Beitrag: Die roten Linien der SPD Der Preis fürs Regieren

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1 Manuskript Beitrag: Die roten Linien der SPD Der Preis fürs Regieren Sendung vom 12. Dezember 2017 von Armin Coerper und Felix Zimmermann Anmoderation: Bätschi! Morgen beginnen die Gespräche zwischen Union und SPD über eine Wiederauflage von Schwarz-Rot. Bätschi, das sagte die SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles, wörtlich. Die SPD wird gebraucht, und das wird ganz schön teuer! Bätschi, das klingt nach kleinlicher Trotzhaltung von Gernegroßen. Wie hoch will und kann die Bätschi-SPD den Preis für eine Koalition treiben? Was ist das Versprechen von SPD-Chef Martin Schulz und von Andrea Nahles wert, Gespräche zu führen, die ergebnisoffen sind? Dazu Armin Coerper und Felix Zimmermann. Text: Um Menschen wie Thomas Hartmann aus Bayern geht es, wenn im fernen Berlin die Zukunft Deutschlands verhandelt wird. Er ist 62 Jahre alt und hangelt sich seit zehn Jahren von einer Leiharbeit zur nächsten. Hartmann war mal Fernsehtechniker mit einem festen Job, doch das ist lange her. O-Ton Thomas Hartmann, Leiharbeiter: Keiner möchte mehr die Leute fest einstellen, aus welchen Gründen auch immer. Angeblich ist es ja günstiger, über Zeitarbeit zu gehen. Aber ich glaube eher, es will sich keiner mehr binden und keine Verpflichtung für diese Leute eingehen. Vor gut eineinhalb Jahren haben wir Thomas Hartmann schon mal getroffen. Damals hatte er sich gerade wieder beworben und hatte wieder eine Absage erhalten. O-Ton Thomas Hartmann, Leiharbeiter, Frontal 21 am : Ein Zeitarbeiter ist ja wie eine Ware, die eingekauft wird. Weil, wenn er seine Arbeit erledigt hat, kann er auch wieder gehen.

2 Es sind Menschen wie Thomas Hartmann, um die die SPD sich traditionell kümmern will, doch auf ihrem Parteitag steht die Sozialdemokratie vor der Zerreißprobe. Mitregieren oder nicht - und wenn ja, um welchen Preis. Der Parteichef schwört die Genossen ein auf einen Kurs, der gerade klingen soll, doch in Wahrheit mindestens kurvig daherkommt. O-Ton Martin Schulz, SPD, Parteivorsitzender: Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen! Eine Katharsis, eine Reinigung und Erneuerung in der Opposition, das hatte Martin Schulz nach der vergeigten Bundestagswahl versprochen - auf keinen Fall wieder große Koalition. Thomas Hartmann stört sich weniger am Schlingerkurs. Er hat den Sozialdemokraten die Agenda 2010 bis heute nicht verziehen, denn die hat die Leiharbeit salonfähig gemacht in Deutschland. O-Ton Frontal 21: Und trotzdem haben Sie jetzt wieder Hoffnung in die SPD? O-Ton Thomas Hartmann, Leiharbeiter: Das wäre die einzige Partei, die noch ein bisschen der CDU und der CSU auf die Füße treten könnte. Petra Vogel sieht das anders. Sie arbeitet für ein Reinigungsunternehmen und ist Mitglied bei den Linken. Vor einem Jahr hat sie uns von ihrer Angst erzählt. Nach einem Leben voller Arbeit hat Frau Vogel Angst vor der Rente. O-Ton Petra Vogel, Reinigungskraft, Frontal 21 am : Das wird eine harte Zeit werden. Das heißt, ich muss aufstocken. Wenn ich körperlich nicht fit bin, kann ich nicht nebenher arbeiten, was ich dann gerne tun würde, damit ich mir in etwa einen Standard erlauben kann. Heute treffen wir sie wieder. Glaubt sie, dass die SPD in einer Neuauflage der großen Koalition das Ruder wird rumreißen können? O-Ton Petra Vogel, Reinigungskraft: Wenn, dann müssen richtig große Reformen kommen. Hier ein Reförmchen, da ein Reförmchen, wird uns wirklich nicht weiterhelfen. Wissen Sie, wenn Sie - wie ich - 41 Jahre berufstätig sind und danach 650 Euro Rente kriegen sollen in der Rente, das kann nicht sein. Und ich denke, mit der CDU zusammen werden sie so eine große Reform nicht hinkriegen können. Die SPD-Parteijugend sieht das ähnlich und macht gegen die

