Fair Value ein geeigneter Wertmaßstab in der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen?
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- Benjamin Holzmann
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1 Fair Value ein geeigneter Wertmaßstab in der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen? Gerd Waschbusch Rechnungswesen und Finanzwirtschaft Problemstellung Mit der vom International Accounting Standards Board (IASB) geplanten Einführung des Fair Value Accounting von Versicherungsverträgen können Versicherungsunternehmen in der Praxis bisher wenig anfangen; sie fürchten eine falsche Bilanzierung ihres Geschäftsmodells 1). Es fragt in bestimmten Fällen nicht nur der Theoretiker nach der Übereinstimmung des Fair Value (des beizulegenden Zeitwertes) mit der Wirklichkeit, sondern vor allem der Praktiker nach dem Buchungssatz 2). Denn Versicherungsverträge besitzen in der Regel keinen nachprüfbaren Marktwert. Wird aber ein vorgezogener Gewinnausweis durch die Verankerung eines Asset-and-Liability-Measurement Approach in die Tat umgesetzt, führt dies zu einer Volatilität der Jahresergebnisse von Versicherungsunternehmen, die nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Diese künstlich erhöhte Volatilität hat aller Voraussicht nach höhere Kapitalkosten zur Folge und stellt damit möglicherweise einen gravierenden Wettbewerbsnachteil der Versicherungsunternehmen auf den Kapitalmärkten dar. Rechnungslegung Was ist das? Das International Accounting Standards Board (IASB) hat sich zum Ziel gesetzt, die Bilanzierung von Versicherungsverträgen radikal zu reformieren. In naher Zukunft sollen sämtliche aus Versicherungsverträgen hervorgehende Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zum Fair Value (beizulegenden Zeitwert) bilanziert und bewertet werden. Sehr fraglich erscheint jedoch, ob der für die Bilanzierung und Bewertung von Versicherungsverträgen vorgesehene Wertmaßstab Fair Value überhaupt dazu geeignet ist, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (True and Fair View bzw. Fair Presentation) eines Versicherungsunternehmens zu vermitteln. Im Rahmen dieses Beitrages soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob der Fair Value ein geeigneter Wertmaßstab für die Bewertung versicherungstechnischer Verpflichtungen sein kann. Damit verbunden ist die Frage zu erörtern, wie der Fair Value einer versicherungstechnischen Verpflichtung bestimmt werden kann. Schließlich wird der mit einer Fair Value-Bilanzierung verbundene Asset-and-Liability-Measurement Approach vorgestellt und es werden die Auswirkungen dieses Ansatzes auf die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen diskutiert. Unternehmungen möchten die Ergebnisse ihrer wirtschaftlichen Betätigung durch eine Abbildung verdeutlichen und sich selbst und anderen darlegen. Diese Aufgabe übernimmt das Rechnungswesen. Dabei kann zwischen dem internen und dem externen Rechnungswesen unterschieden werden. Während das interne Rechnungswesen der Selbstinformation des Managements der Unternehmung dient, ist das externe Rechnungswesen auch als Rechnungslegung bekannt für die Informationsversorgung der Adressaten außerhalb der Unternehmung bestimmt. Beispiele für externe Informationsadressaten sind Eigen- und Fremdkapitalgeber, Kunden und Lieferanten, der Fiskus, Konkurrenzunternehmen sowie die allgemeine Öffentlichkeit. Die Rechnungslegung sorgt für die Abbildung vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger wirtschaftlicher Vorgänge in der Unternehmung, wobei die zu vermittelnden Informationen in so genannten Rechenwerken verdichtet werden. In der Bilanz erfolgt die Darstellung der Reinvermögens- bzw. Eigenkapitalsituation der Unternehmung durch eine Gegenüberstellung von Vermögens- und Schuldpositionen. Die Gewinn- und Verlustrechnung zeigt die Erfolgssituation der Unternehmung durch einen Vergleich der Erträge mit den Aufwendungen. Die Kapitalflussrechnung als zahlungsstromorientierte Rechnung bildet die Finanzströme der Unternehmung ab und informiert damit über die Finanzlage der Unternehmung. Die Rechnungslegung mit ihren zahlreichen Vorschriften basiert grundsätzlich auf diesen Rechenwerken. Sie dient zur Rechenschaft über die wirtschaftlichen Vorgänge in der Vergangenheit sowie zu Informationszwecken, um die gegenwärtige und zukünftige wirtschaftliche Situation der Unternehmung einschätzen zu können. Die Rechnungslegung ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern aus Sicht der Unternehmungen auch ökonomisch gewollt. Ökonomisch gewollt ist eine Rechnungslegung, weil durch sie Prozessabläufe besser gesteuert und beurteilt werden können und dadurch Kosten minimiert und Gewinne maximiert werden. Wozu dient eine Versicherung? Gefahren aller Art und Güte begleiten den Menschen auf seinem gesamten Lebensweg 3). Beispiele hierfür sind der (unerwartete) Tod, Erkrankungen, Unfälle sowie der Eintritt von Schäden wie sie beispielsweise durch Naturkatastrophen, technische Geschehnisse oder 1) Vgl. o. V.: Versicherer fürchten falsche Bilanzierung Branchenvertreter fordern Berücksichtigung der spezifischen Geschäftsmodelle bei neuen Vorschriften, in: Handelsblatt vom 13. Januar 2005, Nr. 9, S ) Perlet, Helmut: Fair Value-Bilanzierung bei Versicherungsunternehmen, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 2003, Heft 4, S , hier S Universität des Saarlandes
2 durch Mitbürger hervorgerufen werden. Gefahren als Gegebenheiten der menschlichen Wirklichkeit werden im Wirtschaftsleben zu Risiken. Sinn und Zweck einer Versicherung ist von daher die Absicherung von Gefahren bzw. Risiken, die sich wirtschaftlich ungünstig auswirken. Finanzielle Risiken müssen im Falle des Abschlusses einer Versicherung von dem Einzelnen nicht selbst übernommen werden, sondern sie können vollständig bzw. nahezu vollständig auf Versicherungsunternehmen übertragen werden. Eine Versicherung hilft aber nicht nur der jeweils betroffenen Person, Familie oder Unternehmung, sondern sie fördert auch die Erhaltung stabiler wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse. Vor diesem Hintergrund kann eine Versicherung als eine kollektive Reservenbildung für einen von vorne herein nicht mit endgültiger Sicherheit vorhersehbaren Kapitalbedarf definiert werden. Die kollektiv angesammelten Reserven stehen zur Deckung zukünftiger Leistungen zur Verfügung, die zum Zeitpunkt der Kalkulation der Versicherungsbeiträge (-prämien) in Anzahl und/oder Höhe noch ungewiss sind 4). 