Psychische Belastung und Gefährdung - Sechs häufige Denkfehler

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1 Psychische Belastung und Gefährdung - Sechs häufige Denkfehler Tag der Arbeitssicherheit in Fellbach, Kolloquium Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen Dipl.-Psych. Boris Ludborzs BG RCI, Leiter des Fachbereiches Arbeitspsychologie boris.ludborzs@bgrci.de Tel oder

2 Denkfehler 1: Mit der Gefährdungsbeurteilung wird nach Fehlbelastungen gesucht

3 Belastungs- und Beanspruchungsmodell Arbeitsbedingte psych. Belastung Externe Ressourcen Persönliche Ressourcen Psych. Beanspruchung positive und negative kurzfristige Folgen positive und negative langfristige Folgen Private psych. Belastung Rückkoppelungsprozesse

4 Richtigstellung zu 1: Mit der Gefährdungsbeurteilung wird nach Fehlbelastungen gesucht Psychische Belastung ist neutral! Psychische Fehlbelastung ist ein politischer Begriff, kein wissenschaftlicher! Es ist auf mögliche Fehlbeanspruchungen zu achten

5 Denkfehler 2: Für Belastungen gibt es Grenzwerte, bei deren Überschreitung ein Mensch krank wird.

6 Belastungs- und Beanspruchungsmodell Arbeitsbedingte psych. Belastung Externe Ressourcen Persönliche Ressourcen Psych. Beanspruchung positive und negative kurzfristige Folgen positive und negative langfristige Folgen Private psych. Belastung Rückkoppelungsprozesse

7 Konzept Belastung - Beanspruchung Die Beanspruchung kann daher bei gleicher Belastung, je nach körperlicher und psychischer Konstitution, unterschiedlich sein!

8 Gesicherte Erkenntnisse (IGA 2008)

9 Richtstellung zu 2: Für Belastungen gibt es Grenzwerte, bei deren Überschreitung ein Mensch krank wird. Durch multifaktorielle Verursachung und diverse komplexe Rückkoppelungen, immer auch mit Einflüssen aus der Freizeit, keine belastbaren Grenzwertkonzepte oder Dosis-Wirkungsbeziehungen möglich. Fehlbeanspruchungen und Gefährdungen können nur in Verbindung mit den Ressourcen einer Person, oder in Bezug auf eine Personengruppe Dadurch Probleme mit dem juristischen Kausalitätsprinzip, das der Anerkennung von Unfällen und Berufskrankheiten zugrunde liegt

10 Denkfehler 3: Alle psychischen Fragestellungen im Betrieb gehören in die Gefährdungsbeurteilung.

11 Belastungs- und Beanspruchungsmodell Arbeitsbedingte psych. Belastung Externe Ressourcen Persönliche Ressourcen eher Gefährdungsbeurteilung und Verhältnisprävention Psych. Beanspruchung positive und negative kurzfristige Folgen positive und negative langfristige Folgen eher Gesundheitsmanagement und Verhaltensprävention Private psych. Belastung Rückkoppelungsprozesse

12 Richtigstellung zu 3: Alle psychischen Fragestellungen im Betrieb gehören in die Gefährdungsbeurteilung. Anhang 5.3 der GDA-Leitlinie Psyche : Checkliste Merkmalsbereiche und Inhalte der Gefährdungsbeurteilung 1. Merkmalsbereich: Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe 2. Merkmalsbereich: Arbeitsorganisation 3. Merkmalsbereich: Soziale Beziehungen 4. Merkmalsbereich: Arbeitsumgebung 5. Merkmalsbereich: Neue Arbeitsformen

13 Denkfehler 4: Wir Techniker haben ein Optimum an technischen Arbeitsschutz erreicht, jetzt sind die Psychologen dran, das für den psychischen Bereich zu realisieren

14 Psychisch Fehlbeanspruchung durch schlechte Gestaltung

15 Software-Anzeigen eines Behälterfüllstandes digital schlecht analog als Status besser analog mit Dynamik (Trendanzeige) noch besser

16 Richtigstellung zu 4: Wir Techniker haben ein Optimum an technischen Arbeitsschutz erreicht, jetzt sind die Psychologen dran, das für den psychischen Bereich zu realisieren Gerade Techniker und Organisationsfachleute sollten psychische Präventionsstrategien als besondere Herausforderung betrachten, Technik aus dem Blickwinkel von psychischen Belastungen denken Nur durch echte interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe Erfolg versprechende Prävention möglich Eine Unterscheidung von psychischer und physischer Gesundheit ist für eine erfolgreiche Prävention nicht Ziel führend

17 Denkfehler 5: Eine Gefährdungsbeurteilung in Bezug auf psychische Belastung erfordert die Kompetenz, aufwändige Instrumente anwenden zu können

18 Prozesscharakter der Gefährdungsbeurteilung Weiterführende Entscheidungen, ggf. Neubeginn mit der Analyse Evaluation Analyse Beurteilung Durch-/ Umsetzen Ziele setzen Massnahmen auswählen Massnahmen entwicklen

19 Richtigstellung zu 5 (1): Eine Gefährdungsbeurteilung in Bezug auf psychische Belastung bedeutet die Kompetenz, aufwändige Instrumente anwenden zu können (1) Der Gesetzgeber gesteht dem Arbeitgeber einen großen Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Umsetzung zu Aufsichtspersonen gehen von einem kontinuierlichen Qualitätsverbesserungsprozess aus und beurteilen Plausibilität und Prozessqualität (siehe Anhang 5.4 der GDA-Leitlinie Psyche : Prozessqualität der Gefährdungsbeurteilung) Es werden keine professionellen oder standardisierten Instrumente oder Befragungen zwingend vorgesehen

