Fall Assistent auf Abwegen
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- Gerda Hermann
- vor 8 Jahren
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1 Fall Assistent auf Abwegen 1. Welchen Rechtsweg kann Prof. X beschreiten? Was sind seine Anträge? Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten Art. 82 ff. BGG Anfechtungsobjekt: Gem. Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Vorliegend beruft sich Prof. X auf eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrecht (Art. 10 BV) und seines guten Rufes als Gutachter (Wissenschaftsfreiheit, Art. 20 BV). Er verfolgt also einen öffentlichrechtlichen Anspruch (so das BGer.) Vorinstanz: Gemäss Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG beurteilt das Bundesgericht Entscheide letzter kantonaler Instanzen, sofern nicht das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist. Vorliegend erfüllt der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts St. Gallen diese Bedingung. Es handelt sich um einen Endentscheid i.s.v. Art. 90 BGG; dies gilt ebenfalls, soweit es sich um einen Nichteintretensentscheid handelt. Ein Ausschlussgrund i.s.v. Art. 83 BGG liegt nicht vor. Beschwerdegrund: Gem. Art. 95 lit. a BGG kann mit der Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Zu denken ist die Verletzung von Art. 30 BV, weil nicht das nach Meinung des Beschwerdeführers gesetzliche zuständige Verwaltungsgericht geurteilt hat. Gerügt werden auch die Verletzung der Persönlichkeitsrechte (BV 10, ZGB 28 ff.) sowie die Verletzung der Wissenschaftsfreiheit (BV 20) gerügt. Ebenfalls denkbar aber im Sachverhalt nicht ausdrücklich aufgeführt ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs i.s.v. Art. 29 Abs. 2 BV (s. Urteil). Beschwerderecht: Art. 89 BGG zählt die Voraussetzungen für die Berechtigung zur Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten auf. Vorliegend können eine Teilnahme am Verfahren der Vorinstanz (lit. a), ein besonderes Berührtsein (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung bzw. Änderung des Entscheides der Vorinstanz bejaht werden. Sofern Prof. X die Bestimmungen betreffend Form und Frist einhält, wird er also die Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht ergreifen. Anträge von Prof. X Kassation des Entscheides des Verwaltungsgerichts: Prof. X wird im Wesentlichen beantragen, dass das der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts St. Gallen wegen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben wird. Sein Fall soll an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen werden und dieses angewiesen werden, auf seine Klage einzutreten. 1
2 2. Hat das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zu Recht verneint (vgl. BGE 134 I 229 ff.)? Rechtsform des Schreibens vom 2. und 3. Mai 2005 Rechtliches oder tatsächliches Verwaltungshandeln? Es empfiehlt sich, zunächst die Rechtsnatur des Schreibens der Kantonsregierung zu beurteilen. Die herkömmliche Dogmatik des Verwaltungsrechts erfasst als Formen des Verwaltungshandelns im Wesentlichen die Verfügung und den verwaltungsrechtlichen Vertrag. Diese Handlungsformen zielen darauf ab, ein bestimmtes Rechtsverhältnis zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Sie werden als rechtliches Verwaltungshandeln bezeichnet. Daneben besteht eine Vielzahl von Verwaltungstätigkeiten, die nicht auf Rechtswirkung gerichtet ist. Diese werden als tatsächliches Verwaltungshandeln oder informelles Verwaltungshandeln bezeichnet. 