Mehrsprachigkeit: Herausforderung an den Standort Deutschland Prof. Dr. Claudia Maria Riehl Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Universität zu Köln
Normalfall Mehrsprachigkeit
Die Grundannahme Mehrsprachigkeit ist die Regel und Einsprachigkeit die Ausnahme Einsprachigkeit in Europa ist eine Folge der Nationalstaatenbildung des 18. und 19. Jhs. und wird im Zuge der Globalisierung immer mehr zurücktreten
Belege durch die Statistik Statistisch gesehen gibt es weltweit mehr mehrsprachige als einsprachige Menschen Beispiele: die afrikanischen Staaten der indische Subkontinent Asien Weite Teile Osteuropas
Verhältnis von Sprachen und Bevölkerung nach Kontinent Bevölkerung Sprachen % aller Sprachen Kontinent Durchschn. Einwohnerzahl pro Sprache 2,5 Mia. 2165 33 % Asien 11,5 Mio. 725 Mio. 2011 30 % Afrika 360.500 30 Mio. 1302 19 % Pazifik 23.000 760 Mio. 1000 15 % Amerika 760.000 982 Mio. 225 3 % Europa 4,4 Mio. 5 Mia. 6703 100 % alle 745.000
Belege durch die Hirnforschung Das Gehirn sieht keine eigenen Gebiete für die eine oder andere Sprache vor Das entsprechende Gehirnareal (Broca-Areal) ist von vorneherein für den Erwerb mehrerer Sprachen ausgerichtet Angeboren ist die Sprachfähigkeit an sich, nicht die Kenntnis eines bestimmten Sprachsystems
Unterschiede zwischen Frühund Spätmehrsprachigen Bei Frühmehrsprachigen zeigen die Sprachen mehr überlappendes Substrat als bei Spätmehrsprachigen Frühmehrsprachige verfügen über ein Netzwerk im Sprachareal, an das man andere Sprachen "andocken" kann Frühmehrsprachige müssen auch beim Sprechen einer dritten Sprache weniger Substrat aktivieren
Folgerung: Meisels These "Monolingualism can be regarded as resulting from an impoverished environment where an opportunity to exhaust the potential of the language faculty is not fully developed" "Einsprachigkeit ist das Ergebnis eines verarmten Milieus, in dem die Möglichkeit das Potential der Sprachfähigkeit auszuschöpfen nur unvollständig entwickelt ist."
Bedeutung ausgewogener Mehrsprachigkeit
Wer ist mehrsprachig? Mehrsprachig ist, wer sich im Alltag regelmäßig zweier oder mehrerer Sprachvarietäten bedient und in den meisten Situationen ohne Weiteres von der einen Sprache zur anderen umschalten kann Je nach der Art der Kommunikation, u.a. Situationen und Themen, ist der Kode einmal mehr einmal weniger eloquent
Wie entsteht eine ausgewogene Mehrsprachigkeit? Eine mehrsprachige Person ist nicht aus zwei einsprachigen zusammengesetzt Meist ist eine Sprache dominant Ausgewogene Mehrsprachigkeit entsteht daher nicht automatisch In diesem Zusammenhang ist besonders der Erwerb von Schriftsprache wichtig
Bedeutung des Schriftspracherwerbs Der Erwerb einer Sprache als Schriftsprache bezieht sich nicht nur auf den Erwerb des Alphabets und der Orthografie Man muss beim Schriftspracherwerb spezielle schriftsprachliche grammatische Strukturen lernen, die im mündlichen Diskurs nicht vorkommen
Schriftsprache und kognitive Fähigkeiten (Cummins) Wenn man eine Sprache nur mündlich kann, besitzt man sog. Basic Interpersonal Skills (BICS), Sprache zum unmittelbaren persönlichen Austausch Mit der Schriftsprache erwirbt man auch eine sog. Cognitive Academic Language Proficiency (CALP), Sprache in dekontextualisierten "akademischen" Situationen Wenn Kinder keine differenzierten Sprachformen ihrer Muttersprache erwerben und auch nicht in der Lage sind, das in der Zweitsprache zu tun, kann das zum sog. Subtraktiven Bilingualismus führen.
Folgerungen und Ziele
Folgerungen Die Förderung von Mehrsprachigkeit muss möglichst früh einsetzen Das Potential natürlicher Mehrsprachigkeit muss ausgebaut werden und darf nicht brachliegen Um ausgewogene Mehrsprachigkeit zu erzielen, müssen beide Sprachen in Wort und Schrift erworben werden
Ziele der Förderung von Mehrsprachigkeit 1. Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Förderung von Deutsch und Muttersprache 2. Förderung der Mehrsprachigkeit von deutschen Kindern und Jugendlichen Einführung von bilingualen Programmen, z.b. Immersionsprogramme Bei der Förderung der Mehrsprachigkeit von deutschen Kindern soll man neben dem Englischen auch die Einwanderersprachen berücksichtigen
fine Kontakt: Prof. Dr. Claudia M. Riehl Zentrum Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit Universität zu Köln Albertus-Magnus-Platz 50923 KÖLN Email: claudia.riehl@uni-koeln.de