Gebietsreformen in Ostdeutschland. Ergebnisse, Herausforderungen und Perspektiven. Prof. Dr. Jochen Franzke. Vortrag auf der LAG-Herbsttagung 2016
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- Richard Pfaff
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1 Gebietsreformen in Ostdeutschland. Ergebnisse, Herausforderungen und Perspektiven Prof. Dr. Jochen Franzke Vortrag auf der LAG-Herbsttagung in Schwerin Prof. Dr. Jochen Franzke 1
2 Modernisierung öffentlicher Verwaltungen hat immer auch territoriale Dimension Spezifik Ostdeutschland: Kommunen einzige politisch-administrative DDR-Ebene, die deren Untergang institutionell überdauerte; damit verbunden Übernahme der 1952 etablierten kleinräumigen DDR- Kommunalstruktur. Lösungsansatz: Frühzeitiger Konsens über Notwendigkeit, diese durch territoriale Neugliederung effizienter zu gestalten und dauerhaft finanzierbar zu machen; Modell Bildung größerer kommunaler Gebietskörperschaften durch Fusion, in geringerem Maße Eingemeindungen. Pfadabhängigkeit: Begründungsmuster und Vorgehensweisen ähnlich Gebietsreformen in westdeutschen Ländern in 1960er und 1970ern Jahren (außer Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz), alternative Ansätze wie Stärkung der interkommunalen Kooperation als nicht ausreichend betrachtet. Langfristiger Trend: Gemeindezahl in Deutschland sank von (1900 in heutigen Grenzen), auf (1949), auf (1990) bis auf Gemeinden ( ), davon 24 % im Osten Deutschlands. Nordeuropäisches Modell : Staaten mit überwiegend dezentralisierten öffentlichen Dienstleistungen benötigen leistungsfähige, effiziente und finanzierbare kommunale Gebietskörperschaften; Weg dazu Schaffung größerer oder Bildung neuer Einheiten; Setzen auf Skaleneffekte (Economy of Scale) mit Fokus auf höhere Effizienz der Produktion öffentlicher Dienstleistungen. Prof. Dr. Jochen Franzke 2
3 Streben nach optimalem Verwaltungsmodell: Verwaltungsreformpolitik der Länder mit Zieldimensionen größtmögliche Bürgernähe, Rechtssicherheit, optimale materielle Zielerreichung und Wirtschaftlichkeit, sind überaus konflikthaft, lassen sich nicht im Gleichschritt optimieren, sondern nur gegeneinander abwägen (Bogumil/Ebinger 2014: 2). Doppelcharakter von Kommunen: Dienstleister öffentlicher Aufgaben und zugleich Raum für lokale Demokratie und Partizipation der Bürger, führt zu Zielkonflikt zwischen Erhöhung der administrativen Effizienz der Kommunen (Bildung größerer Einheiten) und Erhaltung der Möglichkeiten lokaler Demokratie und Partizipation (Erhalt kleinerer Einheiten) Wissenschaftlicher Streit über kommunale Gebietsreformen: Schon immer umstritten, Main-Stream sieht positive Effekte auf Effizienz und Effektivität lokaler Gebietskörperschaften ("beste Leistung der öffentlichen Politik in der Geschichte der Bundesrepublik", Laux 1993), Minderheit kritisch gegenüber diesen Reformen, da diese zur Schwächung kommunaler Selbstverwaltung, negativen Konsequenzen für die Identität der Bürger sowie sinkender Bereitschaft für Bürgerengagement führen ("rücksichtslose Planierung der örtlichen Unterschiede wie durch eine Besatzungsmacht", Seibel 1996). Prof. Dr. Jochen Franzke 3
