Das Doppelte Diskrepanzkriterium gemäß Forschungskriterien nach ICD-10 in der Praxis

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Transkript:

Das Doppelte Diskrepanzkriterium gemäß Forschungskriterien nach ICD-10 in der Praxis Abstract. Das Doppelte Diskrepanzkriterium in der Diagnostik von umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten besteht aus einem IQ-Diskrepanzund einem Bezugsgruppendiskrepanzkriterium von jeweils mindestens zwei Standardabweichungen. Diese strikten Kriterien sind als Forschungskriterien konzeptualisiert, finden jedoch auch in der klinischen Praxis verbreitete Anwendung. Die vorliegende Arbeit illustriert die praktische Anwendung des Doppelten Diskrepanzkriteriums auf Grundlage der z-transformation zur Berechnung der zur Diagnosestellung erforderlichen Diskrepanz zwischen Ergebnis in einem Intelligenztest und einem Schulleistungsdiagnostikum. Keywords: Entwicklungsstörungen, Intelligenzquotient, Testwerte, Diagnostische Kriterien, Research Diagnostic Criteria Der sprachlichen Einfachheit halber wird durchgehend mit Bezug auf Rechenleistung formuliert. Zur Weiterbildung sind im Anhang Übungsfragen zur Diskrepanzbestimmung mit Lösungen angegeben. Das Doppelte Diskrepanzkriterium (DDk) beinhaltet: 1. IQ-Diskrepanzkriterium Das Ergebnis in einem Rechentest liegt mindestens zwei Standardabweichungen (SD 1 ) unterhalb des Wertes, der aufgrund der allgemeinen 2 Intelligenz des Testanden eigentlich zu erwarten wäre. Diese Diskrepanz von 2 SD wird anhand des Intelligenzquotienten (IQ) bestimmt. Das Ergebnis im Rechentest wird in der Regel angegeben als T-Wert (T) oder Prozentrang (PR). 1 SD = standard deviation; die Standardabweichung (auch s) stellt einen statistischen Kennwert der Streuung einer Verteilung dar. Sie gibt an, wie breit die Werte eines Merkmals (Merkmalsausprägungen) um dessen Mittelwert (arithmetisches Mittel x)streuen, d. h. sie bestimmt die durchschnittliche Abweichung aller Merkmalsausprägungen vom Durchschnitt. Die Standardabweichung wird bestimmt als positive Quadratwurzel der Varianz ( s 2 = s) 2 Die allgemeine Intelligenz meint die Intelligenz des Testanden, wie sie mit einem komplexen Diagnostikum gemessen wird. Ein ausführlicher Intelligenztest ist einem Verfahren, das lediglich spezifische Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit erfasst, stets vorzuziehen.

