7.5. Mittelwertsatz und höhere Ableitungen
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- Linus Bäcker
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1 7.5. Mittelwertsatz und höhere Ableitungen Wir betrachten wieder eine Funktion f von einer Teilmenge A der Ebene R (oder eines höher dimensionalen Raumes R n ) nach R. Besonders nützlich ist der Mittelwertsatz Ist die Funktion f auf der ganzen Strecke zwischen zwei Punkten a und b differenzierbar in Richtung v b a, so gibt es einen Punkt u a + t ( b a ) auf dieser Strecke mit f( b ) f( a ) v f( u ), und falls f auf dieser Strecke total differenzierbar ist, so gilt f( b ) f( a ) f ( u ) ( b a ). Bei dem letzten Ausdruck ist im mehrdimensionalen Fall wieder das Skalarprodukt gemeint. Bevor wir einen etwas allgemeineren Satz beweisen, betrachten wir den eindimensionalen Fall. Hier besagt der Mittelwertsatz: Die Sekante zwischen den Punkten ( a, f( a )) und ( b, f( b )) ( f( b ) f( a )) ( x a) S ab ( x ) f( a) + b a ist parallel zur Tangente im Zwischenpunkt ( u, f( u )) T u ( x ) f( u ) + f ( u ) ( x u) Beispiel 1: Kubische Parabel, Sekante und Tangente Die Funktion f( x ) x 3 hat zwischen den Punkten ( a, a 3 ) und ( b, b 3 ) die Sekante da S ab ( a) a 3 und S ab ( b ) b 3. S, Im Punkt ( u, u 3 ) hat f die Tangente a b ( x ) ( a + a b + b ) x a b a b T u ( x ) u u ( x u ) Diese beiden Geraden sind genau dann parallel, wenn die Steigungen gleich sind: also für a + a b + b 3 u a + a b + b u 3 Das ist die (oder zumindest eine) Stelle, an der die Aussage des Mittelwertsatzes zutrifft. Im Allgemeinen gelingt es aber nicht, solche Zwischenstellen explizit anzugeben!
2 Im zweidimensionalen Fall bedeutet der Mittelwertsatz geometrisch, daß für differenzierbare Funktionen der Verbindungsvektor zwischen je zwei Punkten des Funktionsgebirges parallel zur Tangente in einem Punkt über oder unter der Verbindungsstrecke ist. Verallgemeinerter Mittelwertsatz Zu zwei auf der Strecke zwischen a und b stetigen und im Inneren der Strecke differenzierbaren Funktionen f und g gibt es ein u zwischen a und b mit g ( u ) ( f( b ) f( a )) f ( u ) ( g( b ) g( a )). Zum Beweis betrachtet man die folgende etwas kompliziert aussehende Funktion h : Es ist h( t ) g ( a + t ( b a )) ( f( b ) f( a )) f ( a + t ( b a ) ) ( g( b ) g( a ) ) h( 0 ) h( 1 ) g( a ) ( ) f b f( a ) g( b ). Als stetige Funktion hat h auf dem kompakten Intervall [ 0, 1 ] ein Extremum, und wegen h( 0 ) h( 1 ) wird ein solches im Inneren des Intervalls angenommen, etwa bei t (mit 0 < t < 1). Dort muß die Ableitung dann 0 sein (sonst hätte man eine von Null verschiedene Steigung und daher kein Extremum). Also ist für u a + t ( b a ) nach der Kettenregel 0 h ( t ) g ( u ) ( f( b ) f( a )) ( b a ) f ( u ) ( g( b ) g( a ) ) ( b a ). Für a b folgt daraus die Behauptung. Bei richtiger Interpretation mittels Skalarprodukten funktioniert diese Argumentation auch in höheren Dimensionen. Die spezielle Wahl g( x) x liefert sofort den Mittelwertsatz in der klassischen Form, sofern f auf der Strecke von a bis b total differenzierbar ist. Falls nur die Existenz der Richtungsableitungen nach v b a gesichert ist, kann man den mehrdimensionalen auf den eindimensionalen Fall zurückführen, indem man die Funktion g( t ) f ( a + t v ) für t zwischen 0 und 1 betrachtet. Es gibt dann eine Zwischenstelle z, so daß für u a + z v gilt: g( 1 ) g( 0 ) g ( z ) lim h 0 f ( u + h v ) f( u ), d.h. f( b ) f( a ) h v f( u ).
