Der EU-Rechtsrahmen zur Gleichbehandlung Marjolein van den Brink SIM & UCERF Rechtswissenschaftliches Institut Utrecht Diese Ausbildungsmaßnahme wird im Rahmen des Programms Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft (2014-2020) der Europäischen Kommission gefördert. Überblick Der Gleichbehandlungsgrundsatz (ganz kurz) Internationale Rechtsakte Europäische Rechtsakte EMRK und ESC EU-Rechtsakte: Charta und Verträge Richtlinien EU und EGMR (kein) Beitritt 1
Gleichbehandlung Gleichbehandlung als Schutz vor Willkürlichkeit Gleichbehandlung von Menschen auf der Grundlage spezifischer Merkmale Schutzgründe AEMR (Art. 2) + IPBPR (Art. 2 Abs. 1 + Art. 2 Abs. 2 IPwskR): hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status EMRK (Art. 14): wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status EU-Charta (Art. 21 Abs. 1): wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung EU-Charta (Art. 21 Abs. 2):.. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten 2
Was macht einen Grund fragwürdig? - Unabänderliches Identitätsmerkmal? - Identitätsmerkmal? - (Geschichte der) Ausgrenzung? - Vorurteil, Stereotype, Stigmatisierung? Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) Gleichbehandlungsgrundsatz Art. 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen [sic]. 3
Allgemeine Erklärung Nichtdiskriminierung Art. 2: Jeder hat Anspruch auf alle [ ] Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. UN-Menschenrechtsverträge Allgemeine Anwendung: Bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) & wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) Spezifische Fragen: Rasse (CERD), Folter (CAT), erzwungenes Verschwinden (CED) Spezifische Gruppen: Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen, Migranten + Familie 4
Gleichbehandlungskonzepte UN-Menschenrechtsverträge Gleichbehandlungsbestimmung zur Gewährleistung des gleichen Schutzes für alle betr. Vertragsbestimmungen z. B. Art. 2 Abs. 1 IPBPR: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. Schutz der Gleichbehandlung per se: z. B. Art. 26 IPBPR: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In dieser Hinsicht hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung, wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewährleisten. Ähnliche Unterscheidung: Art. 14 EMRK und Protokoll Nr. 12 zur EMRK Gleichbehandlungskonzepte UN-Menschenrechtsverträge Verträge zur Nichtdiskriminierung: z. B. Übereinkommen CEDAW: Verleiht Frauen dieselben Rechte wie Männern (nicht mehr und nicht weniger) 5
EMRK und ESC EMRK: Art. 14 (Nebenrecht) + Protokoll Nr. 12 ESC: Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit der Staatsangehörigkeit der Vertragsstaaten (z. B. Teil I, Nr. 18, Teil II Art. 12, 13) Gleichstellung der Geschlechter (Teil I, Nr. 20, Teil II, Art. 4, Art. 20) Arbeitnehmer mit Familienpflichten (Teil II, Art. 27) Allgemeine Nichtdiskriminierungsbestimmung betreffend durch die ESC erfasste Bestimmungen (Teil V Art. E) Hauptunterschiede EMRK / ESC EGMR bindend, ECSR nicht (aber Entscheidungen beider Organe werden durch das Ministerkomitee überwacht) ESC: Supermarktvertrag : nach der Ratifizierung eine vorgegebene Mindestzahl von Bestimmungen anerkennen (Teil III, Art. A) ESC: nur Sammelbeschwerden ESC: Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtsmittel nicht erforderlich 6
Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung im Unionsrecht Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000 / 2009) Vertrag über die Europäische Union (EUV) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Gleichbehandlungsrichtlinien 1. Was hat die EU mit Gleichbehandlung zu tun? 7
EU-Charta: Gleichheit (Kapitel III) Art. 20: Gleichheit vor dem Gesetz Art. 21: Nichtdiskriminierung Art. 22: Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen Art. 23: Gleichheit von Männern und Frauen Art. 24: Rechte des Kindes Art. 25: Rechte älterer Menschen Art. 26: Integration von Menschen mit Behinderung EU-Charta: Anwendungsbereich Art. 51 Abs. 1. Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung gemäß ihren jeweiligen Zuständigkeiten. 8
Anwendungsbereich der Charta (Art. 52 Abs. 1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. EU-Charta: Art. 20 und 21 Art. 20: Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich. Art. 21: Nichtdiskriminierung 1. Diskriminierungen insbesondere wegen... der Rasse... sind verboten. 2. Im Anwendungsbereich des Vertrags... ist unbeschadet... jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. 9
