Beitrag: Das große Dilemma Waffenlieferungen an die Kurden

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1 Manuskript Beitrag: Das große Dilemma Waffenlieferungen an die Kurden Sendung vom 2. September 2014 von Joachim Bartz, Asli Özarslan und Ulrich Stoll Anmoderation: Jetzt ist es also beschlossen: Deutschland rüstet die Kurden im Nordirak auf, um die Gräuel der ISIS-Terrormiliz zu stoppen. Der Zweck heiligt die Mittel. Nur müssen bei diesem Konstrukt die Empfänger der Waffen auch wirklich die Guten sein. Und: Sind das die Peschmerga? In den Augen unserer Regierung scheinen sie jedenfalls besser zu sein als die Kurden, die der verbotenen PKK nahestehen. Denn die bekommen von uns keine Waffen. Obwohl sie in Syrien Tausende vor den ISIS-Mördern gerettet haben und insofern doch wohl zu den Guten zählen. In dieser unübersichtlichen Gemengelage zwischen richtig und falsch, Gut und Böse gibt es keine einfachen Antworten. Unsere Autoren Joachim Bartz und Ulrich Stoll wagen sich trotzdem an die Sinnfrage. Text: Tausende Jesiden sind der Terrormiliz Islamischer Staat entkommen. Nordsyrien, vor wenigen Wochen. Gerettet haben sie kurdische Kämpfer, die einen Korridor vom Sindschar-Gebirge im Irak nach Syrien freikämpften. Yilmaz Gunay war bei den Geretteten, erfuhr von Gräueltaten an Jesiden, die den ISIS-Terroristen in die Hände fielen. O-Ton Yilmaz Gunay, Föderation der Ezidischen Vereine in Deutschland: Das Schlimme ist, dass Kinder geköpft wurden, dass Frauen ihre Bäuche aufgeschlitzt worden sind, schwangere Frauen, dass junge Frauen, die nicht in die Hände der ISIS fallen wollten, sich von den Klippen gestürzt haben, in den Bergen. Diese Angst und dieser Schrecken, diese Barbarei, das kann man eigentlich auch nicht in Worte fassen. Die Terrortruppe Islamischer Staat hat weite Teile Syriens und des Iraks besetzt, Millionen Menschen in ihrem sogenannten

2 Kalifat unterjocht. Wer Widerstand leistet, wird ermordet. Die Bundesregierung will die Gräueltaten stoppen und rüstet die Kurden im Nordirak auf. Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet das galt bislang als Tabu. O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin: Wir standen vor der Wahl: Kein Risiko einzugehen, nicht zu liefern und letztlich die Ausbreitung des Terrors hinzunehmen. Oder diejenigen zu unterstützen, die verzweifelt, aber mutig, mit knappsten Ressourcen gegen den grausamen ISIS-Terror kämpfen. Mit den mutigen Kämpfern meint Merkel die kurdischen Peschmerga-Truppen im Nordirak, die bekommen jetzt deutsche Waffen. Diese Peschmerga versprachen den Jesiden, sie zu schützen. Doch als die ISIS näher rückte, zogen sich die Peschmerga kampflos zurück. Das behaupten gerettete Jesiden im Flüchtlingslager Silopiya in der Türkei. O-Ton Mann im Flüchtlingslager: Die Peschmerga haben uns im Stich gelassen haben, haben uns sogar die Waffen abgenommen. Sie haben uns dem Tod überlassen. Ihre Retter, sagen die Jesiden, waren andere Kurden: Kämpfer der nordsyrischen Miliz YPG und der kurdischen Arbeiterpartei PKK. O-Ton Frau im Flüchtlingslager: Die YPG hat uns gerettet und den Fluchtweg freigekämpft. Ihnen haben wir unser Leben zu verdanken. Keiner wäre mehr am Leben ohne sie. Der Islamische Staat, kontrolliert Teile Syriens und des Iraks. Das nordsyrische Kurdengebiet, genannt Rojava, wird von der YPG- Miliz gegen die Islamisten verteidigt. Im Nordirak sichern Peschmerga-Truppen die dortige autonome Region Kurdistan. Doch allein die YPG und Milizen der PKK kämpften für die im Sindschar-Gebirge festsitzenden Jesiden einen Korridor frei, holten sie aus dem Nordirak nach Syrien. Doch nicht YPG und PKK, sondern die Peschmerga bekommen deutsche Waffen. Hannover, vergangenen Samstag. Jesiden sammeln Spenden, warnen vor der Bedrohung durch die Islamisten. Und sie kritisieren die Bundesregierung. O-Ton Yilmaz Kaba, Föderation der Ezidischen Vereine in Deutschland: Wenn Waffenlieferungen stattfinden, dann nur mit politischen Maßnahmen. Und die Waffen müssten dann alle kurdischen Akteure bekommen, aber vor allem auch die