20 Richtigstellung 5 (2): Eine Gefährdungsbeurteilung in Bezug auf psychische Belastung bedeutet die Kompetenz, aufwändige Instrumente anwenden zu können (2) Wenn keine sozialen Konflikte zwischen den Betriebsparteien vorhanden sind und keine Referenz-Gefährdungsbeurteilung (eine gründliche Gefährdungsbeurteilung, die repräsentativ für viele gleichartige oder ähnliche Arbeitsaufgaben oder Arbeitsplätze sein soll) gemacht werden soll, schlagen die meisten UV-Träger moderierte Methoden der Gefährdungsbeurteilung vor.

21 Denkfehler 6: Anonyme Belegschaftsbefragungen zu psychischen Belastungen sind Ziel führend

22 Richtigstellung zu 6 (1): Anonyme Belegschaftsbefragungen zu psychischen Belastungen sind Ziel führend (1) Nein, niederschwellige, moderierte Methoden sind besser, weil: Es wird nicht die meist überfordernde Aufgabe gestellt, gezielt nach psychischer Belastung und Fehlbeanspruchungen zu suchen, sondern nach allen Problemen. Erst in der Auswertung und Dokumentation werden Kategorien psychischer Belastung benutzt. Das Wirkgefüge von IST-Analyse und Veränderungsvorschlägen wird personenbezogen und ablaufbezogen direkt vernetzt. Vermeidet die Probleme, wenn in Schritt 1 nur die Analysen und (meist deutlich) zeitversetzt eine erneute Befassung (durch andere) stattfindet, um die Maßnahmen abzuleiten

23 Richtigstellung zu 6 (2): Anonyme Belegschaftsbefragungen zu psychischen Belastungen sind Ziel führend (2) Nein, niederschwellige, moderierte Methoden sind besser, weil: Betroffene werden nicht nur passiv durch Fragebogen einbezogen und andere erarbeiten dann die Lösungen (Demotivierung durch fehlende Wertschätzung der Experten vor Ort) Keine Anonymität (Anonyme Befragungen sind für verhältnispräventive Veränderungsmaßnahmen wenig geeignet) Wichtige spezielle Problemstellungen können erarbeitet werden, die mit dem Grobraster von Fragebogen nicht erfasst werden können (zum Beispiel Fragestellungen, die zur Kategorie der interessierten Selbstgefährdung gehören)

24 Psychische Belastung und Gefährdung - Sechs häufige Denkfehler Danke für die Aufmerksamkeit Im folgenden Hinweise für Vertiefungen Dipl.-Psych. Boris Ludborzs BG RCI, Leiter des Fachbereiches Arbeitspsychologie boris.ludborzs@bgrci.de Tel oder

25 Weiterführende Literatur: Arbeitsschutz gemeinsam anpacken. Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz. September Belastung.pdf? blob=publicationfile&v=3 Ein Dienstleistungsangebot der BG RCI: Problemlöse-Workshop zu Sicherheit und Gesundheit im Betrieb. Zeitschrift DGUV Forum, Ausgabe Download der gesamten Zeitschrift mit weiteren Beiträgen anderer UV-Träger zum Thema psychische Belastung: Anti-Stress-Verordnung. Eine Initiative der IG Metall. Vorstand. Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz. Frankfurt. Juni 2012 Frank Jacobi, Andreas Genz, Ralf Schweer: Macht Arbeit psychisch krank? Die Diskussion über die Zunahme psychischer Störungen und die Rolle der Arbeit. BDA. Die Arbeitgeber. Leistung und Lohn. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft Nr. 518/519/520/521 Mai 2012 DGUV: Leitfaden für Betriebsärzte zu psychischen Belastungen und den Folgen in der Arbeitswelt. Februar _ pdf Messung psychischer Belastungen: Ausgewählte Methoden und Anwendungsfelder. Ergebnisse eines Workshops der Arbeitsgruppe Psychische Belastung bei der Arbeit der DGAUM. Zeitschrift Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 47, 4, 2012

26 Beispiel für eine moderierte Methode: Problemlöse-Workshop der BG RCI Block 1: Commitment der Geschäftsleitung Block 2: Ideensammlung (Unterschiedliche Kartenfarben für Technik, Verhalten und Organisation) Block 3: Strukturierung und Priorisierung Block 4: Kleingruppen erarbeiten (ohne Entscheidungsträger; bei Bedarf unterstützen Experten und Multiplikatoren) für je ein Problem-Cluster: a) Wo und worin sind wir als Firma gut und sollten das bewahren? b) Wo und worin könnten und sollten wir uns verbessern oder ändern? c) Wenn ich Chef wäre: was konkret würde ich in Bezug auf Ergebnis a) und b) tun? Block 5: Vorstellung der Ergebnisse im Plenum in Gegenwart der Entscheidungsträger. Diskussion und Entscheidungsfindung. Block 6: Dokumentation der Ergebnisse und Herausarbeitung der psychischen Gefährdungen Block 7: Follow up nach etwa 6 Monaten: Alle Vorschläge und Entscheidungen werden evaluiert