Das IQ-Diskrepanzkriterium ist erfüllt, wenn gilt: IQ T 2 SD. 1.1 Berechnung der IQ-Diskrepanz nach z-transformation Bei der IQ- wie auch der T-Wert-Skala handelt es sich um unterschiedliche Mittel, Leistungen innerhalb eines Leistungskontinuums miteinander in Beziehung zu setzen. Testwerte, mithin Ergebnisse in einem Intelligenzoder Rechentest, lassen sich als Positionen auf einem solchen Kontinuum darstellen, die in bestimmten Beziehungen zueinander stehen. Nach der klassischen Testtheorie werden diese Postionen und Relationen mithilfe von Lage- und Streuungsmaßen ausgedrückt. Lagemaße sind etwa das arithmetische Mittel (Mittelwert x; Intervallskalenniveau; etwa IQ, T, z), Median (Ordinalskalenniveau; etwa Schulnoten) oder Modalwert (Nominalskalenniveau; etwa Geschlecht, Haarfarbe). Sie beschreiben das Zentrum einer Verteilung (Maße der zentralen Tendenz). Streuungsmaße beschreiben die Variabilität des Merkmals um das Zentrum der Verteilung. Sie stellen dar, wie die Merkmalsausprägungen um das Lagemaß streuen. Die meistverwendeten Streuungsmaße sind die Varianz und die Standardabweichung (s. Fn. 1). 1.2 z der kleinste gemeinsame Nenner Zur Bestimmung der IQ-Diskrepanz bedient man sich des arithmetischen Mittels und der Standardabweichung zweier unterschiedlicher Skalen. Dies sind die T-Wert-Skala und die IQ-Skala. Es gilt: T-Wert-Skala: Mittelwert 50, Standardabweichung 10 IQ-Skala: Mittelwert 100, Standardabweichung 15 Zur Bestimmung des IQ-Diskrepanzkriteriums wird das Rechentestergebnis (angegeben als T-Wert) an dem individuellen IQ des Testanden relativiert 3. Um zu klären, ob der entsprechende T-Wert tatsächlich mindestens 3 Dies stellt den sogenannten ipsativen Leistungsvergleich dar. Im Gegensatz zur individuellen Bezugsnorm wird hier keine Leistungsveränderung anhand einer wiederholten Messung eines Merkmals erfasst (etwa Verbesserung der Rechenfertigkeit als Therapieerfolg von Messzeitpunkt A zu Messzeitpunkt B), sondern der Leistungsvergleich wird anhand des Ergebnisses eines anderen Diagnostikums zum selben Messzeitpunkt oder innerhalb einzelner Subtests oder

zwei Standardabweichungen unter dem IQ liegt, müssen IQ und T-Wert gleichsam auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Dies geschieht mithilfe des sogenannten z-wertes anhand der z-transformation. Der z-wert erweist sich als besonders unkompliziert zu handhaben, da er über einen Mittelwert 0 und eine Standardabweichung 1 verfügt. Es gilt: z-wert-skala: Mittelwert 0, Standardabweichung 1 Die Bestimmung der bestehenden IQ-Diskrepanz basiert auf der z-transformation von IQ und T-Wert. Das Vorgehen setzt sich aus drei Schritten (a, b, c) zusammen. Zugrunde gelegt sei folgende Formel 4 : z = x x, s wobei x die gegebene/gesuchte Variable (IQ oder T), x der Mittelwert und s die Standardabweichung der behandelten Skala (IQ oder T). Beispiel: IQ = 115, T = 40 a) Der gegebene IQ = 115 wird in einen z-wert überführt. 115 100 z = = 1 15 Für x wird der gegebene IQ = 115, für x der Mittelwert der IQ-Skala = 100 und für s die Standardabweichung der IQ-Skala = 15 eingesetzt. Das Ergebnis ist z = 1. Da die z-skala über eine Standardabweichung von 1 verfügt, wird deutlich, dass ein IQ = 115 exakt eine Standardabweichung über dem Mittelwert IQ = 100 liegt. Subtestindizes eines mehrdimensionalen Diagnostikums vorgenommen (Profilanalyse). 4 Wird diese Formel nach IQ oder T-Wert aufgelöst ergibt sich IQ = 100 + 15z und T = 50 + 10z. Es wird deutlich, dass anhand der z-transformation problemlos neue Skalen gebildet werden können. Dazu werden lediglich der gewünschte Mittelwert und die entsprechende Standardabweichung festgelegt: Skala = a + bz.

