Grundfall Frage 1: Was ist rechtlich alles geschehen? A. Verpflichtungsgeschäft: Kaufvertrag über die Zeitung gemäß 433 BGB I. Zustandekommen des Kaufvertrags 1. 2 übereinstimmende (kongruente) Willenserklärungen Damit ein Kaufvertrag wirksam zustande kommt, müssen zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme vorliegen, 145 ff. BGB. Eine Willenserklärung ist eine private Willensäußerung, die auf den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet ist. Bei Angebot und Annahme handelt es sich um spezielle Willenserklärungen, nämlich um solche, die auf den Abschluß eines Vertrages, im vorliegenden Fall eines Kaufvertrages, gerichtet sind. a) Angebot durch B: Ausstellen der Zeitungen Ein wirksames Angebot des B könnte im Ausstellen der Zeitungen zu sehen sein. Fraglich ist jedoch, ob ein auf Vertragsschluss gerichteter Rechtsbindungswille vorlag, weil sich die Ausstellung der Zeitungen an eine unbestimmte Vielzahl potentieller Kunden und nicht an eine bestimmte Person richtet. Zwar ist es grundsätzlich für ein Kaufvertragsangebot nicht erforderlich, daß dieses an eine ganz bestimmte Person gerichtet ist. Es ist auch denkbar, daß der Verkäufer sein Angebot an eine Vielzahl von Personen richtet (sog. Angebot ad incertas personas ). Indes ist hier zu bedenken, dass B sich für den Fall, dass es sich bereits um ein bindendes Angebot handelt, schadensersatzpflichtig machen würde, wenn mehrere Kunden gleichzeitig das Angebot annehmen würden und er nicht alle erfüllen kann. Mithin spricht die objektive Interessenlage gegen einen Rechtsbindungswillen des Ausstellenden. Folglich handelt es sich mangels Rechtsbindungswillen bei der Anpreisung im Schaufenster und Ähnlichem noch nicht um ein Angebot zum Kauf, sondern lediglich um eine Aufforderung an die Kunden, selbst ein entsprechendes Angebot abzugeben, sog. invitatio ad offerendum (Aufforderung zur Offerte). Mithin ist im vorliegenden Fall im Ausstellen der Zeitungen noch kein Angebot des B zu sehen. Anmerkung: Das maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung eines Angebots von der bloßen invitatio ist also, ob es der Sinn der Erklärung ist, dass durch das Eingehen auf sie bereits ein Vertrag zustande kommen soll. Ein wichtiges Indiz gegen ein Angebot ist dabei, ob die Anzahl der Waren beschränkt ist und gleichzeitig die Erklärung an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet ist. Es ist aber keineswegs so, daß bei einer Erklärung an eine Vielzahl von Personen gleichsam zwangsläufig eine bloße invitatio vorläge. Abzustellen ist immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls! Kolper/Rosmanith 1
b) Angebot durch A Ein Angebot auf Abschluß eines Kaufvertrags ist jedoch in der Aussage der Anna zu sehen "Eine Augsburger Allgemeine, bitte". c) Annahme durch B B hat dieses Angebot auch angenommen, indem er A die Zeitung reichte und sie zum Zahlen des Kaufpreises ihv 1 aufgefordert hat. 2. Erforderlicher Inhalt des Kaufvertrages: essentialia negotii Die Willenserklärungen müssen die sog. essentialia negotii (die wesentlichen Bestandteile des Vertrages) enthalten. Das sind bei einem Kaufvertrag nach 433 BGB: Vertragsparteien (hier Bruno und Anna) Kaufsache (Hier: Zeitung Augsburger Allgemeine ) Kaufpreis (Hier: 1 ) II. Rechtsfolge Es wurde ein wirksamer Kaufvertrag abgeschlossen. Hieraus ergeben sich bestimmte Pflichten der Vertragspartner. 