B. Springborn Differentialgeometrie I Inhaltsübersicht (Stand ) Sommer Einleitung 1. 2 Kurven 1. 3 Länge und Energie 2

Ähnliche Dokumente
Differentialgeometrie von Kurven und Flächen

Grundbegriffe aus der Vorlesung Elementare Differentialgeometrie

Übungen zur Vorlesung Differentialgeometrie I

1. und 2. Fundamentalform

4. Geodätische Linien

Mathematische Grundlagen für die Vorlesung. Differentialgeometrie

Klausur zur Geometrie für Bachelor und Lehramt

Analysis II. 8. Klausur mit Lösungen

INGENIEURMATHEMATIK. 11. Differentialgeometrie. Sommersemester Prof. Dr. Gunar Matthies

2.2. Die Tangentialebene. Definition 2.12 (Tangentialebene). Sei S eine reguläre Fläche, sei p S. Dann heißt

Musterlösung zur Klausur Differentialgeometrie für die Fachrichtung Geodäsie

Lineare Algebra II 8. Übungsblatt

Differentialgeometrie

5. Krümmung Der Riemann sche Krümmungstensor

Flächen und ihre Krümmungen

Seminar Gewöhnliche Differentialgleichungen

Nach Bogenlänge parametrisierte Kurven

Vorlesung Klassische Differentialgeometrie

Parametrisierung und Integralsätze

Abbildung 10.1: Das Bild zu Beispiel 10.1

Plan für diese Woche: 1. Geschlossene Flächen 2. Satz von (Gauß-)Bonnet.

Fachbereich Mathematik/Informatik 16. Juni 2012 Prof. Dr. H. Brenner. Mathematik für Anwender II. Testklausur mit Lösungen

Block I: Integration und Taylorentwicklung in 1D

Klausur zur Geometrie

MAA = MAB + B AA = B CA + CAA BA A Nun sehen wir mit Proposition 10.7 aus dem Skript, dass A M AB gelten muss.

Lösungen zu den Hausaufgaben zur Analysis II

Implizite Funktionen, der Umkehrsatz und Extrema unter Nebenbedingungen

(u, v) z(u, v) u Φ(u, v) (v = const.) Parameterlinie v = const. v Φ(u, v) (u = const.) Parameterlinie u = const.

Ziel: die geodätische Krümmung einer Kurve γ : I U

1 Ableitungen. Definition: Eine Kurve ist eine Abbildung γ : I R R n, γ besteht also aus seinen Komponentenfunktionen. a 1 + tx 1. eine Kurve.

6. Normale Abbildungen

2. Dezember Lineare Algebra II. Christian Ebert & Fritz Hamm. Skalarprodukt, Norm, Metrik. Matrizen. Lineare Abbildungen

Inhaltsverzeichnis Differentialgeometrie 3 Klassische Flächentheorie Jürgen Roth Differentialgeometrie 3.1

10 Untermannigfaltigkeiten

Probeklausur zur Analysis II

Aufgaben. f : R 2 R, f(x, y) := y.

Prüfung Lineare Algebra Sei V ein n-dimensionaler euklidischer Raum. Welche der folgenden Aussagen ist wahr?

7 Lineare Abbildungen und Skalarprodukt

Kapitel 5 Untermannigfaltigkeiten. 5.1 Glatte Flächen in R 3

Flächen, Gauß-Krümmung, erste und zweite Fundamentalform, theorema egregium

Holonomiegruppen Riemannscher Mannigfaltigkeiten

6.2 Geometrische Eigenschaften von Kurven. Eine Eigenschaft (eine Größe) einer Kurve heißt geometrisch, wenn sie unabhängig ist von der PD und vom KS.

Mathematik für Anwender II

Lösungen zu Übungsblatt 1

Seite 1. sin 2 x dx. b) Berechnen Sie das Integral. e (t s)2 ds. (Nur Leibniz-Formel) c) Differenzieren Sie die Funktion f(t) = t. d dx ln(x + x3 ) dx

8 1. GEOMETRIE DIFFERENZIERBARER MANNIGFALTIGKEITEN

4.3 Bilinearformen. 312 LinAlg II Version Juni 2006 c Rudolf Scharlau

Erste und zweite Variation der Bogenlänge; Satz von Bonnet 1.Teil: Einleitung und Vorbereitung

Prüfung Lineare Algebra 2

3 Vektorbündel und das Tangentialbündel

Kapitel VI. Euklidische Geometrie

3 Definition: 1. Übungsblatt zur Vorlesung Lineare Algebra I. im WS 2003/2004 bei Prof. Dr. S. Goette

1 Liesche Gruppen: Grundlegendes und Beispiele

6.4 Oberflächenintegrale 1. und 2. Art

7.2 Die adjungierte Abbildung

Euklidische und unitäre Vektorräume

Wiederholungsklausur zur Analysis II

3 Funktionen in mehreren Variablen

Orthonormalisierung. ein euklidischer bzw. unitärer Vektorraum. Wir setzen

Lösung zu Serie 18. Lineare Algebra D-MATH, HS Prof. Richard Pink

Invariantentheorie. Vorlesung 1 Wir beginnen mit einigen typischen Beispielen zur Invariantentheorie. Dreieckskongruenzen

Lineare Algebra und analytische Geometrie II

Der Laplace-Operator auf einer Riemannschen Mannigfaltigkeit

1.6 Implizite Funktionen

a b Q = b a 0 ) existiert ein Element p Q, so dass gilt: q 1 q 2 = 2 b 1 b 2 a 1 b 2 a 2 b 1 a 1 a 2 b 1 b 2 a 1 b 2 a 2 b 1 a b p = 1 det(q) C 2 2,

Jede symmetrische Bilinearform b definiert eine quadratische Form q durch. q(x) := b(x, x).

Seminar Einführung in die Kunst mathematischer Ungleichungen

44 Orthogonale Matrizen

1 Definition und Grundeigenschaften

Analytische Geometrie

Proseminar Lineare Algebra II, SS 11. Blatt

r i w i (siehe (3.7)). r i v, w i = 0.

Finite Elemente Methode für elliptische Differentialgleichungen

Mathematik II. Vorlesung 46. Der Gradient

Aufgaben und Lösungen zur Klausur Lineare Algebra im Frühjahr 2009

1 Eingebettete Untermannigfaltigkeiten des R d

Mathematische Erfrischungen III - Vektoren und Matrizen

9 Vektorräume mit Skalarprodukt

Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS 1

1 Euklidische und unitäre Vektorräume

1 Umkehrfunktionen und implizite Funktionen

Kapitel 6 Vektoranalysis. 6.1 Glatte Kurven und Flächen in R 3

2 Euklidische Vektorräume

Wiederholungsblatt Elementargeometrie LÖSUNGSSKIZZE

Differentialgeometrie von Kurven und Flächen

Differentialgeometrie I Kurven und Flächen

9 Metrische und normierte Räume

Jacobifelder und konjugierte Punkte

Merkblatt zur Funktionalanalysis

EXKURS: MATRIZEN UND LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME

3 Vektorräume abstrakt

10 Der Satz über implizite Funktionen und Umkehrfunktionen

12 Gewöhnliche Differentialgleichungen

Folgerungen aus dem Auflösungsatz

9. Übung zur Linearen Algebra II -

12 Der Gaußsche Integralsatz

Der Fundamentalsatz der Algebra

Hauptachsentransformation: Eigenwerte und Eigenvektoren

LIE GRUPPEN EMANUEL SCHEIDEGGER

= ( n x j x j ) 1 / 2

Transkript:

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Kurven 1 3 Länge und Energie 2 4 Krümmung einer Kurve 3 5 Ebene Kurven, orientierte Krümmung 4 6 Tangentenumlaufzahl 5 7 Raumkurven 6 8 Parametrisierte Flächenstücke im R 3 7 9 Tangentialbündel des n 8 10 Kurven auf Flächen und erste Fundamentalform 8 11 Äußere Geometrie einer Fläche: zweite Fundamentalform, Weingarten Abbildung 9 12 Flächeninhalt und Krümmung 11 13 Rotationsflächen mit konstanter Gaußscher Krümmung 12 14 Rotationsflächen mit konstanter mittlerer Krümmung 13 15 Krümmungs- und Asymptotenlinienparametrisierungen 14 16 Abwickelbare Flächen 16 17 Variation der Bogenlänge auf einer Fläche 17 18 Die kovariante Ableitung 19 19 Gauß-Gleichung und Theorema Egregium 21 20 Wiederholung und Ausblick 22