b) Anhand des ermittelten z-wertes wird der dem IQ entsprechende T- Wert ermittelt. T 50 1 = 10 + 50 ergibt T = 60 10 Für x wird der gesucht T-Wert, für x der Mittelwert der T-Skala = 50 und für s die Standardabweichung der T-wert-Skala = 10 eingesetzt. Das Ergebnis ist T = 60. Da die T-Wert-Skala über eine Standardabweichung von 10 verfügt, wird deutlich, dass ein T-Wert = 60 exakt eine Standardabweichung über dem Mittelwert T = 50 liegt. Gemäß dem angenommenen deterministisch linearen 5 Zusammenhang zwischen Intelligenz und Rechenleistung ist bei einem IQ = 115 ein Rechentestergebnis von T = 60 zu erwarten. c) Vom ermittelten T-Wert werden 20 T-Wert-Punkte (= 2 SD) subtrahiert. Das IQ-Diskrepanzkriterium ist erfüllt, wenn das tatsächlich in einem Rechentest erzielte Ergebnis mindestens zwei Standardabweichungen unter dem aufgrund der Intelligenz eigentlich zu erwartenden Ergebnis liegt. Für das gegebene Beispiel ist dies der Fall, wenn das tatsächlich in einem Rechentest erzielte Ergebnis einem T-Wert von T 40 entspricht. Von dem eigentlich erwarteten Wert T = 60 werden hierzu 20 T-Wert-Punkte (= 2 10 = 2 SD) subtrahiert. Entspricht das tatsächlich in einem Rechentest erzielte Ergebnis T = 40 oder liegt es darunter, ist das IQ-Diskrepanzkriterium erfüllt. Eine Diagnosestellung kann allerdings erst dann erfolgen, wenn zusätzlich zu dem IQ-Diskrepanzkriterium auch das Bezugsgruppendiskrepanzkriterium erfüllt ist. Während beim IQ-Diskrepanzkriterium das Rechentestergebnis an dem individuellen IQ relativiert wird (ipsativer Bezug, s. Fn. 5), erfolgt die Relativierung beim Bezugsgruppendiskrepanzkriterium anhand der Bezugsgruppe (soziale Bezugsnorm). 5 Dies entspräche einer Korrelation zwischen IQ und Rechenleistung von r = 1. Realiter beträgt die Korrelation < 1. Dies ist auf das statistische Phänomen der Regression zur Mitte zurückzuführen.

2. Bezugsgruppendiskrepanzkriterium Das Ergebnis in einem Rechentest liegt mindestens zwei Standardabweichungen unterhalb des Wertes, der aufgrund des chronologischen Alters 6 des Testanden eigentlich zu erwarten wäre. Die Diskrepanz von 2 SD wird anhand des Stichprobenmittelwerts (x) des Rechentests bestimmt. Das Bezugsgruppendiskrepanzkriterium ist erfüllt, wenn gilt: x T 2 SD. Die T-Wert-Skala verfügt grundsätzlich über einen Mittelwert von x = 50. Eine Diskrepanz von mindestens zwei Standardabweichungen zum Stichprobenmittelwert eines Rechentests (Normierungsstichprobe des Testverfahrens) entspricht demgemäß einem Ergebnis von T 30. Dies ist gleichbedeutend mit einem Ergebnis von PR < 3 7. Es gilt: Das Bezugsgruppendiskrepanzkriterium ist erfüllt, sobald das Ergebnis in einem Rechentest T 30 beziehungsweise PR < 3. Aus diesem Grunde kann das DDk zunächst am einfachsten anhand des Bezugsgruppendiskrepanzkriteriums überprüft werden. Ist dieses nicht erfüllt, erweist sich die weitere Berechnung der IQ-Diskrepanz als hinfällig. Es kann keine Diagnose nach Forschungskriterien anhand des Doppelten Diskrepanzkriteriums gestellt werden. Es gilt: Die Bezugsgruppendiskrepanz sollte vor der IQ-Diskrepanz bestimmt werden. 3. Das Doppelte Diskrepanzkriterium in den Forschungskriterien 8 Rechenstörung (F81.2): Es liegt ein Wert in einem standardisierten Rechentest vor, der mindestens zwei Standardabweichungen unterhalb des Niveaus liegt, das aufgrund des chronologischen Alters und der allgemeinen Intelligenz des Kindes zu erwarten wäre... 6 Eine Relativierung der Testwerte anhand klassenstufennormierter Verfahren ist in den Foschungskriterien nach ICD-10 nicht vorgesehen. 7 Der exakte Grenzwert beträgt PR 2.28 (berechnet mit dem Psychometrica Normwertrechner ) 8 Die angegebenen Diskrepanzkriterien stellen lediglich einen Teil der zur Diagnosestellung erforderlichen Kriterien dar. Zum grundlegenden Verständnis sei die Lektüre mindestens der Abschnitte F8 und F7 der ICD-10 sowie der klinisch-diagnostischen Leitlinien empfohlen.

