EXAMENSKURS. Schwerpunktbereich 3

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Transkript:

Examenskurs Schwerpunktbereich 3 EXAMENSKURS Schwerpunktbereich 3 Kursbegleitendes donnerstags, 10-12 Uhr SR 406 (Paradeplatz) Björn Becker, Annalena Scholl, Markus Welzenbach

Vorlesungsplan Datum Thema Referent 16.4. Einführung, Schiedsgerichtsbarkeit Becker 23.4. KartR I Kartellverbot Becker 30.4. KartR II privater Rechtschutz Becker 7.5. KartR III - Missbrauchsverbot Welzenbach 14.5. Frei 21.5. KartR IV - Gemeinschaftsunternehmen Welzenbach 28.5. Rechtsvergleichung: Störung der Geschäftsgrundlage Becker 4.6. Frei 11.6. IZVR I Scholl 18.6. IPR II Scholl 25.6. IPR Scholl 2.7. UN-Kaufrecht Welzenbach 9.7. UN-Kaufrecht II Welzenbach 16.7. Fragen- und Wiederholungsstunde Becker, Scholl, Welzenbach - 2 -

A. Schiedsgerichtsbarkeit: Wiederholung der Grundlagen I. Allgemeines - Rechtsgrundlage in Deutschland: 1025 ff. ZPO (abweichende Regelungen im Schiedsvertrag möglich) - Privates Gerichtsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten Einsetzung durch vertragliche Abrede der Parteien (Schiedsvereinbarung) Schiedsspruch ist für beide Parteien bindend und darf von staatlichen Gerichten für vollstreckbar erklärt werden, 1055 ZPO Vergleich möglich, 1053 ZPO II. Formen von Schiedsgerichten - Gelegenheitsschiedsgericht (Ad-hoc-Schiedsgericht): Wird gezielt für einzelne Entscheidungen gebildet Organisation der Schiedsrichterbenennung und des Verfahrens durch die Parteien - Institutionelles Schiedsgericht: Von bestimmten (Wirtschafts-)verbänden gebildet Auf bestimmte Art von Streitigkeiten spezialisiert Eigene Verfahrensregeln, Unterstützung bei der Schiedsrichterwahl III. Die Schiedsvereinbarung - Privatrechtlicher Vertrag mit Schiedsklausel oder selbstständige Vereinbarung (Schiedsabrede), 1029 Abs. 2 ZPO - Grds. Schriftform, 1031 ZPO Anderer Nachweis möglich Weites Verständnis Auch nachträglich abschließbar - Zulässiger Vertragsgegenstand: 1030 Abs. 1 ZPO - 3 -

IV. Das Schiedsgericht Examinatorium Zivilrecht - Zusammensetzung des Schiedsgerichts wird von Parteien bestimmt Meist Dreierschiedsgericht: Je ein Schiedsrichter pro Partei, die zusammen einen Vorsitzenden (Obmann) bestimmen, vgl. 1034, 1035 Abs. 3 S. 2 ZPO Kann sich nicht auf einen Obmann geeinigt werden, wird dieser durch eine Ernennungsstelle bestimmt - 1036 Abs. 2 ZPO: Ablehnung eines Schiedsrichters durch die andere Partei möglich, bei Zweifel an Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit Nichtentsprechen der von den Parteien vereinbarten Vss. V. Vorteile einer Schiedsvereinbarung - Faires Verfahren Vermeidung von ggf. korrupten Gerichten am Schieds-/Vollstreckungsort Neutralität der Schiedsrichter in internationalen Streitfällen (z.t. fremdenfeindliche Entscheidungen mancher nationaler Gerichte) - Spezielle Sachkunde der Schiedsrichter Auswahl der Schiedsrichter obliegt Parteien Parteien können Experten als Schiedsrichter bestimmen (Ingenieure, Architekten, Schiedsrichter mit besonderen Sprachkenntnissen etc.) - Diskretion Schiedsverfahren sind nicht öffentlich und werden i. d. R. nicht publiziert Ausnahme: abweichende Parteivereinbarung - 4 -

- Verfahrensgestaltung Examinatorium Zivilrecht Parteien sind in Verfahrensgestaltung frei Insbes. bei internationalen Verfahren können Zustellungen und Beweisaufnahmen ohne die Beachtung der diplomatischen Wege oder Staatsverträge Grenze: rechtsstaatliches Verfahren - Verfahrensdauer? Prinzipiell als schnelleres Verfahren konzeptioniert Aber z. T. Verzögerung durch Vollstreckbarerklärungsverfahren (s.u.) - Kosten? Schiedsverfahren nicht selten kostspieliger als Verfahren vor den staatlichen Gerichten Vergütungsvereinbarungen der einzelnen institutionellen Schiedsgerichte differieren erheblich VI. Nachteile einer Schiedsvereinbarung - Erhöhung der Gefahr von Fehlentscheidungen i. d. R. nur eine Instanz Fehlentscheidungen sind kaum korrigierbar Stark eingeschränkte Kontrolle durch staatliche Gerichte (s.u.) - Keine eigenen staatlichen Zwangsmittel Schiedsgerichte benötigen bei der zwangsmäßigen Ladung von Zeugen Unterstützung durch staatliche Gerichte Zusätzliche Gefahr der Verfahrensverzögerung - 5 -

