Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht III (Grundrechte) Fall 8: Good bye Deutschland Der Auswanderer (Lösungshinweise)

Ähnliche Dokumente
Modul 55104: Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht

Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht II Grundrechte. Fall 2: Soldaten sind potentielle Mörder!

Fallbesprechung Grundrechte. Fall 6 Unverletzlichkeit der Wohnung

O. Die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG

Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht II Grundrechte Fall 5: Obligatorische Zivilehe

Die Funktionen der Grundrechte

AG Staatsrecht II - Grundrechte

Denkmalschutz - mögliche Lösung. Die Verfassungsbeschwerde der D-AG hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

Arbeitsgemeinschaft zum Grundkurs Öffentliches Recht II. Fall 8: Online-Durchsuchung

S. Die Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG

Arbeitsgemeinschaft zum Grundkurs Öffentliches Recht II. Fall 6: Deutschland muss sterben

Musterlösung. Der Oberbürgermeister ist für mich der größte Dilettant! Er verscheuert das Tafelsilber der Stadt!

I. Zuständigkeit des BVerfG, Art. 93 I Nr. 4 a GG, 13 Nr. 8a BVerfGG. II. Beschwerdefähigkeit, Art. 93 I Nr. 4 a GG, 90 I 1 BVerfGG

Prof. Dr. Christoph Gröpl Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, deutsches und europäisches Finanzund Steuerrecht

Fallbesprechung Grundrechte. Fall 7 Burkini

Leseprobe Text. III. Rechtfertigung des Eingriffs

Fall 9 Pflichtmitgliedschaft

I. Zuständigkeit des BVerfG, Art. 93 I Nr. 4 a GG, 13 Nr. 8a BVerfGG. II. Beschwerdefähigkeit, Art. 93 I Nr. 4 a GG, 90 I 1 BVerfGG

Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht III (Grundrechte) Fall 9: Pflichtmitgliedschaft (Lösung)

» Struktur der Grundrechtsprüfung (Freiheitsrechte)

Konversatorium Grundkurs Öffentliches Recht I -Staatsorganisationsrecht- Fall 4: Verlängerung der Legislaturperiode

BERGISCHES STUDIENINSTITUT FÜR KOMMUNALE VERWALTUNG Staats- und Europarecht

Fallbesprechung Grundkurs Öffentliches Recht Sommersemester Institut für Öffentliches Recht. Fall 5 NRSchG

Die Verfassungsbeschwerde müsste zulässig sein.

Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht I Staatsorganisationsrecht. Fall 2: Wiedereinführung der Todesstrafe

Wiss. Mitarbeiter Julian Nusser Wintersemester 2007 / Übung zur Vorlesung Öffentliches Recht - Grundrechte -

Meinungsfreiheit für alle? Lösungsskizze

Fall 7: Eigentumsgrundrecht (Art. 14 I GG)

Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger

1. Teil: Wiederholung Zulässigkeit einer Anfechtungsklage

Probeklausur zur Vorlesung Staatsrecht I Staatsorganisationsrecht, Professor Dr. Christoph Degenhart

Prof. Dr. Christoph Gröpl. Vorlesung Staatsrecht II (Grundrechte)

Universität Würzburg Wintersemester 2007/2008. Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht I. Lösungsskizze der 1. Klausur vom 6.12.

Frage 1: Grundrechtsverletzung

Fallbesprechung zum GK ÖR III

Grundrechte im Umweltrecht Wirkungen und Konstellationen

Teil 4 (des Übungsskripts): Verfassungsbeschwerde

Fall 4 Prüfungsrecht des Bundespräsidenten. Lösungshinweise

Fallfragentyp 1: Rein materiellrechtliche Fragestellung, z.b.

Fall 8. Organstreitverfahren des A gegen den Bundespräsidenten gem. Art. 93 I Nr.1 GG, 13 Nr.5, 63ff BVerfGG

Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium Prof. Dr. Roland Rixecker. Fallbesprechung 6: Arbeitszeiten

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. 1. Gesetzgebungskompetenz des Landes, Art. 70 GG

Fall 5: Privilegien beim Kosmetikkauf für inhaftierte Frauen

Vorlesung Öffentliches Recht I. Verfassungsbeschwerde

Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass ein erzwungener Umgang des A mit S aufgrund beidseitiger negativer Einstellung dem Wohle des S abträglich ist.

Aufgabe 4: Die Schuluniform 57. B. Lösungshinweise

Reiten im Walde. Rechtsanwalt Norman Jäckel Berend Koll Juliane Martin Hannah Imbusch. Sommersemester 2013

Jura Online - Fall: Salzsäure im Wein - Lösung

K. Die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG

Rechtmäßigkeit der Maßnahmen des BKA und seiner Beamten im Zusammenhang mit der Verhaftung und Haft des A.

DR. IUR. H. C. GERHARD STRATE KLAUS-ULRICH VENTZKE RECHTSANWÄLTE

Modul 55104: Staats- und Verfassungsrecht

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Fall 3. Sachverhalt: Auch in letzter Instanz unterlag E vor Gericht.

Prof. Dr. Christoph Gröpl. Vorlesung Staatsrecht II (Grundrechte)

Wirtschaftsspezifisches Verfassungsrecht. A. Wirtschaftsverfassungsrecht. B. Fall zum Wirtschaftsverfassungsrecht

U. Lösungsskizze zur Übungsklausur

E. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde

Kapitel I: Grundrechte Fall 1: Freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG)

AG im Staatsrecht II - Grundrechte. Fall 3 Elfes-Urteil (nach BVerfGE 6, 32 ff.)