Ausschlussvorbehalt: IQ unter 70 in einem standardisierten Test (Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort, 2016, S. 189). Mit Bezug auf die Intelligenzdiagnostik gilt für die Lese- und Rechtschreibstörung (F81.0) sowie für die isolierte Rechtschreibstörung (F81.1) abweichend: Ausschlussvorbehalt: Non-verbaler IQ unter 70 in einem standardisierten Test (Dilling et al., 2016, S. 188). 3.1 Grundlegende Kennwerte zur Diskrepanzbestimmung Zur rationellen Bestimmung der zur Diagnosestellung erforderlichen Diskrepanzen empfiehlt sich die Orientierung an grundlegenden Kennwerten, die sich aus Standardabweichung und Maß der zentralen Tendenz der IQ-, T- Wert, z-wert sowie Prozentrangskala ergeben. Dies sind gemäß den in Abschnitt 1.2 angeführten Maßzahlen Tabelle 1 Grundlegende Kennwerte zur Diskrepanzbestimmung Kennwert Maß der zentralen Tendenz (M) z 0 Mittelwert IQ T 100 Mittelwert 50 Mittelwert PR 50 Median Standardabweichung SD, s 2 SD unter M 1 SD unter M 0 SD 1 SD über M 1-2 -1 0 1 2 15 70 85 100 115 130 10 30 40 50 60 70 2 SD über M _ 9 < 3 2.28 < 16 15.87 50 >84 84.13 >97 97.72 Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass die Prozentränge als bloße Normwerte nicht linear in/wie die übrigen Standardwerte (z, IQ, T) transformiert werden können. Der Prozentrang bezieht sich auf die Häufigkeit, mit der bestimmte Werte in der Stichprobe vorkommen. Abbildung 1 stellt die Diskrepanzkriterien zusammenfassen anhand eines Koordinatensystems dar. Die auf dem angenommen deterministisch linearen Zusammenhang (Korrelation r = 1) zwischen Intelligenz (IQ, x-achse) und 9 Da sich die Standardabweichung anhand der Varianz und diese wiederum anhand des Mittelwerts einer Verteilung berechnet, und somit zur Bestimmung des Mittelwerts Intervallskalenniveau erreicht werden muss, verfügt die lediglich ordinalskalierte Prozentrangskala nicht über eine Standardabweichung.

Rechenleistung (T-Wert, y-achse) beruhende Korrelationsgerade (y = x b + 0) verläuft mit einer Steigung von b = 1 durch den Nullpunkt (0/0) des Koordinatensystems. Dieser entspricht einer durchschnittlichen Leistung von IQ = 100 und T = 50 (x, z = 0). Abbildung 1. Der rot schraffierte Bereich unterhalb der Diskrepanzgeraden und unterhalb des oberen Grenzwerts von T = 30 (horizontal gepunktete, rote Bezugsgruppenhorizontale) markiert den diagnostiziablen Leistungsbereich (IQ und T-Wert schulische Fertigkeit). Hier erfüllen alle Werte das Doppelte Diskrepanzkriterium. Die Diskrepanzgerade (y = x b - 2) verläuft mit derselben Steigung/Korrelation b/r = 1 parallel unterhalb der Korrelationsgeraden und schneidet die y-achse bei z = -2/T = 30. Die Diskrepanzgerade stellt die IQ-Diskrepanz von 2 SD zwischen individueller Intelligenz und Rechenleistung des Testanden dar. Der Bereich unterhalb der Diskrepanzgerade wird durch den oberen Grenzwert (T 30; Bezugsgruppendiskrepanzkriterium) zur Diagnosestellung horizontal eingeschränkt (Bezugsgruppenhorizontale). Es ergibt sich der nach IQ- und Bezugsgruppendiskrepanzkriterium diagnostiziable, rot