B. Schiedsgerichtsbarkeit: Kontrolle und Durchsetzung von Schiedssprüchen durch die staatlichen Gerichte I. Überblick Die Kontrollmöglichkeit von Schiedssprüchen ist verfassungsrechtlich geboten, siehe Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK. Grundsatz: Keine sog. Révision au fond, sondern nur ordre public-kontrolle Nur Kontrolle auf Verstöße gegen Prinzipien von grundsätzlicher Bedeutung Eine gerichtliche Kontrolle ist in zwei Verfahren möglich: (1) Aufhebungsverfahren: nur für inländische Schiedssprüche, 1059 ZPO Bsp.: Schweizer Gerichte sind zuständig für Aufhebung (syn.: Anfechtung) eines Schiedsspruchs, der von einem Schweizer Schiedsgericht erlassen wurde. (2) Vollstreckbarerklärungsverfahren auch für ausländische Schiedssprüche, 1060, 1061 ZPO; Gültigkeit nur im Land, in dem der Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt wird Bsp.: Wenn der erfolgreiche Kläger aus dem Schiedsspruch des Schweizer Schiedsgerichts Vollstreckungsmaßnahmen in Deutschland durchführen möchte, so muss er von dem zuständigen deutschen staatlichen Gericht die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung erreichen. Enge Verzahnung von Aufhebungsgründen und Vollstreckungshindernissen: Keine Vollstreckbarerklärung, soweit Aufhebungsgrund vorliegt Für inländische Schiedssprüche siehe 1060 Abs. 2, 1059 ZPO Für ausländische Schiedssprüche siehe 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. V UNÜ 1 1 New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v. 10.6.1958, BGBl. 1961 II, S. 121, abrufbar unter www.newyorkconvention.org/userfiles/documenten/nyctexts/25_german.pdf. - 6 -

II. Aufhebungsgründe/Vollstreckungshindernisse im Einzelnen 1. Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung, 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO bzw. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ - Aufhebungsgrund/Vollstreckungshindernis bei Fehlen, Unwirksamkeit oder Erlöschen der Schiedsvereinbarung - Vollständige Überprüfung des staatlichen Gerichts, ob Schiedsvereinbarung besteht und die fragliche Streitigkeit erfasst Kontrolle auch zulässig gegen einen Schiedsspruch, durch den das Schiedsgericht seine Zuständigkeit verneint, siehe BGH v. 13.1.2005, NJW 2005, S. 1125: Im Schiedsverfahren befindet zwar zunächst das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit, und zwar entweder durch einen seine Zuständigkeit bejahenden Zwischenentscheid ( 1040 ZPO Abs. 3 S. 1 ZPO) sowie ausnahmsweise im verfahrensabschließenden Schiedsspruch oder negativ durch einen die Schiedsklage als unzulässig abweisenden Prozessschiedsspruch [ ]. Das letzte Wort hat jedoch bezüglich des Zwischenentscheids im Verfahren nach 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO, bezüglich des Schiedsspruchs und des Prozessschiedsspruchs im Aufhebungsverfahren nach 1059 ZPO das staatliche Gericht 2. Versagung rechtlichen Gehörs, 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. b ZPO bzw. Art. V Abs. 1 lit. b UNÜ - Aufhebungsgrund/Vollstreckungshindernis, wenn eine Partei vom Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden ist oder aus einem anderen Grund seine Angriffsoder Verteidigungsmittel nicht hat geltend machen können - Darüber hinaus auch jede andere Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs, jedenfalls nach 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO (ordre public, s.u.) - Weitere Voraussetzung: Entscheidungserheblichkeit des Verstoßes (kein absoluter Aufhebungsgrund) Dazu BGH v. 8.10.1959, NJW 1959, S. 2213: Es genügt jedoch, wenn der Spruch auf dem Verstoß beruhen kann. (Leitsatz c) ) 3. Überschreiten der Grenzen der Schiedsvereinbarung, 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c ZPO, Art. V Abs. 1 lit. c UNÜ - 7 -