3 PKK-Einheiten, die dort den Schutz gewährleisten können, wie sie ja bewiesen haben, in den letzten Wochen. Die Rettung der Jesiden durch die PKK bestätigen auch unabhängige Beobachter, die mit den Flüchtlingen gesprochen haben. Ja, es ist so, die PKK hat die Jesiden gerettet, zusammen mit den syrischen Kurden, zusammen mit den Milizen der syrischen Kurden. Das ist etwas, was möglichweise in Deutschland für Verstörung sorgt, weil die PKK in Deutschland in der öffentlichen Politik und auch in der Meinung als Terrororganisation gehandelt wird. Seit über 20 Jahren ist die PKK in Deutschland als Terrororganisation verboten. Und es bleibt dabei, bestätigt das Bundesinnenministerium auf Nachfrage von Frontal21. Stuttgart Stammheim. Noch im Februar 2014 wird der Kurde Metin A. zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung, der PKK. Und deren Zweck sei, so das Urteil: Mord und Totschlag. Metin A. habe Guerillakämpfer rekrutiert, Geld und Ausweise für Reisen zu Kampfeinsätzen der PKK im Nordirak beschafft. Kampfeinsätze der PKK im Nordirak das ist auch der Kampf gegen den Islamischen Staat. Ich finde es schon einen sehr großen Widerspruch, dass der sogenannte Islamische Staat meines Wissens noch nicht als Terrororganisation auf der Terrorliste geführt wird. Die PKK wird immer noch geführt, und dass es hier keinerlei Unterstützung und auch Offenheit gibt, sich mit der veränderten Situation in der Region auseinanderzusetzen. Im März 2014 können Islamisten ungehindert in Berlin für die Terrorgruppe Islamischer Staat werben. Das empört Vertreter der Kurden. O-Ton Adem Uzun, Kurdischer Nationalkongres: In Deutschland gab es vor kurzem eine große Protestkundgebung tausender Kurden gegen die Gräueltaten der ISIS an Christen und Jesiden. Es gab auch eine Gegendemonstration der ISIS mit ihren schwarzen Flaggen. Und was hat die deutsche Polizei gemacht? Sie hat nicht die schwarzen Flaggen eingesammelt, sondern die der PKK. Das

4 heißt, in Deutschland ist nicht die ISIS verboten, aber die PKK. Das ist eine sehr unverständliche Situation, denn ISIS ist auch für Deutschland eine Gefahr. Doch nur die Peschmerga bekommen deutsche Waffen. Wir fragen den Vertreter der irakischen Kurden in Deutschland, Dilshad Barzani: Können seine Peschmerga die Islamisten im Irak und in Syrien aufhalten? O-Ton Dilshad Barzani, Deutschland-Vertreter der Regionalregierung Kurdistan-Irak: In Syrien, wir mischen uns nicht ein. Das ist in Syrien, das müssen auch andere internationale Lösungen sein. Ich glaube mit den deutschen Waffen allein, da können wir ISIS nicht bewältigen. O-Ton Otfried Nassauer, Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit: Wenn Deutschland ausschließlich Waffen an die jetzt schon besser ausgerüsteten nordirakischen Peschmergas liefert, dann bedeutet das im Prinzip, dass in Syrien, wo ISIS auch aktiv ist, der Kampf der Kurden gegen ISIS nicht geführt werden kann oder verloren wird. Die Peschmerga hingegen sind schon jetzt besser ausgerüstet als alle anderen Kurden. Und sie übernahmen im Juni in Kirkuk auch noch die Waffen einer ganzen irakischen Division, darunter Kampfpanzer. Die Peschmerga haben weit über Soldaten, verfügen über schwere Waffen, mit denen sie die gepanzerten ISIS- Fahrzeuge bekämpfen können. Die syrischen Kurden hingegen haben nur rund Kämpfer, ausgerüstet nur mit Handfeuerwaffen und schweren Maschinengewehren wirkungslos gegen die ISIS-Panzer. Für die Jesiden ist unverständlich, weshalb die Peschmerga sie mit diesen Waffen nicht schützten, sondern abzogen. Die Leute haben diese Peschmergas mit ihren Waffen gesehen. Und die Leute haben mir hier gesagt, das waren zum Teil Waffen, die die Peschmergas in Kirkuk von der Irakischen Armee übernommen haben. Das war nicht das allerneueste, aber es war doch eine schwere Bewaffnung. Und viele Menschen haben mir hier gesagt, wenn unsere kurdischen Selbstverteidigungskräfte diese Waffen hätten, wenn wir das hätten, was die hier mitbringen, und mit dem sie abgezogen sind, könnten wir diese Region auf 20 Jahre verteidigen.

5 Doch es ist umstritten, ob in der Region Kurdistan überhaupt weitere Waffen gebraucht werden. Für die Linken ist die Antwort klar: Nein. Sie befürchten, dass deutsche Waffen in falsche Hände geraten und in künftigen Konflikten eingesetzt werden. O-Ton Bernd Riexinger, DIE LINKE, Parteivorsitzender: Man stattet ja genau die Gruppe von Kurden mit Waffen aus, die sich loslösen wollen vom Irak als Staatsgebiet. Und auch dort besteht die Gefahr, dass man den nächsten Krisenherd militärischer Art bereits vorprogrammiert. 270 panzerbrechende Waffen bekommen die gut gerüsteten Peschmerga, dazu Sturmgewehre und Pistolen. Waffen, mit denen auch künftige Kriege geführt werden können. Die Bundesregierung jedoch hält die Gefahr eines fortgesetzten Völkermordes für höher als das Risiko, dass diese Waffen missbraucht werden. O-Ton Otfried Nassauer, Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit: Wenn man in eine Konfliktregion Waffen liefert, ist es relativ sicher, dass diese Waffen in anderen Konflikten oder in späteren Konflikten in dieser Region wieder auftauchen, und es niemanden gibt, der sie vorher wieder eingesammelt hat. Die meisten Jesiden sind den islamistischen Terroristen in letzter Minute entkommen, Tausende jedoch starben. Ihre Tragödie war für die Bundesregierung Anlass für einen Politikwechsel - für höchst umstrittene Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Abmoderation: Gerade meldet eine amerikanische Nachrichtenagentur, dass die ISIS-Terrormiliz sich rühmt einen weiteren US-Journalisten enthauptet zu haben. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.