelnen vor Eingriffen Dritter zu bewahren. 4
Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen Die Geltendmachung dieses Selbstbestimmungsrechtes auf den eigenen Tod setzt Urteilsfähigkeit voraus. Der Sterbewillige muss in der Lage sein, frei seinen Entschluss zu bilden und gemäß seinem Willen zu handeln. Selbstbestimmung - Fremdbestimmung Ausgangspunkt jeder Überlegung, wie weit ärztliches/pflegerisches Handeln und Unterlassen gehen darf, ist somit das grundrechtlich abgesicherte Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Noch so gut gemeintes paternalistisches Handeln von Ärzten und Pflegekräften, das sich über den rechtlich erheblichen Willen des Patienten hinwegsetzt, ist mit dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar und in der Regel als Körperverletzung strafbar. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat schon 1957 ausgesprochen (BGHSt 11, 111, 114), dass selbst ein lebensgefährlich Kranker triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenswerte Gründe haben kann, eine Operation abzulehnen, auch wenn er durch sie und nur durch sie von seinem Leiden befreit werden könnte. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dies 1984 wie folgt formuliert (BGHZ 90, 103, 111): Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schützt auch eine Entschließung, die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint. 5
Tragweite des Anspruchs I Der Entscheid einer urteilsfähigen Person zur Selbsttötung ist zu respektieren. Von diesem Recht, den Freitod zu wählen, ist allerdings das Recht auf Sterbehilfe gegenüber dem Staat bzw. den Mitmenschen abzugrenzen. Tragweite des Anspruchs II Ein Anspruch des Sterbewilligen, dass ihm Beihilfe bei einer Selbsttötung geleistet wird, oder ein Anspruch auf aktive Sterbehilfe, wenn er sich außerstande sieht, selber seinem Leben ein Ende zu bereiten, besteht nicht. Solche Ansprüche lassen sich weder aus der persönlichen Freiheit noch aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens ableiten. Auch der Dritte, welcher dem Sterbewilligen bei seinem Freitod Hilfe leisten will, kann sich nicht auf ein entsprechendes Persönlichkeitsrecht berufen. Tragweite des Anspruchs III Ob ein Anspruch auf passive Sterbehilfe zu bejahen ist, hängt davon ab, ob der Patient urteilsfähig und damit in der Lage ist, frei einen Entscheid über den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder den Abbruch derselben zu fällen. Der entsprechende Wille eines urteilsfähigen Patienten ist zu respektieren. Zivilrechtlich ist dieser grundrechtliche Anspruch durch das Auftragsrecht gewährleistet; der Patient kann den Behandlungsauftrag widerrufen bzw. gar nicht erteilen. Gegenüber staatlichen Organen kann er sich unmittelbar auf seinen grundrechtlichen Anspruch berufen. 6
Tragweite des Anspruchs IV Das Gleiche gilt grundsätzlich, wenn dem Arzt/der Pflegeperson eine sogenannte Patientenverfügung vorliegt, welche der Patient in einem früheren Zeitpunkt als Urteilsfähiger abgefasst hat und in der er den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen erklärt. Liegen keine Anhaltspunkte für eine geänderte Einstellung oder gar einen Widerruf vor, so ist von der weiteren Wirksamkeit der von ihm seinerzeit abgegebenen Erklärung auszugehen. Tragweite des Anspruchs V Ist der Patient urteilsunfähig und hat dessen Sterben unwiderruflich begonnen oder ist er zerebral schwerst geschädigt, liegt der Entscheid, ob passive Sterbehilfe geleistet werden soll, letztlich beim Arzt. Dieser orientiert sich am mutmaßlichen Willen des Patienten. Um Anhaltspunkte für die Beurteilung dessen Willens zu erhalten, hat er die Angehörigen des Patienten zu befragen. Ein grundrechtlicher Anspruch auf fremdbestimmte passive Sterbehilfe besteht nicht. Selbstbestimmung - Fremdbestimmung Krankheit Willensbildung und -äußerung ist möglich Willensbildung und -äußerung ist nicht möglich Selbstbestimmung durch Willensäußerung Selbstbestimmung durch eindeutige Patientenverfügung Fremdbestimmung Bevollmächtigter, Betreuer Lebensverlängerung oder Sterbenlassen Ermittlung des mutmaßlichen Willens 7
Grundleiden muss einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen haben Sterbehilfe setzt danach voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Doch auch in dem Fall, in dem der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist danach der Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich anzuerkennen. Therapieänderung und -begrenzung Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Entscheidung des Patienten/Heimbewohners, der Krankheit ihren natürlichen Verlauf zu lassen, kein Verlangen nach Sterbehilfe darstellt, sondern lediglich nach einer Änderung des Therapieziels. Besteht die Änderung des Therapieziels in der Einstellung einer lebenserhaltenden Behandlung (Therapiebegrenzung), muss dies grundsätzlich ausdrücklich verlangt werden oder in einer Vorausverfügung (sog. Patientenverfügung) verlangt worden sein. Nichtäußerung bzw. Vorausverfügung Es ist zwingend zu differenzieren zwischen der Situation eines Patienten/Heimbewohners der sich zur Problematik des Nichteinleitens bzw. Abbrechens lebensverlängernder Maßnahmen nicht geäußert hat und nunmehr von einem Betreuer vertreten wird und eines Patienten/Heimbewohners, der eine in freier Selbstbestimmung getroffene Entscheidung z. B. in Form einer eindeutig formulierten Patientenverfügung getroffen und im Rahmen einer Vorsorgevollmacht einen Bevollmächtigten zum Zwecke der Umsetzung seines Willens eingesetzt hat. 8
