4.5. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick Bei der Untersuchung zur Psychologie der persönlichen Konstrukte mit dem REP- GRID zeigten sich folgende Ergebnisse: PDS-Patienten konstruieren die Situation, in der sie erträgliche Schmerzen hatten, näher zu den positiven und weiter entfernt zu den negativen Situationen als Gesunde. 105
Die Distanz bei PDS-Patienten zwischen einer Streßsituation, die sie erfolgreich bewältigt haben und negativen Situationen, ist größer als bei Gesunden. In der Zusammenfassung und Interpretation der tendenziell signifikanten Unterschiede aus den zwei Fragebögen, BS-Schmerz und IPC sowie dem Ergebnis des Wirkall- Fragebogen ergaben sich folgende Resultate: PDSP haben einen tendenziell höheren Wirkall und somit eine höhere Selbstwahrnehmung hinsichtlich ihrer eigenen Leistungseffizienz oder Selbstwirksamkeit (Kompetenz). PDSP zeigen gegenüber Gesunden die Tendenz, daß seelische Kräfte, Gedanken und Vorstellungen sowie psychische Einflüsse einen eher geringen Einfluß auf Schmerzen bzw. auf die Entwicklung von körperlichen Krankheiten haben. Gedanken und Vorstellungen können bei PDSP Schmerzen und körperliche Erkrankungen nicht oder nur wenig beeinflussen. PDSP sind im Unterschied zu Gesunden der Auffassung, daß sie weniger von mächtigen Personen abhängig sind und haben weniger das Gefühl einer sozialen Abhängigkeit. Des weiteren vertreten sie weniger die Auffassung, daß ihr Leben von Glück, Pech, oder Zufall abhängt und zeigen somit tendenziell einen geringer ausgeprägten Fatalismus als Gesunde. Bringt man nun die Ergebnisse der drei Fragebögen in Verbindung mit den Ergebnissen des REP-GRID, lassen sich folgende Tendenzen festhalten: Das Profil der PDSP gegenüber den GP ist unseren primären Annahmen und Hypothesen zu den Ergebnissen dieser Studie gegenläufig. Erwartet wurde ein passives, kompetenz- und leistungsschwaches Profil des chronischen Schmerzpatienten, der in seinem Schmerzgeschehen mangels Coping verhaftet bleibt. 106
Die Ergebnisse des Wirkall mit einem überraschend höheren Wert für die PDSP bedeutet, daß sie sich selbsteffizienter und kompetenter einschätzen als Gesunde. Dieses Ergebnis legt zwei Vermutungen nahe. Zum einen ist es möglich, das PDSP ihre eigenen Kräfte unrealistisch einschätzen oder überschätzen. Sollte der PDSP sein Kräfteniveau überschätzt haben, so bleibt die Frage im Rahmen dieser Studie offen, ob diese Haltung ggf. auch zum Zusammmenbruch seiner Gesundheit geführt haben könnte, in dem er sich ständig überforderte, da er seine Grenzen nicht kannte bzw. nicht akzeptierte. Dies könnte Gegenstand von weiteren Untersuchungen sein. Ebenso ist es denkbar, daß PDSP insbesondere im Rahmen dieser Untersuchung dem Interviewer gegenüber stark erscheinen wollten und zu hohe Werte angaben. In Verbindung mit den Resultaten aus dem IPC und BS-S, zeigt sich daß PDSP weniger fatalistisch denken und sich weniger abhängig von anderen Mächtigen fühlen. Es kristallisiert sich ein Bild des PDSP heraus, das ihn scheinbar unabhängig und isoliert von anderen sieht. Bezogen auf sein Schmerzproblem sieht er sich möglicherweise als allein kompetent, er ist sozusagen sein eigener Schmerzexperte geworden. Dahinter kann sich ein tiefes Mißtrauen und Enttäuschung gegenüber den sogenannten professionellen Schmerzexperten (Ärzten und anderen medizinischen Berufen) verbergen. Sollte sich diese tendenziell skeptische Haltung in weiteren Untersuchungen manifestieren, könnten sich daraus wesentliche Handlungskonsequenzen ergeben. Beispielsweise wie das Vertrauen und die Compliance zwischen Patient und den medizinischen Berufen verbessert werden kann. Weiterhin die Überlegung, wie der Patient aus seiner isolierten Schmerzexpertenrolle mit in das Team der Profis integriert werden kann. Die negative Haltung des PDSP hinsichtlich des Einflusses von psychischen und kognitven Faktoren auf Schmerz, (wie die Ergebnisse des BS-S zeigen) ist auf dem Hintergrund dieser Studie für chronische Schmerzpatienten von besonderer Bedeutung. Im Zusammenhang mit den anderen Ergebnissen kann sich hierunter eine hilflose, depressive Haltung verbergen, die Annahmen von FLOR und TURK (1990) bestätigen. 107
