Frage: Findet die HLKO, findet das humanitäre Völkerrecht hier Anwendung?

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Transkript:

Lösungsvorschlag Die USA könnten gegenüber Deutschland Völkerrecht verletzt haben, indem sie durch ihren Geheimdienst NSA Kommunikationsdaten und inhalte in Deutschland ausgespäht haben. I. Völkerrechtsbruch gegenüber Deutschland II. Deliktsfähigkeit Da es sich um Staaten und somit um geborene Völkerrechtssubjekte handelt, bestehen hinsichtlich der aktiven Deliktsfähigkeit von A und der passiven Deliktsfähigkeit von C keine Zweifel. III. Zurechenbarer Normverstoß 1. Zurechenbare Handlung Art. 4 Staatenverantwortlichkeit (?) Art. 5 Staatenverantwortlichkeit (+) Art. 7 Staatenverantwortlichkeit (-), kein ultra vires-handeln ersichtlich. 2. Internationale Verbostnormen a) Direkte Verbote internationaler Spionage aa) Völkerrechtliche Verträge Das Ausspionieren eines Staates durch einen anderen Staat könnte in Friedenszeiten durch spezielle völkerrechtliche Verträge verboten sein. Hier: (-), siehe Sachverhaltshinweis Exkurs: Internationale Spionage im bewaffneten Konflikt Art. 29 Haager Landkriegsordnung (HLKO): als Spion gilt, wer heimlich oder unter falschem Vorwand in dem Operationsgebiet eines Kriegsführenden Nachrichten einzieht oder einzuziehen sucht in der Absicht, sie der Gegenpartei mitzuteilen. Bemerkenswert: die genannten Verträge verbieten die gegenseitige Spionage der Kriegsparteien nicht als völkerrechtswidrig. Spione sind also nur nach nationalem Recht strafbar. Frage: Findet die HLKO, findet das humanitäre Völkerrecht hier Anwendung? Auch wenn im Sachverhalt von Krieg gegen den Terror die Rede ist, befinden sich die USA und Deutschland nicht in einem bewaffneten Konflikt, sodass die völkerrechtlichen Verträge des humanitären Völkerrechts (HLKO, Genfer Abkommen Nr. 1-4, Zusatzprotokoll 1 zu den Genfer Abkommen) nicht anwendbar und daher auch nicht zu prüfen sind. 1

bb) Völkergewohnheitsrechtliches Verbot der internationalen Spionage? Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut: (1) Staatenpraxis als Ausdruck einer gemeinsamen Übung (consuetudo) als objektivempirisches Element (2) die Rechtsüberzeugung, also die Überzeugung der Staaten, zu dem Verhalten völkerrechtlich verpflichtet zu sein (opinio iuris), als subjektiv-wertendes Element. Allgemeine Übung: verlangt einheitliche Staatenpraxis von gewisser Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung Kürzerer Zeitraum kann durch eine sehr uniforme und verbreitete Staatenpraxis aufgewogen werden. opinio iuris: verlangt, dass die Staaten gewisse Verhaltensweisen als geboten erachten, weil sie die entsprechende Verhaltensregel als rechtsverbindlich betrachten. z.b. Folterverbot; unverbindliche UN-Generalversammlungsresolution, wenn diese Resolution von allen UN-Mitgliedern einstimmig oder mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde. Fraglich ist hier, ob Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung gegeben sind, aus denen auf ein völkerrechtliches Verbot der zwischenstaatlichen Spionage gefolgert werden könnte. Fast alle Staaten unterhalten Nachrichtendienste, die Auslandsspionage betreiben (Einwand der USA!). Allerdings sind auch in fast allen Staaten fremde Spione wegen Geheimnisverrats nach nationalem Recht strafbar (z.b. 99 StGB, 256 ÖStGB). Widerspruch hinsichtlich der dauerhaften, einheitlichen und verbreiteten Staatenpraxis: während man fremde Spione unter Strafe stellt, unterhalten alle Staaten eigene Spione. Rechtsüberzeugung (-), dass Spionage völkerrechtlich verboten ist. Der Umstand, dass dieselben Staaten fremde Spionage unter Strafe stellen, bedeutet nur, dass fremde Spionage nach nationalen Staatsschutzgesetzen verboten ist. Eine klare Aussage über ein völkerrechtliches Verbot der Spionage lässt sich angesichts der widersprüchlichen Praxis nicht gewinnen. cc) Verbot von Spionage durch Allgemeine Rechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH- Statut: Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut (Allgemeine Rechtsgrundsätze): Anerkannte Rechtsprinzipien, die den meisten nationalen Rechtsordnungen gemeinsam sind. Durch Analogieschluss können Rechtsprinzipien der nationalen Rechtsordnungen in das Völkerrecht hineingeholt werden. 2