Polizeirecht und Zitiergebot

Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht II. - Grundrechte - Fall 4: Gesetzliche Altersgrenze für Vertragsärzte

Lösungsskizze Fall 1 Liquorentnahme :

Fall 9: Die Apothekerin

Lösungsskizze. Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

Fall 6: Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung

II. Beschwerdefähigkeit, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, 90 I BVerfGG

Judith Burgmann (Autor) Bekleidungsvorschriften an öffentlichen Schulen in Nordrhein- Westfalen

Inhaltsverzeichnis. 1. Teil - Allgemeine Grund rechtslehren 1. A. Menschenrechte, Bürgerrechte, Grundrechte 3

Fall 3: Was gesagt werden musste

Das Gericht. PD. Dr. Peter Rackow Wintersemester 2008 / 2009

Der türkische Sender

Lösungsskizze der Übungsklausur

Übungsfall 2. Übung im Öffentlichen Recht Prof. Dr. Alexander Proelß

Examensrepetitorium Öffentliches Recht II Lösungsskizze Fall 8 - Sprayer von Göttingen -

19 Allgemeiner Gleichheitssatz und spezielle Gleichheitsrechte. 1. Warum wird Art. 3 Abs. 1 GG als allgemeiner Gleichheitssatz bezeichnet?

Im Rahmen der Prüfung des Schutzbereiches ist weiter zwischen dem persönlichen (1) und dem sachlichen (2) Schutzbereich zu unterscheiden.

Lösung des Falles A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht I. Staatsorganisationsrecht. Fall 5: Der ausgeschlossene Abgeordnete H

3. der Minderjährigen

Lösungsvorschlag Übungsfall 2- Tagebuch

Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht

Fall 3. Prüfungsschema für Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht, 858 I BGB. 2. Anspruchsteller war Besitzer

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss

Inhaltsverzeichnis. Erstes Kapitel: Die klassische Räumungsvollstreckung: Verfahrensablauf, Kosten und Haftungsverteilung 5

Staatsorganisationsrecht Fall 2

Lösungsskizze zur Hausarbeit im Rahmen der Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger bei Prof. Dr. von Bernstorff

Fall 7 - Lösung. A.) Zulässigkeit:

Examensrepetitorium Öffentliches Recht II Lösungsskizze Fall 7 - Cicero -

Das Grundgesetz enthält einen Grundrechtskatalog Art GG -, sowie einige grundrechtsgleiche Rechte wie Art. 20 IV, 33, 38, 101, 103, 104 GG.

Lösungsvorschlag: Akupunktur

B. Die Prüfung von Gleichheitsrechten

A. Verwaltungsrechtsweg und zuständiges Gericht

Rechtsdurchsetzung im Privatrecht Prof. Dr. Florian Jacoby Übungsfall 1

FALL 8: UNFREIWILLIGE ABGABE

Die Grundrechte Freiheits rechte

Merkblatt über die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht

Vorwort... VII. Inhaltsverzeichnis... IX. Abbildungsverzeichnis... XVII. Tabellenverzeichnis... XVIII. Abkürzungsverzeichnis... XIX. Einleitung...

Transkript:

Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht III (Grundrechte) Fall 8: Good bye Deutschland Der Auswanderer (Lösungshinweise) Vorbemerkung: Der vorliegende Fall wurde im Sommersemester 2007 als Zwischenprüfungsklausur im Rahmen der Vorlesung Grundkurs Öffentliches Recht III an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg gestellt. 1 Die Klausur dürfte als mittelschwer einzustufen sein. Ihren Schwierigkeitsgrad verdankt sie hauptsächlich ihrer Länge. Lediglich die Frage nach dem Prüfungsumfang des BVerfG dürfte eine echte Hürde für die Bearbeiter sein. Dementsprechend wichtig ist es, dass die Bearbeiter sauber unter die jeweiligen Tatbestandsmerkmale subsumieren und argumentieren. Als Faustformel kann gelten, dass eine um Definitionen und behauptete Ergebnisse angereicherte Gliederung nicht zum Bestehen ausreicht. Die Hinweise in den grauen Kästen versuchen, alternative Lösungswege und typische Fehlerquellen zu berücksichtigen, da eine Vielzahl von verschieden Lösungswegen in Betracht kommt und die Erfahrung zeigt, dass diese sämtlich von den Bearbeitern beschritten werden. Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde des A hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde Hinweis: Die dargestellte Prüfung der Zulässigkeit ist sehr ausführlich. Bis auf die gegenwärtige Beschwer sind alle dargestellten Punkte relativ unproblematisch und können von den Bearbeitern knapp abgehandelt werden. I. Zuständigkeit des BVerfG Art. 93 I 1 Nr. 4a GG, 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG entscheidet das BVerfG über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Begründung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Das BVerfG ist demnach für die von A erhobene Verfassungsbeschwerde zuständig. II. Beschwerdefähigkeit Art. 93 I Nr. 4a GG, 13 Nr. 8a, 90 I BVerfGG Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, 90 I BVerfGG kann eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich von jedermann erhoben werden. Jedermann ist, wer potentiell Träger der von ihm gerügten Grundrechte sein kann 2. Dies ist bei lebenden natürlichen Personen grundsätzlich der Fall. A ist daher beschwerdefähig. III. Beschwerdegegenstand Art. 93 I Nr. 4a GG, 90 I BVerfGG Nach Art. 93 I Nr. 4a GG, 90 I BVerfGG kommt als Beschwerdegegenstand jeder Akt öffentlicher Gewalt in Betracht, also auch sämtliche Akte der deutschen Gerichtsbarkeit 3. Der Beschwerdeführer hat die Wahl, ob er nur gegen das letztinstanzliche Urteil oder auch zusätzlich die Entscheidungen der Vorinstanzen angreifen möchte 4. Vorliegend will A ausschließlich gegen das letztinstanzliche Urteil, das die Zwangsvollstreckung als rechtmäßig anerkannt hatte, Verfassungsbeschwerde erheben. Ein zulässiger Beschwerdegegenstand ist damit gegeben. IV. Beschwerdebefugnis Art. 93 I Nr. 4a GG, 90 I BVerfGG Beschwerdebefugt ist gemäß 90 I BVerfGG, wer behaupten kann, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. 2 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 121 ff. 3 Fleury, Verfassungsprozeßrecht, 7. Aufl. (2008), Rn. 1 Bei einer Misserfolgsquote von 37,11 % wurden im Durchschnitt 5,14 Punkte erreicht; vgl zu dem Fall, insbesondere auch zu den gutachterlichen Vorüberlegungen: Miller/Schweighart, Übungsklausur Öffentliches Recht: Hausfriedensbruch oder Verletzung des Art. 13 GG? Ein Gerichtsvollzieher mach Ernst, JuS 2008, 607 ff. 277, 292 ff.. 4 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 1231; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. (1991), 12 Rn. 26; Fleury, a.a.o., Rn. 296; wird keine ausdrückliche Wahl getroffen, richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen alle Gerichtsentscheidungen. 1 von 8

