Rechtliche Aspekte der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege Auftakt- und Netzwerkveranstaltung Beruf und Pflege Baden-Württemberg 20. Januar 2014, Stuttgart Ass. jur. Isabell Wehinger Industrie und Handelskammer Region Stuttgart 1 / Isabell Wehinger, 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
Ein Angehöriger wird pflegebedürftig.. überraschend oder infolge eines schleichenden Prozesses 2/3 der Pflegebedürftigen werden heute in häuslicher Pflege versorgt, in neun von zehn Fällen hauptsächlich durch Angehörige 2/3 der berufstätigen pflegenden Angehörigen geben an, dass Beruf und Pflege nur schwer zu vereinbaren sind. Meist ist die physische, psychische (und finanzielle) Belastung groß. Die Hälfte der pflegenden Angehörigen gibt bei Eintritt eines Pflegefalls die Erwerbstätigkeit ganz auf oder schränkt sie ein das Arbeitsverhältnis muss angepasst werden! 2 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
Pflegezeitgesetz und Familienpflegezeitgesetz geben einen Rechtsrahmen Ähnlich der Elternzeit gibt das Pflegezeitgesetz dem Beschäftigten einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit Ziel des Gesetzes ist es, den Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, pflegebedürftige Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern. 1 PflegeZG Wer? Alle Beschäftigten, auch befristet Beschäftigte oder Auszubildende, Heimarbeiter, vom ersten Arbeitstag an 3 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
Pflegebedürftiger naher Angehöriger 7 III PflegeZG Großeltern, (Schwieger-) Eltern, Ehegatten, Lebenspartner und Geschwister Kinder (auch Adoptiv-, Pflege-, auch des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwieger- und Enkelkinder) pflegebedürftig - also wegen geistiger, körperlicher oder seelischer Krankheit und Behinderung - auf Dauer oder für mind. 6 Monate - in hohem oder erheblichem Maße hilfsbedürftig (mind. Pflegestufe 1) 4 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
Freistellung von der Arbeit: Dauer? Umfang? 3 Formen Kurzzeitige Arbeitsverhinderung, 2 PflegeZG bis zu 10 Arbeitstage, zur Organisation der Pflege Pflegezeit, 3 PflegeZG bis zu 6 Monate, zur Pflege im häuslichen Umfeld Familienpflegezeit bis zu 2 Jahre Arbeitszeitreduzierung 5 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
1. Kurzzeitige Arbeitsverhinderung (1) 2 PflegeZG Bis zu 10 Arbeitstage am Stück oder in einzelne Abschnitte aufgeteilt Ankündigungszeit? Nein; die Tage können kurzfristig genommen werden, unverzügliche Mitteilung an den Arbeitgeber über Inanspruchnahme und Dauer genügt Keine Zustimmung des AG erforderlich Begründung? In akuter Pflegesituation muss eine bedarfsgerechte Hilfe organisiert oder selbst sichergestellt werden; Fernbleiben muss erforderlich sein (d.h. gerade der Beschäftigte muss sich um die Pflege kümmern) 6 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
1. Kurzzeitige Arbeitsverhinderung (2) Regelmäßig nur einmal pro pflegebedürftigem Angehörigem Vorlage einer ärztl. Bescheinigung auf Verlangen des AG, 2 III PflegeZG Vergütung? Kein Vergütungsanspruch aus PflegeZG ( 2 III), ggf aus 616 BGB; Arbeitgeber können abweichende Regelungen treffen (Dienst- / Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag) Sozialversicherung? Keine Sozialabgaben, aber Versicherungsschutz bleibt bestehen; (keine Pflicht zur Abgabe einer Meldung) Sonderkündigungsschutz während der kurzfristigen Arbeitsverhinderung 7 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
2. Pflegezeit (1) 3 und 4 PflegeZG Bis zu 6 Monate Vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeit = Pflegezeit Ankündigungszeit? Spätestens 10 Arbeitstage vor Beginn (ansonsten verschiebt sich Beginn der Pflegezeit nach hinten) schriftlich: Inanspruchnahme, Umfang und Dauer bei nur teilweiser Freistellung: - Zustimmung d. IHK und - schriftl. Vereinbarung über Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit - kann bei entgegenstehenden dringenden betriebl. Gründen verweigert werden 8 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