1 Im vorliegenden Fall eines Schreibens der Kantonsregierung handelt es sich um einen sog. Realakt. Dieser wird zum tatsächlichen bzw. schlichten Verwaltungshandeln gezählt 2. Das Schreiben der Kantonsregierung war nicht auf die Begründung, Aufhebung oder Änderung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Kanton St. Gallen und Prof. X gerichtet. Bei diesen Formen des Verwaltungshandelns stellen sich regelmässig Fragen bzgl. des Rechtsschutzes. Auf diese wird weiter unten näher eingegangen. Rechtsnatur des Schreibens privat- oder öffentlichrechtlicher Herkunft? Gem. Art. 79 Abs. 1 lit. a VRG SG beurteilt das Verwaltungsgericht Klagen aus öffentlichrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Staat Partei ist. Vorliegend bestritt das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit weil das in Frage stehende Rechtsverhältnis nicht öffentlichrechtlicher Natur gewesen sei. Es ist zu prüfen, ob das Schreiben der Kantonsregierung vom 2. Mai 2005 öffentlichrechtlicher Natur war. Es liegt auf der Hand, dass der Brief nicht in Erfüllung einer gewerblichen Verrichtung i.s.v. Art. 61 Abs. 2 OR versandt worden ist 3. Die Bedeutung des Schreibens geht über die Rechtsbeziehung aus dem Auftragsverhältnis heraus. Die Adressaten des besagten Schreibens waren nicht am auftragsrechtlichen Verhältnis beteiligt. Selbst wenn Prof. X eine Verletzung seiner gutachterlichen Pflichten begangen hätte, wäre noch nicht klar, ob und in welchem Umfang die Kantonsregierung diese Umstände an unbeteiligte Dritte weitergeben darf. Die Bezugnahme auf ein privatrechtliches Verhältnis zwischen SG und X ändert nichts an der öffentlichrechtlichen Natur des Schreibens vom 2. Mai Die Begründung des Gerichts, dass der Gutachterauftrag einzig Art. 394 ff. OR unterstehe kann, genügt nicht um X auf den Weg über die Zivilgerichte zu verweisen. Die Frage einer Vertragsverletzung aus dem privatrechtlichen Auftragsverhältnis ist dagegen als Vorfrage des öffentlichrechtlichen Verfahrens zu betrachten 5. Fazit: Das Verwaltungsgericht hat seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint. 1 HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz BGE 134 I 229 E BGE 134 I 229 E BGE 134 I 229 E
3 3. Prof. X hatte mit Eingabe vom 20. Februar 2006 den Antrag gestellt, die Kantonsregierung habe förmlich festzustellen, dass die Schreiben vom 2. und 3. Mai 2005 in verschiedener Hinsicht rechtsverletzend gewesen seien. Die Kantonsregierung trat in der Folge nicht auf diesen Antrag ein. Hätten Sie gleich entschieden? Was müssen Sie zur Beantwortung dieser Frage abklären? Problematik des Rechtsschutzes gegenüber Realakten 6 Die Formen des tatsächlichen und des informellen Verwaltungshandelns sind dadurch geprägt, dass sie nicht auf Rechtswirkungen ausgerichtet sind, sondern einen Taterfolg herbeiführen wollen, jedoch gleichwohl die Rechtsstellung der Privaten berühren. Die Verwaltungsrechtspflegegesetze knüpfen in der Regel an eine Verfügung als Anfechtungsobjekt an. Daher konnten bis zur Justizreform solche tatsächlichen und informellen Verwaltungshandlungen nicht mit den Rechtsmitteln des Verwaltungsrechts überprüft werden. Es bestand allenfalls die Möglichkeit, die Widerrechtlichkeit der Verwaltungshandlung im Rahmen eines Staatshaftungsprozesses feststellen zu lassen. Diese Beschränkung auf Feststellungsverfügungen wurde in der Literatur verschiedentlich als Verstoss gegen Art. 13 EMRK kritisiert worden. Auf Bundesebene wurde diese Problematik mit der Einführung von Art. 25a VwVG gemildert; wer ein schutzwürdiges Interesse daran hat, kann von der zuständigen