- Fallgruppe fällt regelmäßig bereits unter 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO bzw. Art. V Abs. 1 lit. 1 UNÜ - Unterfällt ein Anspruch der Schiedsvereinbarung nur teilweise, besteht ein Aufhebungsgrund/Vollstreckungshindernis nur für den Teil, der nicht durch die Schiedsvereinbarung gedeckt ist; Voraussetzung: Teilbarkeit des Anspruchs 4. (Schwere) Verfahrensverstöße, 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. b, d ZPO, Art. V Abs. 1 lit. b, d UNÜ - Aufhebungsgrund/Vollstreckungshindernis bei Verletzung des anwendbaren Verfahrensrechts bzw. der zulässigen Parteivereinbarungen - Weitere Voraussetzung: Entscheidungserheblichkeit des Verstoßes Schiedsspruch muss auf Verfahrensverstoß beruhen (strengerer Maßstab als bei Verletzung des rechtlichen Gehörs, s.o.) - Präklusion möglich, 1027 S. 1 ZPO Bereits im Schiedsverfahren muss der Verfahrensfehler erfolglos gerügt worden sein Ausnahme: Mangelnde Kenntnis, 1027 S. 2 ZPO 5. Mangelnde objektive Schiedsfähigkeit des Anspruchs, 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. a ZPO, Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ - Geringe praktische Bedeutung, da objektive Schiedsfähigkeit sehr weit gefasst ist - Objektiv schiedsfähig sind grds.: Alle vermögensrechtlichen Ansprüche Nichtvermögensrechtliche Ansprüche, soweit die Parteien berechtigt sind, über den Streitgegenstand einen Vergleich zu schließen, 1030 Abs. 1 S. 2 ZPO - Nicht schiedsfähig sind z.b. Ehesachen, Kindschaftssachen, Betreuungsangelegenheiten etc. - 8 -

6. Der Ordre-public 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO, Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ = Verstoß gegen wesentliche fundamentale Normen und Rechtsgrundsätze a) Materiell-rechtlicher ordre public - Erforderlich ist eine offensichtliche Verletzung elementarer Grundlagen der Rechtsordnung, d. h., gegen Normen, die die Grundlage des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens sowie die elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen berühren (Grundrechte, gute Sitten etc.) Dazu BGH v. 28.1.2014, NJW 2014, S. 1597 - Bsp.: Verurteilung zur Zahlung von Spiel- und Wettschulden (OLG Hamburg v. 1.10.1954, NJW 1955, 390), Verurteilung zu einem gegen kartellrechtliche Bestimmungen verstoßenden Verhalten (BGH v. 23.4.1959, NJW 1959, S. 1438), Erwirkung des Schiedsspruchs durch Betrug (beachte auch 581 Abs. 1 ZPO), - Ordre public-einwand greift nur in extremen Ausnahmefällen (keine grundsätzliche Überprüfung der sachlichen Richtigkeit von Schiedssprüchen, s.o. I.) - Nach BGH gilt für inländische Schiedssprüche ein weniger großzügiger Maßstab (ordre public interne) als für ausländische Schiedssprüche (ordre public international) - Problematisch: Verletzung des Willkürverbots Verletzung des ordre public wohl (+). Problematisch ist aber, dass die Feststellung von Willkür eine Auseinandersetzung mit der Richtigkeit des Schiedsspruchs voraussetzt und so mit einer inhaltlichen Überprüfung des Schiedsspruchs einhergehen kann, die nach dem Grundsatz des Verbots der révision au fond grundsätzlich unzulässig ist. b) Verfahrensrechtlicher ordre public - Erforderlich ist ein Abweichen von Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in solchem Maße, dass die Entscheidung nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren angesehen werden kann - Bsp.: Schiedsspruch spricht einer Partei etwas zu, was diese nicht beantragt hat oder übergeht einen Antrag - 9 -

c) Beachte: unterschiedliche nationale Maßstäbe - Ordre public bezieht sich immer auf die individuelle Rechtsordnung eines Staates/Staatenverbundes - Maßstab des ordre public in Deutschland ist möglicherweise ein anderer als in anderen Vertragsstaaten des UNÜ - Zwei Fallgruppen möglich: (1) Aufhebungsantrag in Deutschland (Schiedsort) hat Erfolg In diesem Fall kann der Schiedsspruch in keinem Vertragsstaat des UNÜ vollstreckt werden, Art. V Abs. 1 lit. e UNÜ. (2) Aufhebungsantrag in Deutschland (Schiedsort) hat keinen Erfolg Maßgeblich für die Vollstreckung ist der ordre public im Vollstreckungsstaat, Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ. Eine Gerichtsentscheidung am Schiedsort, die den Aufhebungsantrag abweist, weil der ordre public am Schiedsort gewahrt wurde, trifft aber keine Aussage darüber, ob auch der ordre public im Vollstreckungsstaat gewahrt wurde. Ein entsprechender Einwand kann daher im Vollstreckungsverfahren auch dann erhoben werden, wenn ein Gericht am Schiedsort einen Aufhebungsantrag abgelehnt hat. 7. Restitutionsgründe, 580 ZPO - Grds. beachtliche Einwendungen gegen Schiedssprüche - Aber letztlich nur Teil des ordre public (s.o.) - Daher geringe praktische Bedeutung 8. Vollstreckungshindernis bei aufgehobenem Schiedsspruch, Art. V Abs. 1 lit. e UNÜ i.v.m. 1061 Abs. 1 ZPO - Schuldner kann der Vollstreckung in Deutschland entgegenhalten, dass der Schiedsspruch vom Gericht des Schiedsortes aufgehoben wurde - Abweichende Regelungen möglich, Art. VII UNÜ (z.b. Art. IX Abs. 2 EuÜ: Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verletzung des ordre public entfaltet nur Wirkung am Schiedsort, nicht in anderen Konventionsstaaten) III. Aufhebungsverfahren - 10 -