1 Einleitung 1 Krümmung als zentraler Begriff der Differenzialgeometrie Diffgeo 1: Krümmung von Kurven und Flächen Diffgeo 2: Mannigfaltigkeiten, Vektorbündel, Riemannsche Geometrie innere und äußere Geometrie einer Fläche Beispiel: Geometrie auf einem Zylinder Beispiel: sphärische Geometrie Kürzeste sind Großkreisbögen Winkelsumme im Dreieck = π + Flächeninhalt Ausblick Gauß Krümmung und Theorema egregium Satz von Gauß Bonnet (Diffgeo 2) Litaraturhinweise [1] Ballmann. Einführung in die Geometrie und Topologie (Kapitel 4) 2, 3, 4, 5, 8 [2] Do Carmo. Differential Geometry of Curves and Surfaces 6 [3] Kühnel. Differentialgeometrie [4] Montiel & Ros. Differential Geometry of Curves and Surfaces [5] Struik. Lectures on Classical Differential Geometry [6] Skript von Alexander Bobenko (Oktober 2006) 6 http://page.math.tu-berlin.de/~bobenko/lehre/skripte/kuf.pdf [7] Skript von Dirk Ferus (Winter 2000) 13, 14 http://page.math.tu-berlin.de/~ferus/dg/digeo1.pdf [8] Skript von Ulrich Pinkall (Sommer 2016) 8 http://www3.math.tu-berlin.de/geometrie/lehre/ss16/dgi/mitschrift.pdf [9]... überarbeitete Version zu Kurven (Sommer 2016) 5, 6, 7 http://www3.math.tu-berlin.de/geometrie/lehre/ss16/dgi/digeoi.pdf [10] Skript von John Sullivan (Sommer 2015) http://www3.math.tu-berlin.de/geometrie/lehre/ss15/dgi/dg1.pdf [11] Ein altes Miniskript von Boris Springborn (Sommer 2006) 15 ftp://ftp.math.tu-berlin.de/pub/lehre/digeo1/ss06/miniskript-kuf-ss06.pdf Die Zahlen nach dem Pfeil geben an, in welchen Kapiteln ich besonders viel aus der jeweiligen Quelle abgeschrieben habe. 2 Kurven Eine Kurve ist eine stetige Abbildung c : I X von einem Intervall I in einen topologischen Raum X. Das Intervall I kann offen, halboffen, abgeschlossen, endlich oder unendlich sein. Wir schließen aber die leere Menge und einpunktige Intervalle aus. In dieser Vorlesung interessieren uns Kurven im n, c : I n, insbesondere die Fälle n = 2 (ebene Kurven) und n = 3 (Raumkurven). Stetige Kurven können sehr verschieden sein von dem, was man sich zunächst anschaulich unter einer Kurve vorstellt. So gibt es ebene Kurven, die das Einheitsintervall [0, 1] auf das Einheitsquadrat [0, 1] 2 abbilden (Beispiele von Peano und Hilbert). Außerdem kann man stetige Kurven nicht mit Mitteln der Differentialrechnung behandeln. [Postscript-Programm von Stefan Sechelmann] Wir wollen nur Kurven betrachten, die genügend oft differenzierbar sind. Der Einfachheit halber werden wir, wenn nichts anderes gesagt wird, von allen Kurven stillschweigend voraussetzen, dass sie glatt, d.h. beliebig oft differenzierbar (C ) sind. Eine Kurve c heißt regulär, wenn ċ(t) 0 für alle t I. 1

Beispiele 2.1. Wenn nichts anderes angegeben ist, sei der Definitionsbereich I =. c 1 (t) = (cos t, sin t, t) c 2 (t) = (t, t 3 ) c 3 (t) = (t 3, t 2 ) (e 1 t, 0) wenn t > 0 c 4 (t) = (0, 0), t = 0 (0, e 1 t ), t < 0 c 5 : [0, 2π] 2, c(t) = (cos t, sin t) c 6 : [0, 4π] 2, c(t) = (cos t, sin t) Ein Diffeomorphismus ist eine umkehrbare glatte Abbildung, deren Inverse auch glatt ist. Seien I und Ĩ Intervalle und φ : Ĩ I ein Diffeomorphismus. Wenn c : I n eine glatte Kurve ist, dann ist auch die Komposition c : Ĩ n, c = c φ eine glatte Kurve, die Umparametrisierung von c mit Parametertransformation φ. Die Umparametrisierung ist orientierungserhaltend wenn die Parametertransformation monoton steigend ist, sonst orientierungsumkehrend. Die Kurve c ist genau dann regulär, wenn c regulär ist. Wir interessieren uns für die euklidische Geometrie von Kurven im n. Was heißt das? Wir versehen n mit dem Standardskalarprodukt v, w = n i=1 v iw i und der dazugehörigen Metrik d(p, q) = p q, wobei v = v, v. Die Isometrien des R n sind genau die Abbildungen n n der Form p Ap + b, A O(n), b n. Sie sind orientierungserhaltend, wenn det A > 0 also A SO(n). Eine Isometrie des n nennt man auch eine Bewegung, und eine starre Bewegung, wenn sie orientierungserhaltend ist. Wir interessieren uns nur für solche Eigenschaften von Kurven, die invariant unter Bewegungen sind, oder zumindest unter starren Bewegungen. (Im zweiten Fall hängt die Eigenschaft von der gewählten Orientierung des n ab.) Insbesondere interessieren uns solche Eigenschaften, die zusätzlich invariant unter Umparametrisierung sind. Beispiele von solchen Invarianten sind Länge und Krümmung einer Kurve. 3 Länge und Energie 2 Die Länge einer Kurve c : [t 0, t 1 ] n ist L(c) = t1 t 0 ċ(t) d t. Prüfe: Die Länge ist invariant unter Bewegungen und Umparametrisierungen c = c φ. (Dabei muss die Parametertransformation φ kein Diffeomorphismus sein. Es reicht, wenn sie differenzierbar und monoton ist.) Eine Kurve c : I heißt nach der Bogenlänge parametrisiert, wenn ċ(t) = 1 für alle t I. Satz 3.1. Für jede reguläre Kurve c gibt es eine monoton steigende Parametertransformation φ, so dass die umparametrisierte Kurve c = c φ nach der Bogenlänge parametrisiert ist. Satz 3.2. Sei c : [t 0, t 1 ] n eine glatte Kurve und seien a = c(t 0 ), b = c(t 1 ) ihr Anfangs- und Endpunkt. Dann gilt L(c) d(a, b). Gleichheit gilt genau dann, wenn c eine Umparametrisierung der geraden Strecke σ : [0, 1] n, σ(t) = (1 t)a + t b ist. (Wenn c nicht regulär ist, ist die Parametertransformation glatt und monoton steigend, aber kein Diffeomorphismus.) 2

Korollar 3.3. Für a, b n gilt d(a, b) = min{l(c) c ist glatte Kurve von a nach b}. Die Energie einer glatten Kurve c : [t 0, t 1 ] n ist E(c) = 1 2 t1 Die Energie hängt von der Parametrisierung der Kurve ab. t 0 ċ(t) 2 d t. Satz 3.4. Für jede glatte Kurve c : [t 0, t 1 ] n gilt die Ungleichung E(c) 1 2(t 1 t 0 ) L2 (c). Gleichheit gilt genau dann, wenn c mit konstanter Geschwindigkeit parametrisiert ist, d.h. wenn ċ konstant ist. Satz 3.5. Sei c : [t 0, t 1 ] n eine glatte Kurve und seien a = c(t 0 ), b = c(t 1 ) ihr Anfangs- und Endpunkt. Dann gilt d(a, b)2 E(c) 2(t 1 t 0 ). Gleichheit gilt genau dann, wenn c(t) = 1 t 1 t 0 (t1 t)a + (t t 0 )b. 4 Krümmung einer Kurve Sei c : I n eine reguläre Kurve. Das Einheitstangentialvektorfeld von c ist dann ein glattes Vektorfeld mit Norm 1. T(t) = 1 ċ ċ, Die Krümmung κ von c ist die Norm der Ableitung von T nach der Bogenlänge, κ(t) = lim T(t 1 ) T(t) t 1 t t1 ċ(τ) dτ = Ṫ ċ. t Mit erhält man Ṫ = 1 c c, T T ċ κ = 1 c c, T T. ċ 2 Wenn c nach der Bogenlänge parametrisiert ist, vereinfacht sich das zu (1) κ = c. Die Krümmung ist invariant unter Umparametrisierung. Damit ist gemeint, dass die Krümmung an entsprechenden Stellen gleich ist: Wenn c = c φ, dann ist κ = κ φ. 3 Beispiele 4.1. Eine reguläre Kurve ist genau dann ein parametrisiertes Geradenstück, wenn κ = 0. Ein Kreis mit Radius r hat konstante Krümmung κ = 1 r. Eine Helix c(t) = (r cos t, r sin t, ht) hat auch konstante Krümmung. Welche? 3