1. Pflichten des Verkäufers B, 433 I BGB Übergabe der Sache: 433 I 1 BGB Eigentumsverschaffung an der Sache: 433 I 1 BGB Mangelfreier Zustand der Sache: 433 I 2 BGB 2. Pflichten des Käufers A, 433 II BGB Kaufpreiszahlung Abnahme der Sache Exkurs zu den Begriffen Rechtsgeschäft und Vertrag: Der Kaufvertrag ist eine spezielle, im BGB geregelte Form des Vertrages. Bei einem Vertrag handelt es sich um ein Rechtsgeschäft, das aus mindestens zwei übereinstimmenden (= kongruenten) Willenserklärungen besteht. Der Begriff des Rechtsgeschäfts stellt den Oberbegriff dar, d.h. ein Vertrag ist ein besonderes und zugleich das wichtigste Rechtsgeschäft. Die Kündigung z.b. ist ein weiteres Rechtsgeschäft, welches aus nur einer Willenserklärung besteht. Die Rechtsfolge tritt hier allein durch die Abgabe und den Zugang der Kündigungserklärung ein. Definition des Rechtsgeschäft: Verwirklichung eines bestimmten rechtlichen Erfolges durch Abgabe einer oder mehrerer Willenserklärungen, teilweise verbunden mit weiteren notwendigen Akten, z.b. der Übergabe nach 929 BGB). Kolper/Rosmanith 2
B. Verfügungsgeschäfte I. Erster Übereignungstatbestand, 929 BGB: Übereignung und Übergabe der Zeitung Die vom Verkäufer zu erbringende Leistung der Eigentumsverschaffung und Besitzverschaffung wird durch ein separates Rechtsgeschäft, das sogenannte Verfügungsgeschäft, vollzogen. Beim Kauf einer beweglichen Sache vollzieht sich der Eigentumsübergang durch ein Rechtsgeschäft gemäß 929 BGB. Folgende Voraussetzungen sind für ein solches Rechtsgeschäft erforderlich: 1. Erklärungsakt Einigung über den Eigentumsübergang durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen 2. Realakt Übergabe der Zeitschrift II. Zweiter Übereignungstatbestand, 929 BGB: Übereignung des Geldes 1. Erklärungsakt Einigung über den Eigentumsübergang am Münzgeld im Wert von 1,00 2. Realakt Übergabe der Münzen Exkurs: Auch Forderungen oder Rechte können Gegenstand eines Kaufvertrages sein, vgl. 453 I BGB. Diese werden nicht gemäß 929 BGB übertragen, denn sie sind keine beweglichen Sachen. Wird beispielsweise eine Darlehensforderung verkauft, erfolgt die Übertragung dieser Forderung durch ein Verfügungsgeschäft gemäß 398 BGB. Die Forderung wird also nicht durch Übereignung, sondern durch Abtretung auf den Käufer übertragen. Aber auch die Abtretung ist ein Verfügungsgeschäft! Frage 2: Rechtlich Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre des BGB A. Trennungsprinzip Das Gesetz trennt den Vorgang des Kaufes in ein Verpflichtungsgeschäft und zwei Verfügungsgeschäfte Verfügung = Rechtsgeschäft, durch das eine unmittelbare Rechtsänderung eintritt, also die Übertragung eines Rechts (Hier: Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache gemäß 929 BGB) Kolper/Rosmanith 3
Diese Aufspaltung in ein schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft und zwei idr sachenrechtliche Verfügungsgeschäfte, mit denen die übernommene Verpflichtung erfüllt wird, nennt man Trennungsprinzip. Allein durch die Verpflichtung zur Eigentumsübertragung wird der Käufer noch nicht Eigentümer, er hat nur ein Recht darauf, das Eigentum (durch den Verfügungsakt) verschafft zu bekommen! Gegenteil: Einheitsprinzip; hiernach treten die Rechtsänderungen, z.b. der Eigentumsübergang, bereits durch den Abschluss des Kaufvertrags ein (gilt z.b. in Frankreich, Belgien, Italien) B. Abstraktionsprinzip Das Abstraktionsprinzip sagt aus, daß die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte nicht voneinander abhängig ist. Wenn also der Kaufvertrag unwirksam ist, folgt daraus allein noch nicht, daß auch die zur Erfüllung dieses Kaufvertrags vorgenommenen Verfügungsgeschäfte unwirksam sind Gegenteil: Kausalprinzip; hiernach ist das Verfügungsgeschäft nur wirksam, wenn der rechtliche Grund für die Vornahme auch tatsächlich besteht. Ist z.b. der Kaufvertrag unwirksam, dann ist es auch die Übereignung. Das deutsche Recht kennt das Kausalprinzip nicht. Variante 1 Frage 1: Wirksamkeit des Kaufvertrags Ein Kaufvertrag nach 433 BGB kommt durch zwei korrespondierende Willenserklärungen - Angebot und Annahme - zustande, 145 ff. BGB. Diese liegen vor, s.o. Grundfall Frage 1, A. I. 1. a) Der Vertrag könnte jedoch unwirksam sein, da A 2, 106 BGB minderjährig und daher nach Maßgabe der 107 ff. BGB in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Für eine Willenserklärung, durch die Anna nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, bedarf sie als Minderjährige gem. 