1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung Zunächst ist erforderlich, dass die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung gegeben, d.h. nicht offensichtlich ausgeschlossen ist 5 ; dies müsste substantiiert dargelegt werden. A kann sich darauf berufen, durch das Urteil in seinen Grundrechten aus Art. 13 I, Art. 12 I, 2 I GG (Unverletzlichkeit der Wohnung, Berufsfreiheit, Allgemeine Handlungsfreiheit) verletzt worden zu sein. Es erscheint zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte bei Auslegung und Anwendung der 758, 758a ZPO die Bedeutung dieser Grundrechte verkannt haben 6. 2. Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Beschwer Weiterhin müsste A selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein 7 : Das Urteil richtet sich gegen ihn selbst. Da das Urteil keiner weiteren Vollzugsakte bedarf, ist A unmittelbar beschwert. Außerdem müsste A als Beschwerdeführer schon und noch (gegenwärtig) betroffen sein 8. Dies ist jedoch fraglich, da sich die Maßnahme (Zwangsvollstreckung) gegen A bereits erledigt hat. Obwohl sich die angegriffene Durchsuchung mit deren Abschluss erledigt hat, besteht das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin fort, wenn es sich um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff handelt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das GG den betreffenden Eingriff unter Richtervorbehalt stellt. In diesen Fällen besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls dann fort, wenn sich die direkte Belastung durch den Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf einen Zeitraum beschränkt, in welchem der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Dies ist bei Durchsuchungen der Fall 9. A ist daher beschwerdebefugt obwohl er gegenwärtig nicht mehr betroffen ist. Hinweis: Die Frage der Erledigung der Durchsuchung kann unter dem Punkt Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis thematisiert werden. V. Rechtswegerschöpfung Nach 90 II S. 1 BVerfGG i.v.m. Art. 94 II S. 2 GG kann eine Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. A müsste also alle ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen das erste Urteil ausgeschöpft haben. 10 Gegen das letztinstanzliche Urteil gibt es kein ordentliches Rechtsmittel mehr. A hat somit den Rechtsweg vollständig beschritten. VI. Subsidiarität Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde gemäß dem Grundsatz der Subsidiarität nur zulässig, wenn die Grundrechtsverletzung (abgesehen von der Ausschöpfung des Rechtsweges) durch die Gerichte oder andere Organe auf keine andere Weise beseitigt werden konnte oder hätte beseitigt werden können. Andere Möglichkeiten der Grundrechtswahrung sind für A nicht ersichtlich, so dass die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht am Grundsatz der Subsidiarität scheitern würde. VII. Form und Frist, 23 I, 92; 93 I BVerfGG Der Antrag müsste den Formerfordernissen der 23 I S. 2, 92 BVerfGG entsprechen. A müsste gem. 93 I S. 1 BVerfGG die Verfassungsbeschwerde binnen eines Monats erheben und begründen. Laut Sachverhalt wurde die Verfassungsbeschwerde form- und fristgerecht eingelegt. VIII. Zwischenergebnis Die Verfassungsbeschwerde des A ist zulässig. B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Die Verfassungsbeschwerde des A ist begründet, wenn er durch das Urteil in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist. 5 Pestalozza, a.a.o., 12 Rn. 27. I. Unverletzlichkeit der Wohnung Art. 13 I GG Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ist verletzt, wenn das letztinstanzliche Urteil in den Schutzbereich von Art. 13 I GG eingreift, ohne verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein. 6 Insoweit ist bereits hier eine Benennung des möglicherweise verletzten Grundrechts erforderlich. 7 Pestalozza, a.a.o., 12 Rn. 35, 40 ff. 8 Manssen, Staatsrecht II (Grundrechte), 7. Aufl. (2010) 35 Rn. 839. 9 vgl. BVerfGE 96, 27 (38 ff.); 104, 220 (233). 10 Pestalozza, a.a.o., 12 Rn. 46 ff. 2 von 8