- Zuständigkeit des OLG, 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO - Beschlussverfahren, 1063 ZPO - Einleitung nur auf Antrag, 1059 Abs. 1 ZPO - Antragsfrist: 3 Monate, 1059 Abs. 3 ZPO - Rechtsschutzinteresse erforderlich (regelmäßig bei der im Schiedsverfahren ganz oder teilweise unterlegenen Partei vorhanden) - Ausschluss des Aufhebungsverfahrens durch bereits wirksame Vollstreckbarkeitserklärung, 1059 Abs. 3 S. 3 ZPO IV. Wirkung der Aufhebung - Wiederaufleben der Schiedsvereinbarung nach Aufhebung des Schiedsspruchs im Zweifel, 1059 Abs. 5 ZPO - Abweichende Regelung durch Parteien in der Schiedsvereinbarung möglich Auch Beachtung eines stillschweigenden Parteiwillens möglich: Oft werden die Parteien nach der Aufhebung eines Schiedsspruchs kein Vertrauen mehr in die Schiedsvereinbarung haben, sondern lieber vor die ordentlichen Gerichte ziehen wollen. - Zurückverweisung durch OLG ans Schiedsgericht in geeigneten Fällen möglich, 1059 Abs. 4 ZPO Vss: Anhörung der vor OLG unterlegenen Partei Kein geeigneter Fall bei Widerspruch gegen die Rückverweisung durch die vor dem OLG unterlegene Partei - 11 -

C. Europäisches und deutsches Kartellrecht I. Kartellverbot, Art. 101 AEUV 1. Sachverhalt (aus studienabschließender Klausur im Wintersemester 2011/2012) Das Unternehmen P stellt u. a. Kosmetika und Körperpflegeprodukte her. Zu den von P vertriebenen Marken gehören u. a. die Produkte Klorane, Ducray, Galénic und Avène. Sie werden im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems hauptsächlich über Apotheken auf dem französischen und dem europäischen Markt vertrieben. Der Anteil von P am französischen Markt für diese Produkte beträgt 20 %. In den übrigen Mitgliedsstaaten, in denen P die genannten Produkte vertreibt, beträgt der Marktanteil zwischen 10 und 15 %. In den Vertriebsvereinbarungen für die genannten Produkte der Marken Klorane, Ducray, Galénic und Avène ist vorgesehen, dass der Verkauf ausschließlich in einem physischen Raum und in Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten erfolgen darf. Für den Fall eines Verstoßes sieht die Vereinbarung eine Vertragsstrafe in Höhe von vor, die P von dem jeweiligen Vertriebshändler verlangen kann. P begründet seine Vertriebsbedingungen mit der Art der betreffenden Produkte. Diese seien auf besondere Hautprobleme, wie z.b. überempfindliche Haut, abgestimmt, bei denen das Risiko einer allergischen Reaktion bestehe. Die physische Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten gewährleiste, dass ein Kunde den auf einer direkten Untersuchung seiner Haut, Haare oder Kopfhaut fundierten Rat eines Fachmanns jederzeit einholen könne. Auch werde das Risiko des Trittbrettfahrens durch andere Apotheker vermindert. Der zugelassene Vertriebshändler V vertreibt die Kosmetika des P über das Internet. P sieht dies als Verstoß gegen seine Vertriebsbedingungen an und verlangt von V Zahlung einer Vertragsstrafe. V verweigert jedoch die Zahlung. Er ist der Ansicht, dass die Vertriebsbedingungen gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen und somit nichtig seien. Insbesondere handele es sich um eine Kernbeschränkung im Sinne des Art. 4 lit. c der Vertikal-GVO (Verordnung Nr. 330/2010), da Endverbrauchern die Möglichkeit genommen werde, die Produkte des P über das Internet zu erwerben. Auch sei die in Art. 4 lit. c enthaltene Ausnahme nicht einschlägig, - 12 -