schraffierte Bereich. Alle Messwerte erfüllen hier das Doppelte Diskrepanzkriterium. 3.2 Durchschnittlich, unterdurchschnittlich, weit unterdurchschnittlich z z -2 weit unterdurchschnittlich -2 < z -1 unterdurchschnittlich -1 < z 1 durchschnittlich 1 < z 2 überdurchschnittlich z > 2 weit überdurchschnittlich T T 30 weit unterdurchschnittlich 30 < T 40 unterdurchschnittlich 40 < T 60 durchschnittlich 60 < T 70 überdurchschnittlich T > 70 weit überdurchschnittlich IQ IQ 70 weit unterdurchschnittlich 70 < IQ 85 unterdurchschnittlich 85 < IQ 115 durchschnittlich 115 < IQ 130 überdurchschnittlich IQ > 130 weit überdurchschnittlich PR PR < 3 ( 2.28) weit unterdurchschnittlich 3 PR < 16 ( 15.58) unterdurchschnittlich 16 PR < 85 ( 84.13) durchschnittlich 85 PR < 98 ( 97.72) überdurchschnittlich PR 98 weit überdurchschnittlich Abweichend von diesen Werten wird in den Forschungskriterien für die Intelligenzminderung ein Intelligenzbereich von IQ 69 angegeben. Für Werte im durchschnittlichen Intelligenzbereich und höher werden keine Angaben gemacht. Damit weicht der zur Diagnose einer Intelligenzminderung zu erreichende IQ von dem statistischen Grenzwert gemäß z = -2 / IQ = 70 ab. Bei einem IQ = 70 wird rein formal - keine Intelligenzminderung diagnostiziert. Häufig finden sich in er Literatur Darstellungen, die die Bereiche ab 2 SD mit jeweils ca. 2.5 % der Stichprobe angeben (vgl. Normalverteilung). Genauer ausgedrückt umfassen in der Grundgesamtheit die Intervalle

+/- 1σ 68.28 % +/- 2σ 95.44 %der Messwerte. Ein T-Wert von 20 (z = -3) entspricht dabei einem Prozentrang von PR = 0.13. Es wird deutlich, wie selten solch niedrige Werte auftreten. Dies kommt insbesondere bei der Verwendung von die Grundgesamtheit lediglich bedingt repräsentierenden Stichproben zum Tragen. Normwerttabellen von Testverfahren können hier entsprechend im sehr hohen wie im sehr niedrigen Leistungsbereich regelmäßig nur wenig differenzieren. T-Wert-Tabellen reichen daher in der Regel lediglich von 20 bis 80. Prozentrangtabellen (0 100) werden häufig zusätzlich aufgrund der Anschaulichkeit angegeben. Dipl.-Psych. Dr. Lars Tischler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Medical School Hamburg, Dozent für Allgemeine Psychologie, Diagnostik in der Pädagogischen Psychologie sowie Intervention in der Pädagogischen Psychologie, wissenschaftlicher Beirat im Fachverband für Ganzheitliche Entwicklung und Ganzheitliche Therapie 4Kids2GET e. V., Dozent am VI- GESCO-Institut für psychologisch-pädagogische Bildung und Heilpraktiker Psychotherapie. tischlerweb.wordpress.com Korrespondenzadresse Dr. Lars Tischler Medical School Hamburg Am Kaiserkai 1 20457 Hamburg tischler@vigesco-institut.de lars.tischler@medicalschool-hamburg.de

