Maßnahmen zur Förderung der mentalen Fitness mit zunehmendem Alter Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Dipl.-Ing. Michael Falkenstein Institut für Arbeiten Lernen Altern (ALA) falkenstein@ala-institut.de Leibniz-Institut für Arbeitsforschung (IfADo) falkenstein@ifado.de WAZ-Medizin-Dialog Geistige / psychische Fitness im Alter, Bochum, 06.04.2017 1
Mentale Fitness = möglichst guter Status mentaler ( kognitiver ) Funktionen Kristalline Funktionen Wissen, Urteilsfähigkeit, Sprache Fluide Funktionen, z.b: Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis Selektive Aufmerksamkeit Räumliches Denken Arbeitsgedächtnis Aufgabenwechsel Visuelle Suche Konfliktverarbeitung Mehrfachtätigkeit exekutive Funktionen Fluide Funktionen sind unerlässlich für berufliche Leistung und aktives selbständiges Leben im Alltag, v.a. in komplexen und unerwarteten Situationen (z.b. beim Fahren) 2
Wie misst man kognitive Funktionen? Ebene 1: Befinden: Befragung, Interviews Ebene 2: Verhalten: psychometrische Tests (z.b. CERAD, ALAcog) Ebene 3: Hirnphysiologie: Hirnstrukturen (MRT) funktionelle Netzwerke (fmrt) Elektrische Hirnaktivität (EEG) Quelle: IfADo 3
Kognitive Funktionen und elektrische Hirnaktivität Mentale Funktionen können u.a. mit computerbasierten Tests erfasst werden Während der Aufgabenbearbeitung wird das Elektroenzephalogramm (EEG) registriert und daraus durch Mittelung sogenannte Ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) extrahiert, die einzelne sensorische und kognitive Funktionen abbilden. Reaktion Fehlernegativität (Ne) Quelle: IfADo EEG EKP 4
Kognitive Testbatterien Kognitive Tests lassen sich zu Batterien kombinieren, die möglichst viele fluide Funktionen testen. Damit lässt sich ein Kognitionsprofil erheben und individuelle Altersveränderungen genau darstellen und in ihrem Zeitverlauf verfolgen (Projekt LWL/CI-Zentrum/ALA) 5
Altersveränderungen kognitiver Funktionen kristalline Funktionen (Erfahrung, Wissen, Urteilsfähigkeit, Sprache) fluide Funktionen (Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen) Leistungsfähigkeit Starke Variabilität der Veränderung fluider Funktionen Quelle: Baltes, 1987 30 60 90 Jahre Alter 6
Einflüsse auf kognitive Funktionen Art der Arbeit Stress äußere Faktoren Ernährung Körperliche Aktivität Geistige Aktivität Stressverarbeitung Achtsamkeit Schlaf innere Faktoren 7
Studie zur Wirkung von Arbeit auf die mentale Fitness Gajewski et al. 2010 Ältere und jüngere Beschäftigte mit flexibler oder monotoner Arbeit. Komplexe Testaufgabe mit EEG RT [ms] ER [%] 800 AL JL AN JN 18 Reaktion 600 14 +5µV 400 200 10 6 2 Ne 0 200 ms Ältere Nichtlinienbeschäftigte (AN) machen die wenigsten Fehler Ältere Linienbeschäftigten (AL) reagieren langsam und haben eine sehr hohe Fehlerrate; sie zeigen zudem eine abgeschwächte Fehlerverarbeitung (Ne) (rechts). Gute Arbeit hält geistig fit!