Hier: einhelliges Verbot der fremden Spionage nach nationalen Strafgesetzbüchern als allgemeiner Rechtsgrundsatz i.s.d. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut = völkerrechtliches Verbot? Gegenargument 1: Diese Auffassung verkennt, dass allgemeine Rechtsgrundsätze keine detaillierten nationalen Normen sind, sondern grundlegende Leitprinzipien, die für die nationalen Rechtssysteme von fundamentaler Bedeutung sind (z.b. Guter Glaube, Verhältnismäßigkeitsprinzip, Herausgabeanspruch). Gegenargument 1: Gegen einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Verbots der zwischenstaatlichen Spionage spricht, dass Staaten ihre eigene Spionagetätigkeit nicht unter Strafe stellen. Ergebnis: es gibt kein direktes internationales Verbot der zwischenstaatlichen Spionage! b) Indirekte Verbote internationaler Spionage: Prinzip der souveränen Gleichheit und zwischenstaatliches Interventionsverbot Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta: Grundsatz der souveränen Gleichheit kein Staat darf über einen anderen ohne dessen Zustimmung Herrschaftsgewalt ausüben (par in parem non habet imperium) Aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit wird das zwischenstaatliche Interventionsverbot abgeleitet: Staaten haben sich aus den Angelegenheiten herauszuhalten, die in die alleinige Zuständigkeit eines anderen Staates fallen (domaine réservé). Die Friendly Relations Declaration nennt als dritten Grundsatz das zwischenstaatliche Gebot, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Resolution rechtlich unverbindlich Resolution fasst aber in Worte, was anerkanntes Gewohnheitsrecht ist Innere Angelegenheiten Angelegenheiten, die in die alleinige Zuständigkeit eines Staates fallen (dritte Grundsatz der Friendly Relations Declaration und Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta) Immer dann zu bejahen, wenn die Angelegenheit nicht den Regeln des internationalen Rechts unterworfen ist. Hier: Wenn ein Staat die Kommunikation eines anderen Staates ausforscht, berührt dies die inneren Angelegenheiten des ausgeforschten Staates, da der Staat international ja nicht verpflichtet ist, seine Kommunikation (und die Kommunikation seiner Bürger) offenzulegen. Aber Lehre und Rechtsprechung: Nicht jeder Eingriff in die inneren Angelegenheiten wird vom völkerrechtlichen Interventionsverbot erfasst. Die Maßnahme muss ein gewisses Zwangselement in sich bergen. 3