3) Vgl. hierzu sowie zum Nachfolgenden Büchner, Franz: Grundriss der Individualversicherung, 8. Aufl., Karlsruhe 1977, S. 7 ff. 4) Vgl. dazu ausführlicher Helten, Elmar; Bittl, Andreas: Versicherungsbetriebslehre, in: Gabler Wirtschafts-Lexikon, 15. Aufl., Wiesbaden 2000, S , hier S ff. 5) Modifiziert entnommen aus Liebwein, Peter: Klassische und moderne Formen der Rückversicherung, Karlsruhe 2000, S ) Vgl. Albrecht, Peter; Schwake, Edmund: Risiko, Versicherungstechnisches, in: Handwörterbuch der Versicherung, hrsg. von Dieter Farny u. a., Karlsruhe 1988, S , hier S ) Vgl. Hesberg, Dieter: Bilanzierung von Versicherungsunternehmen, in: Beck sches Handbuch der Rechnungslegung, hrsg. von Edgar Castan u. a., München 1987, 21. Ergänzungslieferung (Juli 2004), Band II, Abschnitt B 910, S. 1 87, hier S. 14, Rn ) Vgl. zum Risikogeschäft Farny, Dieter: Versicherungsbetriebslehre, 3. Aufl., Karlsruhe 2000, S. 22 und S. 26 ff. 9) Vgl. Grosser, Martina: Erfolgsrechnung von Versicherungsunternehmen nach IAS Gestaltungsempfehlungen unter besonderer Berücksichtigung der Informationsfunktion der Rechnungslegung, Sternenfels 2001, S. 25 ff. 10) Die branchenspezifischen Rechnungslegungsvorschriften für Versicherungsunternehmen sind in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich in den p HGB sowie in der Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds (Rech- VersV) verankert. Abb. 1: Versicherung als eine Form der kollektiven Reservenbildung Abbildung 1 5) stellt die grundsätzliche Aufgabe einer Versicherung als eine Form der kollektiven Reservenbildung dar. Am Beginn der jeweiligen Versicherungsperiode entrichten die Versicherungsnehmer im Regelfall feste Beiträge, welche den Versicherungsunternehmen als kollektive Risikoreserven dienen. Finanzielle Nachteile aus dem Eintritt von Versicherungsfällen werden auf diese Weise ganz oder teilweise auf die Versicherungsunternehmen übertragen, die die zufällig anfallenden Versicherungsleistungen an einzelne Versicherungsnehmer erbringen 6). Trotz der angestrebten Ausgleichseffekte im Kollektiv der Versicherten und in der Zeit haben die Versicherungsunternehmen die Schwankungen der Entschädigungszahlungen zu tragen. Geschäftsmodell eines Versicherungsunternehmens Die Geschäftstätigkeit von Versicherungsunternehmen beinhaltet im Vergleich zur Geschäftstätigkeit von Industrie- und Handelsunternehmen nur einen minimalen Anteil an güterbezogenen Prozessen und Transaktionen 7). Kern des versicherungsbetrieblichen Geschäftsmodells ist vielmehr das Geschäft mit Risiken. Dieses ist durch feste vorhergehende Zahlungsmittelzuflüsse (Versicherungsbeiträge bzw. -prämien) und nachfolgende unsichere und zufällige Zahlungsmittelabflüsse (aufgrund von Schäden) aus dem Abschluss von Versicherungsverträgen gekennzeichnet 8). Durch die Tatsache, dass Versicherungsbeiträge bzw. -prämien zunächst beim Versicherungsunternehmen eingehen und erst zu einem späteren Zeitpunkt (möglicherweise) wieder abgehen, besteht eine spezielle Struktur des Kapitals in Versicherungsunternehmen 9). Diese Struktur ist durch die Finanzierung der Versicherungsunternehmen durch die Versicherungsnehmer geprägt. Zukünftige Ansprüche eines Versicherungsnehmers stellen aus Sicht des Versicherungsunternehmens Verpflichtungen dar, die im Regelfall unter den versicherungstechnischen Rückstellungen auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen werden. Dem Passivposten der versicherungstechnischen Rückstellungen stehen die Vermögensanlagen (Kapitalanlagen) auf der Aktivseite gegenüber. Damit das Versicherungsunternehmen die zukünftigen Ansprüche der Versicherungsnehmer aus den Versicherungsverträgen erfüllen kann, muss es die bereits zuvor von den Versicherungsnehmern erhaltenen Versicherungsbeiträge bzw. -prämien zur Rentabilitätsoptimierung ertragreich am Kapitalmarkt anlegen. Das Kapitalanlagegeschäft eines Versicherungsunternehmens ist deshalb sehr eng mit seinem eigentlichen Versicherungsgeschäft verbunden. Aufgrund der von der Geschäftstätigkeit von Produktions- und Handelsunternehmen abweichenden Geschäftstätigkeit von Versicherungsunternehmen sind eigenständige versicherungsspezifische Rechnungslegungsvorschriften notwendig, um die in Versicherungsunternehmen stattfindenden wirtschaftlichen Vorgänge sachgerecht abbilden zu können 10). Internationalisierung der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen Durch die stetig ansteigende internationale Verflechtung der Wirtschaft ist magazin forschung 1/
3 in den zurückliegenden Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland ein starker Trend zur Internationalisierung der Rechnungslegung erkennbar. Davon betroffen sind nicht nur Industrieund Handelsunternehmen, sondern auch Kreditinstitute und Versicherungen. Ein wesentlicher Grund für die Internationalisierung der Rechnungslegung liegt in der zunehmenden Inanspruchnahme internationaler Kapitalmärkte durch deutsche Unternehmungen 11). International agierende Investoren fordern vergleichbare und transparente Rechnungslegungsinformationen, um Anlageentscheidungen treffen zu können. Dies kann nur gewährleistet werden, wenn international anerkannte Rechnungslegungs- und Publizitätsvorschriften existieren. Über eine weltweit einheitliche Rechnungslegung kann eine reibungslosere Kommunikation zwischen Investoren und Unternehmungen stattfinden. Internationale Rechnungslegungsnormen stellen die Sprache des internationalen Kapitalmarktes dar; wer verstanden werden will, muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Der europäische Gesetzgeber hat mit der so genannten IAS-Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 19. Juli ) auf diese Entwicklung reagiert. Mit Beginn des Jahres 2005 ist in der Europäischen Union abgesehen von einigen Übergangsvorschriften die 11) Vgl. Kümpel, Thomas: Entwicklungsprozess der deutschen Rechnungslegung in Richtung IFRS, in: bilanz & buchhaltung, 2004, Heft 10, S , hier S ) Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. L 243 vom , S ) Baetge, Jörg; Zülch, Henning; Matena, Sonja: Fair Value-Accounting Ein Paradigmenwechsel auch in der kontinentaleuropäischen Rechnungslegung? (Teil A), in: Steuern und Bilanzen, 2002, Heft 8, S , hier S ) Vgl. Hoffmann, Wolf-Dieter; Lüdenbach, Norbert: Beschreiten wir bei der Internationalisierung der Rechnungslegung den Königsweg?, in: Deutsches Steuerrecht, 2002, Heft 20 21, S , hier S ) Vgl. IASC: IASC Constitution, London 2001, C. 2; Bieg, Hartmut; Kußmaul, Heinz: Externes Rechnungswesen, 3. Aufl., München/Wien 2003, S ) Vgl. Coenenberg, Adolf G.: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse Betriebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundsätze HGB, IAS/IFRS, US-GAAP, DRS, 19. Aufl., Stuttgart 2004, S. 51. Rechnungslegung nach International Accounting Standards (IAS) bzw. International Financial Reporting Standards (IFRS) für die Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmungen verbindlich. Erklärtes Ziel der IAS- Verordnung ist die Fortsetzung des Harmonisierungsprozesses der Rechnungslegung in der Europäischen Union, um eine effiziente und kostengünstige Funktionsweise der europäischen Kapitalmärkte sicherzustellen. Mit den Regelungen dieser Verordnung soll der freie Kapitalverkehr im Binnenmarkt