da eine Internetseite nicht mit einer nicht zugelassenen Niederlassung gleichzusetzen sei. Der Internetvertrieb sei nämlich kein Vertriebsort, sondern vielmehr ein alternativer Vertriebsweg. Kann P von V Zahlung einer Vertragsstrafe verlangen? 2. Lösungsvorschlag P könnte gegen V einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus Art. 1.1/1.2. der allgemeinen Vertriebs- und Verkaufsbedingungen haben. Dies setzt jedoch deren Wirksamkeit voraus. Art. 101 Abs. 2 AEUV könnte hier als Wirksamkeitshindernis entgegenstehen: Nichtigkeit gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV? I. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV? 1. Vereinbarung zwischen Unternehmen Adressaten des Kartellverbots sind Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Als Unternehmen gelten unabhängig ihrer Rechtsform alle Einheiten, die wirtschaftlich selbstständig tätig sind. Sowohl P als auch die Händler, die von der Vertriebsvereinbarung betroffen sind erfüllen diese Voraussetzung unproblematisch. Vereinbarungen i.s.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV können in Form von Verträgen oder auch eines bloßen gentlement s agreements geschlossen werden. Die Vertriebsvereinbarung ist eine direkte vertragliche Abrede zwischen P und seinen Händlern und stellt damit eine Vereinbarung i.s.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dar. 2 2. Wettbewerbsbeschränkung: Beschränkung der Handlungsfreiheit der Apotheker (Einzelhändler) Die Vertriebsvereinbarung müsste eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Wenn feststeht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht 2 Da es sich um einen unproblematischen Fall handelt, sind längere Ausführungen zum funktionalen Unternehmensbegriff und zur Definition der Vereinbarung entbehrlich. - 13 -

geprüft zu werden. 3 Der wettbewerbsbeschränkende Zweck ist aus dem Inhalt der Vereinbarung und den objektiven Zielen, die sie zu erreichen sucht, zu ermitteln, nicht nach den subjektiven Vorstellungen der Parteien. 4 Die in Rede stehende Vertriebsvereinbarung (Verkauf in einem physischen Raum in Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten) führt für die Vertriebshändler de facto zu einem Verbot sämtlicher Verkaufsformen über das Internet. Dadurch wird die Möglichkeit der Vertriebshändler, die Produkte auch außerhalb ihres Tätigkeitsbereichs zu verkaufen, und damit einhergehend die (wettbewerbliche) Handlungsfreiheit erheblich eingeschränkt. 3. Zwischenstaatlichkeit: Geeignetheit und Spürbarkeit Der zwischenstaatliche Handel ist aufgrund des gemeinschaftsweiten Vertriebsnetzes spürbar berührt. 4. Erheblichkeitsschwelle (de minimis) Bei der in Rede stehenden Vertriebsvereinbarung handelt es sich um eine Vertikalvereinbarung. Bezugnehmend auf die Bagatell-Bekanntmachung 5 der Kommission ist die Spürbarkeitsgrenze daher dann nicht überschritten, wenn die Marktanteile aller an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf allen betroffenen relevanten Märkten unter 15 % liegen. Hier sind die Spürbarkeitsschwellen jedenfalls überschritten. P hat auf dem französischen Markt bereits einen Marktanteil von 20 %. der Kommission überschritten. Vom Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle ist daher auszugehen. 3 EuGH, 13.7.1966, Grundig/Consten, Slg. 1966, 321, 390 f) 4 EuGH, 20.11.2008, BIDS, WuW/E EU-R 1509, 1511 Rn 21. 5 Bekanntmachung der Kommission vom 22.12.2001 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken, ABl. 2001 C 368/07, vgl. insbesondere Rz. 7 lit. b. - 14 -

II. Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV? 1. Gruppenfreistellungsverordnung? 6 Nach Art. 101 Abs. 3 AEUV können Gruppen von Vereinbarungen vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt werden (Gruppenfreistellungsverordnungen). In Betracht kommt hier eine Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 der VO 330/2010 (sog. Vertikal-GVO) 7. a. Sachlicher Anwendungsbereich, Art. 1 Abs. 1 lit. a, b Vertikal- GVO (Vertikalvereinbarung und -beschränkung, keine vorrangig anwendbaren Verordnungen) Dafür müsste zunächst der Anwendungsbereich der Vertikal-GVO eröffnet sein. Grundsätzlich erfasst die Vertikal-GVO sämtliche Vereinbarungen im Vertikalverhältnis, Art. 1 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO. Die Vertriebsvereinbarungen bestehen zwischen P und dessen Händlern, und damit zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Stufen der Produktions- und Vertriebskette tätig sind. Sie betreffen zudem die Bedingungen, zu denen die Händler die Waren verkaufen und weiterverkaufen müssen. Damit handelt es sich um eine vertikale Vereinbarung. Diese vertikale Vereinbarung enthält auch eine vertikale Beschränkung i.s.d. Art. 1 Abs. 1 lit b Vertikal-GVO. Der Anwendungsbereich ist damit eröffnet. Vorrangige Verordnungen sind nicht einschlägig, Art. 2 Abs. 5 GVO. b. Marktanteilsschwellen, Art. 3 Abs. 1 GVO (bis zu 30 % Marktanteil) Die Schwellenwerte des Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO sind nicht überschritten, da weder P noch dessen Abnehmer einen Marktanteil von über 30 % an dem relevanten Markt haben. 6 Beachte: Bevor auf eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV eingegangen wird, ist in der Klausur immer zunächst zu untersuchen, ob eine Gruppenfreistellung nach einer GruppenfreistellungsVO in Betracht kommt. 7 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20.4.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen. - 15 -

c. Zwischenergebnis Die Vertriebsvereinbarung ist damit grundsätzlich freigestellt. d. Keine Kernbeschränkung gemäß Art. 4 und 5 GVO? Es könnte jedoch eine Ausnahmebestimmung gem. Art. 4 oder 5 Vertikal-GVO eingreifen. 8 In Betracht kommt insbesondere Art. 4 lit. c, wonach Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch auf der Einzelhandelsstufe tätige Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems eine Kernbeschränkung darstellen und damit nicht freistellungsfähig sind. Durch das in der Vertriebsvereinbarung enthaltene Verbot des Internetvertriebs wird zumindest die Beschränkung des passiven Verkaufs 9 an Endverbraucher beschränkt, die über das Internet kaufen möchten und außerhalb des physischen Einzugsgebiets der jeweiligen zum Vertriebsnetz zugehörigen Apotheke ansässig sind. Das Verbot des Internetvertriebes ist auch nicht mit einem Verbot, Geschäfte nicht von einer nicht zugelassenen Niederlassung aus zu betreiben, vergleichbar. Denn der Begriff zugelassene Niederlassungen erfasst nur Verkaufsstellen, in denen Direktverkäufe vorgenommen werden. Insofern gilt auch nicht die Ausnahme des Art. 4 lit. c Hs. 2. Hier: Schwarze Klausel ( Kernbeschränkung ) gemäß Art. 4 c Vertikal-GVO erfüllt. 2. Einzelfreistellung? Die Vertriebsvereinbarung könnte aber im Wege der Einzelfreistellung gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV auszunehmen sein. Fraglich ist, ob eine Kernbeschränkung überhaupt in den Genuss einer Einzelfreistellung kommen kann. Dies ist jedoch zu bejahen, da die Gruppenfreistellungsverordnung ansonsten 8 Die fünf Kernbeschränkungen des Art. 4 Vertikal-GVO beschränken den Wettbewerb jeweils so stark, dass bei ihrem Vorliegen die gesamte Vereinbarung unwirksam ist. Art. 5 Vertikal-GVO enthält demgegenüber die sogenannten grauen Klauseln. Im Unterschied zu den schwarzen Klauseln des Art. 4 Vertikal-GVO können diese von der zugrunde liegenden Vereinbarung abgetrennt werden, sodass nur der von Art. 5 Vertikal-GVO betroffene Teil einer Vereinbarung unwirksam ist. Der nichtbetroffene Teil der Vereinbarung kann grds. nach der Vertikal-GVO freigestellt werden. 9 Siehe auch die Begriffsbestimmung in den Vertikal-Leitlinien der Kommission (vom 19.5.2010, Abl. Nr. C 130 S. 1) Tz. 50: Erledigung unaufgeforderter Bestellungen einzelner Kunden, d. h. ohne gezielte Ansprache dieser Kunden. - 16 -