2. Pflegezeit (2) In welchen Betrieben? Nur Betriebe mit regelmäßig mindestens 16 Beschäftigten, (Teilzeitkräfte und Azubis zählen voll) Begründung? Längere Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen (mit Pflegestufe) Nachweis? Bescheinigung der Pflegekasse oder des Med. Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) Wird der Lohn weiter gezahlt? Kein Vergütungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber! Der Pflegebedürftige kann dem Pflegenden Pflegegeld überlassen. Sonderkündigungsschutz ab Ankündigung der Pflegezeit 9 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
2. Pflegezeit (3) Sozialversicherung des Pflegenden? Kein Kranken- /Pflegeversicherungsschutz (falls keine Familienversicherung: freiwillig versichern, PflKasse erstattet Beitrag). Bei freiwilliger Versicherung: Beitragszuschuss der Pflegekasse; Renten- und Arbeitslosenversicherung durch die Pflegekasse (sofern AN mind. 14 Std /Woche pflegt) Verlängerung der Pflegezeit? Wird zunächst eine kürzere Zeit als 6 Mon. in Anspruch genommen, kann bis auf 6 Monate verlängert werden, wenn der AG zustimmt. Die Verlängerung kann verlangt werden, wenn aus wichtigem Grund ein Wechsel der Pflegeperson nicht möglich ist. 10 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
2. Pflegezeit (4) Vorzeitige Beendigung? - Nur falls keine Pflegebedürftigkeit mehr vorliegt oder Pflege wird unmöglich / unzumutbar: Pflegezeit endet 4 Wochen nach Eintritt der veränderten Umstände; AG muss unverzüglich unterrichtet werden - Sonst nur, wenn der AG zustimmt Keine Aufteilung in mehrere Abschnitte (ArbG Stgt, da keine Ausweitung des Kündigungsschutzes beabsichtigt ist) und keine mehrmalige Inanspruchnahme (BArbG): nur einmaliges Gestaltungsrecht für AN, auch wenn Höchstdauer von 6 Monaten noch nicht erreicht ist. 11 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Die Familienpflegezeit (seit 1.1.2012) Gesetz zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, - weil 6 Monate Pflegezeit oft nicht ausreichend sind - weil pflegende Angehörige meist auf ihr Einkommen nicht ganz verzichten können oder gar den Arbeitsplatz aufgeben wollen - weil Arbeitgeber und Beschäftigte trotz Pflege keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern lieber eine Teilzeitlösung wollen Vereinbarung (schriftlich) zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer/in über Inanspruchnahme der Familienpflegezeit freiwilliges Instrument kein Anspruch auf Freistellung! 12 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit Überblick (1) Pflegephase: Arbeitszeitreduzierung für max. 2 Jahre zur Pflege eines nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung (Pflege kann gemeinsam mit einer anderen Person übernommen werden) mit Gehaltsaufstockung Schriftl. Vereinbarung zwischen AG und AN Nachpflegephase: Rückkehr zur alten Arbeitszeit und Ausgleich des negativen Zeitwertkontos Zinsloses Bundesdarlehen zur Finanzierung der Gehaltsaufstockung Private Familienpflegezeitversicherung 13 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit - Arbeitszeitreduzierung und Aufstockung des Arbeitsentgelts (2) In der Pflegephase Reduzierung der Arbeitszeit bis zum Mindestumfang von 15 Stunden/Woche für maximal zwei Jahre - Vorsicht: bei befristet Beschäftigten /Azubis nur solange, dass Ausgleich noch während der Vertragslaufzeit möglich ist. Aufstockung des Arbeitsentgeltes durch den Arbeitgeber (= Gehaltsvorschuss): um die hälftige Differenz zwischen Entgelt vor der Pflegephase und Entgelt infolge Reduzierung zulasten eines Wert- oder Arbeitszeitguthabens ( 3 I Nr.1 FPfZG) 14 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit - Familienpflegezeitversicherung 4 FPfZG (3) Familienpflegezeitversicherung sichert Risiko des AG ab, dass AN Zeitwertkonto nicht ausgleicht wegen Berufsunfähigkeit oder Tod Abzuschließen durch AG oder Beschäftigten für die Dauer der Familienpflegezeit und der Nachpflegephase auf den/die Beschäftigte (Bezugsrecht des AG) Berufsunfähigkeitsnachweis erleichtert (eigene Definition) Zertifizierte Produkte oder Gruppenversicherung (BAFzA) www.bafza.de