Der Eingriff in die inneren Angelegenheiten muss gewaltsam oder gebieterisch sein, mit der Folge, dass der gezwungene Staat der Kontrolle über die Angelegenheit beraubt ist. IGH-Urteil (Nicaragua vs. USA) 27. Juni 1986, Rn. 205 Intervention is wrongful when it uses methods of coercion in regard to such choices, which must remain free ones. The element of coercion, which defines, and indeed forms the very essence of, prohibited intervention. Es ist also fraglich, ob der Spionagetätigkeit der USA ein solches Zwangselement innewohnt. Dagegen: Deutschland ist nicht zu einem bestimmten Verhalten gezwungen, zumindest solange die USA die gesammelten Daten nicht zu diesem Zweck nutzen. Dafür: Deutschland wird durch das geheime Ausspähen der Daten jede Möglichkeit genommen, über die Veröffentlichung und Verwendung seiner Kommunikationsdaten frei zu entscheiden. Dafür: Auch wenn die USA keine Dokumente oder Daten physisch beschlagnahmt haben, so hat das Aufzeichnen der gesamten Regierungskommunikation schwerwiegende Auswirkungen auf die Verhandlungsmacht der beiden Staaten. Da in den internationalen Beziehungen permanent Verhandlungen über politische Positionen stattfinden, lässt sich argumentieren, dass das Ausforschen der gesamten Regierungskommunikation die souveräne Gleichheit des ausspionierten Staates verletzt. P: Reziprozität Nun hat allerdings laut Sachverhalt Deutschland auch die USA ausspioniert. Es stellt sich also die Frage, ob die Gegenseitigkeit des Ausspionierens den Vorwurf beseitigt, die USA verletze mit ihrer Praxis Deutschlands souveräne Gleichheit. Der Reziprozitätsgrundsatz im Völkerrecht: besagt, dass ein Staat gegenüber einem anderen Staat nicht an das Recht gebunden ist, an das sich der andere auch nicht hält Fundamentale Normen des Völkerrechts sind vom Reziprozitätsgrundsatz ausgenommen (Menschenrechte, Humanitäres Völkerrecht, Gewaltverbot, ius cogens) Das völkerrechtliche Vertragsrecht erlaubt die Suspendierung des Vertrages durch die verletzte Vertragspartei, wenn die andere Vertragspartei eine erhebliche Vertragsverletzung begeht (vgl. Art. 60 WVK). 4

Hier: Übertragen auf den vorliegenden Fall könnte die Anwendung des Reziprozitätsgrundsatzes dazu führen, dass die USA im Bereich der zwischenstaatlichen Spionage nicht an das völkerrechtliche Prinzip der souveränen Gleichheit gebunden wäre. Der Reziprozitätsgrundsatz verlangt allerdings, dass die Verhaltensweisen hier das Ausspionieren annähernd gleich schwerwiegend sind, damit ein Staat sich von seiner Rechtsbefolgungspflicht lossagen darf. Hier: Dass Deutschland über die geheimdienstliche Informationsbeschaffung hinaus die gesamte Kommunikation der USA abhört und speichert, ist laut Sachverhalt nicht gegeben und wurde auch von den USA nicht behauptet. c) Zwischenergebnis Die unterschiedliche Eingriffsschwere führt dazu, dass die durch die USA vorgenommene Kommunikationsüberwachung einen Verstoß gegen die souveräne Gleichheit Deutschlands darstellt. 3. Rechtfertigung Die USA wären allerdings dann nicht rechtsbrüchig, wenn sie ihr Verhalten rechtfertigen könnten. a) Einwilligung durch USA-Deutschland Geheimvertrag Möglicher Rechtfertigungsgrund durch Einwilligung, Art. 20 ILC-Draft. Nach Art. 20 ILC-Draft schließt die Einwilligung eines Staates in die Begehung einer bestimmten Handlung die Rechtswidrigkeit der Handlung aus. Im vorliegenden Fall könnte Deutschland durch den Geheimvertrag in die Spionagetätigkeit der USA eingewilligt haben. Völkerrechtliche Verbindlichkeit von Geheimverträgen? Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder bei den Vereinten Nationen registriert worden sind noch sonst der Öffentlichkeit zugänglich sind. Art. 102 UN-Charta verlangt von den Mitgliedstaaten (also auch von den USA und Deutschland), dass sie ihre Verträge beim UN-Generalsekretär registrieren lassen, mit der Folge, dass sie in der UN Treaty Series veröffentlicht werden (s. auch Art. 80 WVK). Hier: Deutschland und die USA haben diese Registrierung nicht vornehmen lassen und damit die Forderung des Art. 102 UN-Charta nicht erfüllt. Rechtsfolge? Die Rechtsfolge dieses Versäumnisses ist nicht die Rechtsunwirksamkeit des Vertrages. Vielmehr sind Deutschland und die USA lediglich daran gehindert, sich vor UN-Organen (z.b. dem IGH) auf den Geheimvertrag zu berufen. Er wird von UN-Organen als nicht-existent behandelt. 5