Behörde eine Verfügung über Handlungen verlangen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt und Rechte oder Pflichten berührt. Er kann auch die Feststellung der Widerrechtlichkeit einer solchen verlangen. Auf kantonaler Ebene wird ein solcher Schutz teilweise auch ohne besondere gesetzliche Regelung bejaht (z.b. im Kanton Aargau 7. Im VRG des Kantons St. Gallen befindet sich keine spezielle Bestimmung analog zu Art. 25a VwVG. Staatshaftung und Feststellungsklage? Prof. X verlangt einerseits die Feststellung, dass die besagten Schreiben rechtsverletzend gewesen seien. Andererseits behält er sich allfällig Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen ausdrücklich vor. Es ist daher zu klären, ob diese verschiedenartigen Ansprüche parallel gestellt werden können. Auf Bundesebene verbietet Art. 12 VG ausdrücklich die Überprüfung der Rechtmässigkeit formell rechtskräftiger Verfügungen, Entscheide und Urteile in einem Verantwortlichkeitsverfahren (Prinzip der Einmaligkeit des Rechtsschutzes). Ein Realakt stellt eben genau keine rechtskräftige Verfügung bzw. keinen rechtskräftigen Rechtsakt dar. Deshalb können Feststellungsklagen bzgl. Widerrechtlichkeit und Ansprüche aus der Staatshaftung grundsätzlich zeitgleich gestellt werden. In der Praxis ist allerdings zu empfehlen, zwar beide Begehren zu stellen, zunächst dann aber das weniger aufwendige Verfahren nach Art. 25a VwVG zu durchlaufen. Vergleich zum Bundesrecht Es ist zu überlegen, wie sich dieser Fall verhalten würde, wenn das Schreiben durch den Bundesrat verfasst worden wäre. Das Prinzip der Einmaligkeit des Rechtsschutzes i.s.v. Art. 12 VG gilt in solchen Fällen wie erwähnt nicht, d.h. die Ansprüche von Art. 25a VwVG und aus dem Staatshaftungsrecht alternativ nebeneinander bestehen können 8. Prof. X könnte also einerseits eine Feststellungsklage i.s.v. Art. 25a Abs. 1 lit. c i.v.m. Art. 1 Abs. 2 lit. a VwVG an den Bundesrat und andererseits eine Staatshaftungsklage gegen denselben an das Bundesgericht stellen (vgl. Art. 10 Abs. 2 VG); diese würde in Form einer öffentlichrechtlichen Klage i.s.v. Art. 120 BGG ergehen und das Bundesgericht würde als einzige Instanz tätig werden. Das Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons St. Gallen kennt anders als der Bund keine analoge Regelung zur Überprüfung von Realakten. Weiter ist gem. Art. 76 Abs. 1 VRG eine Klage vor der Regierung nur möglich, wenn nicht der Staat Partei ist. Hier besteht aber die Auseinandersetzung zwischen Prof. X und dem Kanton St. Gallen, also dem Gemeinwesen. Der Regierungsrat ist daher nicht zuständig für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit des Schreibens. 6 HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 736a ff. 7 vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 883d. 8 Kommentar VwVG, Art. 25a, Rz
4 Dem Beschwerdeführer stünde jedoch die öffentlichrechtliche Klage nach Art. 79 Abs. 1 lit. a VRG an das kantonale Verwaltungsgericht offen. Ein ausreichender Rechtsschutz besteht somit und es besteht kein Konflikt zu Art. 29a BV bzw. Art. 13 EMRK. Fazit: Die Kantonsregierung hat richtig entschieden. Unhaltbar wäre der Entscheid nur, wenn es keine Möglichkeit gäbe die Widerrechtlichkeit des Schreibens vor dem Verwaltungsgericht feststellen zu können bzw. sich gegen die Folgen des Realaktes zur Wehr zu setzen; dies wäre ein Verstoss gegen Art. 29a BV. 4