Bemerkung 4.2. Wenn wir die Ableitung nach der Bogenlänge mit d ds dem Kurvenparameter mit d d t, dann gilt d ds = 1 ċ d d t bezeichnen und die Ableitung nach und somit T = d ds c, κ = d ds T = d2 ds c. 2 Definition 4.3. Sei c : I n eine reguläre Kurve, und an der Stelle t I seien die ersten beiden Ableitungen ċ(t) und c(t) linear unabhängig. Dann heißt (i) die normalisierte Komponente von c(t) senkrecht zu ċ(t), N(t) = c c, T T c c, T T, der Hauptnormalenvektor der Kurve c an der Stelle t. (ii) die von ċ(t) und c(t) aufgespannte Ebene durch c(t) die Schmiegebene von c an der Stelle t. (Also bilden T(t) und N(t) eine Orthonormalbasis der Schmiegebene.) (iii) der Kreis in der Schmiegebene mit Radius an der Stelle t. 1 κ(t) und Mittelpunkt c(t) + 1 κ(t) N(t) der Schmiegkreis von c Satz 4.4. Angenommen, die ersten beiden Ableitungen der Kurve c : I n sind linear unabhängig and der Stelle t I. Dann gilt: Wenn t 1 < t 2 < t 3 in I nahe genug an t liegen, dann liegen die Punkte c(t 1 ), c(t 2 ), c(t 3 ) nicht in einer Geraden, so dass der Kreis durch die drei Punkte einedeutig bestimmt ist. Für t 1, t 2, t 3 t konvergiert der Kreis durch c(t 1 ), c(t 2 ), c(t 3 ) gegen den Schmiegkreis von c an der Stelle t. [Beweisidee nach Ballmann] 5 Ebene Kurven, orientierte Krümmung Für ebene Kurven c : I 2 ist es sinnvoll, eine vorzeichenbehaftete oder orientierte Krümmung zu definieren, die ebenfalls mit κ bezeichnet wird. Die im vorigen Abschnitt behandelte Krümmung nennt man zur Unterscheidung auch Absolutkrümmung. Wir bezeichnen die Einheitsmatrix und die 90 -Drehmatrix mit I und J, 1 0 0 1 I =, J =. 0 1 1 0 Es gilt J v = v, v, J v = 0, det(v, J v) = v 2 0. Wenn v Einheitsvektor ist, dann ist (v, J v) eine positive orientierte Orthonormalbasis. Das Einheitsnormalenvektorfeld von c, N = J T, ergänzt das ein Einheitstangentialvektorfeld punktweise zu einer positiv orientierten Orthonormalbasis. Aus T, T = 1 folgt Ṫ, T = 0. Also ist Ṫ punktweise ein Vielfaches von N. Die [orientierte] Krümmung von c ist definiert durch Für Kurven, die nach der Bogenlänge parametrisiert sind, bedeutet das Mit Gleichung (1) erhält man aus (2) die Formel 1 Ṫ = κn. (2) ċ κ = c = κjċ. det(ċ, c) ċ 3. Die im vorigen Abschnitt definierte Absolutkrümmung ist κ. Die orientierte Krümmung ist invariant unter Bewegungen und orientierungserhaltenden Umparametrisierungen, ändert aber ihr Vorzeichen unter orientierungsumkehrenden Isometrien und Umparametrisierungen. 4 4

Beispiel 5.1. Eine reguläre Kurve parametrisiert genau dann ein Stück eines Kreises, wenn die Krümmung konstant und nicht null ist. ( c m = const. > 0 κ = const. 0.) Lemma 5.2 (Krümmung als Ableitung des Tangentensteigungswinkels). Sei c : [t 0, t 1 ] 2 eine reguläre Kurve mit Einheitstangentialvektorfeld T. Dann gibt es eine glatte Funktion α : [0, L], so dass T = cos α sin α. Die Funktion α ist bis auf Addition eines Vielfachen von 2π eindeutig bestimmt, und es gilt α = ċ κ. Satz 5.3 (Fundamentalsatz der Theorie von ebenen Kurven). Seien κ : I und v : I >0 glatte Funktionen. Dann gibt es eine reguläre ebene Kurve c : I 2 deren orientierte Krümmung κ ist und deren Geschwindigkeit ċ = v ist. Wenn c ebenfalls eine reguläre ebene Kurve mit orientierter Krümmung κ und Geschwindigkeit v ist, dann sind c und c orientiert kongruent, d.h. es gibt A SO(2) und b 2 mit c = Ac + b. 6 Tangentenumlaufzahl Eine Kurve c : [t 0, t 1 ] n heißt geschlossen, wenn sich c periodisch zu einer glatten (!) auf ganz definierten Kurve mit Periode t 1 t 0 fortsetzen lässt. Das ist genau dann der Fall, wenn für c und alle Ableitung c (k) gilt, dass die Werte in den Endpunkten t 0, t 1 übereinstimmen. Satz 6.1. Für jede nach der Bogenlänge parametrisierte geschlossene ebene Kurve c : [0, L] 2 gilt 1 2π L L 0 κ(s) ds 2π. Die ganze Zahl κ(s) ds heißt die Tangentenumlaufzahl von c. 0 Für geschlossene ebene Kurven c : [t 0, t 1 ] 2, die regulär aber nicht nach der Bogenlänge parametrisiert sind, muss man statt dem Integral L κ(s) ds das Integral 0 t1 t 0 κ(t) ċ(t) d t betrachten. Beispiele 6.2. (mehrfach durchlaufener) Kreis, Acht 5 Eine geschlossene Kurve c : [t 0, t 1 ] n heißt einfach geschlossen, wenn sie auf [t 0, t 1 ) injektiv ist. Satz 6.3 (Tangentenumlaufsatz von Hopf). Für jede nach der Bogenlänge parametrisierte einfach geschlossene ebene Kurve c : [0, L] 2 gilt L 0 κ(s) ds = ±2π. Lemma 6.4. Für jede stetig differenzierbare Kurve γ : [0, L] 2 mit γ = 1 gibt es eine stetig differenzierbare Funktion α : [0, L], so dass γ = cos α sin α. Jede stetige Funktion mit dieser Eigenschaft unterscheidet sich von α um ein konstantes Vielfaches von 2π. Bemerkung 6.5. Lemma 6.4 bleibt richtig, wenn man (beide Male) stetig differenzierbar durch stetig ersetzt. Dann kann man zum Beweis nicht mehr die Theorie von gewöhnlichen Differenzialgleichungen heranziehen, sondern braucht ein rein topologisches Argument. Das Stichwort ist Überlagerungsabbildungen. Definition 6.6 (reguläre Homotopie). Zwei reguläre geschlossene Kurven c, c : [t 0, t 1 ] n heißen regulär homotop, wenn es eine stetige Funktion 6 h : [t 0, t 1 ] [0, 1] n gibt, so dass gilt: (i) Für jedes τ [0, 1] ist die Kurve c τ := h(, τ) : [t 0, t 1 ] n eine reguläre geschlossene Kurve. (ii) c = c 0 und c = c 1 (iii) Die partielle Ableitung 1 h ist ebenfalls stetig auf [t 0, t 1 ] [0, 1]. 5

Reguläre Homotopie ist eine Äquivalenzrelation. Satz 6.7 (Whitney Graustein). Zwei ebene Kurven c, c : [t 0, t 1 ] 2 sind genau dann regulär homotop, wenn sie die gleiche Tangentenumlaufzahl haben. Beim Beweis kann man sich (u.a. wegen folgender Beobachtungen) auf den Fall zurückziehen, dass c, c : [0, 1] 2 nach der Bogenlänge parametrisierte Kurven der Länge 1 sind. 7 Reguläre Homotopie ist eine Äquivalenzrelation (reflexiv, symmetrisch und transitiv) Reguläre Homotopie und Umparametrisierung: (i) Sei c : [t 0, t 1 ] n eine geschlossene reguläre Kurve und sei φ eine glatte Funktion mit positiver Ableitung, die das Intervall [t 0, t 1 ] auf sich abbildet und φ (k) (t 0 ) = φ (k) (t 1 ) erfüllt für alle k >0. Dann sind c und c := c φ regulär homotop. (ii) Seien c, c : [t 0, t 1 ] n regulär homotop, und sei ψ eine glatte Funktion mit nirgends verschwindender Ableitung, die das Intervall [s 0, s 1 ] auf das Intervall [t 0, t 1 ] abbildet und ψ (k) (s 0 ) = ψ (k) (s 1 ) erfüllt für alle k >0. Dann sind auch c ψ und c ψ regulär homotop. Reguläre Homotopie und Bewegung: (i) Sei c : [t 0, t 1 ] n eine geschlossene reguläre Kurve, und seien A SO(n) und b n. Dann sind c und c := Ac + b regulär homotop. (Für den Beweis des Satzes von Whitney Graustein brauchen nur den Fall n = 2.) (ii) Seien c, c regulär homotop in n, seien A O(n), b n, und sei f : n n, f (x) = Ax + b. Dann sind auch f c und f c regulär homotop. (Gilt auch, wenn man nur A GL(n) voraussetzt. Oder noch allgemeiner, wenn f irgendeine glatte Abbildung des n in sich ist, deren Ableitung d f überall regulär ist.) 7 Raumkurven 8 Definition 7.1. Sei c : [a, b] 3 eine reguläre Raumkurve mit Einheitstangentialvektorfeld T. Ein angepasster Rahmen von c ist ein Tripel glatter Funktionen T, N, B : [a, b] 3, so dass (T(t), N(t), B(t)) für jedes t [a, b] eine positive orientierte Orthonormalbasis des 3 ist. Eine Kurve zusammen mit einem angepassten Rahmen heißt eine gerahmte Kurve. Die Vektorfelder N und B heißen das Normalen- und Binormalenvektorfeld der gerahmten Kurve. Man kann einen angepassten Rahmen auch als Funktion auffassen. Beispiel: Frenet-Rahmen F = (T N B) : [a, b] SO(3) (3) N = T, B = T N. (4) T Existiert wenn T nie verschwindet, also genau dann, wenn c (t) und c (t) für jedes t linear unabhängig sind. Warum gibt es stets einen angepassten Rahmen? Ableitungsgleichungen (für bogenlängenparametrisierte Kurven): T = κ 1 N + κ 2 B N = κ 1 T + τ B B = κ 2 T τn (5) oder 0 κ 1 κ 2 F = F κ 1 0 τ. κ 2 τ 0 Wie sehen die Ableitungsgleichungen für nicht nach der Bogenlänge parametrisierte Kurven aus? Die glatten Funktionen κ 1, κ 2, τ : [a, b] heißen die Normalenkrümmung, Binormalenkrümmung, und Torsion der gerahmten Kurve. Die Absolutkrümmung ist κ = κ 2 1 + κ2 2. 6