Auch sie kamen in ihren Untersuchungen zu der Ansicht, daß bei chronischen Schmerzpatienten eine Hilflosigkeit besteht. Schmerz wird unkontrollierbar und es besteht eine negative Erwartung, bezüglich der eigenen Fähigkeiten mit dem Problem Schmerz umzugehen: Es wird postuliert, daß Schmerzpatienten Erfahrungen der Hilflosigkeit und Unkontrollierbarkeit gemacht haben, so daß sie negative Erwartungen bezüglich ihrer Heilungschancen und ihrer Fähigkeit, selbst etwas gegen die Schmerzen tun zu können, haben. Ein wichtiger Aspekt ist die Umorientierung des Denkens der Patienten, von Gefühlen der Hilflosigkeit, dem Gefühl, dem Schmerz ausgeliefert zu sein, hin zu dem Gefühl, daß Schmerz eine von Verhalten, Gefühlen und Kognitionen beeinflußte und damit veränderbare Erfahrung ist (FLOR und TURK, 1990). Betrachtet man die Ausführungen im Theorieteil, so scheint es von größter Wichtigkeit, diese negative Kognition bei chronischen Schmerzpatienten durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen hin zu positiven Erwartungen im Rahmen der Selbstmanagementtherapie zu verändern. Daß eine eher ablehnende und negative Haltung bei Schmerzpatienten durch entsprechend mentales Training positiv zu verändern ist, zeigt eine Untersuchung von HÖLSCHER, (1993) und DITTBERNER, (1993). Bei dieser Untersuchung konnte durch mentales Training die Kontrollüberzeugung bei den Probanden gegenüber Schmerz positiv beeinflußt werden. Hieraus ergeben sich weitere wichtige Ansatzpunkte und Bestätigungen für die Anwendung kognitiver Therapien, mit denen die inneren Fähigkeiten, Schmerz zu beeinflussen und kognitiv zu kontrollieren, gestärkt werden können. KANFA et.al.,(1990) stellt in seiner Selbstmanagementtherapie die Bedeutung des mentalen Trainings dar und geht davon aus, daß dauerhafte Veränderungen eines Selbstregulationsverhaltens gerade auf der Basis der Veränderung von Kognitionen gesichert werden können. Dadurch besteht die Möglichkeit, daß chronische Schmerzpatienten ihr Leiden unter Hilflosigkeit und Unkontrollierbarkeit gegenüber dem Schmerz durchbrechen können. Unter Berücksichtigung der Tendenzen, daß PDS-Patienten bestimmte Streßsituationen näher bei positiven Situationen konstruieren als Gesunde, weniger fatalistische und 108
machtlose Kontrollüberzeugungen haben, sowie ähnliche internale Kontrollüberzeugung wie Gesunde zeigen, kann man zu der Auffassung gelangen, daß sie ihre kognitiven Kräfte bezüglich der Einschätzung Streß - und Schmerzsituation ggf. zu hoch ansetzen. Die Frage, ob diese kognitive Überbewertung hinsichtlich der Selbsteffizienz schon vor Auftritt der Schmerzperiode bestand, kann leider nicht geklärt werden. Ggf. wäre dann zu vermuten, daß es sich bei dieser Gruppe um Personen handelt, die ihre psychischen Kräfte überschätzen, sich von daher leicht überfordern und konsekutiv einen physischen Schwächezustand mit entsprechenden somatischen Beschwerden, wie z.b. einen Bandscheibenvorfall erleiden. Bei einer ausreichenden gesunden Selbsteinschätzung der psychischen und physischen Kräfte würde in extremen Belastungssituationen ggf. eher eine Vermeidung weiterer Belastung resultieren, um entsprechende physische Reaktionen zu vermeiden. Der Frage inwieweit individuelle Sicherungssysteme einen entsprechenden Überlastungsschutz gewährleisten und aus welchen Faktoren er bestehen könnte, kann in anderen Untersuchungsprojekten nachgegangen werden. Andererseits könnten die Ergebnisse, daß chronische Schmerzpatienten möglicherweise eine zum Teil hohe kognitive Einschätzung hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Kontrolle und Selbsteffizienz über ihr Krankheitsgeschehen entwickeln darin liegen, daß sie von den bisherigen Behandlungsstrategien enttäuscht sind und sich auf sich selbst zurückziehen. Daraus resultiert die Möglichkeit eines ablehnenden Verhaltens gegenüber weiteren kompetenten Personen, wie z.b. medizinisches Personal. Ursächliche Zusammenhänge dafür können in einem über Monate bzw. Jahre Leidensweg liegen, bei dem immer wieder eine gewisse Therapiefrustration eintritt. Dies wiederum wäre ein guter Ansatz, gezielt mit kognitiven Techniken, wie z.b. mentalem Training, die Selbsthilfekräfte zu stärken bzw. zu mobilisieren. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, daß die Patienten im Rahmen der psychologischen Untersuchung sich nicht als psychisch schwach geben wollten und aus diesem Grund möglicherweise zu hohe Angaben machten. 109