5 4. Wie würden Sie den Fall überschlagsmässig materiell beurteilen (vgl. Urteil K 2008/2 des Verwaltungsgerichts SG vom 18. August 2008 und Urteil BGer. 1C_448/2008 vom 13. März 2009)? Schadenersatz: Es ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Haftung des Staates i.s.v. Art. 1 Abs. 1 HG SG für mögliche Schäden gegeben sind. Der Sachverhalt enthält keine Hinweise auf einen möglichen geldwerten Schaden, welchen Prof. X vor dem Bundesgericht geltend machen könnte. Genugtuung: Im Haftungsgesetz des Kantons St. Gallen findet sich keine Bestimmung, welche einen Anspruch auf Genugtuung regelt. Das Haftungsgesetz SG erklärt in Art. 12 Abs. 2 explizit die Bestimmungen des Obligationenrechts für anwendbar bzgl. der Leistung von Genugtuung. Dies wäre i.c. Art. 49 OR. Art. 49 OR 3. Bei Verletzung der Persönlichkeit 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, hat Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und diese nicht anders wiedergutgemacht worden ist. 2 Anstatt oder neben dieser Leistung kann der Richter auch auf eine andere Art der Genugtuung erkennen. Vorliegend wäre zu prüfen, ob durch das Schreiben der Kantonsregierung Prof. X in seiner Persönlichkeit verletzt worden ist. Der Schutz der Persönlichkeit ist in Art. 10 BV verankert und wurzelt im privatrechtlichen Persönlichkeitsschutz von Art. 27 und 28 ff. ZGB. Funktioneller Zusammenhang: Schädigende Handlung muss in Ausübung dienstlicher Verrichtungen erfolgt sein. Handlungen oder Unterlassungen, die nicht in der Funktion als Beamter, sondern nur bei Gelegenheit erfolgen, können nicht zur Haftung des Staates führen. Die Kantonsregierung hat die Schreiben vom 2. und 3. Mai 2005 nicht nur bei Gelegenheit verfasst. Der funktionelle Zusammenhang kann daher bejaht werden. Widerrechtlichkeit: Die schädigende Handlung muss rechtswidrig sein. Da die Persönlichkeit zu den absolut geschützten Rechtsgütern gehört, ist deren Verletzung per se widerrechtlich, es sei denn, es liegen Rechtfertigungsgründe vor. a) War die Mitteilung widerrechtlich, dass man sich gegen Prof. X wegen einer Vertragsverletzung rechtliche Schritte vorbehalte 9? Nicht jede Beeinträchtigung der Persönlichkeit kann als Verletzung betrachtet werden, sondern es ist eine gewisse Intensität nötig. Es ist denkbar, dass z.b. der offensichtlich unbegründete Vorwurf einer Vertragsverletzung grundsätzlich geeignet sein kann, eine Persönlichkeitsverletzung zu bewirken, zumal wenn der Vorwurf einem Dritten mitgeteilt wird, der die Begründetheit des Vorwurfs nicht ohne weiteres überprüfen kann. Die Kantonsregierung hat sich rechtliche Schritte lediglich vorbehalten. Es fehlt daher an der nötigen Intensität der Beeinträchtigung der Persönlichkeit, als darin eine Persönlichkeitsverletzung i.s.v. Art. 10 BV bzw. Art. 28 ZGB erblickt werden könnte. b) War es widerrechtlich, dass die Kantonsregierung mit sofortiger Wirkung auf eine beratende Mitwirkung von Prof. X verzichtete? 10 Verletzung der Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV). Kann i.c. auch verneint werden. Der Schutzbereich des Art. 20 BV gibt Prof. X keinen Anspruch darauf, weiter als Gutachter im vorliegenden interkantonalen Rechtsstreit als Gutachter mitwirken zu können. c) Bestehen sofern man die Widerrechtlichkeit bejahen will Rechtfertigungsgründe? Die Schreiben vom 2. und 3. Mai 2006 waren nicht widerrechtlich. Eine Prüfung der weiteren Haftungsvoraussetzungen erübrigt sich damit. Fazit: Eine Klage auf Genugtuung von Prof. X wäre abzuweisen. 9 Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. August 2008, E Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. August 2008, E. 6. 5
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