1. Schutzbereich Hierfür müsste zunächst der Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung eröffnet sein. a) Sachlicher Schutzbereich Art. 13 I GG steht in engem Zusammenhang mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit und soll dem Einzelnen einen elementaren Lebensraum gewährleisten, in dem er das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden 11. Wohnung bedeutet demnach räumliche Privatsphäre 12. Zur Wohnung zählen deshalb alle Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind, wobei es auf die Eigentumsverhältnisse nicht ankommt 13. Fraglich ist, ob die Geschäftsräume des A unter diese Definition fallen. Nach einer Ansicht ist dies nicht der Fall. Geschäftsräume seien nicht dem privaten Lebensbereich zuzuordnen und gehörten somit nicht der räumlichen Privatsphäre an 14. Dieser Ansicht folgend, wären die Geschäftsräume des A nicht vom Schutzbereich des Art. 13 I GG erfasst. Eine zweite Ansicht unterscheidet zwischen öffentlich zugänglichen (Ladenlokal etc.) und unzugänglichen Geschäftsräumen (Verwaltungsgebäude etc.). Nur letztere seien aufgrund der räumlichen Abschottung von der Öffentlichkeit zeitlich unbeschränkt vom Schutzbereich des Art. 13 I GG erfasst 15. Für öffentlich zugängliche Geschäftsräume soll der Schutzbereich nur außerhalb der Geschäftszeiten eröffnet sein 16. Vorliegend betreibt A einen während den Geschäftszeiten frei zugänglichen Döner-Imbiss. Mangels räumlicher Abschottung wäre der Schutzbereich des Art. 13 I GG nicht berührt, wenn G während der Öffnungszeiten den Imbissladen betreten hätte. Da G aber vorliegend nach den Geschäftszeiten in die Geschäftsräume des A eingetreten war, wäre der Schutzbereich von Art. 13 I GG auch nach dieser Ansicht eröffnet. Eine dritte Ansicht und das BVerfG gehen davon aus, dass Geschäftsräume unter den Wohnungsbegriff des Art. 13 I GG fallen 17. In Art. 12 und 14 11 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 945. 12 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 945. GG komme zum Ausdruck, dass Arbeit, Beruf und Gewerbe Teil der menschlichen Selbstverwirklichung sind 18. Dies wird von der ersten Ansicht übersehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nicht allein die öffentliche Zugänglichkeit eines Raumes alles darin Befindliche und Stattfindende öffentlich macht, die Eröffnung eines Bereichs für das Publikum also noch nichts über die generelle Schutzwürdigkeit, insbesondere gegenüber dem Staat, aussagt 19. Schließlich vermeidet diese Ansicht die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Privatsphäre und beruflichem Tätigkeitskreis, welche die erste Ansicht mit sich brächte 20. Insofern ist die Ansicht vorzugswürdig. Demnach unterfallen die Geschäftsräume des A dem Schutzbereich von Art. 13 I GG. Hinweis: Wichtig ist, dass die Bearbeiter das Problem erkennen, die verschiedenen Ansichten darstellen und sich anhand von Argumenten für eine Ansicht entscheiden. Jede der drei Ansichten ist vertretbar. Angesichts der klaren Ausrichtung des Sachverhalts ist es allerdings klausurtaktisch ratsam, die Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 13 GG anzunehmen, da anderenfalls im Hilfsgutachten weitergeprüft werden müsste. b) Persönlicher Schutzbereich Weiterhin müsste auch der persönliche Schutzbereich für A eröffnet sein. Als sog. Jedermansgrundrecht schützt Art. 13 I GG zumindest natürliche Personen. Folglich ist der Beschwerdeführer A als natürliche Person vom persönlichen Schutzbereich des Art. 13 I GG erfasst. c) Zwischenergebnis Der Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung ist eröffnet. 2. Eingriff a) Allgemeines zum Eingriff Eine Verletzung von Art. 13 I GG setzt weiter voraus, dass in den Schutzbereich eingegriffen wurde. Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem 13 Manssen, a.a.o., 27 Rn. 628 ff.. 14 Frank/Stein, StR, 21. Aufl. (2010), 35 II 1. 15 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 950. 16 BverfG, NJW 2003, 2669; a.a. BVerwGE 121, 345 (348). 17 BVerfGE 32, 54 (68 ff.); 76, 83 (88); 96, 44 (51). 18 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art. 13 GG Rn. 24. 19 BVerfGE 97, 228 (265). 20 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art. 13 GG Rn. 24. 3 von 8