gestärkt und ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die Unternehmungen in der Europäischen Union in die Lage versetzt werden, auf den europäischen Kapitalmärkten und auf den Weltkapitalmärkten unter gleichen Wettbewerbsbedingungen um Finanzmittel zu konkurrieren. Als unabdingbar hierfür wird ein hoher Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung aller kapitalmarktorientierten Unternehmungen in der Europäischen Union angesehen. Mit der bereits weitgehend erfolgten Übernahme der IAS/IFRS in europäisches Recht zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der kontinentaleuropäischen Rechnungslegung 13) ab. Dieser Paradigmenwechsel soll dazu dienen, ein verbessertes Bild der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage (True and Fair View) einer Unternehmung zu vermitteln 14). Das in der Bundesrepublik Deutschland im Handelsgesetzbuch (HGB) verankerte Gläubigerschutzprinzip, das tendenziell dazu führt, dass Aktiva eher unterbewertet und Passiva eher überbewertet werden, passt nach Auffassung vieler nicht in dieses Konzept. Nach den IAS/IFRS stehen nicht die Informationsinteressen der Gläubiger, sondern vielmehr diejenigen der Investoren im Mittelpunkt der Betrachtung und diese fordern hinsichtlich der Vermögenswerte und Schulden einer Unternehmung die Bekanntgabe von Marktwerten. Fair Values (beizulegende Zeitwerte) besitzen für Investoren grundsätzlich eine höhere Aussagekraft als historische Anschaffungskosten. Für Versicherungsunternehmen bedeutet dies wohl, dass in naher Zukunft Rechte und Pflichten aus Versicherungsverträgen zum Fair Value bewertet werden. Entstehungsgeschichte der Fair Value-Bilanzierung von Versicherungsverträgen Am 29. Juni 1973 wurde in London das International Accounting Standards Committee (IASC) als eine privatrechtliche Vereinigung gegründet. Ziel dieser Gründung war und ist die Schaffung eines weltweit einheitlichen Rechnungslegungssystems 15). Im Jahr 2001 löste das International Accounting Standards Board (IASB) als Nachfolgeeinrichtung das IASC ab. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden 41 International Accounting Standards (IAS) und ein so genanntes Framework for the Preparation and Presentation of Financial Statements vom IASC veröffentlicht. Die seit diesem Zeitpunkt vom IASB erarbeiteten Standards werden als International Financial Reporting Standards (IFRS) bezeichnet. Die bereits existierenden IAS behalten aber so lange ihre Gültigkeit, bis sie durch neu entwickelte IFRS modifiziert oder für gegenstandslos erklärt werden. Die IAS/IFRS sind insofern stets als eine Einheit zu betrachten 16). Sämtliche Standards des IASC bzw. IASB enthalten detaillierte Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften zu diversen Fragestellungen der Rechnungslegung. Sie sind jeweils nach den behandelten Sachverhalten fallorientiert gegliedert. Die Reihenfolge der IAS/IFRS folgt jedoch keiner inhaltlichen Systematik, sondern spiegelt lediglich die chronologische Entstehung der Standards wieder, sofern nicht be- Prof. Dr. Gerd Waschbusch ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Rechnungswesen und Finanzwirtschaft an der Universität des Saarlandes. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der internationalen Rechnungslegung, des Aufsichtsrechts von Banken und Versicherungen, des Bank- und Versicherungsmarketing sowie der Mittelstandsfinanzierung. Waschbusch ist Autor mehrerer Bücher, darunter Bankenaufsicht in Theorie und Praxis. 20 Universität des Saarlandes
4 reits existierende Standards eine Überarbeitung erfahren haben und trotz der Überarbeitung die bisherige Nummer beibehalten wurde 17). Von den Regelungen der einzelnen IAS/IFRS betroffen ist grundsätzlich auch die Rechnungslegung der Versicherungsunternehmen. Da allerdings die Methoden zur Bilanzierung und Bewertung von Versicherungsverträgen äußerst verschiedenartig sind und auch erheblich von den Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden anderer Branchen abweichen, wird es als zwingend notwendig angesehen, eigenständige Vorschriften zur Bilanzierung und Bewertung von Versicherungsverträgen zu entwickeln 18). Um die diesbezüglich bestehende Lücke in den Rechnungslegungsvorschriften der IAS/IFRS zu schließen, wurde bereits im Jahr 1997 das Projekt Insurance Contracts vom IASC ins Leben gerufen 19). Das vom IASC eingesetzte Steering Committee zur Entwicklung eines Versicherungsstandards präsentierte im Dezember 1999 in einem Issues Paper on Insurance das Ergebnis seiner Arbeit 20). Bereits damals wurde festgelegt, dass sich der Anwendungsbereich des zukünftigen Standards auf Versicherungsverträge als Gegenstand der Bilanzie- Abb. 2: Zeitplan für die Entwicklung eines versicherungsspezifischen IFS Insurance Project Phase I 17) Vgl. Coenenberg, Adolf G.: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse Betriebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundsätze HGB, IAS/IFRS, US-GAAP, DRS, 19. Aufl., Stuttgart 2003, S ) Vgl. IASB: IFRS 4 Insurance Contracts Frequently asked questions, London July 2004, par ) Vgl. Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S ) Vgl. zum Issues Paper on Insurance Hesberg, Dieter: Internationalisierung der Jahresabschlüsse von Versicherungskonzernen Anlaß für eine Neuausrichtung der Rechnungslegung deutscher Versicherungskonzerne?, in: Die deutsche Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung im Umbruch, hrsg. von Carl-Christian Freidank, München 2001, S , hier S ) Vgl. Engeländer, Stefan; Kölschbach, Joachim: Der Fair-Value-Standard ist schwer umzusetzen Zum Entwurf für die Bilanzierung von Versicherungsverträgen nach International Accounting Standards, in: Versicherungswirtschaft, 2003, Heft 17, S , hier S ) Vgl. Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S. 5. Das Draft Statement of Principles (DSOP): Insurance Contracts ist abrufbar unter Stand: ) Vgl. IASB: IASB Update, London May 2002, S. 2 f.; abrufbar unter iasb.co.uk, Stand: Abb. 3: Anwendungsbereich des IFRS 4 rung und Bewertung und nicht auf alle Bilanzierungs- und Bewertungssachverhalte von Versicherungsunternehmen beziehen soll 21). Damit müssen Versicherungsunternehmen jegliche Sachverhalte, die nicht unmittelbar mit den aus Versicherungsverträgen resultierenden Rechten und Pflichten in Verbindung stehen, wie jedes andere Nicht-Versicherungsunternehmen bilanzieren und bewerten. Folglich haben auch Versicherungsunternehmen sämtliche IAS/IFRS zu beachten. Auf der Grundlage des Issues Paper on Insurance und zahlreicher Comment Letters aus Wissenschaft und Praxis folgte dann Ende 2001/Anfang 2002 ein erster Entwurf für einen Versicherungsstandard, das so genannte Draft Statement of Principles (DSOP): Insurance Contracts 22). Die im DSOP enthaltenen Regelungen wurden und werden auf breiter Basis in Wissenschaft und Praxis diskutiert. Aufgrund der Komplexität der Ermittlung von Fair Values für versicherungstechnische Verpflichtungen und des bestehenden Zeitdrucks, einen IFRS für Versicherungsverträge rechtzeitig bis zum 1. Januar 2005 fertig stellen zu müssen, entschied sich das IASB im Mai 2002, das Projekt der Entwicklung eines versicherungsspezifischen Standards in zwei Phasen aufzuteilen 23). Im Rahmen der Phase I wurde am 31. Juli 2003 der Exposure Draft (ED) 5: Insurance Contracts vom IASB veröffentlicht, der am 31. März 2004 nach einer geringen Überarbeitung als IFRS 4 Insurance Contracts verabschiedet wurde. Der IFRS 4 Insurance Contracts stellt somit das Ergebnis der Phase I des Insurance Project dar und präsentiert den Versicherungsunternehmen fristgemäß einen Standard mit Übergangsmagazin forschung 1/