indirekt den Charakter einer Gruppenverbotsverordnung erlangen würde, die das europäische Recht nicht kennt. a. Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder Förderung des technischen Fortschritts (vgl. Geeignetheit ) Voraussetzung einer Freistellung im Wege der Einzelbeurteilung ist zunächst, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt. Die in der Vertriebsvereinbarung enthaltene Verpflichtung, dass in den Verkaufsstellen mindestens eine Person mit einem ausgestellten oder anerkannten Apothekerdiplom ständig physisch anwesend ist, begründet die P mit der Art ihrer Produkte, die eine fachliche Beratung erfordere. Die Produkte seien auf besondere Hautprobleme, wie z.b. überempfindliche Haut, abgestimmt, bei denen das Risiko einer allergischen Reaktion bestehe. Die Verpflichtung führt demnach zu einer besser auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmten Verkaufs der jeweiligen Produkte und steigert allgemein das Serviceniveau. Dies stellt einen typischen Effizienzvorteil dar, wie ihn auch die Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag (jetzt: Art. 101 Abs. 3 AEUV) im Auge hatten. 10 Zugleich wird einer Verminderung dieses Serviceniveaus infolge von Trittbrettfahrern entgegengewirkt. Auch dies stellt (zumindest mittelbar) einen Effizienzvorteil dar. Trittbrettfahrer treten typischerweise bei Dienstleistungen auf, die ein Händler vor Vertragsschluss erbringt und deren Inanspruchnahme nicht in Rechnung gestellt wird. In solchen Fällen könnte der Kunde die intensive Beratung z.b. im vorliegenden Fall durch einen Apotheker in Anspruch nehmen und danach das Produkt von einem günstigeren Anbieter ohne Serviceleistung erwerben. Folge wäre, dass preisorientierte Anbieter von den absatzfördernden Vertriebsleistungen serviceorientierter Anbieter profitieren, ohne dass diese für ihre Leistung entgolten werden. Dies kann wiederum dazu führen, dass die serviceorientierten Anbieter ihre Serviceleistungen reduzieren, womit das Serviceniveau allgemein verschlechtert würde. Auch im vorliegenden Fall scheint die Gefahr von Trittbrettfahrern nicht ausgeschlossen. So könnte der Kunde sich in einer Apotheker fachkundig beraten lassen, um danach das empfoh- 10 Vgl. Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, Rz. 72. - 17 -

lene Produkt günstiger über das Internet zu bestellen. Andererseits wird ein Apotheker auch bei Auftreten von Trittbrettfahrern weiterhin eine umfassende Beratung für alle von ihm anebotenen Produkte leisten. Ein Apotheker wird bei seiner Beratung letztlich auch nur schwer differenzieren können. Verkauft sich das Produkt allerdings nicht mehr (weil Kunden das Produkt nun über das Internet bestellen), so besteht die Gefahr, dass Apotheker das Produkt aus ihrem Sortiment herausnehmen. Im Ergebnis führt dies zu einem kompletten Wegfall der Beratung. Anm.: Gegen die hier dargestellten Effizienzvorteile könnte vorgebracht werden, dass die Sicherung von Beratungsleistungen bzw. die Steigerung des allgemeinen Serviceniveaus nur als positiver Effekt gewertet werden kann, wenn es sich um Waren handelt, bei denen zusätzliche Beratungsleistungen aus Sicht der Konsumenten wünschenswert sind. Bearbeiter könnten anführen, dass aufgrund des massenhaften Angebots solcher Pflegeprodukte in anderen Verkaufsstellen (z.b. Drogeriemärkten u.a.) eine Beratung typischerweise vom Kunden nicht mehr erwartet wird. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass es sich vorliegend um Pflegeprodukte für spezielle Hautprobleme handelt. Der Kunde also doch zumindest anfangs (z.b. beim ersten Kauf eines solchen Produkts) einer Beratung bedarf und sie auch erwartet. Gegen die Annahme einer Gefahr durch Trittbrettfahrer könnte von Bearbeitern angeführt werden, dass aufgrund der Kosten, die mit Einrichtung und Betrieb einer Website auf hohem Niveau verbunden sind, die Internethändler sich die Investitionen, die von Verkaufsstellen unterhaltenden Vertriebshändlern getätigt wurden, nicht als Trittbrettfahrer zunutze machen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Kosten des Betreibens einer Website langfristig deutlich geringer sein dürften, als die der Serviceleistung in Form der fachkundigen Beratung. b. Unerlässlichkeit der den beteiligten Unternehmen auferlegten Beschränkungen für die Zielverwirklichung (vgl. Erforderlichkeit ) Ferner müssten die Beschränkungen unerlässlich sein für die Erzielung der Effizienzgewinne. Es geht dabei um die Frage, ob die Effizienzgewinne nicht auch mit weniger wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen erzielt werden können. Zu denken wäre u.a. an detaillierte Kundeninformationen (in Form von Texten, Bildern, interaktiven Elementen u.a.), die eine Internetseite bereithalten könnte. Dies ist jedoch mit der - 18 -