Grundrechtsträger ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweises unmöglich macht (bloße Unbequemlichkeiten oder Belästigungen sind nicht ausreichend). 21 Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Zwang erfolgt (sog. moderner Eingriffsbegriff). 22 In Bezug auf Art. 13 I GG ist ein Eingriff dabei insbesondere jedes körperliche oder mit Hilfe technischer Einrichtungen unkörperliche Eindringen in die Wohnung ohne den Willen des Wohnungsinhabers durch die staatliche Gewalt. 23 Vorliegend hat das Gericht die Maßnahme des Gerichtsvollziehers G, der als staatliches Organ mit Hilfe der Polizei ohne und sogar gegen den Willen des A in dessen Geschäftsräume eingedrungen ist, als rechtmäßig bestätigt. Ein Eingriff liegt demnach vor. b) Besonderheiten bei Art. 13 I GG Doch damit ist die Prüfung des Eingriffs noch nicht beendet, weil Art. 13 GG in den Abs. 2 bis 7 zwischen drei Eingriffsarten unterscheidet und diesen drei Eingriffsarten unterschiedliche Regeln über die Eingriffsrechtfertigung zuordnet. Zu unterscheiden ist zwischen Durchsuchungen, für die Abs. 2 gilt, Lauschangriffen, für die die Abs. 3 bis 6 gelten, und sonstigen Eingriffen und Beschränkungen, für welche die Eingriffsrechtfertigung sich nach Abs. 7 richtet. Vorliegend kommt eine Durchsuchung als Eingriffsart in Betracht, die von dem Gericht als rechtmäßig betrachtet wurde. Durchsuchen im Sinne des Art. 13 II GG ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen, die der Wohnungsinhaber von sich aus nicht offen legen will 24 bzw. die nicht ohne weiteres erkennbar sind. Laut Sachverhalt hat G als staatliches Organ in den Geschäftsräumen des A ziel- und zweckgerichtet nach pfändbaren Gegenständen gesucht. Demnach liegt eine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 II GG vor. Hinweis: Die Abgrenzung der Eingriffsarten kann auch zu Beginn der Rechtfertigungsprüfung erfolgen. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG scheidet aus, wenn der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Dies wäre der Fall, wenn die Unverletzlichkeit der Wohnung einschränkbar wäre, der Eingriff auf einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage beruht und der Gerichtsvollzieher in verfassungsgemäßer Art und Weise von der Rechtsgrundlage Gebrauch gemacht hat. a) Einschränkbarkeit der Unverletzlichkeit der Wohnung Hinweis: Auch ein anderer Aufbau ist hier gleichwertig Die Einschränkbarkeit der Unverletzlichkeit der Wohnung wird z. T. auch im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage für den Eingriff geprüft. Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird nicht schrankenlos gewährleistet. Sie unterliegt für Durchsuchungen dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 13 II GG. Einschränkungen sind daher zulässig, das Gesetz muss jedoch einen Richtervorbehalt vorsehen, von dem nur bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise abgewichen werden darf 25. Die 758, 758a ZPO stellen ein solches Gesetz dar, insbesondere ist ein Richtervorbehalt enthalten, von dem nur bei Gefahr im Verzug abgesehen werden darf. Hinweis: Die Einordnung des Art. 13 Abs. 2 GG als qualifizierter Gesetzesvorbehalt ist naheliegend, aber nicht zwingend. Da Abs. 2 keine Qualifizierung hinsichtlich des Zieles des Gesetzes enthält, wie das bei den anderen qualifizierten Vorbehalten der Fall ist, kommt auch die Einordnung als einfacher Gesetzesvorbehalt mit einer zusätzlichen Verfahrensrechtlichen Absicherung in Betracht. b) Vorliegen einer verfassungsgemäßen Eingriffsgrundlage (Gesetz) Weiterhin müsste eine verfassungskonforme Eingriffsgrundlage vorliegen. In Betracht kommen die 758, 758a ZPO. Diese wären dann verfassungsmäßig, wenn sie formell und materiell verfassungsgemäß sind. 21 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 253. 22 Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S.373; (1) Formelle Verfassungsmäßigkeit Die 758, 758a ZPO sind laut Bearbeitervermerk formell verfassungskonform. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 253. 23 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 951. 24 BVerfGE 76, 83 (89). 25 Manssen, a.a.o., 27 Rn. 635. 4 von 8