5 charakter 24). Die Inhalte des IFRS 4 zielen darauf ab, den Umstellungsaufwand in der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen zunächst möglichst gering zu halten. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass bei der Verabschiedung eines endgültigen Standards nach Abschluss der Phase II des Insurance Project ein Umstellungsaufwand auf die Versicherungsunternehmen zukommt, der hätte vermieden werden können. Ein endgültiger Standard zur Bilanzierung und Bewertung von Versicherungsverträgen wird allerdings nicht vor 2009 erwartet. Bis dahin müssen die noch ungeklärten Fragen zum Ansatz und zur Bewertung von Versicherungsverträgen abschließend beantwortet sein. Abbildung 2 25) enthält einen Überblick über den bisherigen und den geplanten zeitlichen Ablauf der Entwicklung eines versicherungsspezifischen IFRS. 24) Vgl. Hommel, Michael: ED 5: Der neue Standardentwurf für Versicherungsverträge ein Placebo mit Nebenwirkungen, in: Betriebs-Berater, 2003, Heft 40, S , hier S ) In Anlehnung an Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S ) Vgl. Engeländer, Stefan; Kölschbach, Joachim: Der International Financial Reporting Standard 4 für Versicherungsverträge, in: Versicherungswirtschaft, 2004, Heft 8, S , hier S. 578 f. 27) Modifiziert entnommen aus Kölschbach, Joachim: Versicherungsgeschäfte, in: Rechnungslegung für Banken nach IAS Praxisorientierte Einzeldarstellungen, hrsg. von Edgar Löw, Wiesbaden 2003, S , hier S ) Vgl. Deloitte & Touche: Bilanzierung von Versicherungsverträgen nach IFRS auf Grundlage des IFRS 4, Folie 17; abrufbar unter uni-trier.de/uni/fb4/ wpc /Vers_IFRS4_BaFin.ppt, Stand: Die Regelungen des IFRS 4 Insurance Contracts sehen vor, dass Versicherungsunternehmen zur Abbildung ihres Versicherungsgeschäfts überwiegend ihre bisherigen Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden beibehalten können. Dies gilt unabhängig davon, ob bislang schon ein IAS/IFRS-Abschluss erstellt wurde und IFRS 4 nun erstmalig angewandt wird oder ob überhaupt erstmals ein IAS/IFRS-Abschluss erstellt wird. Die einschlägigen Vorschriften des IAS enthalten zwar Kriterien zur Vorgehensweise, wenn hinsichtlich der Bilanzierung und Bewertung von Sachverhalten Regelungslücken innerhalb der IAS/IFRS bestehen. Jedoch finden diese Vorschriften gemäß IFRS 4.13 auf Versicherungsverträge grundsätzlich keine Anwendung. Zentrale Inhalte der Phase I des Insurance Project sind die Offenlegungspflichten zur Erläuterung versicherungsspezifischer Bilanzpositionen und zukünftiger Zahlungsströme aus Versicherungsverträgen (IFRS 4.1). Durch diese Offenlegungspflichten soll ein Mindestumfang an Vergleichbarkeit und Transparenz der Abschlüsse von Versicherungsunternehmen erzielt werden 26). Um den gewünschten Mindestinformationsstand der externen Adressaten der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen sicherzustellen, müssen daher jene Beträge im Abschluss eines Versicherungsunternehmens gezeigt und erläutert werden, die aus Versicherungsverträgen resultieren (IFRS 4.36). Darüber hinaus müssen im Anhang des Abschlusses eines Versicherungsunternehmens Angaben gemacht werden, die es den Adressaten des Abschlusses erlauben, den Betrag, den Zeitpunkt und die Ungewissheit künftiger Zahlungsströme aus Versicherungsverträgen nachzuvollziehen (IFRS 4.38). Der Anwendungsbereich des IFRS 4 verfolgt einen produktbezogenen und keinen institutionellen Ansatz; er zielt ausschließlich auf die Bilanzierung von Versicherungsverträgen ab. Dementsprechend sind diejenigen Vermögenswerte und Schulden eines Versicherungsunternehmens, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Versicherungsvertrag stehen, nach den allgemeinen Vorschriften der IAS/IFRS der Bilanzierung und Bewertung zu unterwerfen. Anwendung findet der IFRS 4 auf solche Unternehmungen, die Erstversicherungsverträge und/oder Rückversicherungsverträge ausgeben und Rückversicherungsverträge halten (IFRS 4.2a). IFRS 4 enthält zudem ausschließlich Regelungen zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen beim Emittenten (IFRS 4.IN3). Regelungen zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen beim Versicherungsnehmer enthält IFRS 4 nicht (IFRS 4.4 Buchstabe f). Abbildung 3 27) zeigt in einem Überblick den Anwendungsbereich des IFRS 4. Neben dem Anwendungsbereich wird als Ergebnis der Phase I des Insurance Project auch die Definition eines Versicherungsvertrages festgelegt. Nach IFRS 4 Appendix A ist ein Versicherungsvertrag ein Vertrag, nach dem eine Partei (der Versicherer) ein signifikantes Versicherungsrisiko von einer anderen Partei (dem Versicherungsnehmer) übernimmt, indem sie vereinbart, dem Versicherungsnehmer eine Entschädigung zu leisten, wenn ein spezifiziertes ungewisses zukünftiges Ereignis (das versicherte Ereignis) den Versicherungsnehmer nachteilig betrifft. Dieser Definition eines Versicherungsvertrages folgend muss bereits beim Abschluss eines Versicherungsvertrages eine Ungewissheit bezüglich des Eintritts eines zukünftigen Ereignisses bestehen. Ungewissheit liegt gemäß IFRS 4 Appendix B2 vor, wenn eine der folgenden Fragen nicht beantwortet werden kann: Wird das versicherte Ereignis überhaupt eintreten? Wann wird das versicherte Ereignis eintreten? Wie viel wird der Versicherer im Falle des Eintritts des versicherten Ereignisses zu leisten haben? Darüber hinaus ist maßgeblicher Vertragsbestandteil eines Versicherungsvertrages die Übernahme eines wesentlichen versicherungstechnischen Risikos durch den Versicherer. Das versicherungstechnische Risiko stellt kein finanzielles Risiko dar und geht vom Versicherungsnehmer auf den Emittenten des Versicherungsvertrages über (IFRS 4 Appendix A). Die Übernahme eines wesentlichen versicherungstechnischen Risikos ist dann gegeben, wenn es plausibel erscheint, dass der Eintritt des versicherten ungewissen zukünftigen Ereignisses eine signifikant nachteilige Veränderung des Barwerts des aus dem Versicherungsvertrag erwarteten Zahlungsstroms hervorruft (IFRS 4 Appendix B23). Das versicherungstechnische Risiko ist nicht signifikant, wenn das Eintreten des versicherten Ereignisses nur eine triviale Änderung des Barwerts des aus dem Versicherungsvertrag zu erwartenden Zahlungsstroms zur Folge hat. Somit liegt ein signifikantes Verlustrisiko vor, wenn eine vernünftige Möglichkeit besteht, dass das Ereignis eintrifft, und dieses Ereignis eine signifikante Änderung des Barwerts des erwarteten Zahlungsstroms aus dem Versicherungsvertrag hervorruft und das Ereignis aus dem Versicherungsrisiko stammt. Mit anderen Worten: Eine signifikante Änderung des Barwerts des Zahlungsstroms aus einem finanziellen Risiko gilt nicht als signifikant i. S. d. IFRS 4 28). 22 Universität des Saarlandes