4 Kreisgebietsreformen mit geringer Varianz: Erste Welle Anpassungsreform an westdeutschen Verwaltungsmodelle Mitte der 1990er Jahre, zweite Welle seit Mitte der 2000er Jahre, die in Brandenburg und Thüringen 2019 abgeschlossen sein könnte. Gemeindegebietsreformen mit größerer Varianz: Erste Reformwelle zwischen 1993 und 2005 in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt; zweite Reformwelle seit 2008 in Sachsen-Anhalt und (laufend) in Thüringen, in Brandenburg noch offen, ob es nach 2019 Gemeindegebietsreform geben wird, Mecklenburg-Vorpommern setzt auf freiwillige Zusammenschlüsse. Geringe Nachhaltigkeit der Reformen: zentraler Unterschied zum Westen Deutschlands, wo diese Strukturen nunmehr seit über 50 Jahren funktionieren. Verknüpfung mit Funktionalreform: Hat sich als richtiger Weg erwiesen, aber nicht tiefgehend genug umgesetzt. Prof. Dr. Jochen Franzke 4
5 Demographischer Faktor: insgesamt Bevölkerungsrückgang (- 11 % zwischen 1991 und 2012, bis 2030 wird mit weiterem dramatischen Rückgang gerechnet); Ungleichmäßigkeit der Entwicklung (Zuwachs in urbanen Zentren, Rückgang in peripheren Gebieten), Konsequenzen für Finanzierungsgrundlagen der Kommunen. Finanzlage der Länder: Trotz positivem Trend Unsicherheiten bei Sicherung der mittel- und langfristigen Finanzplanung; Wirkung Schuldenbremse des Bundes ab 2020 sowie eigener Schuldenbremse ostdeutscher Länder Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, Druck auf Schaffung kostengünstigerer Verwaltungsstrukturen weiterhin stark. Kommunale Finanzlage: Ziel einer mit westdeutschen Kommunen vergleichbaren effizienten Aufgabenerledigung sind ostdeutsche Kommunen deutlich näher gekommen, beim Personalbestand Durchschnitt westdeutscher Flächenländer erreicht, weiterhin deutlich geringere Steuererträge und flächendeckende Zuweisungsabhängigkeit, Kluft zwischen armen und reichen Kommunen nimmt zu, Problem der dauerhaften Kassenkredite, vor allen in den kreisfreien Städten. Prof. Dr. Jochen Franzke 5
6 Verändertes Werte-Cluster der Landesregierungen: Bei Planungen neuer kommunaler Strukturen dominierte bislang Kostenersparungsparadigma, nunmehr stärker Paradigma robuster, lern- und anpassungsfähiger Verwaltung sowie längerer Zeithorizont der Reformen (bis 2030) Stärkeres Engagement der Länder bei Übernahme von Reformkosten: Anteilige Übernahme von reformbedingte Einmal-Kosten aus Landeshaushalt, Entschuldung von Kassenkrediten, Standardanpassungszuschuss für finanzielle Belastungen beim Aufgabenübergang von kreisfreien Städten auf neue Landkreise, Streit über Beteiligung der kommunalen Familie. Neue Formate der Bürgerbeteiligung: Regionalkonferenzen und Reformkongresse in Brandenburg und Thüringen, Information der Öffentlichkeit verbessert, Debatte verstärkt, Bürger -beteiligung fraglich, angestrebter Dialog kaum zustande gekommen. Einsatz des Instruments der Volksgesetzgebung: In Brandenburg seit November 2016 Volksinitiative, die zum Volksentscheid führen soll, um Kreisgebietsreform zu stoppen, in Thüringen Vergleichbares angekündigt, verwaltungswissenschaftliches Paradigma auf dem Prüfstand, dass sich Bevölkerung kaum für Veränderungen der Verwaltungsstrukturen interessierte, sondern dies eher Phänomen des politischen Personals und betroffener Verwaltungsmitarbeiter sei. Prof. Dr. Jochen Franzke 6
7 Unklare Erfolgsfaktoren: Fehlende Evaluation bisheriger Reformen: Allenfalls Teilevaluationen sowie Aufarbeitung vergangener Reformen durch Enquetekommissionen; schwächt die Position der Reformbefürworter, sollte künftig gesetzlich vorgeschrieben werden. Misstrauen in Motive der Landesregierung: Gescheiterte bzw. schlecht umgesetzte Reformen in der Vergangenheit belasten Vertrauen in neue Reformen. Erschweren Kompromisse mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Entstaatlichung von Räumen: Vielfältige Reformen (Bildung von Einheitsgemeinden bzw. Großkreisen, Polizei-, Finanzverwaltungs- und Gerichtsreform usw.) führen alle (!) zum Rückzug staatlicher