Wissenswert. Georg Büchner als Gegenstand der Forschung. von Julika Tillmanns. Sendung: , Uhr, hr2-kultur

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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Arne Kapitza Wissenswert Georg Büchner als Gegenstand der Forschung Regie: Zitator: von Julika Tillmanns Sendung: , Uhr, hr2-kultur Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1

2 O-Ton-Collage: Hauschild: Für Studenten ist der Büchner natürlich wahnsinnig reizvoll Dedner: stellen Sie sich vor, Sie haben jemanden, der ist mit 23 Jahren gestorben, hat mit 23 Jahren angefangen zu schreiben, und schreibt dann Werke, die bis heute die sozialen und demokratischen Bewegungen beschäftigen Hauschild: natürlich ist das ein Autor von internationaler Bedeutung Dedner: er schreibt Werke, die bis heute auf dem Theater Furore machen und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit Hauschild: und dann dieses Leben, dieses absolut rasante Leben mit 18 Jahren Student in Straßburg, mit 20 Jahren Kopf einer Verschwörergruppe, mit 21 Jahren auf der Titelseite einer Literaturzeitung, Buchautor und Übersetzer, mit 22 Jahren Fernpromotion in Zürich und mit 23 Jahren Tod Dedner: und jedes dieser Dramen ist noch einmal ganz unterschiedlich, ein ganz anderer Ansatz, zum Teil vollkommen neu, so was hatte es noch nicht gegeben Hauschild: und dann noch die Liebe zu der Straßburger Pfarrerstochter, die ans Sterbebett geeilt ist, dem Toten die Augen zugeküsst hat, wie es wörtlich heißt, das ist natürlich der Stoff aus dem Träume gemacht werden, Gedichte, Essays, Aufsätze, Abhandlungen. Zwei der führenden deutschen Georg Büchner-Forscher sind sich einig: der Biograf Jan-Christoph Hauschild und der Herausgeber der Marburger Büchner-Ausgabe Burghard Dedner. Für sie ist Büchner einer der maßgeblichen, der kanonischen Autoren deutscher Sprache. Als Georg Büchner 1837 starb, gab es weder ein Fach Germanistik noch überhaupt ein verfügbares Werk. Nur die politische Flugschrift Der Hessische Landbote und eine stark zensierte Version des Revolutionsdramas Dantons Tod waren zu Lebzeiten des Autors im Druck erschienen. Von der Bedeutung des Büchner schen Werkes ahnte kaum ein Zeitgenosse etwas. Die Ausnahme war der Schrifsteller Karl Gutzkow, der in einer Rezension zu Dantons Tod schrieb: Zitator: Ein Genie bedarf keiner Empfehlung. Das fühlen wir, wenn wir von Georg Büchner reden. Büchners Auffassung der französischen Revolution verrät eine tiefe Kenntnis derselben. Seine Charakteristiken der Tendenzen und der Personen sind 2