6 Eine Bestimmung über die Vorgehensweise der Quantifizierung des versicherungstechnischen Risikos enthält IFRS 4 nicht. Die Frage, ob ein signifikantes versicherungstechnisches Risiko besteht oder nicht, ist allerdings grundsätzlich auf der Grundlage des einzelnen Versicherungsvertrages zu beurteilen, ohne den Risikoausgleich im Kollektiv zu berücksichtigen 29). Abbildung 4 30) veranschaulicht noch einmal die Definition eines Versicherungsvertrages nach IFRS 4. Neben der Festlegung der Definition eines Versicherungsvertrages und der Verankerung des Anwendungsbereiches werden in dem IFRS 4 noch zahlreiche weitere Sachverhalte verbindlich festgeschrieben. Die gegenwärtig diskutierte Fair Value-Bilanzierung von Versicherungsverträgen wird jedoch erst in Phase II festgeschrieben werden. Nachfolgend werden die Gründe für eine Fair Value-Bilanzierung dargestellt, bevor der Wertmaßstab Fair Value vorgestellt und auf seine Funktionsfähigkeit hin überprüft wird. Insurance Project Phase II 29) Vgl. Engeländer, Stefan; Kölschbach, Joachim: Der Fair-Value-Standard ist schwer umzusetzen Zum Entwurf für die Bilanzierung von Versicherungsverträgen nach International Financial Reporting Standards, in: Versicherungswirtschaft, 2003, Heft 17, S , hier S ) Modifiziert entnommen aus KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft (Hrsg.): IFRS visuell Die IFRS in strukturierten Übersichten, Stuttgart 2004, S ) Vgl. IASB, F.9 f. 32) Vgl. Baetge, Jörg; Zülch, Henning: Fair Value- Accounting, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 2001, Heft 6, S , hier S ) Vgl. Rockel, Werner; Sauer, Roman: IFRS für Versicherungsverträge (I) Inhalte und Problemfelder von Phase 1, in: Versicherungswirtschaft, 2004, Heft 4, S , hier S ) Vgl. beispielsweise zum Fair Value finanzieller Vermögenswerte Ernst & Young: Rechnungslegung von Financial Instruments nach IAS 39 Eine Darstellung der Bilanzierung auf der Basis von IAS 32 und IAS 39 (revised 2003), 3. Aufl., Stuttgart 2004, S. 83 ff. 35) IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 3: Measurement: Overall Issues, London 2001, par 3.16a. Die wichtigste Adressatengruppe einer Rechnungslegung nach den IAS/IFRS stellen die Investoren dar 31). Arbeitnehmer, Lieferanten, Gläubiger, Kunden, Regierungen sowie die Öffentlichkeit sind weitere Adressaten einer Rechnungslegung nach den IAS/IFRS. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein IAS/IFRS-Abschluss, der dem Informationsbedarf der Investoren entspricht, gleichzeitig auch die Informationsbedürfnisse der restlichen Adressaten befriedigt. Da nun Investoren für ihre Informationszwecke Fair Values (beizulegende Zeitwerte) den historischen Anschaffungskosten vorziehen 32), liegt es nahe, eine Fair Value- Bilanzierung versicherungstechnischer Verpflichtungen im Rahmen der Phase II des Insurance Project zu verfestigen. Die auf der Aktivseite der Bilanz eines Versicherungsunternehmens ausgewiesenen Kapitalanlagen, die zur Deckung der auf der Passivseite der Bilanz erfassten versicherungstechnischen Verpflichtungen dienen, werden nach den IAS/IFRS bereits überwiegend zum Fair Value bewertet. Werden nun die versicherungstechnischen Verpflichtungen auf der Passivseite der Bilanz wie bisher weiterhin extrem vorsichtig und im Regelfall undiskontiert bewertet, entsteht ein Ungleichgewicht in der Bilanz, da die Aktiva anders auf Veränderungen der Märkte reagieren als die Passiva 33). Dieses während der Phase I des Insurance Project bestehende Ungleichgewicht aufgrund unterschiedlicher Abbildungsvorschriften für die Aktiv- und Passivseite der Bilanz wird als Asset/ Liability-Mismatching bezeichnet. Erhöht sich beispielsweise der Marktzins, resultiert daraus eine Verminderung des Kurswerts der zum Fair Value bewerteten Schuldverschreibungen auf der Aktivseite. Bei den versicherungstechnischen Verpflichtungen auf der Passivseite der Bilanz kommt es dagegen derzeit bei einer Erhöhung des Marktzinses zu keiner Änderung des Buchwertes. Damit unterschiedliche Bewertungsvorschriften auf der Aktivseite und auf der Passivseite der Bilanz vermieden werden und auch keine Spezialvorschriften versicherungstechnischer Art Eingang in die internationale Rechnungslegung finden, besteht die Überlegung, auch die versicherungstechnischen Verpflichtungen mit dem Fair Value zu bewerten. Begriff Fair Value Abb. 4: Definition eines Versicherungsvertrages nach IFRS 4 Der Fair Value (beizulegende Zeitwert) wird gemäß IFRS 4 Appendix A definiert als the amount for which an asset could be exchanged, or a liability settled, between knowledgeable, willing parties in an arm s length transaction. Während die Auslegung der Definition des Fair Value auf der Aktivseite der Bilanz für Finanzinstrumente eine vergleichsweise einfache Übung darstellt 34), gestaltet sich diese Auslegung auf der Passivseite der Bilanz für versicherungstechnische Verpflichtungen wesentlich schwieriger. Das DSOP Insurance Contracts des IASB enthält diesbezüglich drei Auslegungsmöglichkeiten: Einerseits könnte der Fair Value als the amount at which others are willing to hold the liability 35) interpretiert werden. In diesem Falle entspräche der Fair Value einer Schuld dem Wert, den sie für andere (insbesondere den Gläubiger) als Vermögensgegenstand verkörpert. Darüber hinaus könnmagazin forschung 1/