(2) Materielle Verfassungsmäßigkeit Die 758, 758a ZPO müssten auch materiell mit der Verfassung übereinstimmen. Dies ist der Fall, soweit die 758, 758a ZPO verhältnismäßig i.w.s. sind und auch den sonstigen Anforderungen der Schranken-Schranken genügen. (a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ein Gesetz ist dann verhältnismäßig, wenn es einen legitimen Zweck verfolgt, die gestattete Maßnahme für die Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und zudem angemessen ist 26. (aa) Legitimer Zweck Zunächst müssten die 758, 758a ZPO einen legitimen Zweck verfolgen. Ein legitimer Zweck ist jedes von der Verfassung gebilligte Ziel 27. Die 758, 758a ZPO dienen dem Schutz der Gläubiger, denen die Durchsetzung ihres rechtskräftig festgestellten Anspruchs ermöglicht und gesichert werden soll. Zudem fallen etwa vermögensrechtliche Ansprüche als vermögenswertes Recht des Privatrechts unter den Begriff des Eigentums (Art. 14 GG). Weiterhin soll mit den 758, 758a ZPO die Rechtspflege aufrechterhalten werden, die Zwangsvollstreckungsbefugnisse dienen damit auch dem staatlichen Zwangsmonopol. Ein legitimer Zweck ist demnach gegeben. (bb) Geeignetheit Die Maßnahme müsste auch geeignet sein. Geeignet ist eine Maßnahme immer dann, wenn sie zur Erreichung des angestrebten Ziels zumindest förderlich ist 28. Vorliegend gestatten die 758, 758a ZPO bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen dem Gerichtsvollzieher, die Wohnung des Schuldners zu durchsuchen. Diese Maßnahme ist förderlich für den angestrebten Zweck, den rechtskräftig festgestellten Anspruch des Gläubigers im Wege der anschließenden Pfändung durchzusetzen und somit ein geeignetes Mittel. Zudem ist die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beachten 29. (cc) Erforderlichkeit Ebenso müsste die Maßnahme auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit ist dann gegeben, wenn es zur Erreichung des Ziels keine dem Staat zumutbaren milderen Mittel gibt, die gleich effektiv sind und die betroffenen Grundrechtsträger weniger belasten 30. Dabei ist zu beachten, dass 758 ZPO schon tatbestandlich ausscheidet, wenn mildere Mittel möglich sind. Kann die Zwangsvollstreckung nicht auf anderem Wege erfolgen (Forderungspfändung etc.), sind keine milderen und gleichwirksamen Mittel als die Wohnungsdurchsuchung ersichtlich. Außerdem gilt es auch hier die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beachten 31. Hinweis: Bitte achten Sie darauf, dass die Einschätzungsprärogative hier und bei der Geeignetheitsprüfung nur als weiterer Argumentationstopos, nicht als Argumentationsersatz herangezogen wird. (dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Die im Gesetz mit den 758, 758a ZPO vorgesehene Maßnahme müsste auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) sein. Eine Vorschrift ist angemessen, wenn der mit ihr verbundene Eingriff in das betroffene Grundrecht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des angestrebten Ziels steht 32. Im Hinblick auf eine abstrakte Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners (Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 I GG) und den Interessen des Gläubigers und der Öffentlichkeit an der Durchsetzung des schuldrechtlichen Anspruchs lässt sich feststellen, dass abstrakt keines der Güter generellen Vorrang besitzt. Bei der konkreten Abwägung gilt es zu berücksichtigen, dass der mit den 758, 758a ZPO verbundene Eingriff in Art. 13 I GG mit einer hohen Eingriffsintensität verbunden ist, da hierdurch dem Gerichtsvollzieher als staatlichem Organ ermöglicht wird, ohne den Willen des Wohnungsinhabers in dessen privaten Lebensraum einzudringen. Andererseits ist der Schuldner, der eine rechtskräftig festgestellte Forderung nicht begleicht, auch nicht besonders schutzwürdig, da er den Zustand und die Möglichkeit der Maßnahmen gem. 758, 758a ZPO selbst herbeigeführt hat. Auch das objektive Interesse an der Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates und die Bedeutung der Zwangsvollstreckung für die Grundrechte der Gläubiger sprechen für die Angemessenheit der Durchsuchungsmöglichkeit. 26 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 289 ff. 27 Manssen, a.a.o., 8 Rn. 170. 28 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 293. 29 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 292. 30 Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), 10. Aufl. (2007), Rn. 178. 31 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 292. 32 BVerfGE 30, 292 (316); 67, 157 (178); 83, 1 (19). 5 von 8

Die Durchsuchung könnte aber dann unangemessen sein, wenn es sich lediglich um eine Bagatellforderung handelt. Problematisch wäre die Regelung in diesen Fällen, weil 758 ZPO nur die Erforderlichkeit der Durchsuchung zur Zweckerreichung als Voraussetzung für eine rechtmäßige Durchsuchung fordert. Eine Angemessenheit wird von 758 ZPO nicht explizit gefordert. Allerdings ist eine Durchsuchung nicht schon dadurch unangemessen, dass sie nur der Vollstreckung einer kleineren Geldsumme dienen soll. Anderenfalls wäre eine Rechtsdurchsetzung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs nahezu unmöglich, wenn die Forderung nur noch einen sehr geringen Wert umfasst. Demnach könnte ein Schuldner Forderungen immer bis zu einem geringen Restbetrag begleichen und hätte dann nichts mehr zu befürchten, wenn eine Durchsetzung dieser geringen Forderung nicht mehr möglich wäre. Ein solches Verhalten des Schuldners kann im Interesse des gesamten Geschäftsverkehrs nicht hingenommen werden und verdient keinen Schutz. Eine Unangemessenheit der Durchsuchung käme daher allenfalls in extremen Ausnahmefällen ist Betracht. Dann wäre es aber immer noch möglich, 758 ZPO dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Durchsuchung im Einzelnen auch angemessen sein muss. Hinweis für die Korrektoren: Eine andere Ansicht ist hier nur schwer vertretbar. Demnach sind die 758, 758a auch angemessen. Die vorliegenden Vorschriften verstoßen daher nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. (b) Sonstiges materielles Verfassungsrecht Verstöße gegen sonstiges materielles Verfassungsrecht sind nicht ersichtlich. Insbesondere der Richtervorbehalt des Art. 13 II GG ist durch 758a ZPO gewahrt (s.o.). Zwischenergebnis: Die 758, 758a ZPO sind formell und materiell verfassungsmäßig und stellen somit insgesamt eine verfassungsgemäße gesetzliche Eingriffsgrundlage dar. c) Verfassungsmäßigkeit der Einzelmaßnahme (1) Prüfungsmaßstab Die Anwendung der 758, 758a ZPO müsste im vorliegenden Fall verfassungskonform erfolgt sein. Auslegung und Anwendung der einfachen Gesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte (s.o.). Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz, es beschränkt deswegen in stetiger Rechtsprechung 33 seine Untersuchung angegriffener Urteile grundsätzlich darauf, ob das Urteil spezifisches Verfassungsrecht verletzt, also Verfassungsnormen übersieht oder grundsätzlich falsch anwendet 34. Zum spezifischen Verfassungsrecht gehört neben dem Vorliegen einer Verfassungskonformen Eingriffsgrundlage (s.o.) insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zudem ist vorliegend auch die konkrete Anwendung von 758a ZPO verfassungsgerichtlich überprüfbar. Der Richtervorbehalt des 758a ZPO hat seine Grundlage in Art. 13 II GG. Ob die Voraussetzungen des Art. 13 II GG, in denen von einem richterlichen Durchsuchungsbefehl abgesehen werden kann, im Einzelfall auch tatsächlich vorlagen, ist daher eine spezifisch verfassungsrechtliche Voraussetzung an die Zulässigkeit der Wohnungsdurchsuchung. Das BVerfG kann daher die korrekte Anwendung von 758a ZPO in vollem Umfang überprüfen. Hinweis für die Korrektoren: Von guten Bearbeitern ist zu verlangen, dass die Zugehörigkeit der Voraussetzungen des 758a ZPO zum spezifischen Verfassungsrecht herausgearbeitet wird. (2) Formelle Verfassungsmäßigkeit Eine Verletzung von formellem, spezifischem Verfassungsrecht ist nicht ersichtlich. Hinweis für die Korrektoren: Dieser Prüfungspunkt kann auch entfallen. (3) Materielle Verfassungsmäßigkeit Hier kommt insbesondere die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs und des Richtervorbehalts von 758a ZPO i.v.m. Art. 13 II GG in Betracht. (a) Verhältnismäßigkeit Das Urteil zulasten des A muss verhältnismäßig sein. Dies ist der Fall, wenn es einem legitimen Ziel dient und zu dessen Förderung geeignet, erforderlich und angemessen ist. 35 33 BVerfGE 7, 198 (207) Lüth; 18, 85 (92 f.) Spezifisches Verfassungsrecht. 34 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 25. Aufl., Rn. 1277 ff. 35 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 25. Aufl., Rn. 289 ff. 6 von 8