Für Frenet-Rahmen ist κ 2 = 0, κ 1 = κ, und τ heißt die Torsion der Kurve. Def.: normales Vektorfeld längs einer regulären Kurve im n Def.: paralleles normales Vektorfeld Wenn V und W parallele normale Vektorfelder sind, dann ist auch av + bw für a, b ein paralleles normales Vektorfeld. Parallele normale Vektorfelder haben konstante Länge, und der Winkel zwischen zweien ist konstant. Existenz- und Eindeutigkeit von parallelen normalen Vektorfeldern mit gegebenem Wert an einer Stelle Paralleler Rahmen: N (und damit auch B) ist eine paralleles normales Vektorfeld. τ = 0. Zu jeder regulären Kurve gibt es einen parallelen Rahmen. Satz 7.2 (Fundamentalsatz für gerahmte Raumkurven). (i) Seien κ 1, κ 2 und τ glatte Funktionen [a, b]. Dann gibt es eine nach der Bogenlänge parametrisierte gerahmte Kurve (c, F) mit κ 1, κ 2 und τ als Normalenkrümmung, Binormalenkrümmung und Torsion. (ii) Wenn ( c, F) eine andere gerahmte Kurve mit dieser Eigenschaft ist, dann gibt es A SO(3) und b 3, so dass c = Ac + b und F = AF. 9 8 Parametrisierte Flächenstücke im R 3 Eine Funktion f : U n, U m offen, heißt regulär oder eine Immersion, wenn für alle p U die Ableitung d f p eine reguläre lineare Abbildung m n ist, also wenn Ker d f p = {0} oder, äquivalent, rang d f p = m, was wiederum genau dann der Fall ist, wenn die partiellen Ableitungen 1 f (p), 2 f (p),..., m f (p) linear unabhängig sind. Ein parametrisiertes Flächenstück ist eine Immersion f : U 3, U 2. Zwei parametrisierte Flächenstücke f : U 3, f : Ũ 3 heißen äquivalent, wenn es einen orientierungserhaltenden Diffeomorphismus φ : U Ũ gibt, so dass f = f φ. Eine Abbildung φ : U m, U m offen, heißt ein Diffeomorphismus, wenn φ glatt und umkehrbar ist, und wenn die Umkehrfunktion φ 1 auch glatt ist. Ein Diffeomorphismus heißt orientierungserhaltend, wenn det dφ p > 0 für alle p U. (Wenn U zusammenhängend ist, gilt diese Ungleichung genau dann für alle p, wenn sie für ein p gilt.) Beispiele 8.1. (1) Rotationsflächen. Sei c : I 2, c(t) = (x(t), z(t)) eine reguläre ebene Kurve mit x > 0. Dann ist x(t) cos φ f : I 3, f (t, φ) = x(t) sin φ, z(t) ein parametrisiertes Flächenstück, die +Rotationsfläche, die aus der Profilkurve c durch Rotation um die z-achse entsteht. Die Kurven φ = const. heißen Meridiane, die Kurven t = const. heißen Breitenkreise. 10 (2) Schraubflächen. Sei c : I 2, c(t) = (x(t), y(t)) eine reguläre ebene Kurve, a 0. Dann ist x(t) cos φ y(t) sin φ f : I 3, f (t, φ) = x(t) sin φ + y(t) cos φ aφ ein parametrisiertes Flächenstück, eine von der Kurve c erzeugte Schraubfläche. Für c(t) = (t, 0) erhält man die Wendelfläche, auch das Helikoid genannt. (3) Regelflächen. Sei c : I 3 eine reguläre Raumkurve, und sei X : I 3 ein Vektorfeld längs c, so dass c (t) und X (t) für jedes t I linear unabhängig sind. Dann heißt f : I 3, f (s, t) = c(s) + tx (s), eine Regelfläche mit Leitkurve c. Die Geraden s = const. heißen Erzeugende der Regelfläche. Die Funktion f ist in einer offenen Umgebung von I {0} in I regulär. (4) Graphen. Sei U 2 offen, und sei h : U eine glatte Funktion. Dann ist f : U 3, f (u, v) = u v, h(u, v) ein parametrisiertes Flächenstück, der Graph von f. (5) Röhrenflächen als Hausaufgabe 7

9 Tangentialbündel des n Das Tangentialbündel einer offenen Teilmenge M n ist T M = M n. Ein Element (p, v) T M heißt Tangentialvektor, und p sein Fußpunkt. Die Menge T p M = {p} n der Tangentialvektoren mit Fußpunkt p heißt der Tangentialraum im Punkt p und ist mit einer -Vektorraumstruktur versehen: (p, v) + (p, w) = (p, v + w), a(p, v) = (p, av), v, w T p M, a Für Tangentialvektoren aus verschiedenen Tangentialräumen ist keine Addition definiert. Man kann die Ableitung einer Funktion f : M m als Abbildung der Tangentialbündel auffassen: d f : T M T m, d f (p, v) = (f (p), d f p (v)). Die Kettenregel lautet dann statt einfach d(f g) p (v) = d f g(p) (d g p (v)) d(f g) = d f d g. Im Gegensatz zu differenzierbaren Mannigfaltigkeiten (siehe Differentialgeometrie II) liefert das Konzept des Tangentialbündels für offene Teilemengen M R n nichts wesentlich Neues, weil für jedes p M die Abbildung T p M n, (p, v) v ein kanonischer Vektorraumisomorphismus ist. Man kann also jeden Tangentialraum auf kanonische Weise mit n identifizieren. 10 Kurven auf Flächen und erste Fundamentalform Eine Kurve c : I 3 heißt Kurve auf dem Flächenstück f : M 3, wenn es eine Kurve ĉ : I M gibt mit c = f ĉ. c regulär ĉ regulär (weil f regulär) Wenn c eine Kurve auf einem Flächenstück f ist, und wenn f ein äquivalentes Flächenstück ist, dann ist c auch Kurve auf f. Sei c : [a, b] 3 eine Kurve auf dem Flächenstück f : M 3 und c = f ĉ. Dann sind Länge und Energie von c gleich L(c) = E(c) = b a b a c (t), c (t) d t = d f (ĉ ), d f (ĉ ) d t b a b d f (ĉ ), d f (ĉ ) d t = d f (ĉ ) d t Sei f : M n ein parametrisiertes Flächenstück. Für p M heißt die durch g p (v, w) = d f p (v), d f p (w) definierte symmetrische Bilinearform auf T p M die erste Fundamentalform oder induzierte [Riemannsche] Metrik von f im Punkt p. Wir können g p als symmetrische Bilinearform auf T p M auffassen. Die symmetrische Bilinearform g p ist positiv definit (weil f regulär), also ist g p ein euklidisches Skalarprodukt. Die Abbildung p g p heißt die die erste Fundamentalform oder induzierte [Riemannsche] Metrik von f im Punkt p. Mit der ersten Fundamentalform kann man die Formeln für Länge und Energie auch so schreiben: L(c) = E(c) = b a b a g(ĉ, ĉ ) d t g(ĉ, ĉ ) d t a 8

Alle Eigenschaften des Flächenstücks, die schon durch die Riemannsche Metrik bestimmt sind, gehören per Definition zur inneren Geometrie des Flächenstücks. Beispiel: Erste Fundamentalform für den Zylinder f (u, v) = (cos u, sin u, v). 11 Isometrische Parametrisierung eines Flächenstücks Koeffizienten der ersten Fundamentalform: E F g(v, w) = v T w F G E(p) = g p (e 1, e 1 ) = 1 f (p), 1 f (p) F(p) = g p (e 1, e 2 ) = 1 f (p), 2 f (p) G(p) = g p (e 2, e 2 ) = 2 f (p), 2 f (p) 11 Äußere Geometrie einer Fläche: zweite Fundamentalform, Weingarten Abbildung Sei f : M 3 ein parametrisiertes Flächenstück und p M. Der Tangentialraum von f in p ist der zweidimensionale Unterraum d f (T p M) T f (p) 3 d f p ( 2 ) 3. Der Normalraum von f in p ist das eindimensionale orthogonale Komplement des Tangentialraums von f in p, d f (T p M) T f (p) 3 d f p ( 2 ) 3. Der Normalenvektor N(p) von f in p ist der eindeutig bestimmte Einheitsvektor im Normalraum, für den ( 1 f, 2 f, N) eine positive orientierte Basis ist, also N(p) = 1 f 2 f 1 f 2 f. Die Abbildung N : M 3 heißt Gauß Abbildung. Sei c = f ĉ eine Kurve auf dem Flächenstück f mit Gauß Abbildung N. Der Angepasste Rahmen (T, N ĉ, B) mit B = T N heißt der Darboux Rahmen der Kurve. Für Darboux Rahmen schreibt man in den Ableitungsgleichungen (5) statt κ 1, κ 2 und τ oft κ n, κ g und τ g : T = N = κ n T B = κ g T τ g N κ n N + κ g B + τ g B Die Koeffizienten κ n, κ g und τ g heißen Normalkrümmung, geodätische Krümmung und geodätische Torsion. Eine Kurve auf einer Fläche heißt Asymptotenlinie, wenn κ n = 0, also T = κ g B und N = τ g B. Geodätische [Kurve], wenn κ g = 0, also T = κ n N und B = τ g N. Krümmungslinie, wenn τ g = 0, also N = κ n T und B = κ g T Aus N, N = 1 folgt dn(v) N, also dn(v) = d f (w) für ein w. Die Weingarten-Abbildung von f im Punkt p ist die durch A p : 2 2 d f p (A p v) = dn p (v) definierte lineare Abbildung (die man auch als Abbildung T p M T p M auffassen kann). Die zweite Fundamentalform h p von f in p ist die durch h p (v, w) = d f p (v), dn p (w) = D 2 f p (v, w), N(p) 9

