Juristen Alumni e.v. Einführung in das Strafrecht. Prof. Dr. Eric Hilgendorf
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1 Einführung in das Strafrecht Prof. Dr. Eric Hilgendorf
2 Agenda 1) Historische Grundlagen 2) Das StGB, Dogmatik und System 3) Deliktstypen 4) Objektive Tatbestandsmäßigkeit 5) Subjektive Tatbestandsmäßigkeit 6) Rechtswidrigkeit 7) Schuld 8) Versuch 9) Fahrlässigkeitsdelikte 10)Unterlassungsdelikte 2
3 Von strafrechtlicher Willkür zur rechtsstaatlich geregelten Strafe Strafe: Geboren aus dem Bedürfnis nach Vergeltung/Rache Daneben tritt schon in der Antike der Präventionsgedanke MA und frühe Neuzeit: Verwilderung des Strafrechts und seiner Anwendung; zahlreiche Delikte werden mit dem Tode bestraft Grund: Auflehnung gegen die weltliche Ordnung ist gleichzeitig eine Auflehnung gegen den Willen Gottes Missbrauch des Strafrechts zur Verfolgung von Minderheiten 3
4 Strafpraxis in der frühen Neuzeit 4
5 Reformbewegung im 18. Jahrhundert Kritik am überkommenen inhumanen Strafrecht, z.b. bei Montesquieu Fall Calas (1761 ff.): Justizmord an einem Hugenotten in Toulouse Eingreifen Voltaires und anderer philosophes Europaweite Kampagne Cesare Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, Aufhebung des Urteils im Fall Calas; Schadensersatz für die Hinterbliebenen 5
6 Die Forderungen Beccarias Abschaffung der Todesstrafe Sinn der Strafe ist nicht Vergeltung, sondern die Kriminalitätsprävention Strafe darf nicht härter sein als zur Verhütung von Kriminalität erforderlich Gedanke der Humanität (Strafverhängung, Strafvollstreckung) Enge Bindung des Strafrichters an das Gesetz 6
7 Übernahme der Forderungen Beccarias durch Feuerbach: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht 1. Strafe muss sich auf ein geschriebenes Gesetz stützen können 2. Rückwirkende Strafgesetze sind verboten 3. Das Strafgesetz muss die Voraussetzungen von Strafbarkeit klar umschreiben 4. Der Rechtsanwender ist an den Gesetzeswortlaut gebunden 7 Anselm Ritter von Feuerbach,
8 Das Strafgesetzbuch (1871) Allgemeiner Teil ( 1 79b): allgemeine, vor die Klammer gezogene Regeln, z.b. Die Anwendbarkeit des dt. Strafrechts Notwehr und Notstand Schuld Verjährung usw. Besonderer Teil ( ): regelt die einzelnen Delikte, z.b. Hausfriedensbruch, 123 Beleidigung, 185 Mord, 211 Körperverletzung, 223 Diebstahl, 242 8
9 Dogmatik und Systemgedanke im Strafrecht Dogmatik: begriffliche Analyse von Rechtselementen und ihre systematische Darstellung Systemgedanke: Der Aufbau der Straftat wird systematisch dargestellt durch die drei Elemente Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit Schuld Alle auftretenden Rechtsfragen werden innerhalb dieses Systems verortet und gelöst. 9
10 Die vier Deliktstypen Vorsätzliches vollendetes Begehungsdelikt Versuchtes Delikt Fahrlässigkeitsdelikt Unterlassungsdelikt 10
11 Elemente des Tatbestands I: Objektiver Tatbestand Handlung Erfolg Kausalität (objektive Zurechnung) 11
12 Elemente des Tatbestands II: Vorsatz Bedingter Vorsatz (dolus eventualis) Wissentlichkeit Absicht Abgrenzung zur Fahrlässigkeit 12