(aa) Legitimes Ziel, Geeignetheit und Erforderlichkeit Das zulasten des A ergangene Urteil verfolgt ein legitimes Ziel, ist geeignet und erforderlich (vgl. oben). Insbesondere sind keine milderen Formen der Zwangsvollstreckung gegen A ersichtlich. (bb) Angemessenheit Die mit dem eingreifenden Urteil verbundene Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung dürfte nicht außer Verhältnis zu den Rechtsgütern, denen dieses Urteil dienen soll, stehen 36 ; hier namentlich der Eigentumsgarantie des K (Art. 14 GG) und der Aufrechterhaltung des staatlichen Zwangsmonopols. Im Rahmen einer abstrakten Abwägung besitzt kein Grundrecht generellen Vorrang (vgl. oben). Gegen die Angemessenheit spricht die geringe Höhe der Forderung, der mit der Vollstreckung verbundene Eingriff in die Privatsphäre des A ohne dessen Wissen und gegen seinen Willen sowie die Durchsuchung außerhalb der Geschäftszeiten. Wie oben bereits ausgeführt, ist es jedoch im Interesse der Privatrechtsverkehrs angemessen, die Vollstreckung und Durchsuchung auch bei geringen Forderungen zu betreiben, da ansonsten die Durchsetzung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs nahezu unmöglich wäre. Dem Vollstreckungsschuldner soll auch Art. 13 GG keine Handhabe verschaffen, seine Grundrechte zum Nachteil des vollstreckenden Gläubigers zu missbrauchen. 37 Dafür, dass im vorliegenden Einzelfall anders von der grundsätzlichen Angemessenheit der Durchsuchung auch bei kleineren Forderungen abgewichen werden sollte, gibt es keine Anzeichen. Fraglich könnte schließlich sein, ob die Durchsuchung und Vollstreckung außerhalb der Geschäftszeiten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch dies wird man verneinen müssen. Dabei ist auch zu beachten, dass A den Zeitpunkt der Durchsuchung durch sein Verhalten selbst beeinflusst hat. Da G einen erfolglosen Vollstreckungsversuch zur normalen Zeit, als der A sogar noch in seinem Geschäft war, versucht hat, kann insoweit nicht von einem unverhältnismäßigen Vorgehen des A gesprochen werden. 38 Im Ergebnis ist das Urteil angemessen und somit verhältnismäßig i.w.s. ist. (b) Richtervorbehalt Grundsätzlich ist gem. 758a Abs. 1 ZPO, Art. 13 II GG für die Durchsuchung einer Wohnung gegen den Willen des Berechtigten eine richterliche Anordnung erforderlich. Gem. 758, 758a ZPO hat der Gerichtsvollzieher aber die Möglichkeit eine Wohnung auch ohne richterliche Anordnung zu durchsuchen, wenn ihre Einholung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde. A hat dem hier zuständigen Gerichtsvollzieher G ausdrücklich keine Einwilligung zum Betreten der Imbissstube erteilt (die abgegebene Einwilligung galt ausschließlich für die privaten Räume das A). Da G keine richterliche Anordnung eingeholt hat, wäre die Durchsuchung und damit das hier in Frage stehende Urteil nur verfassungsmäßig, wenn die Voraussetzungen des Art. 13 II GG, 758a ZPO vorgelegen hätten. Hinweis: Spitzfindige Bearbeiter könnten an dieser Stelle auf die Idee kommen, dass allein schon aufgrund des Urteils, das zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt, die Vollstreckungshandlung als durch den Richter angeordnet anzusehen ist. Insoweit muss aber dann darauf abgestellt werden, dass einem solchen Urteil implizit noch keine Durchsuchungsanordnung zu entnehmen ist, da die gerichtliche Feststellung einer Leistungspflicht keineswegs zwangsläufig eine Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Pfändung nach sich zieht. 39 Vielmehr bestehen mehrere Möglichkeiten wie ein Gläubiger bzw. Schuldner nach einem ergangen Urteil weiter verfahren kann. Der verfassungsrechtlich vorgeschriebene Richtervorbehalt erfordert insoweit eine restriktive Auslegung des Begriffes der Gefahr im Verzug, um die Ausnahme der Durchsuchung ohne richterliche Anordnung nicht zur Regel machen zu können. 40 Es muss daher eine konkrete Gefahr bestehen, die von der anordnenden Stelle mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen zu begründen ist, und nicht die bloße Möglichkeit der Gefährdung des Erfolgs der Durchsuchung aufgrund von Spekulationen oder hypothetischen Erwägungen. 41 Aus den vorliegenden Umständen konnte G ohne weiteres davon ausgehen, dass die Verzögerung durch die Einschaltung des Richters, den Erfolg einer Zwangsvollstreckung vereiteln würde. A war im Begriff, das Inventar der Imbissstube an einen unbekannten Ort zu schaffen. Eine Vollstreckung 39 BVerfGE 51, 97 (111 f.). 36 BVerfGE 30, 292 (316); 67, 157 (178); 83, 1 (19). 37 BVerfGE 51, 97 (103). 38 Stöber, in Zöller, ZPO, 28. Aufl. (2010), 758a, Rn. 35. 40 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art. 13 GG Rn. 31; BVerfGE 103, 142 (153). 41 BVerfGE 103, 142 (155). 7 von 8