7 36) IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 3: Measurement: Overall Issues, London 2001, par 3.16b. 37) IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 3: Measurement: Overall Issues, London 2001, par 3.16c. 38) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 3: Measurement: Overall Issues, London 2001, par ) Vgl. Perlet, Helmut: Fair Value-Bilanzierung bei Versicherungsunternehmen, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 2003, Heft 4, S , hier S ) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 5: Adjustments für Risk und Uncertainty, London 2001, par ) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 5: Adjustments für Risk und Uncertainty, London 2001, par ) Vgl. auch Rockel, Werner; Sauer, Roman: IFRS für Versicherungsverträge (II) Fair Value-Bilanzierung und Auswirkungen auf Solvency II, in: Versicherungswirtschaft, 2004, Heft 5, S , hier S ) Vgl. Casualty Actuarial Society: Task Force on Fair Value Liabilities White Paper on Fair Valuing Property/Casualty Insurance Liabilities, Arlington 2000, p. 18 ff.; abrufbar unter org, Stand: ) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 5: Adjustments für Risk und Uncertainty, London 2001, par Zu den unterschiedlichen Modellen vgl. auch Dicke, Arnold A.: Comparison of methods for fair value life insurance liabilities, in: The Fair Value of Insurance Liabilities, hrsg. von Irwin T. Vanderhoof und Edward I. Altman, Boston/Dordrecht/London 1998, S ) Vgl. dazu Bieg, Hartmut; Kußmaul, Heinz: Investitions- und Finanzierungsmanagement, Band III: Finanzwirtschaftliche Entscheidungen, München/Wien 2000, S. 131 ff. te der Fair Value einer versicherungstechnischen Verpflichtung aber auch als the amount that the enterprise would have to pay to the creditor to extinguish the liability 36) erklärt werden. Diese Auslegung knüpft an das Versicherungsgeschäft zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer an. Dabei wird unterstellt, dass keine aktiven Märkte für versicherungstechnische Verpflichtungen existieren und auch kein Handel mit versicherungstechnischen Verpflichtungen stattfindet. Der Wert der versicherungstechnischen Verpflichtung entspricht dem Wert aus Sicht des Versicherungsnehmers. Letztlich kann der Fair Value auch ausgelegt werden als the amount that the enterprise would have to pay a third party at the balance sheet date to take over the liability 37). Im Gegensatz zur vorherigen Auslegung wird bei dieser Auslegung nicht auf das Versicherungsgeschäft zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer abgestellt, sondern auf ein Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherer und einem unabhängigen Dritten. Das IASB favorisiert bislang die dritte Auslegung, weil diese mit der Definition des Fair Value in den IFRS kongruent ist 38). Fair Value-Bilanzierung von Versicherungsverträgen Die eigentliche Problematik der Bewertung von versicherungstechnischen Verpflichtungen zum Fair Value besteht darin, dass es keine aktiven Märkte für Versicherungsverträge gibt 39). Bestünde für einen zu bewertenden Versicherungsvertrag ein aktiver Markt und könnten dort zuverlässige Werte beobachtet werden wie dies beispielsweise bei Aktien an Börsen der Fall ist, so könnte der Fair Value ohne weiteres bestimmt werden. Der Fair Value eines Versicherungsvertrages wäre gleich seinem Marktpreis. Wegen fehlender aktiver Märkte für Versicherungsverträge können deren Fair Values allerdings nur auf Basis vergleichbarer Zahlungsströme marktgehandelter Finanztitel oder anhand allgemein anerkannter Bewertungsmodelle ermittelt werden. Die Fair Values von Versicherungsverträgen korrespondieren mit den auf den Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses diskontierten zukünftigen Zahlungsströmen dieser Versicherungsverträge. Diese zukünftigen Zahlungsströme aus den verschiedenen Versicherungsverträgen sind allerdings unter Umständen mit erheblichen Risiken behaftet, da beispielsweise die Anzahl der eingetretenen Schäden von der Anzahl der erwarteten Schäden abweichen kann und sich damit die tatsächlichen Kosten von den erwarteten Kosten unterscheiden. Die zukünftigen Ein- und Auszahlungen aus Versicherungsverträgen können also in der Regel nicht mit absoluter Sicherheit prognostiziert werden. Die Ungewissheit über die Höhe und den Zeitpunkt der einzelnen Zahlungen erfordert vielmehr eine Schätzung, wobei die mit einer Schätzung zwangsläufig verbundene Unsicherheit in Form einer Risikoprämie der so genannten Market Value Margin zu berücksichtigen ist 40). Bei der eher hypothetischen Ermittlung des Marktwertes versicherungstechnischer Verpflichtungen kann die Berücksichtigung der Risikoprämie auf zwei Wegen erfolgen. Entweder kann die Risikoprämie in den Zahlungsströmen oder in dem verwendeten Diskontierungszinssatz ihren Niederschlag finden 41). Wird die Risikoprämie bereits in den Ein- und Auszahlungen berücksichtigt, erfolgt eine Diskontierung mit dem risikolosen Zinssatz. Dabei werden die Einzahlungen mit einem Risikoabschlag und die Auszahlungen mit einem Risikozuschlag versehen. Erfolgt eine Berücksichtigung der Risikoprämie im Zinssatz, werden Einzahlungen durch die Verwendung eines erhöhten Zinssatzes stärker diskontiert und Auszahlungen durch die Verwendung eines verminderten Zinssatzes weniger stark diskontiert. Die Bestimmung der Risikoprämie sollte sich am Konzept des Entry Value orientieren 42). Danach ist diejenige Risikoprämie einzukalkulieren, die ein Versicherer bei einem Neuabschluss eines Versicherungsvertrages mit den gleichen Merkmalen wie die zu bewertenden versicherungstechnischen Verpflichtungen am Markt fordern könnte. In diesem Zusammenhang werden derzeit mehrere Modelle zur Bestimmung der Risikoprämie diskutiert 43). Diesen Modellen liegen entweder kapitalmarkt- oder risikotheoretische Überlegungen zugrunde. Das IASB unterstützt allerdings mit Nachdruck die Anwendung kapitalmarkttheoretischer Modelle auf Versicherungsverträge 44). Diskutiert wird beispielsweise, ob das aus der Kapitalmarkttheorie bekannte Capital Asset Pricing Model 45) zur Bestimmung einer adäquaten Risikoprämie herangezogen werden kann. Leider fehlt es aber den bislang diskutierten kapitalmarkttheoretischen Modellen an der Übertragbarkeit auf Versicherungsmärkte, während die risikotheoretischen Modelle meist den Marktbezug vernachlässigen. Darüber hinaus fordern die einzelnen Modelle auch die Einbeziehung der Bonität des Versicherungsunternehmens. Weil aber keines der bisher diskutierten Modelle zur Bestimmung von Fair Values versicherungstechnischer Verpflichtungen geeignet erscheint, besteht bis zur Verabschiedung eines abschließenden IFRS für Versicherungsverträge noch erheblicher Abstimmungsbedarf. Argumente für den Wertmaßstab Fair Value Da Versicherer weitgehend der Anforderung unterliegen, ihre Kapitalanlagen zur Bedeckung der versiche- 24 Universität des Saarlandes