für Anträge und Infos 15 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit - Darlehen, Rentenanspruch, Kündigungsschutz (4) Förderung der Familienpflegezeit durch den Bund: zinsloses Darlehen an AG für die Gehaltsaufstockung (Antrag bei BAFzA) erforderlich), damit AG durch Aufstockung keine finanzielle Belastung hat; Darlehensrückzahlung durch den AG in der Nachpflegephase (monatliche Raten in Höhe der monatlichen Entgeltaufstockung) Pflegezeiten in werden in der gesetzl. Rentenversicherung anerkannt, Rentenansprüche steigen mit Höhe der Pflegestufe Kündigungsschutz für den Arbeitnehmer in 9 III FPfZG, während Pflegephase und Nachpflegephase Ausnahmen! Verhaltensbedingte Kündigung bleibt möglich 16 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit - Nachpflegephase (5) Wenn die Pflege beendet ist, beispielsweise der Angehörige ins Pflegeheim gebracht wird oder eine andere Person die Pflege übernimmt Nachpflegephase: Erhöhung der Arbeitszeit auf den alten Umfang Ausgleich des negativen Zeitwertkontos durch Einbehaltung von Arbeitsentgelt i. H. d. monatl. Aufstockungsbetrages, bis das Zeitwertkonto ausgeglichen ist Darlehensrückzahlung durch AG ( 6 FPfZG) in monatl. Raten Bsp: 2 Jahre Pflege: 50 % Arbeitszeit (statt vorher 100%) und 75 % Lohn, weitere 2 Jahre Nachpflegephase mit 100 % Arbeitszeit bei 75 % Entgelt 17 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit Probleme, Leistungsstörungen (6) Berufsunfähigkeit / Tod des AN - AG muss Darlehen zurückzahlen, FPfZ - Versicherung tritt ein (eigene Definition der Berufsunfähigkeit im Gesetz) Beendigung des Arbeitsverhältnisses Kündigung durch AN: - Ausgleich durch Einbehalten von Arbeitsentgelt /Rückzahlung in Raten - oder neuer AG übernimmt Wertguthaben, 7f SGB IV 18 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit Probleme, Leistungsstörungen (7) Kündigung durch AG andere als verhaltensbedingte Kündigungen sind nicht zulässig (aber Ausnahmen!) - falls ausnahmsweise für zulässig erklärt, Aufrechnung mit Forderung gegenüber AN (z.b. Abfindungsanspruch), ansonsten kein Ausgleich! Verhaltensbedingte Kündigung durch AG - Ersatz vom AN - bei Leistungsverweigerung oder Insolvenz des AN: Darlehensrückzahlung wird dem AG erlassen ( 8 FPfZG) bzw. Bund übernimmt Ausgleich an den AG Im Ergebnis sollte der AG KEIN Risiko tragen 19 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit Probleme, Leistungsstörungen (8) Verringerung der Arbeitszeit in der Nachpflegephase oder Kurzarbeit - AG behält (trotzdem) Gehalt zum Teil ein, Nachpflegephase verlängert sich bis zum Ausgleich des Wertkontos Betriebsübergang ( 613 a BGB, 3 Abs. 5 FPfZG) - Neuer Betriebsinhaber tritt in Pflichten aus Darlehensvertrag ein und zahlt Darlehen zurück - übernimmt Ansprüche gegenüber AN auf Ausgleich des negativen Wertguthabens 20 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Wege: Familienpflegezeit und andere Regelungen Falls Sie Familienpflegezeit anbieten wollen - Mustervereinbarungen erarbeiten, Versicherungsanbieter suchen, Betriebs-/Dienstvereinbarung erstellen und natürlich: - Information von Führungskräften und allen anderen Beschäftigten! Falls Sie keine Familienpflegezeit anbieten wollen.. andere arbeitsrechtliche und passgenaue Lösungen sind nach wie vor möglich wie zum Beispiel: - Teilzeit, befristete Teilzeit, Arbeitszeitflexibilisierung, Freistellung, Zeitkonten, Arbeitgeberdarlehen usw. - Sprechen Sie mit den Betroffenen! 21 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
3. Familienpflegezeit - Infos Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) www.bafza.de www.familien-pflege-zeit.de mit Online Rechner zum Aufstockungsbetrag, Vordrucken für den Darlehensantrag Mustervereinbarungen für die Familienpflegezeit Informationen zur Familienpflegezeitversicherung Infobroschüren für Arbeitgeber und Arbeitnehmer 22 / Isabell Wehinger, IHK Region Stuttgart 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart
soviel zum Rechtsrahmen. Fragen? Isabell Wehinger 07161-6715 8421 23 / Isabell Wehinger, 20. Januar 2014 2014 IHK Region Stuttgart