definierte symmetrische Bilinearform auf T p M. Koeffizienten der zweiten Fundamentalform: dn(v) = d f (Av) h(v, w) = D 2 f (v, w), N l h(v, w) = v T m m w n l(p) = h(e 1, e 1 ) = 2 1 f, N m(p) = h(e 1, e 2 ) = 1 2 f, N n(p) = h(e 2, e 2 = 2 2 f, N Die Matrix der Weingarten Abbildung bezüglich der Standardbasis erhält man so: Aus l m v T w = h(v, w) m n = d f (v), dn(w) = d f (v), d f (Aw) = g(v, Aw) E F = v T Aw F G folgt durch Koeffizientenvergleich E A = F 1 F l G m m 1 Gl F m = n EG F 2 F l + Em Gm F n F m + En Behauptung 11.1. Die Normalkrümmung von f im Punkt p in Richtung v mit g p (v, v) = 1 ist h p (v, v). 12 Wiederholung: Euklidische Skalarprodukte, Bilinearformen und selbstadjungierte Abbildungen. Satz und Definition 11.2. Die Weingartenabbildung A p : T p M T p M eines parametrisierten Flächenstücks f : M 2 ist selbstadjungiert bezüglich der ersten Fundamentalform g p. Es gibt deshalb eine Orthonormalbasis (bzgl. g p ) von T p M aus Eigenvektoren von A p. Die reellen Eigenwerte heißen die Hauptkrümmungen von f im Punkt p und werden für gewöhnlich mit κ 1 (p), κ 2 (p) bezeichnet. Die normierten Eigenvektoren heißen Hauptkrümmungsrichtungen. Wenn κ 1 (p) = κ 2 (p), dann ist A p ein Vielfaches der Identität. Andernfalls gibt es zwei orthogonale Hauptkrümmungsrichtungen, die bis auf das Vorzeichen eindeutig bestimmt sind. Behauptung 11.3. Wenn v 1, v 2 eine Orthonormalbasis (bzgl. g p ) aus Eigenvektoren von A p zu den Eigenwerten κ 1, κ 2 ist, dann ist die Normalkrümmung von f in Richtung von cos αv 1 + sin αv 2 gleich κ 1 cos 2 α + κ 2 sin 2 α. Insbesondere nimmt die Normalkrümmung in p genau die Werte zwischen κ 1 und κ 2 (einschließlich) an. Definition 11.4. Mittlere Krümmung H = 1 2 (κ 1 + κ 2 ) Gauß Krümmung K = κ 1 κ 2 Ein Punkt p M heißt Nabelpunkt, wenn κ 1 (p) = κ 2 (p), Flachpunkt, wenn K(p) = 0, elliptisch, wenn K(p) > 0, also wenn die Hauptkrümmungen gleiches Vorzeichen haben, hyperbolisch, wenn K(p) < 0, also wenn die Hauptkrümmungen verschiedenes Vorzeichen haben. Satz 11.5 (Nabelpunktsflächen). Wenn jeder Punkt p M eines parametrisierten Flächenstücks f : M 3 mit zusammenhängendem Definitionsbereich M ein Nabelpunkt ist, dann ist das Bild f (M) in einer Ebene oder in einer Sphäre enthalten. 10

12 Flächeninhalt und Krümmung 13 Definition 12.1. Sei f : M 2 ein parametrisiertes Flächenstück, M 2 offen, und sei B M eine Teilmenge. Der Flächeninhalt von f B ist area(f B ) = EG F 2 du dv = = B B B det(n, 1 f, 2 f ) du dv sofern diese Integrale existieren. Die Flächen-2-Form σ von f ist definiert durch σ, σ(v, w) = det(n, d f (v), d f (w)) Zur Motivation der Flächenformel die Herleitung mittels Volumen (Anstreicher-Formel: Benötigte Menge Farbe = Flächeninhalt Anstrichdicke) Definition 12.2. Der orientierte Flächeninhalt der Gauß-Abbildung N : M 2 ist area(n B ) = = B B det(n, 1 N, 2 N) du dv σ N, sofern diese Integrale existieren. Die 2-Form σ N ist definiert durch σ N (v, w) = det(n, dn(v), dn(w)) Satz 12.3 (Gauß-Krümmung K als Flächenverzerrung der Normalenabbildung). Es gilt oder, was äquivalent ist, σ N = Kσ, det(n, 1 N, 2 N) = K det(n, 1 f, 2 f ). Bemerkung 12.4. Wir werden sehen, dass die Gauß-Krümmung zur inneren Geometrie einer Fläche gehört. Insbesondere können zwei Flächen mit unterschiedlicher konstanter Gauß-Krümmung nicht isometrisch aufeinander abgebildet werden. Umgekehrt kann man zeigen: Zwei Flächen mit gleicher konstanter Gauß- Krümmung sind lokal isometrisch. Definition 12.5. Eine Variation des Flächenstücks f : M 3 ist eine glatte Abbildung F : M ( ε, ε) 3 (u, v, t) F(u, v, t) =: f t (u, v) mit f (u, v) = f 0 (u, v) für alle (u, v) M. Das Vektorfeld V : M 3, V (u, v) = F(u, v, t) t t=0 heißt das Variationsvektorfeld der Variation F. Die erste Variation des Flächeninhalts area(f B ) bei der Variation F der Fläche ist die erste Ableitung d area(f t B ). d t t=0 Satz 12.6 (Erste Variation des Flächeninhalts und mittlere Krümmung H). Sei f : M 3 ein parametrisiertes Flächenstück und B M eine glatt berandete kompakte Teilmenge des Definitionsbereichs M 2. Die erste Variation des Flächeninhalts area(f B ) bei einer Variation von f mit Variationsvektorfeld V : M 3, V = hn + d f (ˆV ) }{{}}{{} normale tangentiale Komponente 11

Π 4 Π 2 B. Springborn Differentialgeometrie I Inhaltsübersicht (Stand 19.7.2017) Sommer 2017 ist 14 d d t area(f t B ) = 2 h H σ + µ, t=0 wobei σ die Flächen-2-Form von f ist, und die 1-Form µ auf M wie folgt definiert ist: µ(v) = det(n, d f (V ), d f (v)) Die 1-Form µ im Randintegral lässt sich auch so schreiben: B B µ = N d f (V ), = σ(v, ) = g(jv, ), wobei J die 90 Drehung bezüglich des Skalarprodukts g ist. Definition 12.7. Flächen mit konstanter mittlerer Krümmung H = 0 heißen Minimalflächen. Flächen mit konstanter mittlerer Krümmung H 0 heißen Flächen mit konstanter mittlerer Krümmung oder cmc-flächen (für constant mean curvature). Bemerkungen 12.8. Die Theorie der Minimalflächen ist sehr verschieden von der Theorie der cmc-flächen (und viel einfacher). Deshalb ist es gebräuchlich, die Minimalflächen nicht zu den Flächen mit konstanter mittlerer Krümmung zu zählen, obwohl ihre mittlere Krümmung natürlich konstant ist, und man eigentlich Flächen mit nicht verschwindender konstanter mittlerer Krümmung sagen müsste. Eine Fläche mit kleinstem Flächeninhalt bei vorgegebenem Rand ist eine Minimalfläche. (Seifenhäute) Glatte Flächen mit kleinstem Flächeninhalt bei festem umschlossenen Volumen (oder größtem Volumen bei festem Flächeninhalt, isoperimetrisches Problem) sind cmc-flächen. Flächen mit konstanter mittlerer Krümmung beschreiben Seifenhäute, falls der Druck auf beiden Seiten nicht gleich ist. 13 Rotationsflächen mit konstanter Gaußscher Krümmung 15 Für Rotationsflächen mit nach der Bogenlänge parametrisierter Leitkurve t (r(t), h(t)), r(t) cos φ f (t, φ) = r(t) sin φ, ṙ 2 + ḣ2 = 1, r > 0, h(t) erhält man und, mit K = κ 1 κ 2, κ 1 = ṙḧ ḣ r, r + K r = 0, ḣ(t) = κ 2 = ḣ r, t 1 ṙ 2 (s)ds. Sei nun K konstant. Drei Fälle sind zu unterscheiden. K > 0: Nach Skalierung der Fläche, wenn nötig, ist K = 1 und man erhält r(t) = a cos(t), h(t) = t 0 1 a 2 sin 2 s ds = E(t, a) für a > 0, t < π 2, sin t < 1 a. Π 2 Die Funktion E(t, a) heißt elliptisches Integral 2. Art. Nach dem Wert der Konstanten a sind drei Unterfälle zu unterscheiden: 0 < a < 1: Spindel a = 1: h(t) = sin t. Sphäre Π 4 a > 1: Tonne 0 0.25 0.5 0.75 1. 1.25 1.5 1.75 2. 12