Fokus von Art. 20 der Charta In der Gerichtspraxis: Art. 20 scheint als Schutz vor willkürlichen Unterscheidungen verwendet zu werden: Zwei Herangehensweisen: Gleichbehandlung als Rationalität: sehr marginale Prüfung der Rechtfertigung von Ungleichbehandlung: Objektive Gründe für den Unterschied? Wissenschaftliche Daten zur Unterstützung der gewählten Handlungsweise? Beispiel: Rechtssache C-127/07 betreffend das EU-System für den Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase (2008): Anwendung des Systems auf den Stahlsektor, aber nicht auf den Kunststoff- und Aluminiumsektor Gleichbehandlung und Beschäftigungsverhältnisse: strengere Prüfung: Beispiel: Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz (z. B. wegen Teilzeitbeschäftigung oder atypischen Verträgen) müssen sorgfältig geprüft werden Fokus von Artikel 21 der Charta Art. 21 Abs. 1: allgemeine Nichtdiskriminierungsbestimmung Art. 21 Abs. 2: Staatsangehörigkeit Beispiele: Art. 21 Abs. 1 Test Achats (C-236/09), Zoi Chatzi (C-149/10) Art. 21 Abs. 2 Kamberaj (C-571/10) 10
EUV (2010) Art. 2: Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen MS in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. Art. 3 Abs. 3:... Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Art. 9: Die Union achtet in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger... AEUV (ehemals: EGV) Art. 8: Bei allen ihren Tätigkeiten wirkt die Union darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Art. 10: Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen zielt die Union darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. 11
Richtlinien Antirassismusrichtlinie : 2000/43/EG Sachlicher Anwendungsbereich: Beschäftigung und Beruf, Sozialschutz, Bildung, Güter und Dienstleistungen Allgemeine Rahmenrichtlinie : 2000/78/EG Sachlicher Anwendungsbereich: Beschäftigung und Beruf Neufassungsrichtlinie: 2006/54/EG Sachlicher Anwendungsbereich: Beschäftigung und betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit Gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit: 79/7/EWG Selbständige Erwerbstätigkeit: 2010/41/EU Güter und Dienstleistungen: 2004/113/EG Fokussierung auf spezifische Gruppen: Schwangerschaftsrichtlinie (92/85/EWG), Richtlinie über Elternurlaub (2010/18/EU), Richtlinie über Teilzeitarbeit (97/81/EG). Unionsrecht: Status Unmittelbar anwendbar im innerstaatlichen Recht und Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht Art. 288 AEUV (ex-artikel 249 EGV): Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. 12
Unionsrecht und innerstaatliches Recht Art. 19 Abs. 3 EUV: Der Gerichtshof der Europäischen Union [EuGH] entscheidet nach Maßgabe der Verträge b) im Wege der Vorabentscheidung auf Antrag der einzelstaatlichen Gerichte über die Auslegung des Unionsrechts oder über die Gültigkeit der Handlungen der Organe; Art. 267 AEUV Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung der Verträge, hält dieses Gericht [eines Mitgliedstaats] eine Entscheidung [über die Frage] zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem nationalen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. 13
Charta und Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Art. 52 Abs. 3: Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt. Beitritt der EU zur EMRK Art. 6 Abs. 2 EUV Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union. Art. 59 Abs. 2 EMRK Die Europäische Union kann dieser Konvention beitreten. Aber: GUTACHTEN 2/13 DES GERICHTSHOFS (Plenum) vom 18. Dezember 2014 14
Warum ein Beitritt der EU zur EMRK? Verantwortlichkeit der Organe der EU; Möglichkeit widerstreitender Verpflichtungen für MS Fragen: Endgültige Entscheidung? Unterschiedliche Standards für Vertragsstaaten der EMRK, die Mitgliedstaaten der EU sind, und diejenigen die es nicht sind? Vermutung eines gleichwertigen Schutzes (Bosphorus gegen Irland, Beschwerdenr. 45036, 2005) Unterschiedlicher Fokus EU: Fokus auf Binnenmarkt; Harmonisierung EMRK: Schutz menschenrechtlicher Mindeststandards Immanente Spannungen? EuGH C-399/11, 26. Februar 2013, Stefano Melloni gegen Ministerio Fiscal: EuGH (Randnr. 60): [MS] freisteht, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden (60) 15
Vielen Dank. Gibt es Fragen? m.vandenbrink@uu.nl 16