Verdienen begabte Kinder keine Förderung? Begabtenförderung kein Thema in Nationalem Bildungsbericht
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- Bernhard Morgenstern
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1 Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung Juni 2016 Verdienen begabte Kinder keine Förderung? Begabtenförderung kein Thema in Nationalem Bildungsbericht Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF) kritisiert: Bildungsbericht fokussiert zu sehr auf Schwächen und vergisst völlig die Stärken der Schülerinnen und Schüler. Salzburg, 23. Juni Am 25. Mai 2016 veröffentlichte das BIFIE (Bundesinstitut für Bildungsforschung) den Nationalen Bildungsbericht. Auf über 600 Seiten, aufgeteilt in zwei Bände, soll lt. BIFIE die Situation der österreichischen Schule aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und Daten, Fakten sowie Problemstellungen in Bezug auf das Bildungswesen aufbereitet werden. Der Bericht wird von Experten der österreichischen Bildungsforschungslandschaft verfasst und erscheint seit 2009 im Dreijahresrhythmus. Begabtenförderung zwar Ziel bei Regierung, aber nicht im Bildungsbericht Anspruch des Bildungsberichts ist es, eine umfassende Grundlage für die bildungspolitische Diskussion und Steuerung des Schulwesens in Österreich zu schaffen. Umso kritischer sieht das Österreichische Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF), dass die Förderung von begabten Schülern im gesamten Bericht kein Thema ist. Und das, obwohl im Regierungsübereinkommen schwarz auf weiß zu lesen ist (S. 44): Ziel: Begabungs- und Begabtenförderung Entdecken und fördern aller Talente und Begabungen. Maßnahmen: Ausbau der Begabungserkennung und Begabtenförderung; Stärkung der anwendungsorientierten Begabungsforschung und der vorhandenen Netzwerke und Kooperationen; Weiterentwicklung der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Auch die heiß diskutierte Bildungsreform hat die Förderung von Begabungen in mehreren Bereichen als wichtiges Ziel ausgegeben (Vortrag an den Ministerrat am 17. November 2015): beim Elementarpädagogikpaket (S. 3), beim Schuleingangsphase- und Volksschulpaket (S. 6) und bei der Einrichtung einer Bildungsstiftung, die als Exzellenzprogramm für eine progressive Weiterentwicklung der (Kindergarten- und) Schulpädagogik sowie Begabten- und Begabungsförderung (S. 17) sorgen soll. Zwar finden sich in Band 1 des Bildungsberichts ein paar Daten zu Spitzenschülern, so Dr. Claudia Resch vom ÖZBF. Diese werden aber nur in einem zahlenmäßigen Verhältnis zu den leistungsschwachen Risikoschülern gesehen. In Band 2, in dem die wesentlichen Empfehlungen für das österreichische Schulsystem festgehalten werden, kommt das Wort begabt nicht einmal vor. Und das, obwohl es laut BIFIE ohnehin nur sehr wenige Spitzenschüler im Vergleich zu anderen Ländern gibt. ÖZBF Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung Schillerstraße 30, Techno 12, 5020 Salzburg tel: +43(0) info@oezbf.at 1 / 5
2 Das Potenzial für Spitzenleistungen wäre aber gegeben. Neuesten wissenschaftlichen Schätzungen zufolge haben ca. 20 Prozent eines jeden Jahrgangs das Potenzial zu Spitzenleistungen wenn die Förderbedingungen passen. In Österreich entspricht das weit über Schülerinnen und Schülern. Diese Schüler brauchen aber eben auch individuelle Förderung. Umso bedenklicher finden wir es, dass die Autoren des Bildungsberichts, wenn sie von individueller Förderung schreiben, ausschließlich die Förderung von leistungsschwächeren Schülern meinen, so Claudia Resch vom ÖZBF. Drei Argumente für Begabtenförderung Nun könne man zwar argumentieren: Es gebe derzeit zu viele Risikoschüler und man könne sich deshalb im Schulsystem nicht auch noch auf ohnehin leistungsstarke Schüler konzentrieren. Dahinter steht offenbar die Hoffnung, dass diese ihre Begabungen von selbst entwickeln. Aber erstens ist dies rechtswidrig, zweitens faktisch falsch und drittens langfristig schädigend. 1) Begabte Kinder haben genauso, wie alle anderen Kinder auch, das gesetzliche Recht auf Förderung. Paragraph 2 des Schulorganisationsgesetzes (1962) gibt vor: Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend [ ] durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Das sollte wohl für alle Schüler gelten. Weiters fordert der Grundsatzerlass zur Begabtenförderung (2009): Im Sinne der Chancengerechtigkeit hat die Schule die Aufgabe, auch die Lern- und Entwicklungsbedürfnisse der (hoch) begabten Schüler/innen wahrzunehmen und ihnen mit adäquaten pädagogischen und organisatorischen Maßnahmen Rechnung zu tragen. 2) Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass begabte Schüler ihre Talente eben nicht ohne Förderung optimal entwickeln können. Fördert man begabte Schüler nicht, können deren Begabungen verkümmern. Ihre Motivation kann in Desinteresse umschlagen es besteht sogar die Gefahr, dass sie zu Risikoschülern werden. 3) Begabungen nicht zu fördern, schädigt langfristig den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Österreich. Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) formulierte völlig korrekt, als sie bei ihrer Antrittsrede im Parlament betonte: Österreich verfügt über nahezu keine Rohstoffe, daher brauchen wir kluge Köpfe und hervorragende Ideen, Produkte und Dienstleistungen, die unserer Wirtschaft helfen. Diese klugen Köpfe gilt es zu entwickeln. Kluge Köpfe, begabte Schüler, gilt es also zu unterstützen. Sie entwickeln sich nicht von alleine. Vernachlässigt Schule die Förderung begabter Kinder, verspielt und vergeudet sie die Zukunftschancen möglicher Spitzenkräfte von morgen. Dr. Claudia Resch vom ÖZBF: Im Hinblick auf die Zukunft Österreichs scheint es etwas kurz gedacht, begabte Schüler im Schulsystem weitgehend sich selbst zu überlassen. Handlungsbedarf gegeben Österreich hat im Vergleich sehr wenige Spitzenschüler Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, zeigen die internationalen Studien TIMSS, PIRLS und PISA: Österreich hat im Vergleich einen sehr viel geringeren Anteil an Spitzenschülern als andere Länder. Die Mathematik-Vergleichsstudie TIMSS (2011) ergab einen Spitzenschüler-Anteil von nur 2 Prozent (Kompetenzstufe 4), im Vergleich zu 8 Prozent in anderen Ländern. 2 / 5
3 Quelle: TIMSS Darstellung: BIFIE* Die Lesestudie PIRLS (2011) ergab, dass der Anteil leistungsstarker Volksschüler im Lesen nur 5 Prozent betrug (Kompetenzstufe 4), womit Österreich die Schlussposition unter den 14 Vergleichsländern einnahm. Durchschnittlich gibt es 9 Prozent Spitzenleser, in Singapur sogar 24 Prozent. 3 / 5 Quelle: PIRLS Darstellung: BIFIE* Die PISA-Studie (2012) zeigte, dass der Anteil der österreichischen Spitzenschüler in den Naturwissenschaften (8%) zwar nahe beim OECD-Schnitt liegt, aber sich nach wie vor hinter Ländern wie
4 Schweiz (9 %), Slowenien (10 %) und Deutschland (12 %) und weit hinter Japan (18 %) und Finnland (17 %) befindet. Anmerkung: Die Länder sind absteigend nach dem Anteil der Spitzenschüler/innen gereiht.** Quelle: PISA Darstellung: BIFIE. Auch in Mathematik ist der Anteil der 15-jährigen Spitzenschüler erheblich geringer als etwa in Deutschland und der Schweiz: Österreich: 13 %, Deutschland: 18 %, Schweiz: 22 %. Die Autoren des Bildungsberichts kommen hier selbst zur Schlussfolgerung: Gerade in Mathematik fehlen Österreich aber jene Spitzenschüler/innen, welche in manch anderen Ländern, vor allem den teilnehmenden südostasiatischen Staaten, häufiger vertreten sind. Anmerkung: Die Länder sind absteigend nach dem Anteil der Spitzenschüler/innen gereiht.** Quelle: PISA Darstellung: BIFIE. Der Nationale Bildungsbericht erhebt den Anspruch, moderne Bildungspolitik und -steuerung zu unterstützen und zukünftige bildungspolitische Themen für den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs aufzubereiten. Dazu gehört jedenfalls auch die Förderung begabter und leistungsstarker Schülerinnen und Schüler. Das ÖZBF ist gerne bereit, seine Expertise und langjährige wissenschaftliche und praktische Erfahrung in diesen Diskurs einzubringen. Dr. Claudia Resch: Wir hoffen, dass die Bildungsreform und die neue Bildungsministerin ab jetzt dem Thema neuen Aufschwung verleihen und die notwendige Kurskorrektur vornehmen. 4/5
5 Das Österreichische Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung ist die bundesweite Institution zur Entwicklung der Begabungs- und Exzellenzförderung in Österreich und unterstützt Personen, Institutionen und Initiativen, die Begabungen fördern. Es wurde 1999 gegründet und wird von BMBF und BMWFW finanziert. Das ÖZBF vertritt einen ganzheitlichen und systemischen Ansatz der Begabungs- und Exzellenzförderung, der alle Bildungsinstitutionen Kindergarten, Schule, Hochschule genauso wie Elternhaus, Wirtschaft und Gemeinde einschließt. Nur so kann konnuierliche Begabungsentwicklung gewährleistet werden. Wir arbeiten an: Strategien und Konzepten, Schulqualitätsentwicklung, Professionalisierung von Pädagoginnen und Pädagogen, Curricula, Begabungsforschung, Pilotprojekten, Netzwerken und Kooperationen, Tagungen und Kongressen, Information und Bewusstseinsbildung. Mehr Informationen unter: Für Rückfragen steht Ihnen gerne zur Verfügung: Dr. Claudia Resch Geschäftsführerin ÖZBF Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung Schillerstr. 30/Techno 12 A-5020 Salzburg T: M: * Grafikausschnitt aus: Suchań, B., Wallner-Paschon, C., Bergmüller, S. & Schreiner, C. (Hrsg.). PIRLS & TIMSS Schülerleistungen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft in der Grundschule. Erste Ergebnisse. Graz: Leykam by Leykam Buchverlagsgesellschaft m. b. H. Nfg. & Co. KG, Graz 2012 ** Grafiken entnommen aus: Bruneforth, M., Lassnigg, L., Vogtenhuber, S., Schreiner, C. & Breit, S. (Hrsg.). Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015, Band 1. Das Schulsystem im Spiegel von Daten und Indikatoren. Graz: Leykam 2016 by Leykam Buchverlagsgesellschaft m. b. H. Nfg. & Co. KG, Graz 2012 Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. 5 / 5
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