3 meisterhaft. Seine Gemälde sind skizzenartig hingeworfen; aber die Umrisse der Kohle sind so scharf, dass unsrer Einbildungskraft sich von selbst eine Welt vorzaubert. Gutzkow wollte den jungen Autor vor seinen eigene Karren spannen: ein literarisches Programm, in dem es die Entfaltung der Sinnlichkeit geht, um Freie Liebe und die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses. Und wenige Jahre später Georg Büchner ist bereits verstorben und die 48er-Revolution kündigte sich an wurde der Autor nun auch aus politischen Gründen interessant, gleichsam als Märtyrer und geistiges Vorbild für die neuen revolutionären Ideen. Georg Herwegh schreibt in seiner Ode Zum Andenken an Georg Büchner : Zitator: Mein Büchner tot! Ihr habt mein Herz begraben! Mein Büchner tot, als seine Hand schon offen Und als ein Volk schon harrete der Gaben, Da wird der Fürst von jähem Schlag getroffen; Der Jugend fehlt ein Führer in der Schlacht, Um einen Frühling ist die Welt gebracht; Wie unterschiedlich die Einschätzungen des Büchner schen Werkes ausfallen, mag schließlich noch ein dritter Kommentar belegen. Wir schreiben das Jahr 1851, die Revolution ist gescheitert, und er herrschen restaurative Zeiten da rät der Literaturhistoriker Julian Schmidt entschieden von der Lektüre Büchners ab. Denn in der Erzählung Lenz wisse man nicht, ob außer der literarischen Figur vielleicht auch der Autor Büchner krank sei: Zitator: Die Darstellung des Wahnsinns ist eine unkünstlerische Aufgabe. Der Wahnsinn gehört als solcher in das Gebiet der Pathologie, und hat ebenso wenig das Recht, poetisch behandelt zu werden, als das Lazareth und die Folter. Am schlimmsten ist es, wenn sich der Dichter so in die zerrissene Seele seines Gegenstandes versetzt, daß sich ihm selber die Welt im Fiebertraum dreht. Das ist hier der Fall. Schmidts Botschaft ist klar: von solcher Lektüre droht Ansteckungsgefahr. Und tatsächlich wurden Büchners Werke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 3

4 kaum gelesen. Erst im ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhundert begann Büchners Siegeszug beim Publikum und auf den Bühnen. Seither wird der Autor von jeder Lese-Generation neu entdeckt. Heute ist er längst zum Schulbuchautor avanciert. Die für die deutschsprachige Literatur zuständige Fachwissenschaft, die Germanistik, beschäftigte sich erst spät mit Büchner. Seit den 1910er Jahren gab es einige kleinere Aufsätze. Und seit den 30er Jahren haben sich auch führende Vertreter des Faches prominent mit Büchner auseinander gesetzt. Karl Viëtor und Georg Lukács stritten um den revolutionären Gehalt in Büchners Werk und gaben damit den Ton für die Debatten in beiden Teilen Deutschlands vor. Lange Zeit aber fehlte das Fundament für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk Büchners, eine kritische Gesamtausgabe. Diese wird seit 1981 in Marburg vorbereitet, mit sämtlichen Texten des Autors, in verschiedenen Druckbildern ediert und mit ausführlichen Kommentaren versehen. Dedner: Also wir machen natürlich auch nicht die erste Historisch-Kritische Ausgabe zu Büchner betont der Herausgeber der Marburger Ausgabe Burghard Dedner und weist auf mehrere verdienstvolle Vorgängerprojekte hin. Den eigenen Anspruch beschreibt er so: Dedner: Das Unternehmen war eigentlich das, die Beschäftigung mit Georg Büchner auf eine moderne wissenschaftliche Art zu betreiben, das heißt also mit dem Gang in die Archive, mit dem Suchen nach neuen Materialien, mit der Erforschung der Quellen ( ) und es geht uns nicht darum, endgültige Antworten zu finden, sondern das Projekt Wissenschaft ist nun einmal so, dass jede Antwort, die man gibt, zwei neue Fragen hervorruft, und das wollen wir auch. Beispiel Woyzeck : Das Drama erzählt von dem Soldaten Franz Woyzeck, der von seinem knappen Sold den Lebensunterhalt für seine Freundin Marie und das gemeinsame, uneheliche Kind aufbringt. Er dient seinem Hauptmann als Laufbursche und, um sein Gehalt aufzubessern, lässt er sich außerdem von einem Medizin-Professor versuchshalber auf eine Erbsen-Diät setzen. Es soll die Wirkung dieser einseitigen Ernährung erforscht werden. Woyzek wird von beiden, dem Professor und dem Hauptmann, öffentlich gedemütigt: Zitator: Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die Ohren! Ich hab es Ihnen schon zeigen wollen, zwei Muskeln sind bei ihm tätig. ( ) Das sind so Übergänge zum Esel, häufig auch die Folge weiblicher Erziehung 4