K = 0: r(t) = at + b a = 0: r = b, h(t) = t. Zylinder 0 < a < 1: r(t) = at, h(t) = 1 a 2 t. Kegel a = 1: r(t) = t, h(t) = 0. Ebene K < 0: Nach Skalierung der Fläche, wenn nötig, ist K = 1 und man erhält r(t) = Ae t + Be t. Wieder sind je nach dem Wert der Konstanten drei Fälle zu unterscheiden: AB = 0. Nach Parameterverschiebung und -spiegelung, wenn nötig, erhält man r(t) = e t, h(t) = = t 0 1 e 2s ds 1 e 2t 1 2 log 1 + 1 e 2t 1 1 e 2t. Die Leitkurve ist die Traktrix. Ihre Rotationsfläche (um die h-achse) heißt Pseudosphäre. AB > 0. Nach Verschiebung im Parameterbereich, wenn nötig, erhält man h h r(t) = a cosh t, t h(t) = 1 a 2 sinh 2 s ds ( t < arsinh 1 a ) 0 = ie(it, ia) 0.25 0.5 0.75 1. 1.25 1.5 1.75 2. Fläche mit zwei Kreisrändern. AB < 0. Auf ähnliche Weise erhält man h r(t) = a sinh t t h(t) = 1 a 2 cosh 2 s ds ( t < arcosh 1 a ) 0 Flächen mit einem Kreisrand und einer Spitze. 14 Rotationsflächen mit konstanter mittlerer Krümmung Aus 2H = ṙḧ ḣ r + ḣ r erhält man durch Multiplikation mit r ṙ bzw. rḣ und Ausnützen der Bogenlängenparametrisierung: 2H r ṙ = rḧ + ṙḣ = (rḣ) 2H rḣ = r r ṙ2 + 1 = (r ṙ) + 1 13

Die Substitution u = rḣ, v = r ṙ ergibt: u Aus u und v erhält man die erzeugende Kurve: = 2H v v = 2Hu + 1 r = u 2 + v 2, h(t) = u r. H = 0: Minimalflächen. Man erhält u = a, v = t und daraus zwei Unterfälle: a = 0: r(t) = t, h(t) = 0. Ebene a 0: t r(t) = a 2 + t 2, h(t) = 0 a a2 + s 2 ds = a arsinh t a = r = a cosh h a. Die erzeugende Kurve heißt Kettenlinie, und der Rotationsfläche heißt Katenoid. H 0: Nach Skalierung und Umorientierung, wenn nötig, ist H = 1 2. Man erhält dann u(t) = a cos(t) + 1, v(t) = a sin t. a = 0: r = 1, h(t) = t. Zylinder 0 < a 2 < 1: Unduloid a 2 = 1: Sphäre a 2 > 1: Nodoid Rotationsflächen mit konstanter Krümmung H 0 heißen Delaunay Flächen nach Charles-Eugène Delaunay, der folgenden Satz gefunden hat: Die erzeugenden Kurven dieser Flächen entstehen als Bahnen eines Brennpunktes, wenn ein Kegelschnitt auf einer Geraden abrollt. 15 Krümmungs- und Asymptotenlinienparametrisierungen 16 Sei f : U 3 ein parametrisiertes Flächenstück mit Normalenvektorfeld N, erster Fundamentalform g, zweiter Fundamentalform h und Weingarten-Abbildung A. Sei γ = f ˆγ : I 3 eine reguläre Kurve auf f. Dann gilt: γ ist Krümmungslinie (N ˆγ) γ ˆγ ist Eigenvektor von Aˆγ. γ ist Asymptotenlinie. (N ˆγ) γ h(ˆγ, ˆγ ) = 0 γ ist tangential an f. Die Schmiegebene von γ (sofern definiert) ist in jedem Punkt die Tangentialebene von f. Krümmungs Definition 15.1. Die Abbildung f : U 3 heißt linienparametrisierung, wenn die Parameterlinien u f (u, v) und v f (u, v) linien sind. Asymptoten Krümmungs Asymptoten Satz 15.2 (Existenz von Krümmungslinienparametrisierungen). Sei f : U 3 ein parametrisiertes Flächenstück und sei p 0 U kein Nabelpunkt. Dann gibt es eine offene Umgebung U 0 von p 0, eine offene Menge V 2 und einen Diffeomorphismus Φ : V U 0, so dass f Φ eine Krümmungslinienparametrisierung ist. Satz 15.3 (Existenz von Asymptotenlinienparametrisierungen). Sei f : U 3 ein parametrisiertes Flächenstück, und für p 0 U sei die Gauß-Krümmung K(p 0 ) < 0. Dann gibt es eine offene Umgebung U 0 von p 0, eine offene Menge V 2 und einen Diffeomorphismus Φ : V U 0, so dass f Φ eine Asymptotenlinienparametrisierung ist. Bemerkung 15.4. Diese Parametrisierungen sind nicht eindeutig. Wenn f : (a, b) (c, d) 3 eine Krümmungsoder Asymptotenlinienparametrisierung ist, und wenn ϕ : (ã, b) (a, b) und ψ : ( c, d) (c, d) Diffeomorphismen sind, dann ist auch die Abbildung f : (ã, b) ( c, d) 3, f (u, v) = f (ϕ(u), ψ(v)) eine Krümmungsbzw. Asymptotenlinienparametrisierung. 14

Die Sätze 15.2 und 15.3 folgen aus den folgenden Lemmas 15.5 15.7. Wie üblich verlangen wir von allen Abbildungen, dass sie C sind. Lemma 15.5. Unter der Voraussetzung von Satz 15.2 gibt es eine offene Umgebung U 0 von p 0 und zwei Vektorfelder X 1, X 2 : U 0 2, so dass für alle p U 0 gilt: X 1 (p) und X 2 (p) sind linear unabhängige Eigenvektoren der Weingartenabbildung A p. Lemma 15.6. Unter der Voraussetzung von Satz 15.3 gibt es eine offene Umgebung U 0 von p 0 und zwei Vektorfelder Y 1, Y 2 : U 0 2, so dass für alle p U 0 gilt: Y 1 (p) und Y 2 (p) sind linear unabhängig und h(y 1 (p), Y 1 (p)) = 0 = h(y 2 (p), Y 2 (p)). Lemma 15.7. Sei U 2 offen, und seien X 1, X 2 : U 2 zwei Vektorfelder, so dass für alle p U die Vektoren X 1 (p) und X 2 (p) linear unabhängig sind. Dann gibt es für jeden Punkt p 0 U eine offene Umgebung U 0 von p 0, eine offene Menge V 2 und einen Diffeomorphismus Φ : 2 V U 0, so dass für alle q V gilt: 1 Φ(q) X 1 (Φ(q)), 2 Φ(q) X 2 (Φ(q)). Bemerkung 15.8. Lemma 15.7 gilt nur im Zweidimensionalen. Würde man 2 durch n, n > 2, ersetzen, 17 wäre die Aussage im Allgemeinen falsch. Lemma 15.7 beweisen wir mit Hilfe des folgenden Satzes. Satz 15.9 (Lokale Existenz einer Erhaltungsgröße). Sei U 2 offen, und sei X : U 2 ein Vektorfeld, das keine Nullstellen hat. Für alle p 0 U gibt es eine offene Umgebung U 0 von p 0 und eine Abbildung g : U 0, so dass für alle p U 0 gilt: d g(x (p)) = 0, aber d g p 0. Bemerkung 15.10. Satz 15.9 gilt auch im Mehrdimensionalen: Die Aussage bleibt wahr, wenn man 2 durch n ersetzt. Für ein Vektorfeld im n gibt es lokal sogar n 1 Erhaltungsgrößen, von denen keine eine Funktion der anderen ist. Zum Beweis von Satz 15.9 verwendenden wir folgenden Satz über gewöhnliche Differentialgleichungen. Satz 15.11 (Existenz von Integralkurven und lokalem Fluss). Sei U n offen, und sei X ein C -Vektorfeld auf U. (i) Für jeden Punkt p U gibt es ein ɛ > 0 und eine C -Kurve γ : ( ɛ, ɛ) U, so dass γ(0) = p und γ = X (γ). Eine solche Kurve, deren Geschwindigkeit stets gleich dem Wert des Vektorfeldes X an der momentanen Position ist, heißt Integralkurve von X. (ii) Für jeden Punkt p 0 gibt es eine offene Umgebung U 0 von p 0, ein ɛ > 0 und eine C -Abbildung so dass und Φ : U 0 U ( ɛ, ɛ), Φ(p, 0) = p für alle p U 0 2 Φ(p, t) = X (Φ(t, p)) für alle (p, t) U 0 ( ɛ, ɛ), d.h. für jedes p U 0 ist die Kurve t Φ(t, p) Integralkurve von X. Die Abbildung Φ heißt der lokale Fluss von X. Einen Beweis dieses wichtigen Satzes findet man z.b. in V. I. Arnold, Gewöhnliche Differentialgleichungen, Kapitel 4. In Kapitel 2 findet man einen Beweis von Satz 15.9 im Mehrdimensionalen. (Und Kapitel 1 behandelt Tangentialräume an Vektorräume.) 15