Institutionen aus der Fläche in größeren Städte; fehlende örtliche Sichtbarkeit des Staates verstärkt bei Teilen der Bevölkerung das Gefühl des Staatsversagens, führt zu abnehmenden Verständnis für diese Art von Reformen bzw. schlägt sich in Protesten mittels Wahlentscheidungen nieder (siehe Wahlergebnis Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern vor allem im pommerschen Landesteil im September 2016). Identität: Debatte über Verlust von Identität, dient häufig als vorgeschobenes Argument zur Mobilisierung gegen die Reform, empirisch nicht durchgehend nachweisbar. Ehrenamtliche Tätigkeit: Muss vor allem in großen Kreisen stärker unterstützt werden, bleibt aber möglich. Balance zwischen kommunaler Selbstverwaltung und staatlicher Aufgabenerledigung: Vor allem auf gemeindlicher Ebene dürfen Aufgabenübertragungen durch Funktionalreformen nicht zur Verstaatlichung führen (Gefahr ist z. B. bei Organleihe gegeben), Möglichkeit, mehr Aufgaben als pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben übertragen und finanziell absichern. Prof. Dr. Jochen Franzke 7
8 Neustrukturierung der Kreisebene soll Funktionalreform folgen (Landesregierung schlägt 22 Aufgaben vor) Zahl kreislicher Verwaltungen deutlich reduzieren (u. a. durch Einkreisungen kreisfreier Städte) Kriterien für neue Landkreise 1. Sollen i.d.r. mehr als Einwohner haben (bezogen auf 2030), mindestens Einwohner. 2. Maximale Größe von km² ( im Interesse des bürgerschaftlichen Engagements der auf Kreisebene ehrenamtlich Tätigen ) 3. Sollen durch Zusammenlegung bestehender Landkreise gebildet werden, kein Teilung von Landkreisen. 4. Möglichst viele neue Landkreise sollen mit Berlin gemeinsame Grenze bilden und strahlenförmig zur Landesgrenze hin verlaufen (Sektoralkreisprinzip). 5. Raumordnerische Überlegungen, bestehende Verflechtungen sowie wirtschaftliche Aspekte u. a. europäische Entwicklungskorridore, Verkehrswege, Bevölkerungsschwerpunkte, Erhalt der Mittelbereiche, Verflechtungs- und Pendlerbeziehungen, Steuereinnahmekraft und Beschäftigungsdichte; historische und kulturelle Bindungen, Naturräume bzw. Kulturlandschaften, angestammtes Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden Drs. 6/4528-B Landtag Brandenburg Prof. Dr. Jochen Franzke 8
9 Vorausgesetzt, geplanten Reformen in Thüringen und Brandenburg werden bis 2019 erfolgreich umgesetzt, scheint Instrument flächendeckender kommunaler Gebietsreformen im Osten Deutschlands vorerst ausgereizt (insbesondere wegen der rechtliche Hürde der Mehrfachreformen, aber auch wegen der sinkenden Akzeptanz bei Bürgern), Möglichkeit für territoriale Neugliederungen im Einzelfall bei stärkerer Berücksichtigung der lokalen Interessen, freiwillige Reformen mit hohen Anreizen. Funktionalreformen mit starker Kommunalisierungstendenz bleiben möglich. Interkommunale Kooperationen weiter stärken. Im Westen Deutschlands werden weiter kommunale Gebietsreformen umgesetzt (z. B. in Rheinland-Pfalz) bzw. diskutiert (z. B. Saarland, Schleswig-Holstein). Prof. Dr. Jochen Franzke 9
10 Vielen Dank. Hinweise und Anregungen sind willkommen. Prof. Dr. habil. Jochen Franzke Apl. Professor für Verwaltungswissenschaft Vorstandsmitglied des Kommunalwissenschaftlichen Instituts an der Universität Potsdam Co-Chair of the Permanent Study Group Local Governance and Democracy of the European Group of Public Administration (EGPA) Universität Potsdam, August-Bebel-Straße 89, D Potsdam Tel.: +49/(0)331/ , Fax: +49/(0)331/ , franzke@uni-potsdam.de Prof. Dr. Jochen Franzke 10
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