3 Stetige Differenzierbarkeit Während eine total differenzierbare Funktion stets auch partiell differenzierbar und stetig ist, gilt die Umkehrung im Allgemeinen nicht, wie wir am Beispiel homogener, aber nicht linearer Funktionen sahen. Ist jedoch nicht nur die Funktion f selbst, sondern auch jede ihrer partiellen Ableitungen stetig, so nennt man f stetig differenzierbar und kann in diesem Fall auf totale Differenzierbarkeit schließen: Differenzierbarkeitskriterium Existieren in einer Umgebung des Punktes a alle n partiellen Ableitungen und sind diese in a stetig, so ist f in a sogar total differenzierbar. Diese besonders nützliche Tatsache beruht wie viele weitere auf dem Mittelwertsatz. Wir beweisen sie nur für den in der Praxis am häufigsten auftretenden Fall n. Wir haben zu zeigen, daß die Restfunktion f ( a + h ) f( a ) f ( a ) h nach Division durch h immer noch gegen 0 strebt, falls h dies tut. Dabei ist f ( a ) der Gradient, der sich aus den (nach Voraussetzung existierenden) partiellen Ableitungen ( a ) und f y ( a ) zusammensetzt. Der eindimensionale Mittelwertsatz liefert Zwischenstellen u j aus ] a j, a j + h j [ mit f ( a + h ) f( a ) f ( a 1 + h 1 + h ) f ( a 1 + h ) + f ( a 1 + h ) f ( a 1 ) also ( u 1 + h ) h 1 + f y ( a 1, u ) h, f ( a + h ) f( a ) f ( a ) h ( ( u 1 + h ) ( a 1 ) ) h 1 + ( f y ( a 1, u ) f y ( a 1 ) ) h, und dieser Ausdruck wird nach Division durch h wegen tatsächlich beliebig klein. h j h und der Stetigkeit von und f y Achtung! Eine partiell differenzierbare Funktion braucht nicht total differenzierbar, ja nicht einmal stetig zu sein. Beispiel : Eine Wendeltreppe Die durch f 0) 0 ergänzte Funktion x y y ) x + y ist auf jeder Geraden durch den Ursprung (0,0) außerhalb von diesem konstant: Für festes ( x 0, y 0 ) 0 ) und variables t 0 ist nämlich f ( t x 0, t y 0 ) f ( x 0, y 0 ). Insbesondere existieren die partiellen Ableitungen in (0,0) und sind dort gleich 0.
4 Diese Funktion ist im Ursprung offensichtlich unstetig, denn lim t 0 f ( t x, t y ) y ) kann jeden Wert zwischen -1 und 1 annehmen. Höhere Ableitungen Wir betrachten wieder eine Funktion f von einer Teilmenge A des R n nach R. Indem man die partiellen Ableitungen j f x j
5 (soweit sie existieren) wieder als Funktionen auffaßt und, sofern möglich, nochmals partiell differenziert, erhält man die zweiten partiellen Ableitungen j x k Die Hessematrix x f. k x j ist die aus den partiellen Ableitungen gebildete (n x n) - Matrix. Sie wird gelegentlich auch zweite Ableitung von f genannt und mit f bezeichnet. Im Spezialfall n f x f yx y f yy ist also Durch Fortsetzung dieses Ableitungsprozesses gelangt man zu höheren partiellen Ableitungen. Für n hat man (mit x 1 x und x y ) die beiden ersten Ableitungen x f, f y y f und den Gradienten f [, f y ], die vier zweiten Ableitungen x f yx x x f x x f, y y x f y x f, x y f x y f, f yy y y f y y f und die Hesse-Matrix f f xx y, f yx f yy sowie die acht dritten partiellen Ableitungen xx f yxx x x x f, xy y x x f, yx x y x f, yy y y x f, x x y f, f yyx x y y f, f yxy y x y f, f yyy y y y f, die man zu einer "dreidimensionalen Hypermatrix" zusammensetzen kann: Nach k-maligem Ableiten landet man bei den k partiellen Ableitungen k-ter Ordnung. Im allgemeinsten Falle einer Funktion in n Variablen gibt es sogar n k solche Ableitungen!
6 Beispiel 3: Alle partiellen Ableitungen einer Sattelfläche y ) x 3 + y 3 Erste Ableitungen: Zweite Ableitungen: Dritte Ableitungen: 3 x, f y 3 y x 6 x, y 0 f yx 0, 6 y f yy xx 6, xy 0, yx 0, yy 0 f yxx 0, f yxy 0, f yyx 0, f yyy 6 Alle höheren Ableitungen verschwinden. Man sagt, eine Funktion sei (auf A) k-mal partiell differenzierbar, wenn ihre sämtlichen partiellen Ableitungen k-ter Ordnung auf A existieren. Sind diese sogar noch stetig, spricht man von einer k-mal stetig differenzierbaren Funktion. Es gelten also folgende Implikationen zwischen Differenzierbarkeitseigenschaften k+1-mal partiell differenzierbar > k-mal stetig differenzierbar > k-mal partiell differenzierbar (k > 1)... > stetig differenzierbar > total differenzierbar > alle Richtungsableitungen existieren > partiell differenzierbar Daß f zweimal stetig differenzierbar ist, bedeutet, daß die ersten und zweiten partiellen Ableitungen in allen Punkten des Definitionsbereichs existieren und stetig sind. Die Funktion aus Beispiel 3 ist sogar beliebig of differenzierbar.