wäre dann sehr wahrscheinlich unmöglich gewesen. G blieb daher keine Wahl, außer die Durchsuchung selbst anzuordnen. Die Einholung einer richterlichen Anordnung muss durch die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zwar grundsätzlich auch abends oder nachts gewährleistet sein, 42 jedoch hätte der hierfür notwendige Zeitaufwand dem A die Möglichkeit gegeben, den Rest der Einrichtung abzuholen. Im Ergebnis lagen die Voraussetzungen für Gefahr im Verzug vor, weswegen keine Verletzung des Richtervorbehalts vorliegt. 4. Zwischenergebnis Es liegt zwar ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 I GG vor, dieser ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt und Art. 13 I GG deswegen nicht verletzt. II. Berufsfreiheit - Art. 12 I GG 1. Schutzbereich a) Sachlicher Schutzbereich Zunächst müsste der Schutzbereich von Art. 12 I GG eröffnet sein. Als einheitliches Grundrecht schützt Art. 12 GG gleichermaßen die Wahl und die Ausübung des Berufes. 43 Der Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient. 44 Grundsätzlich ist der Beruf des Imbissstubenbetreibers ein Beruf in diesem Sinne. Aus Art. 12 I GG folgt auch das Recht, seinen Beruf ohne staatliche Beeinflussung auszuüben. Grundsätzlich schützt die Berufsfreiheit daher auch vor der staatlichen Durchsuchung der Geschäfts- und Betriebsräume. Der sachliche Schutzbereich ist daher eröffnet (a.a. vertretbar, wenn man die fehlende berufsregelnde Tendenz im Rahmen des Schutzbereiches thematisiert 45 ). b) Persönlicher Schutzbereich Art. 12 I GG ist ein Deutschengrundrecht. A ist Deutscher im Sinne des Art. 116 I GG und fällt daher unproblematisch unter den persönlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit. Der Schutzbereich von Art. 12 I GG ist daher eröffnet. 2. Eingriff Die Durchsuchung müsste in Art. 12 I GG eingreifen. Dies wäre aufgrund des weiten modernen Eingriffsbegriffs grundsätzlich der Fall (s.o.) Wegen des weiten Schutzbereiches der Berufsfreiheit fordert das BVerfG für einen Eingriff in die Berufsfreiheit jedoch in stetiger Rechtsprechung, dass die angegriffene Maßnahme eine berufsregelnde Tendenz aufweist. Dies ist dann der Fall, wenn die Maßnahme gerade die Berufsregelung bezweckt oder bei berufsneutraler Zwecksetzung sich unmittelbar auf die Berufsausübung auswirkt oder ihre mittelbaren Auswirkungen auf den Beruf einiges Gewicht haben 46. Die Durchsuchung der Geschäfts- und Betriebsräume beabsichtigte nicht die Regelung der Berufsausübung. Anders als die Pfändung der Einrichtung weist das bloße Durchsuchen auch keinen unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung auf und hatte auch keine Auswirkungen von einigem Gewicht. Daher fehlt es vorliegend an einer berufsregelnden Tendenz. Es liegt kein Eingriff in die Berufsfreiheit vor. 3. Zwischenergebnis Eine Verletzung der Berufsfreiheit liegt nicht vor. III. Allgemeine Handlungsfreiheit Art. 2 I GG Art. 2 I GG tritt als subsidiäres Auffanggrundrecht 47 hinter Art. 13 I und Art. 12 I GG zurück. IV. Ergebnis Die Verfassungsbeschwerde des A ist nicht begründet. C. Endergebnis Die Verfassungsbeschwerde des A ist zwar zulässig, aber nicht begründet und hat deswegen keine Aussicht auf Erfolg. 42 BVerfGE 103, 142 (156). 43 BVerfGE 7, 377 (401 f.). 44 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd.1, Art. 12 Rn. 8. 45 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 892. 46 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 892. 47 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art. 2 GG Rn. 30. 8 von 8