Ernährung Verschiedene Nahrungsmittel und die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe haben offenbar einen starken Einfluss auf die körperliche und v.a. auf die geistige Leistungsfähigkeit und die Entwicklung von Demenzen. Dies sind vor allem dunkelfarbige Früchte und Gemüse, Fisch, und bestimmte Getränke (Kaffee, Tee, Kakao, Rotwein). Die wesentlichen für die kognitionsfördernde Wirkung verantwortlichen Stoffe sind antioxidativ wirkende Stoffe (z.b. Polyphenole; z.b. Eskelinen et al. 2009) Omega-3- Fettsäuren (DHA, EPA; z.b. Schaefer et al. 2006; Witte et al. 2014;) 9
Beispiel Antioxidanzien: Kaffee Verringerung des kognitiven Abbaus über 10 Jahren durch Kaffeetrinken! Drei Tassen pro Tag sind optimal (van Gelder et al. 2007) Kaffeetrinker (3-5 Tassen pro Tag) zeigen nach 20 Jahren ein deutlich verringertes Demenzrisiko (Eskelinen et al. 2009)
Stress und mentale Gesundheit Akuter kurzzeitiger Stress ist gesund und verbessert fluide Funktionen, während chronischer Stress sie beeinträchtigt: Arbeitsgedächtnis (Merken und Verarbeiten von Information) (Lupien & Lepage, 2001; Alderson & Novack, 2002) deklaratives Gedächtnis (Wissensgedächtnis) (Lupien et al. 1997) selektive Aufmerksamkeit (Wolf et al., 1998) geistige Flexibilität (Alexander et al., 2007) Hemmung spontaner Handlungen (van der Linden et al. 2004) Wahrnehmung von negativem Feedback bei Burnout (Falkenstein et al. 2017) 11
Stress, Alter und Gedächtnis Chronischer Stress ist der größte Risikofaktor für Vergesslichkeit. Er schädigt über dauernde Cortisol-Freisetzung Nervenzellen im Hippocampus (Gedächtniszentrum). Erhöhte Stresswerte bestehen auch bei Marathonläufern. Vor allem bei älteren Läufern ist durch die ständige körperliche Belastung der Cortisol-Spiegel im Gehirn höher als normal. Bei Gedächtnistests schnitten diese älteren Marathonläufer deutlich schlechter ab als Vergleichspersonen! Prof. A.Kramer Vortrag BAuA 2004 12
Schutzfaktoren vor den Wirkungen von Stress Achtsamkeit (Kaplan & Berman 2010; Friese et al. 2012). Gutes Stressmanagement, S-O-K (Müller et al. 2012; Diestel 2015) Hohe Selbstkontrollfähigkeit (Tangney et al. 2004; Schmidt 2015) Alle diese Fähigkeiten lassen sich trainieren! 13
Körperliche Aktivität: Querschnittstudien Analyse von Unterschieden in kognitiven Funktionen zwischen sportlich aktiven und inaktiven Personen. Die meisten Studien zeigten eine Beziehung zwischen körperlicher Fitness und kognitiven Funktionen. Dies zeigt sich in der Leistung bei Testaufgaben sowie in höherer Aktivität in frontalen Hirnregionen und dem Hippocampus. Ältere Sportler sind z.b. weniger ablenkbar, meistern Konfliktsituationen besser und haben ein besseres Gedächtnis. Viele Querschnittstudien zeigen zudem, dass körperliche Fitness das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz im hohen Alter senkt. 14
Körperliche Aktivität und kognitive Funktionen bei Senioren (Gajewski & Falkenstein 2015) 20 sportlich lebenslang aktive Senioren und 20 inaktive Zwillinge STROOP-Aufgabe: nenne Farbe von Farbworten rot grün gelb blau. N2 Aktive Senioren Inaktive Senioren Inaktive Junge Bei den aktiven Senioren weit geringere Fehlerrate (inkongruente Reize). Reiz 0 500 1000 [ms] stärkere Aktivierung über dem Stirnhirn (N2) (Ähnlich wie bei Jungen)
Effect Size (g) Körperliches Training: Längsschnittstudien Meta-Analyse (Colcombe & Kramer 2003) Effect Size Estimates as a Function of Task Type and Group 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 Control Exercise 0.2 0.1 0 Executive Controlled Spatial Speed Task Type Verbesserung von fluiden Funktionen, insbesondere von exekutiven Funktionen (links) durch körperliches Training (im Vergleich zu einem Scheintraining) bei zuvor passiven Senioren.
Kurzzeiteffekte nach Sport bei Senioren (55+) (Anderson-Hanley et al. 2010) 7 2 3 5 5 3 2 7 gelb grün rot blau Klare Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses und der Konfliktverarbeitung nach nur 1 Monat Sport 17
Hirnveränderungen durch körperliches Training Erickson et al. 2010 Längeres körperliches Training (6-12 Monate) bewirkt bei bisher passiven Älteren eine Vergrößerung des Hippocampus und eine damit einher gehende Verbesserung des Gedächtnisses.
Wie wirkt körperliche Aktivität auf das Gehirn? Erhöhte Freisetzung des Botenstoffs Dopamin und von sog. Neurotrophinen (BDNF, VEGF). Dadurch Neubildung von Nervenzellen (v.a. im Bereich des Hippocampus) Bildung neuer Nervenkontakte (Synapsen) und Verbesserung der synaptischen Übertragung durch BDNF und VEGF (Steiner et al. 2011)
Wie soll man sich körperlich bewegen? Die körperliche Aktivität suchen und finden, die man mag Mäßig aber regelmäßig Nicht übertreiben! (z.b. nicht mehr als 32 km/woche laufen) Vielfalt: Ausdauer, Kraft und Koordination trainieren WHO-Richtlinien (65+): mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche. Mindestens 10 Minuten am Stück. Besser sind 300 (150 Minuten) pro Woche. Muskeltraining welches die Hauptmuskeln beinhaltet mindestens an 2 Tagen pro Woche.