5 Als ihm Marie untreu wird, glaubt Woyzeck, Stimmen zu hören, die ihm befehlen, sie zu töten. Es sind beklemmende Szenen. Aber wollte Büchner sie überhaupt in das Drama aufnehmen? Die Handschrift ist nicht kontinuierlich niedergeschrieben, sondern mit verschiedenen Tinten auf unterschiedlichem Papier. Ein Teil war durch eine Chemikalie unleserlich geworden. Es war unklar, ob der Titel wirklich Woyzeck, oder nicht doch Wozzeck lauten sollte. Und lange Zeit gingen Forscher, Verleger und Theaterregisseure davon aus, dass Büchner gar keine Szenefolge für den Woyzeck festgelegt habe, sondern man die Teile beliebig anordnen könne. Die Marburger Forscher haben für ihre kritische Ausgabe viele Einzelfragen klären können -, zum Beispiel die, warum Büchner bei etlichen Wörtern die Endungen fortgelassen hat: Dedner: In einer wichtigen derzeitigen Ausgabe, sagt der Hauptmann zu Woyzeck: Will er erschoss, will es ein paar Kugel vor den Kopf hab. Woyzeck antwortet dann etwas später: Man könnte Lust bekomm ein Kloben hinein zu schlage. Ich hab das jetzt etwas betont, es geht um ein ganz einfaches Problem, nämlich um n-endungen, die nicht in dem Text drinstehen. Und jetzt haben wir die Frage, stehen die in dem Text nicht drin, weil der Text schnell geschrieben worden ist und alle Schnellschreiber, dazu neigen, die Endungen nicht auszuschreiben oder nur mit einem Strich anzudeuten. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist die: die Hessen sprechen bekanntlich auch kein n am Ende ihrer Wörter, und also kann man vermuten, dass das ein Versuch sein soll, den hessischen Dialekt nachzuahmen. Die Forscher um Burkhard Dedner haben viele Handschriften und andere Zeugnisse für Mundart-Gebrauch aus der Büchner-Zeit miteinander verglichen und dann an einigen Stellen die Standard-Schreibung verwendet, an anderen die dialektnahe Version belassen. Der Anmerkungs-Apparat in der kritischen Ausgabe gibt dann über Zweifelsfälle Auskunft. Viel Aufwand wegen ein paar Buchstaben, könnte man meinen. Aber für Dramaturgen und Regisseure sind das wichtige Anhaltspunkte, um das Woyzeck-Drama originalgetreu aufführen zu können. In der Frage der Szenenfolge sind die Marburger Forscher um Burkhard Dedner auch entscheidend vorangekommen: Dedner: Wenn man sich das Stück anschaut, dann kann man sehen, dass die Szenen nach Tageszeit genau bestimmbar sind und eine feste Reihenfolge bilden, so dass man sagen kann, das Stück dauert ungefähr zwei Tage, bis es zu Ende ist ( ) und man kann genau sagen, wann eine Szene spielt und wann nicht. Damit ist die Frage der Reihenfolge plausibel beantwortet. Aber die Frage, ob die bereits zitierte Szene, in der der auf Erbsen-Diät gesetzte Woyzeck von Professor 5