konkret auf den einzelnen Kunden zugeschnittenen und unmittelbaren Beratung eines Apothekers nicht gleichzusetzen. Denkbar ist aber auch eine vertragliche Lösung: P könnte die Apotheken im Wege eines Servicevertrages dazu verpflichten, die gewünschten Beratungsleistungen zu erbringen, und sie dafür durch Rabatte o.ä. direkt entlohnen. Dies würde ein entsprechendes Serviceniveau gewährleisten. Da dieses Mittel bei gleicher Effektivität als weniger einschneidend zu beurteilen ist, ist das in den Vertriebsbedingungen enthaltene faktische Internetvertriebsverbot nicht als unerlässlich anzusehen. Anm.: Bei guter Argumentation sind andere Ansichten gut vertretbar. c. Angemessene Beteiligung der Verbraucher am Gewinn (vgl. Verhältnismäßigkeit i. e. S.) Die Verbraucher 11 müssen zudem eine angemessene Beteiligung an den durch die beschränkende Vereinbarung entstehenden Effizienzgewinn erhalten. Angemessene Beteiligung bedeutet dabei, dass die Weitergabe der Vorteile die tatsächlichen oder voraussichtlichen negativen Auswirkungen mindestens ausgleicht, die durch die Wettbewerbsbeschränkung gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV entstehen. Die oben dargestellten Effizienzvorteile sind demnach mit den sich aus der Vertriebsvereinbarung ergebenden Nachteilen abzuwägen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verpflichtung zur physischen Anwesenheit eines Apothekers de facto zu einem Verbot des Internetvertriebes führt. Der Internetvertrieb kann jedoch erhebliche Vorteile mit sich bringen, denn er eröffnet dem Kunden die Möglichkeit, die Produkte von zu Hause aus zu bestellen, ohne sich dafür an einen anderen Ort begeben zu müssen. Ferner eröffnet es den Händlern die Möglichkeit die Produkte auch außerhalb ihres unmittelbaren Tätigkeitsbereichs zu vertreiben. Diese Nachteile überwiegen die genannten Effizienzvorteile. Denn der Ausschluss einer ganzen Vertriebsform (Internetvertrieb) ist stärker zu gewichten als ein teilweiser Anstieg in der 11 Verbraucher i.s.d. Art. 101 Abs. 3 AEUV sind nicht nur Verbraucher i.s.d. 13 BGB, sondern alle unmittelbaren und mittelbaren Nutzer der Produkte, auf die sich die Vereinbarung bezieht. Das können neben Endkunden sein: Produzenten, die die Ware als Vorprodukt benötigen; Großhändler und Einzelhändler. - 19 -

Beratungsqualität. Zu berücksichtigen ist dabei, dass auch bei Zulassung des Internetvertriebs davon ausgegangen werden kann, dass Kunden Beratungsleistungen sowohl in Apotheken als auch bei Ärzten in Anspruch werden nehmen können. Eine Beratung ist somit nicht gänzlich ausgeschlossen. Anm.: Ein anderes Ergebnis der Abwägung ist hier durchaus vertretbar. e. Keine Ermöglichung der Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren. Durch das faktische Internetverbot könnte für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren die Ausschaltung des Wettbewerbs ermöglicht werden. Hierfür spricht, dass ein kompletter Vertriebsweg ausgeschaltet wird, was zusätzlichen Wettbewerb erheblich einschränkt. Gegen die Annahme einer möglichen Ausschaltung des Wettbewerbs spricht aber, das P lediglich einen geringen Marktanteil innehat und reger Interbrand-Wettbewerb vorherrscht. III. Ergebnis Die in der Vertriebsvereinbarung enthaltene Klausel ist gem. Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig. P hat gegen V somit keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe. - 20 -

[Exkurs 1: Kartellbehördliche Verfügungen 1. Abstellungsverfügungen, Art. 7 VO 1/2003 bzw. 32 GWB 2. Bußgeldentscheidungen, Art. 23 VO 1/2003 bzw. 81 f. GWB 3. Verpflichtungszusagenentscheidungen Art. 9 VO 1/2003 bzw. 32 b GWB 4. Einstweilige Maßnahmen Art. 8 VO 1/2003 bzw. 32a GWB 5. Feststellung der Nichtanwendbarkeit Art. 10 VO 1/2003/ Kein Anlass zum Tätig werden 32c GWB Exkurs 2: Verpflichtungszusagen und Verhältnismäßigkeit: Die Alrosa-Rechtsprechung Verfahrensgang o EuG, Urteil v. 11.7.2007, T-170/06 Alrosa, WuW EU-R S. 1284, 1291 o EuGH, Urteil v. 29.6.2010, C-441/07 P - Alrosa, Slg. I-2010, S. 6012, 6033 Problem: Verhältnismäßigkeitsmaßstab bei Verpflichtungszusagenentscheidungen nach Art. 9 VO 1/2003? o EuG: Gleicher Umfang wie Abstellungsverfügungen nach Art. 7 VO 1/2003 o EuGH: Deutlich großzügigerer Maßstab als bei Abstellungsverfügungen nach Art. 7 VO 1/2003 Arg.: Freiwilligkeit der Verpflichtungszusagen CONTRA: Erpressungspotential, Rechtsstaatlichkeit, Drittinteressen] - 21 -