8 Ein weiteres Argument für die Verwendung von Fair Values ist die Konsistenz in der Bewertung mit anderen Finanzinstrumenten. Da finanzielle Verpflichtungen nicht-versicherungstechnischer Art eine Ähnlichkeit zu versicherungstechnischen Verpflichtungen aufweisen, sollten diese auch identisch bewertet werden. Werden versicherungstechnische Verpflichtungen nicht identisch zu anderen finanziellen Verpflichtungen bewertet, können unter Umständen Wettbewerbsnachteile entstehen, die auf Bilanzierungsvorschriften und nicht auf Wirtschaftlichkeitsaspekte zurückzuführen sind. Für Investoren besitzt gerade der Wert der versicherungstechnischen Verpflichtungen, mit dem versicherungstechnische Verpflichtungen abgelöst oder gehandelt werden können, die höchste Informationsrelevanz. Unter Berücksichtigung dieser Argumente stellt der Fair Value den sinnvollsten Wertmaßstab für versicherungstechnische Verpflichtungen dar. Das wohl stärkste Argument stellt die höhere Objektivität dar, die eine Bewertung zum Fair Value grundsätzlich ermöglicht 47). Argumente gegen den Wertmaßstab Fair Value Abb. 5: Deferral-and-Matching Approach Abb. 6: Asset-and-Liability-Measurement Approach rungstechnischen Verpflichtungen zum Fair Value zu bewerten, sollten auch die versicherungstechnischen Passiva eine Bewertung zum Fair Value erfahren 46). Eine einheitliche Vorgehensweise in der Bewertung sowohl der Aktiva als auch der Passiva verhindert eine künstliche Volatilität des Jahreserfolgs sowie der Eigenkapitalpositionen. Darüber hinaus steht eine Zeitwertbilanzierung so genannten Arbitragegeschäften entgegen. Werden nämlich versicherungstechnische Verpflichtungen in der Bilanz anders bewertet als sie auf dem Markt tatsächlich wert sind, hat dies möglicherweise Arbitragegeschäfte durch den Verkauf solcher Verpflichtungen zur Folge. Die Ermittlung zuverlässiger objektiver Zeitwerte für versicherungstechnische Verpflichtungen stellt ein schwieriges Unterfangen dar und ist nicht immer möglich 48). Um den Fair Value versicherungstechnischer Verpflichtungen ermitteln zu können, müssen zahlreiche Schätzungen und Annahmen getroffen werden. Solche Schätzungen und Annahmen unterliegen subjektiven Einflüssen. Als Folge hiervon ergeben sich unweigerlich Manipulationsmöglichkeiten. Zum Fair Value bewertete versicherungstechnische Verpflichtungen sind zudem bei veränderten Zinsstrukturkurven und Risikoanpassungen größeren Wertschwankungen ausgesetzt als undiskontierte bzw. konservativ diskontierte versicherungstechnische Verpflichtungen. Die hieraus resultierende Erhöhung der Volatilität im Jahresergebnis bereitet grundsätzlich größere Sorgen als die Bereitstellung von adäquaten Informationen für Investoren. Die Einführung und Aufrechterhaltung eines Fair Value Accounting 46) Vgl. Casualty Actuarial Society: Task Force on Fair Value Liabilities White Paper on Fair Valuing Property/Casualty Insurance Liabilities, Arlington 2000, p. 9; abrufbar unter Stand: ) Vgl. Perlet, Helmut: Zeitwertbilanzierung bei Versicherungsunternehmen, in: Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen, Festschrift für Horst Richter, hrsg. von Gerd Geib, Düsseldorf 2001, S , hier S. 296 f. 48) Vgl. Casualty Actuarial Society: Task Force on Fair Value Liabilities White Paper on Fair Valuing Property/Casualty Insurance Liabilities, Arlington 2000, p. 9; abrufbar unter Stand: magazin forschung 1/
9 System ist darüber hinaus mit einem hohen Zeitaufwand und finanziellen Mitteleinsatz verbunden. Ein weiteres Argument gegen die Einführung einer Fair Value-Bilanzierung ist die Tatsache, dass bislang in den internationalen Rechnungslegungsvorschriften noch nie der Wertmaßstab Fair Value verwendet wurde, ohne dass gleichzeitig aktive Märkte vorhanden waren. Die Implementierung einer Fair Value-Bilanzierung könnte daher durchaus einige unbeabsichtigte und unerwartete Konsequenzen nach sich ziehen. Asset-and-Liability-Measurement Approach versus Deferral-and- Matching Approach Neben der Implementierung einer Fair Value-Bilanzierung von Versicherungsverträgen plant das IASB auch die Einführung eines Asset-and-Liability-Measurement Approach für Versicherer. Der derzeitigen Rechnungslegung von Versicherern liegt dagegen der Deferral-and-Matching Approach zugrunde 49). Der Deferral-and-Matching Approach wird damit begründet, dass sich der Erfolg einer Unternehmung zwar als Differenz zwischen den Einzahlungen 49) Vgl. Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S ) Vgl. Varain, Thomas C.: Ansatz und Bewertung versicherungstechnischer Verpflichtungen von Schaden- und Unfallversicherungsunternehmen nach IAS/IFRS, Lohmar/Köln 2004, S ) Vgl. Kölschbach, Joachim: Versicherungsgeschäfte, in: Rechnungslegung für Banken nach IAS Praxisorientierte Einzeldarstellungen, hrsg. von Edgar Löw, Wiesbaden 2003, S , hier S. 478 f. 52) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 2: Overall Approach, Recognition and Derecognition. A Single Recognition and Measurement Approach for All Forms of Insurance, London 2001, par 2.9 ff. 53) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 2: Overall Approach, Recognition and Derecognition. A Single Recognition and Measurement Approach for All Forms of Insurance, London 2001, par 2.10a. 54) Vgl. Kölschbach, Joachim: Versicherungsbilanzen: Zeitwerte auf dem Vormarsch Zur Anpassung der International Accounting Standards an Versicherungsunternehmen, in: Versicherungswirtschaft, 2000, Heft 7, S , hier S ) Vgl. IASB: Draft Statement of Principles, Chapter 2: Overall Approach, Recognition and Derecognition. A Single Recognition and Measurement Approach for All Forms of Insurance, London 2001, par 2.9b. 56) Vgl. nachfolgend Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S. 10. und Auszahlungen über die gesamte Lebensdauer einer Unternehmung (Totalperiode) ergibt 50), es allerdings für die regelmäßige Berichterstattung unabdingbar ist, die Totalperiode in Teilperioden zu unterteilen. Aufgrund der Langfristigkeit des Versicherungsgeschäftes kann der Erfolg eines Versicherungsvertrages aber im Regelfall wiederum nur über mehrere Perioden hinweg festgestellt werden. Da die Zielsetzung des Deferral-and-Matching Approach die möglichst exakte periodengerechte Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen ist, müssen neben den Vermögenswerten und Schulden auch Rechnungsabgrenzungsposten zur Übertragung von Abschlussaufwendungen und noch nicht verdienten Beitragseinnahmen in zukünftige Rechnungslegungsperioden berücksichtigt werden 51). Der Deferral-and-Matching Approach entspricht somit einer dynamischen Bilanzauffassung (siehe Abbildung 5). Im Gegensatz zu der aktuellen Praxis der Bilanzierung von Versicherungsverträgen soll gemäß dem DSOP Insurance Contracts der Asset-and-Liability-Measurement Approach die Grundlage für die Bilanzierung und Bewertung von Versicherungsverträgen bilden 52). Grund dafür ist die Tatsache, dass der Asset-and-Liability-Measurement Approach im Gegensatz zum Deferral-and-Matching Approach im Einklang mit den Rahmengrundsätzen (dem Framework) der IAS/IFRS steht. Nach dem DSOP Insurance Contracts rechtfertigen die besonderen Eigenschaften des Versicherungsgeschäftes kein Abweichen von den Rahmengrundsätzen der IAS/IFRS 53). Es dürfen folglich nur solche Vermögenswerte und Schulden in die Bilanz eines Versicherers aufgenommen werden, die die entsprechende Definition des Frameworks des IASB erfüllen. Der Ansatz von Rechnungsabgrenzungsposten, die weder einen Vermögenswert noch eine Verpflichtung darstellen, ist nicht zulässig. Nicht erlaubt ist auch die Passivierung von Schwankungsrückstellungen, da diese keine Verpflichtungen aus vergangenen Ereignissen darstellen und damit die Kriterien einer Schuld nicht erfüllen. Versicherungstechnische Vermögenswerte und Verpflichtungen