16 Abwickelbare Flächen Definition 16.1. Ein parametrisiertes Flächenstück f : U 3 heißt abwickelbar, wenn es lokal isometrisch parametrisiert werden kann. Das heißt, wenn es zu jedem p 0 U eine offene Umgebung U 0, eine offene Menge V 2 und einen Diffeomorphismus Φ : V U 0 gibt, so dass f Φ isometrisch ist. Satz 16.2. Ein Flächenstück ist genau dann abwickelbar, wenn es konstante Gauß-Krümmung 0 hat. Wir werden diesen Satz in dieser Vorlesung nicht vollständig beweisen. Die Implikation 18 abwickelbar = K = 0 folgt aus Gauß Theorema Egregium, das wir später noch beweisen wollen, und mit Satz 16.3 folgt immerhin K = 0 und ohne Nabelpunkte = abwickelbar. Abwickelbare Flächen werden in fast jedem Differenzialgeometrie-Buch über Kurven und Flächen behandelt, aber traditionell auf etwas andere Art. Die folgende Darstellung folgt handschriftlichen Notizen von Ulrich Pinkall zu seiner Differenzialgeometrie-Vorlesung vom Wintersemester 1996. Satz 16.3. (i) Sei γ : ( a, a) 3 eine nach der Bogenlänge parametrisierte Kurve und (T, N, B) ein paralleler Rahmen. Sei ferner f : ( a, a) ( b, b) 3, f (u, v) = γ(u) + v B(u), und b > 0 klein genug, dass f regulär ist. Dann ist f abwickelbar. (ii) Sei f : ( a, a) ( b, b) 3 Krümmungslinienparametrisierung einer Fläche ohne Nabelpunkte mit konstanter Gauß-Krümmung κ 1 κ 2 = 0. Ferner sei f so parametrisiert, dass κ 2 = 0 ist, und außerdem für alle u ( a, a), v ( b, b) gilt f u (u, 0) = 1 = f v (0, v). Dann ist f (u, v) = γ(u) + v B(u), wobei γ(u) = f (u, 0), und B(u) := f v (u, 0) ein paralleles Einheitsnormalenvektorfeld längs γ ist. Beweis. (i) Wir werden eine reguläre Abbildung f : ( a, a) ( b, b) }{{} p M und alle X, Y T p M gilt: =:M d f (X ), d f (Y ) = d f (X ), d f (Y ). 2 konstruieren, so dass für alle Mit anderen Worten, f und f haben die gleiche erste Fundamentalform, g = g. Weil die Abbildung f regulär ist, ist sie lokal invertierbar: Zu jedem Punkt p 0 M gibt es eine offene Umgebung U 0, so das die Inverse Φ = ( f U0 ) 1 existiert. Dann ist f Φ ist isometrisch. Nun zur Konstruktion von f. Die Ableitungsgleichungen des parallelen Rahmens sind T = κ 1 N + κ 2 B, N = κ 1 T, B = κ 2 T. Sei γ : ( a, a) 2 eine nach der Bogenlänge parametrisierte ebene Kurve mit Krümmungsfunktion κ 2. (So eine Kurve existiert und ist bis auf eine starre Bewegung eindeutig bestimmt.) Sei T = γ, B = J T. Dann gelten die Ableitungsgleichungen T = κ 2 B, B = κ 2 T. Definiere f durch f (u, v) = γ(u) + v B(u). Man erhält f u = T + v B = (1 vκ 2 ) T, fv = B, f u = T + vb = (1 vκ 2 )T, f v = B, 16

und somit f u = 1 vκ 2 = f u, f v = 1 = f v, f u, f v = 0 = f u, f v. Also haben f und f die gleiche erste Fundamentalform. (ii) Weil f eine Krümmungslinienparametrisierung ist, gilt Insbesondere hängt N(u, v) nicht von v ab. N u = κ 1 f u, N v = κ 2 f v = 0. (6) Behauptung A. Es gilt sogar f v (u, v) = 1 für alle (u, v) M, und nicht nur für u = 0 wie vorausgesetzt. Beweis A. Nach Voraussetzung gilt f v (0, v) = 1. Deshalb reicht es zu zeigen, dass f v, f v u = 0. Das sieht man so: 1 2 f v, f v u = f v, f vu = f v, f uv = f v, f u v f }{{} vv, f u =0 Also folge Behauptung A aus der folgenden Behauptung B. Behauptung B. f vv, f u = 0 Beweis B. Mit (6) erhält man A f vv, f u = 1 κ 1 f vv, N u = 1 κ 1 ( f v, N }{{} u v f v, N uv ) = f v, f u + 1 }{{} κ 1 f v, N vu = 0 }{{} κ 1 f u =0 =0 weil N v = 0 B Behauptung C. f vv = 0 Beweis C. Es gilt f vv, f u B = 0, f vv, f v = 1 2 f v, f v v A = 0, fvv, N = f v, N v (6) = 0, und weil f u, f v, N stets eine Basis von 3 ist, folgt die Behauptung. C Aus Behauptung C folgt f (u, v) = f (u, 0) +v f }{{} v (u, 0). }{{} =γ(u) =B(u) Es bleibt zu zeigen, dass B eine paralleles Einheitsnormalenvektorfeld von γ ist. (Selber machen.) 17 Variation der Bogenlänge auf einer Fläche 19 Definition 17.1 (Variation einer Kurve im n ). Eine Variation einer Kurve c : [a, b] n ist eine glatte Abbildung H : [a, b] ( ε, ε) n, (t, τ) H(t, τ) =: c τ (t), so dass H(., 0) = c. Eine Variation H heißt Variation mit festen Endpunkten, wenn H(a, τ) = c(a), H(b, τ) = c(b) für alle τ ( ε, ε). Das Variationsvektorfeld einer Variation H ist das durch definierte Vektorfeld längs c. V : (a, b) n, V (t) = 2 V (t, 0). Zu jedem Vektorfeld V : [a, b] 2 ist H(t, τ) = c(t)+τv (t) eine Variation mit V als Variationsvektorfeld. Diese Variation hat genau dann feste Endpunkte, wenn V (a) = V (b) = 0. 17

Satz 17.2 (Erste Variation der Bogenlänge für Variation in n ). Sei c : [a, b] n eine reguläre Kurve, und sei (t, τ) c τ (t) eine Variation von c mit Variationsvektorfeld V. Dann gilt d L(c τ ) = V (b), T(b) V (a), T(a) dτ τ=0 wobei T = 1 ċ ċ das Einheitstangentialvektorfeld längs c ist. Für Kurven mit konstanter Geschwindigkeit ċ ist (Benutze z.b. Formel (1) für Ṫ aus der 2. Vorlesung.) Ṫ = 1 ċ c. b a V (t), Ṫ(t) d t, Satz 17.3. Sei c : [a, b] n eine reguläre Kurve mit konstanter Geschwindigkeit ċ. Dann sind folgende Aussagen äquivalent: (i) Für jede Variation c τ von c mit festen Endpunkten ist d L(c τ ) = 0. dτ τ=0 (ii) c = 0, also c(t) = c(a) + (t a)ċ(a). Korollar 17.4. Wenn c : [a, b] n eine reguläre Kurve mit konstanter Geschwindigkeit ċ ist und außerdem eine kürzeste Kurve von c(a) nach c(b), dann ist c = 0. Definition 17.5 (Variation einer Kurve auf einer Fläche). Sei f : M 3 ein parametrisiertes Flächenstück und γ = f c : [a, b] 3 eine Kurve auf f. Eine Variation der Kurve γ auf der Fläche f ist eine Variation von γ der Form γ τ (t) = f H(t, τ) wobei eine Variation von c ist. H : [a, b] ( ε, ε) M, (t, τ) H(t, τ) =: c τ (t) Das Variationsvektorfeld der Variation f H ist das Vektorfeld t f (H(t, τ) = d f c(t) (V (t)), τ τ=0 wobei V das Variationsvektorfeld der Variation H von c ist. Satz 17.6 (Erste Variation der Bogenlänge für Variation auf einer Fläche). Sei f : M 3 ein parametrisiertes Flächenstück, sei γ = f c : [a, b] 3 eine Kurve auf f und sei (t, τ) γ τ (t) = f (c τ (t)) eine Variation von γ mit festen Endpunkten, wobei (t, τ) c τ (t) eine Variation von c mit Variationsvektorfeld V : [a, b] 2 ist. Dann gilt d L(γ τ ) = d f c(t) (V (t)), T(t) b b d fc(t) (V (t)), Ṫ(t) d t. dτ τ=0 a Satz 17.7. Sei f : M 3 ein parametrisiertes Flächenstück, und sei γ = f c : [a, b] 3 eine reguläre Kurve auf f mit konstanter Geschwindigkeit γ. Dann sind folgende Aussagen äquivalent: (i) Für jede Variation γ τ von γ auf der Fläche f mit festen Endpunkten ist d L(γ τ ) = 0. dτ τ=0 (ii) Für alle t [a, b] ist γ(t) orthogonal zum Tangentialraum d f c(t) ( 2 ). (iii) γ = λ(n c), wobei N : M 3 das Einheitsnormalenvektorfeld von f ist, und λ : [a, b] die Funktion λ = γ, N c. Definition 17.8 (Geodätische). Eine Kurve γ = f c auf einem parametrisierten Flächenstück f heißt Geodätische [Kurve] auf f, wenn die Geschwindigkeit γ konstant ist und γ(t) für alle t [a, b] orthogonal zum Tangentialraum d f c(t) ( 2 ) ist. Anders gesagt: Eine Geodätische auf f ist eine Kurve γ auf f mit konstanter Geschwindigkeit γ und geodätischer Krümmung κ g = 0. a 18