7 Beispiel 4: Die Hessematrix der zweidimensionalen Potenzfunktion Wir betrachten nochmals in der Halbebene x > 0 die Funktion y ) x y. Die ersten partiellen Ableitungen kennen wir schon: x y y, f x y x y ln( x) Nun berechnen und zeichnen wir die zweiten partiellen Ableitungen: x y y x x x y y x f yy x y ln( x ) x y y ln( x) y + x x y y ln( x ), f x yx + x x y x y x
8 Also y f yx, d.h. die Matrix der zweiten Ableitungen ist symmetrisch! Allgemein kann man durch Betrachtung geeigneter Sekantensteigungen und Vertauschung eines gewissen Grenzprozesses folgende nützliche Tatsache beweisen (das entscheidende Hilfsmittel ist wieder der Mittelwertsatz, der es erlaubt, Sekanten durch Tangenten in Zwischenpunkten zu ersetzen): Schwarzsche Vertauschungsregel Existieren die zweiten partiellen Ableitungen und sind sie noch stetig, so gilt y f yx, d.h. die Hessematrix ist symmetrisch. Analoges gilt für Funktionen in n Variablen. Daß diese Regel allerdings ohne die Stetigkeitsvoraussetzung für die zweiten Ableitungen nicht mehr richtig ist, zeigt folgendes Beispiel 5: Eine nicht symmetrische Hessematrix Wir geben zwei relle Zahlen a und b vor. Die im Nullpunkt durch f 0) 0 ergänzte Funktion a x 3 y + b x y 3 y) x + y ist zweimal differenzierbar, aber nur für a b sind die zweiten Ableitungen im Nullpunkt noch stetig. Wir testen das im Einzelnen: Außerhalb des Nullpunktes findet man durch "mechanisches Ableiten" (wir überlassen das MAPLE): 3 a x y + b y 3 ( a x 3 y + b x y 3 ) x x + y ( x + y ) a x b x y ( a x 3 y + b x y 3 ) y f y x + y ( x + y ) 3 a x + 3 b y ( a x b x y ) x ( 3 a x y + b y 3 ) y y + x + y ( x + y ) ( x + y ) Der gleiche Monsterausdruck kommt für f yx heraus. 8 ( a x 3 y + b x y 3 ) y x ( x + y ) 3 Die ersten und zweiten partiellen Ableitungen im Nullpunkt kann man nur durch Limesbildung berechnen, weil dort die Funktion durch Fallunterscheidung definiert ist. Man erhält für 0 ) ( ) x f 0, 0 bzw. f y 0 ) ( ) y f 0, 0 : lim t 0 f ( t, 0 ) f 0) f t ) f 0 ) 0, lim 0 t t t 0 Entsprechend ergibt sich für y 0 ) ( ) y x f 0, 0 bzw. f yx 0 ) ( ) x y f 0, 0 : lim t 0 t ) 0) f y ( t, 0 ) f y 0 ) b, lim a t t t 0
9 Jetzt betrachten wir drei Spezialfälle. Zuerst einen der Fälle a b : y) a 1, b 1 x 3 y + x y 3 x + y 3 x y + y 3 ( x 3 y + x y 3 ) x x + y ( x + y ) x x y ( x 3 y + x y 3 ) y f y x + y ( x + y ) Offenbar zwei Ebenen! Das muß doch einfacher gehen...?
10 Kürzen durch x + y bringt Freude: y ) x y y, x H f 0 ) f y Und nun zwei Fälle, wo y 0) a von f yx 0) b verschieden ist. Einmal gleiches Vorzeichen: y ) a 1, b x 3 y + x y 3 x + y 3 x y + y 3 ( x 3 y + x y 3 ) x x + y ( x + y )
11 x x y ( x 3 y + x y 3 ) y f y x + y ( x + y ) 3 x + 6 y ( x x y ) x ( 3 x y + y 3 ) y y + x + y ( x + y ) ( x + y ) 8 ( x 3 y + x y 3 ) y x ( x + y ) 3 Eine gefaltete Papierserviette, die im Nullpunkt offensichtlich unstetig ist. Und jetzt noch ein Beispiel mit verschiedenem Vorzeichen: y) a 1, b -1 x 3 y x y 3 x + y
12 3 x y y 3 ( x 3 y x y 3 ) x x + y ( x + y ) x 3 3 x y ( x 3 y x y 3 ) y f y x + y ( x + y ) 3 x 3 y ( x 3 3 x y ) x ( 3 x y y 3 ) y y + x + y ( x + y ) ( x + y ) 8 ( x 3 y x y 3 ) y x ( x + y ) 3 Ziemlich steil und wenig stetig!
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