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, also ihrer Eltern, 1629 I 1 BGB. Bei der Frage, ob etwas rechtlich vor- oder nachteilhaft ist, ist allein die rechtliche, nicht die wirtschaftliche Betrachtung, maßgeblich. Ein Kaufvertrag verpflichtet den Minderjährigen zur Zahlung des Kaufpreises und ist daher immer rechtlich nachteilhaft. Ein wirtschaftlicher Vorteil, etwa ein preiswerter Kauf, ändert daran nichts. Nach 107, 108 BGB hängt die Wirksamkeit des Vertrags somit von der Zustimmung ( 182 ff. BGB) der Eltern ab. Diese haben weder in den Vertrag eingewilligt noch ihn nachträglich genehmigt. Der Vertrag ist daher unwirksam. Vorsicht bei der Begriffsverwendung Zustimmung = Oberbegriff Einwilligung = vorherige Kolper/Rosmanith Zustimmung, Legaldefinition in 183 BGB 4 Genehmigung = nachträgliche Zustimmung, Legaldefinition in 184 BGB
Frage 2: Eigentumslage hinsichtlich des Geldes Durch die Übereignung nach 929 S. 1 BGB würde A ihre rechtliche Position als Eigentümerin des Geldes verlieren. Die Übereignung ist somit rechtlich nachteilhaft und daher ebenfalls nach 107, 108 BGB unwirksam. Hier zeigt sich wieder das Trennungsprinzip: Die Verfügung wird unabhängig von der Verpflichtung betrachtet und beurteilt; es kann allerdings wie vorliegend passieren, dass beide am selben Ausschlussgrund scheitern, d.h. beide mit derselben Begründung unwirksam sind. A hat B damit nicht wirksam nach 929 S. 1 BGB Eigentum verschafft und ist demzufolge weiterhin Eigentümerin des Geldes. Frage 3: Eigentumslage hinsichtlich der Zeitung Durch die Übereignung der Zeitung erhält A das Eigentum an dieser. Dieses Rechtsgeschäft ist für sie rechtlich vorteilhaft! A ist deshalb wirksam Eigentümerin der Zeitung geworden. Nochmal: Nach dem Trennungsprinzip ist die Übereignung getrennt vom Kausalgeschäft (dem Kaufvertrag) zu untersuchen, nach dem Abstraktionsprinzip berührt die Unwirksamkeit des Kaufvertrags nicht das Erfüllungsgeschäft (die Übereignung der Zeitung)! Frage 4: Wie wird rechtlich ein stimmiges Ergebnis erzielt? Folge des Abstraktionsprinzips ist also, dass A zwar Eigentümerin der Zeitung geworden ist, B aber nicht Eigentümer des Geldes. Dieses unstimmige Ergebnis muss korrigiert werden: 1. A kann als Eigentümerin des Geldes dieses nach 985 BGB zurückverlangen, sie hat folglich einen Anspruch auf Rückübertragung des Besitzes. 2. B kann Rückübereignung und Übergabe der Zeitung nach 812 I S. 1 Alt. 1 BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung verlangen. Anmerkung: Umgangssprachlich wird nicht zwischen Besitz und Eigentum unterschieden. Im Recht ist damit jedoch etwas völlig Unterschiedliches gemeint: Während Besitz nur die tatsächliche Kolper/Rosmanith 5
Sachherrschaft beschreibt (Besitzer ist derjenige, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, vgl. 854 BGB), ist mit Eigentum ein Herrschaftsrecht an einer Sache gemeint, vgl. 903 BGB. Hier ist A nach wie vor Eigentümerin des Geldes, da sie dieses Eigentumsrecht, wie gezeigt, nie verloren hat; folglich fehlt ihr lediglich der Besitz an dem Geld isd tatsächlichen Sachherrschaft, da diese noch B innehat. B hingegen hat sein Eigentum an der Zeitung verloren und kann nun nicht nur Einräumung des Besitzes, sondern auch Wiedereinräumung dieses Eigentums Rückübereignung verlangen. Variante 2 Frage 1: Eigentumslage hinsichtlich der Zeitung A könnte die Zeitung wirksam an Christoph übereignet haben. Hierfür sind nach 929 S. 1 BGB Einigung und Übergabe erforderlich. Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag, bestehend aus zwei korrespondierenden Willenserklärungen. Hier haben A und C sich über den Eigentumsübergang geeinigt. Zudem ist die Übergabe erfolgt. A war auch Eigentümerin und damit zum Verkauf berechtigt. Zwar ist der Verlust an der Zeitung rechtlich nachteilhaft, allerdings lag die Zustimmung ihrer Eltern hier in Form der Einwilligung, 107, 183 S. 1 BGB, vor. C hat somit wirksam Eigentum erworben. Frage 2: Ergebnis nach dem Kausalprinzip Wenn das Kausalprinzip gelten würde, dann wäre A aufgrund der Minderjährigkeit nicht Eigentümerin geworden. Da 929 S. 1 BGB verlangt, dass der Eigentümer verfügt, hätte C das Eigentum nicht von A erlangen können. Die nach 929 S. 1 BGB erforderliche Berechtigung kann jedoch durch Gutgläubigkeit gemäß 932 BGB auf Seiten des Käufers hier C ersetzt werden (aber auch nur diese, alle anderen Voraussetzungen des 929 S. 1 BGB müssen vorliegen!) Hierfür müsste C ohne grobe Fahrlässigkeit davon ausgegangen sein, dass A tatsächlich Eigentümerin war. In diesem Fall wäre C schutzwürdiger als der eigentliche Eigentümer B und hätte wirksam Eigentum an der Zeitung erworben und B könnte die Zeitung nicht von C herausverlangen. Im Bereich der Gutgläubigkeit beim Eigentumsübergang gibt es eine 3er-Schritt-Prüfung: 1. Eigentumsübergang nach 929 S. 1 BGB: Voraussetzungen a) Bewegliche Sache, b) Einigkeit hinsichtlich des Eigentumsübergangs, c) Übergabe, d) Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe, e) Berechtigung (Eigentümerstellung) 2. Ausnahme bei Gutgläubigkeit, 932 BGB: Ersetzt nur die letzte Voraussetzung der Berechtigung, d.h. wenn diese fehlt kann sie über 932 BGB ersetzt werden, ein Eigentumsübergang kann dennoch stattfinden Kolper/Rosmanith 6 3. Ausnahme bei abhanden gekommenen Sachen, 935 BGB: Von der Ausnahme bei Gutgläubigkeit gibt es jedoch eine erneute Ausnahme, d.h. es bleibt bei 929 S. 1 BGB und somit bei einem nicht möglichen Eigentumsübergang aufgrund fehlender Berechtigung, wenn der
Abhandenkommen isd 935 BGB = Unfreiwilliger Verlust des unmittelbaren Besitzes Hintergrund dieser Konstellation: Nach 1006 I 1 BGB wird vermutet, dass der Besitzer einer beweglichen Sache auch deren Eigentümer ist, da er Erwerber keine Möglichkeit hat, herauszufinden, wer da Eigentum innehat (bei Immobilien hingegen hat er die Möglichkeit, beim Grundbuchamt Einsicht zu nehmen und sich zu vergewissern). Deshalb ist der Erwerber schutzwürdig. Der wahre Eigentümer hat hingegen ein Risiko gesetzt, als er den Besitz aus der Hand gegeben hat und ist deshalb weniger schutzwürdig, folglich erwirbt der Erwerber Eigentum nach 932 BGB, wenn er keine Kenntnis von der wahren Eigentumslage hat und auch kein Verdacht besteht, dass der Besitzer nicht der wahre Eigentümer ist; 932 BGB ist folglich das Ergebnis einer Interessenabwägung und der Überlegung, dass eine gewisse Rechtssicherheit bestehen muss (nämlich die Sicherheit, über einen derart erlangten Gegenstand verfügen zu können; der wahre Eigentümer ist ausreichend geschützt, da er vom Veräußerer Schadensersatz o.ä. verlangen kann). Anders geht diese Interessensabwägung hingegen aus, wenn der wahre Eigentümer dieses Risiko der Besitzhergabe nicht gesetzt hat, wenn er also den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verloren hat. Deshalb regelt 935 BGB, dass der wahre Eigentümer in derartigen Fällen schutzwürdiger ist und deshalb sein Eigentum nicht verliert. Das Risiko, den Gegenstand wieder herausgeben zu müssen (und sich an einen Schadensersatzanspruch o.ä. gegen den Veräußerer zu halten mit dem Risiko, diesen nicht durchsetzen zu können), trägt in diesen Fällen der Erwerber. Kolper/Rosmanith 7