b) Geheimvertrag im vorliegenden Fall anwendbar? Laut Sachverhalt dreht sich der Geheimvertrag um den Austausch von Geheimdienstinformationen. Ein Austausch von Daten zwischen den Staaten ist allerdings substantiell eine andere Handlung als das eigenständige Sammeln von Daten, ohne die Kenntnis des betroffenen Staates. Insofern hat Deutschland mit dem Geheimvertrag nicht in die NSA-Ausspähungen eingewilligt. Art. 20 Staatenverantwortlichkeit ist nicht einschlägig. c) Rechtfertigung des Verstoßes als Repressalie In Betracht kommt, dass das Ausspähen der USA als Repressalie gerechtfertigt ist. Voraussetzungen der Repressalie, Art. 49 ff ILC-Staatenverantwortlichkeit Repressalie = völkerrechtswidriger Akt, der gerechtfertigt ist, weil er als Reaktion auf das vorangegangene völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Staates erfolgt Repressalie muss darauf abzielen, den Adressaten zur Beendigung seines völkerrechtswidrigen Verhaltens zu bewegen und Wiedergutmachung zu erlangen Der zur R. greifende Staat muss dem Repressaliengegner die Gegenmaßnahme vorher ankündigen, Art. 52 I ILC-Draft Die R. muss im Verhältnis zu dem vorangegangenen Völkerrechtsverstoß stehen. Hier: Datensammeln der NSA in Deutschland (rechtswidriger Eingriff der USA in die Souveränität Deutschlands) müsste eine Reaktion auf das Datensammeln Deutschlands in den USA sein (rechtswidriger Eingriff Deutschlands in die Souveränität der USA). Bei der Datensammlung der NSA handelt es sich um keine Gegenmaßnahme. Anlass der Datensammlung ist nämlich der Krieg gegen den Terror und nicht die Spionagetätigkeit Deutschlands. Die USA will also gar nicht erreichen, dass Deutschland seine Spionagetätigkeit aufgibt (Art. 49 Abs. 1 ILC-Draft). Es liegt also keine rechtfertigende Gegenmaßnahme vor. 4. Verzicht/Verwirkung des Rechts, die Verantwortlichkeit der USA geltend zu machen Nach Art. 45 ILC-Draft verliert der verletzte Staat sein Recht, die Verantwortlichkeit des Verletzerstaates geltend zu machen, wenn er auf diesen Anspruch ausdrücklich oder konkludent wirksam verzichtet hat. Konkludenter Verzicht durch Geheimvertrag oder durch die eigene Spionagetätigkeit? 6

Der Abschluss eines Informationsaustauschvertrages kann kaum als konkludenter Verzicht Deutschlands gedeutet werden können, gegen die Spionagetätigkeit der USA in Deutschland vorzugehen. Die eigene Spionagetätigkeit lässt kaum einen konkludenten Verzicht zu, anderen Staaten Spionage vorzuwerfen. Die Situationen, die Art. 45 StV mit dem konkludenten Verzicht vor Augen hat, sind z.b. Fälle, in denen ein Staat über Jahrzehnte nie den Vorwurf erhoben hat, obwohl er von der konkreten Spionage wusste. Hier: (-). III. Ergebnis Die USA haben durch die vollständige Überwachung Deutschlands durch die NSA die souveräne Gleichheit Deutschlands verletzt. 7