18 Die kovariante Ableitung 20 Sei M 2 offen und f : M 3 ein parametrisiertes Flächenstück. Für jeden Punkt p M ist 3 die orthogonale direkte Summe aus Tangential- und Normalraum von f in p: Seien die dazugehörigen orthogonalen Projektionen, also 3 = d f p ( 2 ) N(p). [ ] T : 3 d f p ( 2 ), [ ] N : 3 N(p) [X ] T = X X, N N, [X ] N = X, N N. Definition 18.1 (tangentiales Vektorfeld längs f ). Ein tangentiales Vektorfeld längs f ist eine glatte Abbildung Ỹ : M 3, mit der Eigenschaft, dass für alle p M der Vektor Ỹ (p) 3 im Tangentialraum von f in p liegt: Ỹ (p) d f p ( 2 ). Lemma 18.2. Für jedes tangentiale Vektorfeld Ỹ : M 3 längs f gibt es ein eindeutig bestimmtes und glattes(!) Vektorfeld Y : M 2, so dass für alle p M Ỹ (p) = d f p (Y (p)). (7) [ohne Beweis, um Zeit zu sparen] Definition 18.3 (Pushforward f Y ). Für ein Vektorfeld Y : M 2 ist der Pushforward f Y das durch f Y : M 3, f Y (p) = d f p (Y (p)) definierte tangentiale Vektorfeld längs f. Man kann Gleichung (7) also auch so schreiben: Ỹ = d f Y. Für Y1 Y = Y 2 ist f Y = Y 1 1 f + Y 2 2 f. (8) Definition 18.4 (kovariante Ableitung). Für zwei Vektorfelder X, Y : M 2 ist die kovariante Ableitung von Y in Richtung X das Vektorfeld X Y : M 2 mit d f p ( X Y (p)) = [d(f Y ) p (X (p))] T. Satz und Definition 18.5 (Christoffel-Symbole). Für zwei Vektorfelder X = X 1 X 2 und Y = Y1 Y 2 auf M gilt X Y = 2 dy k (X ) + k=1 2 i,j=1 Γ k i j X iy j e k, (9) wobei e 1, e 2 die Standardbasisvektoren von 2 sind, und die Christoffel-Symbole Γ k i j : M durch die Gleichung [ i j f ] T = Γ 1 i j 1 f + Γ 2 i j 2 f definiert sind. Die Christoffel-Symbole sind symmetrisch in den unteren Indizes: Γ k i j = Γ k ji. (10) 19

Beweis. Sei Dann gilt einerseits und andererseits Z1 X Y =: Z =. Z 2 d f ( X Y ) = d f (Z) = Z 1 1 f + Z 2 2 f d f ( X Y ) = d(f Y )(X ) T (8) = d(y 1 1 f + Y 2 2 f )(X ) T = dy 1 (X ) 1 f + dy 2 (X ) 2 f + X 1 Y 1 ( 1 1 f ) + X 2 Y 1 ( 2 1 f ) + X 1 Y 2 ( 1 2 f ) + X 2 Y 2 ( 2 2 f )] T 2 2 = dy 1 (X ) + Γ 1 i j X iy j 1 f + dy 2 (X ) + Γ 2 i j X iy j 2 f. i,j=1 Koeffizientenvergleich ergibt (9). Die Symmetrie (10) folgt aus i j f = j i f. Korollar 18.6. Es gilt wobei für p M die Abbildung durch die Gleichung i,j=1 X Y = dy (X ) + Γ (X, Y ), Γ p : 2 2 2 d f (Γ (X, Y )) = D 2 f (X, Y ) T. definiert ist. Für jedes p ist die Abbildung Γ p bilinear und symmetrisch. Definition 18.7. Ein tangentiales Vektorfeld längs einer Kurve γ = f c : I 3 auf f ist eine glatte Abbildung Ỹ : I 3 mit der Eigenschaft, dass Ỹ (t) stets im Tangentialraum von f in c(t) ist: Ỹ (t) d f c(t) ( 2 ) für alle t I. Lemma 18.8. Für jedes tangentiale Vektorfeld Ỹ längs γ = f c : I 3 gibt es eine eindeutig bestimmte und glatte(!) Abbildung Y : I 2, so dass für alle t I Ỹ (t) = d f c(t) (Y (t)). (11) [erst recht ohne Beweis] Definition und Satz 18.9 (kovariante Ableitung und parallele Vektorfelder längs einer Kurve auf einer Fläche). Die kovariante Ableitung eines Vektorfeldes Y : I 2 längs einer Kurve c : I M ist das Vektorfeld d Y : I 2 d t welches durch d f c(t) d d t Y (t) = Ỹ (t) T, eindeutig bestimmt ist, wobei Ỹ : I 3 das durch (11) definierte tangentiale Vektorfeld längs f c ist. Es gilt d Y = d t 2 Ẏk + k=1 2 i,j=1 = Ẏ + Γ (ċ, Y ). Γ k i jċiy j e k Das Vektorfeld Y heißt parallel längs c, wenn 21 d Y = 0. (12) d t 20

Gleichung (12) ist eine lineare Differentialgleichung erster Ordnung für Y. In Koordinaten lautet sie: Ẏ k = 2 i j=1 Γ k i j Y iċ j. (13) Korollar 18.10. Für t 0 I und Y 0 2 gibt es genau ein paralleles Vektorfeld Y : I 2 längs c mit Y (t 0 ) = Y 0. Wenn X und Y parallele Vektorfelder längs c sind, dann ist für a, b auch ax + by ein paralleles Vektorfeld längs c. Die parallelen Vektorfelder längs c bilden einen 2-dimensionalen reellen Vektorraum. Satz 18.11 (Geodätischengleichung). Eine Kurve γ f : I 3 auf f ist genau dann eine Geodätische, wenn ċ ein paralleles Vektorfeld längs c ist, also wenn c die Geodätischengleichung erfüllt: d ċ = 0. (14) d t Die Geodätischengleichung (14) ist eine lineare Differentialgleichung 2. Ordnung (mit variablen Koeffizienten). In Koordinaten lautet sie: 2 c k = Γ k i jċiċ j. (15) i j=1 Korollar 18.12. Für jeden Punkt p 0 M und jeden Vektor v 0 2 gibt es eine eindeutige maximale Geodätische f c : I 3 auf f mit 0 I, c(0) = p 0 und ċ(0) = v 0. Satz 18.13 (Eigenschaften der kovarianten Ableitung). (i) Für die Standardbasisvektorfelder E 1, E 2 : M 2 gilt E1 E 2 = E2 E 1. (16) (Die kovariante Ableitung ist symmetrisch.) (ii) Für drei Vektorfelder X, Y, Z : M 2 gilt d g(x, Y ) (Z) = g(dx (Z), Y ) + g(x, dy (Z)). (17) (Die kovariante Ableitung ist mit der ersten Fundamentalform verträglich.) Satz 18.14. Die kovariante Ableitung gehört zur inneren Geometrie einer Fläche. Das heißt, für ein parametrisiertes Flächenstück f : M 3 und zwei Vektorfelder X, Y : M 2 ist das Vektorfeld X Y schon durch X, Y und die erste Fundamentalform g von f eindeutig bestimmt. Beweisskizze. Für g i j = g(e i, E j ) betrachte i g jk, benutze (16), betrachte zwei weitere Gleichungen, die durch zyklische Vertauschung der Indizes entstehen, ziehe eine Gleichung von der Summe der beiden anderen ab und erhalte, unter Beachtung von (17), g k1 Γ 1 i j + g k2γ 2 i j = 1 2 ( i g jk + j g ki k g i j ) Das sind zwei eindeutig lösbare lineare Gleichungen für Γ 1 i j und Γ 2 i j. Beispiel 18.15. Parallele Vektorfelder längs Kreisen auf S 2 (oder längs Breitenkreisen einer Rotationsfläche). 19 Gauß Gleichung und Theorema Egregium 22 Die kovariante Ableitung gehört zur inneren Geometrie einer Fläche (Satz 18.14). Nun werden wir zeigen, dass auch die Gauß-Krümmung zur inneren Geometrie gehört. Sei f ein parametrisiertes Flächenstück mit erster Fundamentalform g, zweiter Fundamentalform h und kovarianter Ableitung. Die Koeffizienten der ersten und zweiten Fundamentalform bezeichnen wir mit g i j = g(e i, E j ), h i j = h(e i, E j ), wobei E 1 = 1 0, E1 = 0 1, die Standardbasisvektorfelder von 2 sind. Außerdem sei R i jkl = g Ei Ej E k Ej Ei E k, E l. Nach Satz 18.14 ist R i jkl durch die erste Fundamentalform eindeutig bestimmt: Es gibt eine (ziemlich komplizierte) Formel für R i jkl, in der nur die Koeffizienten g i j und ihre Ableitungen vorkommen. 21

Satz 19.1 (Gauß Gleichung). Die erste und zweite Fundamentalform erfüllen folgende Verträglichkeitsbedingung: R i jkl = h il h jk h ik h jl. (Gauß) Mit der Gleichung folgt daraus der herausragende Satz von Gauß: K = det(a) = h 11h 22 h 2 12 g 11 g 22 g 2 12 Satz 19.2 (Theorema Egregium). Die Gauß Krümmung K ist durch die erste Fundamentalform eindeutig bestimmt, und zwar gilt R 1221 K =. g 11 g 22 g 2 12 Korollar 19.3. Abwickelbare Flächen (d.h. Flächen, die lokal isometrisch parametrisiert werden können) haben konstante Gauß Krümmung 0. Exkurs über diskretes Theorema Egregium für konvexe Polyeder. 20 Wiederholung und Ausblick 23... 22