Geistige Aktivität Kognitiv anspruchsvolle Arbeit (z.b. Gajewski & Falkenstein 2010) Kognitiv anspruchsvolle Freizeitaktivitäten (z.b. Park et al. 2014) Kognitives Training (z.b. Gajewski & Falkenstein 2015) 21
Formate und Zielfunktionen bei kognitivem Training Papier und Bleistift (z.b. Sudoku: Suche, Arbeitsgedächtnis (Rechnen) Logisches Denken PC-basiert: (z.b. Ballonjagd: Suche, Wechsel, Inhibition) 22
Gestaltung von PC-gestützten kognitiven Trainings (Green & Bavelier 2008; Fissler et al. 2013; Lampit et al. 2014, Gajewski & Falkenstein 2015) Am besten trainerbegleitet, dadurch individuelle Förderung. Aufgaben haben spielerischen Charakter Ständige Leistungsrückmeldung Schwierigkeit wird adaptiv an die Leistung angepasst Training verschiedener fluider Funktionen Vielfältige Aufgaben (multimodales Training) 23
Verbesserung von Alltagsfähigkeiten durch kognitives Training Ältere können durch ein Training der Verarbeitungsgeschwindigkeit ihre Alltagsfertigkeiten verbessern (Ball et al. 2006) Ältere können durch ein multimodales Training ihre Fahrleistungen verbessern und länger aktiv Auto fahren (Edwards et al. 2009) Ältere konnten durch audio-visuelles Doppelaufgabentraining ihr Gleichgewicht verbessern (Li et al. 2010)
Studie 1: Kognitives Training bei älteren Beschäftigten (Gajewski et al. 2017) Ziel : Verbesserung der kognitiven Fitness älterer Beschäftigter mit repetitiver Tätigkeit. Ansatz: 3 Monate Trainer geführtes multimodales kognitives Training (Sudoku etc., PC-basierte Übungen). Messung fluider Funktionen (Verhalten und EKP) vor und nach dem Training. 25
Ergebnisse kognitive Messgrößen Verbesserungen bei der Trainingsgruppe im Vergleich zur Wartegruppe in den meisten kognitiven Funktionen. Normalisierung von EKP (z.b. Vergrößerung der N2 und der Ne) Stabilität der Verbesserungen (4 Monate nach Ende des Trainings) Subjektiv: Anstieg der Selbstwirksamkeit (Selbsteinschätzung, neue Aufgaben und Probleme bewältigen zu können) Fehlerrate Warten Kognitives Training vor nach vor nach Ne 26
Studie 2: Kognitives Training bei Senioren (Küper et al. 2017) Kognitives Training (n=32), Entspannungstraining (N=34); Trainergeführt, je 4 Monate, 2 Sitzungen pro Woche) Tests kognitiver Funktionen vor und nach dem Training Stroop-Wechsel Aufgabe (nenne Wort oder Farbe, je nach Hinweisreiz) rot grün gelb blau. Reiz Reiz Kognitives Training (KT) Entspannungstraining (ET) Die KT-Gruppe reduzierte ihre Fehlerrate und zeigte eine Verstärkung der Aktivierung über dem Stirnhirn, die ET-Gruppe nicht
Kombination von körperlicher und geistiger Bewegung: Tanzen (Kattenstroth et al. 2010; 2013) Ältere Amateurtänzer (AD) haben besseres Gleichgewicht, Motorik, taktile Präzision, Reaktionszeit und Kognition als Nichttänzer (CG). Wenn Nichttänzer einen 6 monatigen Tanzkurs machen, werden diese Funktionen ebenfalls besser.
Kombination von körperlicher und geistiger Bewegung: Exergaming (Anderson-Hanley et al. 2012; Eggenberger et al. 2015; Kardys 2017) Kombination von körperlicher und geistiger Bewegung verbessert einige kognitive Funktionen mehr als reine körperliche Bewegung
Wie soll man sich geistig bewegen? Regelmäßig Die geistige Aktivität suchen und finden, die man mag, aber auch neue Herausforderungen suchen (z.b. VHS-Kurse) Abwechslung (nicht nur Sudoku!). Kognitives Training sollte zur Abwechslung dienen, nicht Pflichtübung sein. Auch Surfen und PC-Nutzung sind gut. Auch Heimwerken ist nützlich! Anspruchsvolle soziale Kontakte; Ehrenamt
Fazit Viele einzelne Maßnahmen wie richtige Ernährung, guter Umgang mit Stressoren, Achtsamkeit, sowie körperliche und geistige Regsamkeit tragen dazu bei, dass alternde Menschen sich geistig frisch halten können. Je mehr dieser Maßnahmen erfolgen, desto besser. Die entscheidenden Prinzipien für körperliche und geistige Regsamkeit sind Vielfalt und ständige neue Herausforderungen.