Der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen bei Einwilligungsfähigen setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen festgestellt worden ist, das Grundleiden einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat und eine Entsprechung im Willen des Betroffenen, bei mangelnder Feststellbarkeit im mutmaßlichen Willen, festgestellt werden kann. Unmittelbaren Todesnähe Das Merkmal der»unmittelbaren Todesnähe«(hierunter versteht die Rechtsprechung, dass der Sterbevorgang bereits eingesetzt hat) muss spätestens seit dem Urteil des 1. Strafsenats des BGH vom 13.09.1994 (BGHSt 40, 257 ff.), dem sich der 12. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 17.03.2003 (PflR 2003, 243 ff.) angeschlossen hat, nicht mehr vorliegen, um eine lebensverlängernde Maßnahme zu unterlassen oder abzubrechen. Geblieben waren jedoch nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung die Merkmale»Irreversibilität«und»tödlicher Verlauf«des Grundleidens. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.06.2010 2 StR 454/09 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen aktueller Einwilligungsunfähigkeit von einem bindenden Patientenwillen auszugehen ist, war somit bis dato durch miteinander nicht ohne weiteres vereinbare Entscheidungen des Bundesgerichtshofs noch nicht eindeutig geklärt. 9
Divergenzen in der Rechtsprechung betrafen die Verbindlichkeit von sog. Patientenverfügungen, die Frage, ob die Zulässigkeit des Abbruchs einer lebenserhaltenden Behandlung auf tödliche und irreversibel verlaufende Erkrankungen des Patienten beschränkt oder von Art und Stadium der Erkrankung unabhängig ist, und das Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung einer Entscheidung des gesetzlichen Betreuers über eine solche Maßnahme. Der Gesetzgeber hat diese Fragen durch das sog. Patientenverfügungsgesetz mit Wirkung vom 01.09.2009 ausdrücklich geregelt. Der 2. Strafsenat des BGH konnte daher entscheiden, ohne an frühere Entscheidungen anderer Senate gebunden zu sein. Die Orientierungssätze des BGH lauten: 1. Das Landgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die durch den Kompromiss mit der Heimleitung getroffene Entscheidung zum Unterlassen weiterer künstlicher Ernährung rechtmäßig war und dass die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme als rechtswidriger Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin zu werten ist. 2. Die im September 2002 geäußerte Einwilligung der Patientin, die ihre Betreuer geprüft und bestätigt hatten, entfaltete bindende Wirkung und stellte sowohl nach dem seit dem 01.09.2009 als auch nach dem zur Tatzeit geltenden Recht eine Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs dar. 3. Dies gilt jetzt, wie inzwischen 1901 a Abs. 3 BGB ausdrücklich bestimmt, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. 4. Dagegen trifft die Bewertung des Landgerichts nicht zu, der Angeklagte habe sich durch seine Mitwirkung an der aktiven Verhinderung der Wiederaufnahme der Ernährung wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht. 5. Die von den Betreuern in Übereinstimmung auch mit den inzwischen in Kraft getretenen Regelungen der 1901 a, 1904 BGB geprüfte Einwilligung der Patientin rechtfertigte nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung diente. 6. Eine nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung der straflosen Sterbehilfe vom strafbaren Töten des Patienten wird dem sachlichen Unterschied zwischen der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung und Verhaltensweisen nicht gerecht, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen. 10
Zusammenfassend bedeutet dies, dass, wenn der Betroffene für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit im Rahmen einer rechtswirksamen Patientenverfügung ein Grundleiden (z. B. im Bereich der karzinogenen Erkrankungen) beschreibt und in Kenntnis, dass dieses möglicherweise geheilt werden kann und/oder keinen tödlichen Verlauf annehmen wird, dennoch entsprechende medizinische Maßnahmen (auch lebensverlängernder Art) z. B. in Form eines operativen Eingriffs mit anschließender Bestrahlungstherapie wirksam ablehnen kann und diese somit zu unterlassen bzw. durch aktives Tun abzubrechen sind. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass auch für den Fall, in dem das Grundleiden weder irreversibel ist noch einen tödlichen Verlauf angenommen hat, das Nichteinleiten oder der aktive Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden bzw. -verlängernden Maßnahme bei entsprechendem (antizipierten) Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zwingend anzuerkennen und umzusetzen ist. Und zwar unabhängig davon, ob diese Entscheidung für Dritte (hierzu gehören insbesondere Ärzte und Pflegefachkräfte) vernünftig und nachvollziehbar ist oder nicht. Es bedarf somit beispielsweise bezüglich der Einstellung der künstlichen Ernährung keiner betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn der Betroffene diesbezüglich eine alle am Behandlungsgeschehen Beteiligten bindende Entscheidung in Form einer rechtsverbindlichen Patientenverfügung getroffen hat. 11