werden in einem Asset-and-Liability-Measurement Approach mit dem Barwert der aus ihnen (voraussichtlich) resultierenden Zahlungsströme (Cashflows) erfasst. Das besondere Augenmerk eines Asset-and-Liability-Measurement Approach richtet sich dabei nicht wie beim Deferral-and-Matching Approach auf die Gewinn- und Verlustrechnung, sondern auf die Bilanz einer Unternehmung und damit verbunden auf eine möglichst realistische Darstellung und Bewertung von Vermögenswerten und Schulden 54). Der Periodenerfolg einer Unternehmung ermittelt sich bei diesem Ansatz als Reinvermögenszuwachs (Eigenkapitalzuwachs) innerhalb einer Berichtsperiode, also als Differenz der Vermögenswerte und Schulden zwischen dem Beginn und dem Ende der Rechnungslegungsperiode 55). Der Asset-and-Liability-Measurement Approach entspricht insofern einer statischen Bilanzauffassung (siehe Abbildung 6). Im Hinblick auf die Bilanz von Versicherungsunternehmen würde sich bei einem Wechsel vom gegenwärtigen Deferral-and-Matching Approach hin zu einem Asset-and-Liability-Measurement Approach eine Reihe von gravierenden Veränderungen im Vergleich zur derzeitigen Vorgehensweise ergeben 56) : Für Versicherungsverträge mit einer in der Regel langen Laufzeit wäre der Gegenwartswert der Zahlungsströme aus diesen Verträgen festzustellen. Als Folge hiervon müssten die aus den Versicherungsverträgen resultierenden Forderungen und Verpflichtungen ermittelt und als Aktiva und Passiva angesetzt werden. Abschlusskosten würden hierbei voll berücksichtigt werden und wären nicht länger ein selbstständig aktivierungsfähiger Vermögensgegenstand. Die derzeit bestehende Passivposition Rückstellungen für Beitragsüberträge würde aus der Bilanz entfallen. Jedoch müsste eventuell eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in Höhe des Schadenerwartungswertes gebildet werden. Versicherungstechnische Rückstellungen würden entgegen der augenblicklichen Praxis nicht undiskontiert, sondern abgezinst bilanziert werden. Auf diese Weise würde der je nach Fälligkeit zukünftiger Zahlungen unterschiedlichen wirtschaftlichen Belastung Rechnung getragen. 26 Universität des Saarlandes
10 Sollten künftige Schadenzahlungen bei der Ermittlung von versicherungstechnischen Verpflichtungen abgezinst werden, würde hierdurch das Eigenkapital eines Versicherungsunternehmens höher ausgewiesen werden 57). Auch die Bewertung der eingegangenen versicherungstechnischen Verpflichtungen könnte möglicherweise das Eigenkapital eines Versicherungsunternehmens erhöhen, sofern diese am Bilanzstichtag niedriger bewertet würden als der Gegenwartswert der zugehörigen Beitragseinnahmen und vice versa 58). Sobald neue Versicherungsverträge abgeschlossen würden, würde dies zu einem sofortigen Ausweis der Gewinne und Verluste aus diesen Neugeschäften führen. Und dies vor dem Hintergrund, dass Versicherungsverträge häufig Laufzeiten von 30 Jahren und länger aufweisen. Dies steht im Widerspruch zur Langfristigkeit und Zeitraumbezogenheit des Versicherungsgeschäftes sowie zu entsprechenden Rechnungslegungsstandards anderer Branchen, beispielsweise für die (langfristige) Auftragsfertigung gemäß IAS 11. Zusammenfassung und Ausblick Das IASB hat sich nach langer Diskussion zu einer umfassenden Fair Value-Bilanzierung von Vermögenswerten und von Schulden aus Versicherungsverträgen entschieden (IFRS 4.BC6b). Die Problematik der Bewertung von assets und liabilities aus Versicherungsverträgen zum Fair Value liegt in dem Umstand begründet, dass für Versicherungsverträge im Allgemeinen keine aktiven Märkte existieren, anhand derer die Fair Values objektiv bestimmt werden könnten. Für Versicherungsunternehmen besteht daher die Möglichkeit, bei der Bestimmung von Fair Values unternehmensspezifische Annahmen und Informationen zu verwenden, wenn die Ermittlung marktbasierter Informationen mit verhältnismäßig hohen Kosten und Anstrengungen verbunden ist (IFRS 4.BC6bi). Die auf diese Weise errechneten Fair Values der versicherungstechnischen Verpflichtungen müssen jedoch mindestens so hoch sein wie für Verträge mit gleicher Laufzeit und Vertragsgestaltung, die ein Versicherungsunternehmen neuen Versicherungsnehmern vorlegen würde (IFRS 4.BC6bii). Bei der Ermittlung des Fair Value einer versicherungstechnischen Verpflichtung sollen die zukünftigen Cashflows aus dem Versicherungsvertrag zum Barwert abgezinst werden, wobei die Abzinsung mit risikofreien Marktzinsen erfolgen soll. Daneben müssen bei der Bewertung Risikoabschläge vorgenommen und die eigene Bonität des Versicherungsunternehmens berücksichtigt werden. 57) Vgl. Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S ) Vgl. Wenzel, Thorsten: Versicherungen Paradigmenwechsel in der Rechnungslegung Eine Research-Publikation der DZ Bank AG, Frankfurt am Main 2003, S ) Vgl. Diewald, Rudolf: Fair Value (auch) eine Glaubensfrage? Der Versicherungsstandard des IASB aus kritischer Sicht, in: Versicherungswirtschaft, 2002, Heft 21, S , hier S ) Diewald, Rudolf: Fair Value (auch) eine Glaubensfrage? Der Versicherungsstandard des IASB aus kritischer Sicht, in: Versicherungswirtschaft, 2002, Heft 21, S , hier S Sollte in die Rechnungslegung der Versicherer ein Asset-and-Liability-Measurement Approach eingeführt werden und damit ein Gewinnausweis bereits bei Vertragsabschluss stattfinden, würde dies zu unechten Schwankungen der Jahresergebnisse von Versicherungsunternehmen führen. Diese künstlich erhöhte Volatilität der Jahresergebnisse dürfte höhere Kapitalkosten zur Folge haben, die nicht ohne Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Versicherungsunternehmen bleiben werden. Dies kann nicht akzeptiert werden. Ein Asset-and-Liability-Measurement Approach darf nur eingeführt werden, wenn sämtliche Branchen in die Anwendung einbezogen werden. Bei einem solchen Vorgehen wäre sowohl eine zwischenbetriebliche Vergleichbarkeit innerhalb einer Branche als auch eine branchenübergreifende Vergleichbarkeit gewährleistet. Welchen Weg die künftige Rechnungslegung auch gehen mag, das IASB sollte darauf bedacht sein, dass das dem Versicherungsgeschäft zugrunde liegende Geschäftsmodell zutreffend dargestellt wird. Da eine Fair Value-Bilanzierung für Vermögenswerte der Aktivseite bereits weitgehend eingeführt wurde, ist ein IFRS zur einheitlichen Bilanzierung und Bewertung von Versicherungsverträgen dringend geboten. Den Fair Value eines Versicherungsvertrages anzusetzen, der weder zum Handel erschaffen wurde noch gehandelt wird, ist jedoch absurd 59), solange noch kein zufrieden stellendes Modell zur Ermittlung der Fair Values von versicherungstechnischen Verpflichtungen entwickelt wurde, das allen Ansprüchen genügt. Die bisher diskutierten Modelle haben ihre Grenzen. Forscher, Wissenschaftler und Mathematiker sind aufgerufen, die Welt neu zu erfinden 60). magazin forschung 1/
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