3 GroKo mobil, weil die Partei ihr Profil verwässert habe, weil sie zum Überleben wieder von der Union unterscheidbar sein soll. O-Ton Moritz Fessler, SPD, Ortsverband Grünes Dreieck, Berlin: Also, wenn mich jemand danach fragen würde, was meine Lieblingsoption wäre, dann würde ich klar sagen, dass es eine Minderheitsregierung ist. Das ist die Juso-Linie: mit der Union verhandeln, okay. Eine Minderheitsregierung, vielleicht - aber ein klares Nein zu einer Koalition. So will die Jugend ihre Zukunft sichern - und die der SPD. O-Ton Kevin Kühnert, SPD, Bundesvorsitzender Jusos: Wir, die wir hier in fünf, zehn, 20 Jahren Verantwortung übernehmen sollen, wollen und auch müssen, wir haben ein Interesse daran, dass hier noch was übrigbleibt von diesem Laden, verdammt noch mal! Und ich sehe im Moment nicht, dass wir Strategien fahren, bei denen noch was übrigbleibt. Konservative SPDler wie Johannes Kahrs wollen lieber regieren und sparen nicht mit Häme gegen die rebellische Parteijugend: O-Ton Johannes Kahrs, SPD, Sprecher Seeheimer Kreis : Die Ansage ist ja: ergebnisoffene Gespräche, aber keine GroKo. Da hat mal ein Kollege von Ihnen gesagt, das ist wie Pressefreiheit in Nordkorea. Also, das findet nicht statt, das widerspricht sich in sich. O-Ton Kevin Kühnert, SPD, Bundesvorsitzender Jusos: Ja, der Kollege Kahrs ist ja dafür bekannt, gerne auch mal ein bisschen deutlicher in der Aussprache zu sein. Leider ist er nicht immer dafür bekannt, auch die allerklügsten Sachen zur politischen Debatte beizutragen. Ich finde, das ist ein sehr perfides Spiel, was hier ein Einzelner auf Kosten der ganzen Partei austrägt. Ich glaube, Johannes Kahrs hat nicht verstanden, was die Stunde geschlagen hat in der SPD. Virginie Beclu interessiert dieser Zwist wenig. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Vor einem halben Jahr erzählte die Französin uns, dass sie gerne wieder Vollzeit arbeiten würde. Doch darauf hat sie keinen gesetzlichen Anspruch: O-Ton Virginie Beclu, Mediengestalterin, Frontal 21 am : Das bedeutet, dass ich viel weniger verdiene, ungefähr ein Drittel weniger, aber natürlich wegen meines dritten Kindes mehr Kosten habe. Jetzt treffen wir Virginie Beclu wieder. Die Rückkehr von Teilzeit

4 in Vollzeit, gerade für Alleinerziehende, eine Kernforderung der SPD ist das. In der großen Koalition hat sie sich damit aber nicht durchsetzen können. Und glaubt Frau Beclu, dass bei der nächsten GroKo alles anders und für sie besser wird? O-Ton Virginie Beclu, Mediengestalterin: Ich glaube nicht, weil ich denke, heutzutage ist das leider immer so, dass die Wirtschaft immer im Vordergrund ist und dass solche Gesetze zu viel dagegen spielen. Und deswegen denke ich, es hat keine große Chance durchzukommen, leider. Doch dafür müsste die SPD kämpfen - um ihre Sichtbarkeit, wenn sie denn wirklich regieren will. Es gelingt der Parteispitze, die Genossen auf Linie zu bringen für Gespräche mit der Union: O-Ton Andrea Nahles, SPD, Fraktionsvorsitzende: Wir müssen hart reden mit denen. Denn die haben in der letzten Kurve schon nach Jamaika geblinzelt und Teilzeit / Vollzeit nicht mehr gemacht und die Solidarrente einen unschönen Tod sterben lassen. Ja, weil sie nämlich gedacht haben, sie brauchen uns nicht mehr. Aber die SPD wird gebraucht. Bätschi, sage ich dazu nur. Und das wird ganz schön teuer! Bätschi, sag ich dazu nur. Nach Regierungsverantwortung klingt das nicht. Vielleicht ist das gerade die Strategie, die ungeliebte Koalition zu vermeiden? Der alte und vielleicht neue Partner springt jedenfalls an auf die Provokation. O-Ton Alexander Dobrindt, CSU, Vorsitzender der CSU- Landesgruppe: Ja, ich kann die SPD nur davor warnen, jetzt ein Übermaß an roten Linien festzuziehen. Es geht darum, dass wir ein Zukunftsprojekt für Deutschland beschreiben müssen, wenn wir wieder in eine große Koalition wollen. Wollen? Es scheint immer mehr, als wolle in der Union vor allem Angela Merkel die Koalition, um weiter komfortabel regieren zu können wie bisher. Morgen starten die Gespräche mit der SPD. Schwer zu kalkulieren, was da herauskommt und wie viele auch bei der Union die Lust verlieren - am Regieren in der großen Koalition. Vor allem bei denen, die der Wirtschaft nahestehen, macht sich Unmut breit: O-Ton Klaus-Hubert Fugger, Wirtschaftsrat der CDU: Also, das Programm, wie es die SPD jetzt im Rahmen von roten Linien präsentiert hat, macht für uns überhaupt keinen Sinn. Eine Minderheitsregierung wäre aus unserer Sicht nicht so teuer wie eine große Koalition, weil diesmal zu befürchten

5 ist, dass die SPD wesentlich mehr von ihrem Programm durchsetzen kann. Das hat der SPD in der abgewählten Regierung allerdings wenig genutzt. Und so singen die Genossen von einer neuen Zeit und suchen nach neuen Wegen, damit die nächste GroKo nicht zum Abgesang wird - auf Deutschlands Sozialdemokratie. O-Ton, Gesang beim SPD-Bundesparteitag: Mit uns zieht die neue Zeit! Abmoderation: Auch 79 Tage nach der Bundestagswahl ist eine handlungsfähige Regierung nicht in Sicht. Die Welt wartet darauf, dass wir agieren können, mahnte gestern Angela Merkel, fast als hätte sie mit dem Schlamassel nichts zu tun. Außerdem: Die Welt ist das eine, die Menschen hierzulande warten aber auch, wie eben im Beitrag gesehen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.