6 und Hauptmann so entwürdigend vorgeführt wird, nach Büchners Willen überhaupt Bestandteil des Dramas sein sollte, ist damit noch nicht beantwortet. Welche Möglichkeiten hat der Forscher denn, herauszufinden, was der Dichter wollte? Dedner: Das sieht man zum Teil daran, dass er Sachen durchstreicht, dann sind sie also erledigt, und wir haben eine Szene, die schwer einzuordnen ist, Hof des Professors, die anderen Szenen sind alle in Heftform geordnet, so dass man also die Reihenfolge kennt, aber diese Szene ist auf einem Extrablatt. Und um herauszufinden, wann dieses Extrablatt geschrieben wurde ob vor oder nach den übrigen Seiten des Manuskripts -, haben die Marburger Forscher die Tinte analysieren lassen: Dedner: Büchner zieht um, von Straßburg nach Zürich, und hat wahrscheinlich, das haben wir angenommen, das Drama an beiden Orten geschrieben, also mussten wir jetzt herausfinden, was ist Züricher Tinte, und was ist Straßburger Tinte, dazu kann dann ein Forscherteam aus Berlin nach Weimar, wo die Handschriften liegen, mit einer Art von Röntgenapparat, und dann wurden also jetzt verschiedene Handschriften von Büchner daraufhin untersucht, wie ist die Metallzusammensetzung in den Tinten und dann kamen wir zu der, glaube ich, wasserdichten Feststellung, dass diese Szene in Zürich und wahrscheinlich ziemlich spät geschrieben wurde. Und der späte Zeitpunkt der Bearbeitung und Ergänzung ist ein guter Beleg dafür, dass Büchner diese Szene, Der Hof des Professors, in das Theaterstück aufnehmen wollte. Auch zu der Frage, wie Büchner überhaupt auf die Figur des Mörders Woyzeck kam, haben die Marburger Literaturwissenschaftler eine neue Quelle, einen neuen Beleg, gefunden. Dass Büchner von einem Mordprozess aus dem Jahre 1824 gegen einen gewissen J. C. Woyzeck gelesen hatte, weiß man schon länger. Aber die Marburger Forscher sind auf einen weiteren Mordfall aus dem Jahre 1810 gestoßen, der Büchner bei der Gestaltung des Woyzeck ebenfalls angeregt haben dürfte: Dedner: wo jemand vor den Toren des damaligen Darmstadt einen Mord begeht mit einem Messer, das Messer liegen lässt bei der Leiche und dann völlig durcheinander, wie man sich vorstellen kann, erstmal zu einem Schwoof geht in einem Gasthaus in der Nähe von Darmstadt, dort noch blutig geschlagen wird und dann in Darmstadt zu einem Teich geht um sich die Kleider zu reinigen, und am nächsten Morgen wird er dann festgenommen aufgrund des Messers.( ). Damit ändert sich das Woyzeck-Bild möglicherweise ein bisschen, ( ) Büchner sucht sich also seine Figuren jetzt offensichtlich nicht im liebevollen Proletariat, unter den 6

7 guten Menschen heraus, sondern die Brutalität, die es in den Armutsschichten sicher gibt, verschweigt er ja im Woyzeck nicht und nimmt sich auch die Quellen so, dass man das merkt. Der Text, seine möglichen Varianten und die verfügbaren Quellen zum Büchner schen Werk liegen als stattliche, in rotes Leinen gebundene Bände vor; pünktlich zum 200. Geburtstag des Schriftstellers, im Oktober 2013, soll die gesamte 15-bändige Ausgabe abgeschlossen sein. Doch die Büchner-Forschung ist damit keineswegs am Ende. Der Düsseldorfer Büchner-Biograf Jan-Christoph Hauschild ist voller Lob für die Grundlagenarbeit der Kollegen aus Marburg. Doch weist er darauf hin, welche Lücken noch zu füllen sind: Hauschild: Die Arbeit ist ja nicht zu Ende mit dem Erscheinen dieser 15 Bände, einen Band wird s ja gar nicht geben, das sind die Lebenszeugnisse, ( ) das fehlt zum Beispiel. Dann was natürlich jedem Editor passiert, er wird überholt durch neue Erkenntnisse, dann ist der Band mit dem betreffenden Werk, mit dem Text und dem Kommentar erschienen und ein halbes Jahr später merkt man, Moment, was wir schreiben, ist ja Unsinn, inzwischen wissen wir s ja besser, so dass also diese Ausgabe teilweise inzwischen auch schon wieder überholt ist, das ist einfach so. 7