13 Gutachtenstil vs. Urteilsstil Das Gutachten dient der Erörterung aller aufgeworfenen Rechtsfragen. Der Gutachter geht von der Fallfrage aus und entwirft mögliche Antworten, die er dann durchprüft. Die Prüfung beginnt mit Sätzen wie A könnte (einen Anspruch auf.. haben). Sie endet mit Sätzen wie Also hat A. Kennzeichnend für den Gutachtenstil ist der Konjunktiv. Im Urteil steht der Richter fest, was die Lösung des Falles ist. Die Darstellung beginnt Feststellungen wie A hat einen Anspruch auf. Die Feststellung wird sodann systematisch begründet; die begründenden Sätze enthalten Vokabeln wie weil oder da. Kennzeichnend für den Urteilsstil ist der Indikativ. Merke: Prüfungsarbeiten an der Universität werden in einem gemischten Stil geschrieben. Alles, was problematisch ist, muss im Gutachtenstil erörtert werden, nur das, was völlig unproblematisch ist, darf im Urteilsstil dargestellt werden. 13
14 Ein Fall A schlägt B mit einem Faustschlag zu Boden. Dabei denkt er nicht darüber nach, was passieren könnte. B kommt hart auf dem Boden auf und bricht sich einen Arm. Strafbarkeit des A?. 14
15 Fall - Lösung 223 I Var. 1 StGB Tatbestandsmäßigkeit objektiv (+) subjektiv (+) Rechtwidrigkeit (+) Schuld (+). 15
16 Rechtswidrigkeit Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Die tatbestandsmäßige Tat ist also rechtswidrig, es sei denn, dass Rechtfertigungsgründe eingreifen, z.b. Notwehr, 32 StGB Notstand, 34 StGB Einwilligung 16
17 Notwehr, 32 Notwehrlage: gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff Notwehrhandlung: geeignet und erforderlich, um den Angriff abzuwehren, außerdem angemessen Subjekt. Element: Verteidigungswille 17
18 Fall zur Notwehr A will B erschießen, doch B kommt ihm im letzten Moment zuvor und schlägt A zu Boden. Strafbarkeit des B? 18
19 Fall zur Notwehr - Lösung 1. Tatbestandsmäßigkeit 223 Abs. 1 Var. 1 objektiver Tatbestand (+) subjektiver Tatbestand (+) 2. Rechtswidrigkeit Notwehr (+) also RW (-) 3. Ergebnis: B hat sich nicht strafbar gemacht. 19
20 Fall zur Notwehr - Abwandlung Wie Ausgangsfall, doch diesmal schlägt B den A nicht zu Boden, sondern tötet ihn sofort. Strafbarkeit des B? 20
21 Fall zur Notwehr Lösung der Abwandlung 1. Tatbestand objektiver TB (+) subjektiver TB (+) 212 StGB 2. Rechtswidrigkeit Notwehr? Notwehrhandlung: geeignet, aber nicht erforderlich! Notwehr (-) also: Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) 4. Ergebnis: B hat sich nach 212 strafbar gemacht 21
22 Schuld Schuld bedeutet persönliche Vorwerfbarkeit. Hier wird also ganz auf die individuellen Verhältnisse beim Täter abgestellt. Wer schuldunfähig ist, kann nicht bestraft werden. Darunter fallen z.b. kleine Kinder ( 19) sowie Geisteskranke und extrem alkoholisierte Personen ( 20). 22
23 Fall zur Schuld A will B angreifen und töten, doch B kommt A im letzten Moment zuvor und erschießt ihn. Um den Angriff abzuwehren, hätte es genügt, den körperlich weit unterlegenen A zu Boden zu schlagen und zu entwaffnen. Wie ist B zu bestrafen, wenn sich im Prozess herausstellt, dass B (bislang unerkannt) geisteskrank ist? 23
24 Fall zur Schuld - Lösung 212 StGB 1. Tatbestandsmäßigkeit (+) 2. Rechtswidrigkeit (+) Notwehr (-) 3. Schuld (-) B ist nicht schuldfähig 4. Ergebnis: B bleibt straflos 24
25 Versuch: Prüfungsstruktur (z.b. 212, 22: versuchte Tötung 1. Nichtvollendung der Haupttat 2. Strafbarkeit des Versuchs 3. Tatentschluss 4. Unmittelbares Ansetzen 5. Rechtswidrigkeit 6. Schuld 7. Kein Rücktritt vom Versuch 25
26 Fahrlässigkeit: Prüfungsstruktur (z.b. 222: fahrlässige Tötung) 1. Tatbestand Handlung Erfolg Kausalität Fahrlässigkeit 2. Rechtswidrigkeit 3. Schuld 26
27 VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT!
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