Anhang Dipl.-Psych. Dr. Lars Tischler tischler@vigesco-institut.de tischlerweb.wordpress.com A Literatur Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. (2015). Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung. Evidenzund konsensbasierte Leitlinie AWMF-Registernummer 028-044. Verfügbar unter http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-044l_s3_lese- Rechtschreibst%C3%B6rungen_Kinder_Jugendliche_2015-06.pdf Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information. (2017). ICD-10-GM Version 2017. Kapitel V. Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99). Verfügbar unter http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche /onlinefassungen/htmlgm2017/chapter-v.htm Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M. H. & Schulte-Markwort, E. (Hrsg.). (2016). ICD-10. Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F) Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis (6., überarbeitete Aufl. unter Berücksichtigung der Änderung gemäß ICD-10-GM). Göttingen: Hogrefe. Lenhard, W. & Lenhard, A. (2015). Normwertrechner. Bibergau: Psychometrica. doi: 10.13140/RG.2.1.4592.5363 Verfügbar unter: https://www.psychometrica.de/normwertrechner.html Maltby, J., Day, L. & Macaskill, A. (2010). Personality, individual differences and intelligence (2nd ed.). Essex: Pearson. Remschmidt, H., Schmidt, M. H. & Poustka, F. (Hrsg.). (2012). Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO: Mit einem synoptischen Vergleich von ICD-10 und DSM-IV (6., korrigierte Aufl.). Bern: Huber. Zöfel, P. (2003). Statistik für Psychologen im Klartext. München: Pearson.

B Übungsfragen Können Sie eine Diagnose Rechenstörung gemäß den Forschungskriterien nach ICD-10 stellen? Bitte begründen Sie. Wie groß sind die bestehenden Diskrepanzen? a.1 IQ = 100, T = 30 a.2 IQ = 120, T = 40 a.3 IQ = 140, T = 25 a.4 IQ = 90, T = 25 a.5 IQ = 85, T = 30 a.6 IQ = 70, T = 15 a.7 IQ = 65, T = 10 b.1 Wie hoch muss der IQ mindestens sein, damit Sie bei T = 30 eine Diagnose Rechenstörung stellen können? b.2 Wie hoch muss der IQ mindestens sein, damit Sie bei T = 45 eine Diagnose Rechenstörung stellen können? b.3 Ab welchem T-Wert können Sie eine Diagnose Rechenstörung stellen, wenn IQ = 80? b.4 Ab welchem T-Wert können Sie eine Diagnose Rechenstörung stellen, wenn IQ = 120?

C Lösungen a.1 Ja, es kann eine Diagnose gestellt werden. Beide Diskrepanzen betragen mdst. 2 SD Bezugsgruppendiskrepanz = 2 SD, IQ-Diskrepanz = 2 SD a.2 Nein, es kann keine Diagnose gestellt werden. Das Bezugsgruppendiskrepanzkriterium ist nicht erfüllt. Bezugsgruppendiskrepanz = 1 SD, IQ-Diskrepanz = 2.3 SD a.3 Ja, es kann eine Diagnose gestellt werden. Beide Diskrepanzen betragen mehr als 2 SD. Bezugsgruppendiskrepanz = 2.5 SD, IQ-Diskrepanz > 5 (5.16) a.4 Nein, es kann keine Diagnose gestellt werden. Die IQ-Diskrepanz liegt beträgt < 2 SD. Bezugsgruppendiskrepanz = 2.5 SD, IQ-Diskrepanz = 1.83 a.5 Nein, es kann keine Diagnose gestellt werden. Das IQ-Diskrepanzkriterium ist nicht erfüllt. Bezugsgruppendiskrepanz = 2 SD, IQ-Diskrepanz = 1.0 a.6 Nein, es kann keine Diagnose gestellt werden. Das IQ-Diskrepanzkriterium ist nicht erfüllt. Bezugsgruppendiskrepanz = 3.5, IQ-Diskrepanz = 1.5 a.7 Nein, es kann keine Diagnose gestellt werden. Der IQ beträgt 69; Ausschlusskriterium Intelligenzminderung Bezugsgruppendiskrepanz = 4 SD, IQ-Diskrepanz = 1.6 b.1 IQ = 100 b.2 keine Diagnosestellung möglich; Bezugsgruppendiskrepanzkriterium nicht erfüllt (hier Bezugsgruppendiskrepanz = 0.5) b.3 T 16.6 b.4 T 30