Von Nutzen und Nachteil eines gesellschaftstheoretischen Innovationskonzepts
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- Matthias Bäcker
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1 Von Nutzen und Nachteil eines gesellschaftstheoretischen Innovationskonzepts Vortrag an der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlichtechnischer Entwicklungen, Bad Neuenahr 31. März
2 1.1 Innovation im fachlichen und gesellschaftlichen Diskurs a) Vom Fach her: Thema der Ökonomie + Management-Lit. b) Von der Sache: Produkt der Ingenieurwiss. + Technologie-Lit. zu a) Vielfalt sozialwiss. Perspektiven: Soziale Einbettung, gemischte Innovationsnetzwerke, Kulturelle Quellen, Kreativitäts-Dispositiv, reflexives Innovationshandeln à über ökonomische Innovation hinaus (2.) zu b) Gesellschaftliche Innovation: Produkt der Sozialwiss.+ STS-Lit. à jenseits falscher Technikfixierung (3.) Problem: gesellschaftliche Erneuerungsfähigkeit insgesamt, differenziert nach Feldern und en detail Relevanz: Innovation als Antwort auf Krisen der Gesellschaft (Wachstum, Bankenkontrolle, Klimafolgen, Energie, Migration), EU als Innovationsunion 2
3 1.2 Gliederung 2. Jenseits der bloß ökonomischen Innovation: à das Problem der Vielfalt der Referenzen 3. Jenseits der rein technischen Innovation: à das Problem der Vielfalt der Relationen 4. Ein gesellschaftstheoretisches Innovations-Konzept: à die Beiträge soziologischer Theorie + Forschung 5. Gesellschaftlicher Zusammenhalt trotz Innovation? 3
4 2.1 Jenseits der bloß ökonomischen Innovation Nutzen des ökonomischen Innovations-Konzepts bisher: a) erfolgreiche Operationalisierung (Marktverbreitung, Gewinn) b) Trennung von bloßen Neuheiten und Innovation c) nicht-lineare Prozesstheorie wirtschaftlicher Entwicklung Nachteile der Grenzen gegenwärtig: a) Die Vielfalt der beteiligten Akteure in Netzwerken bringt andere Referenzen ins Spiel. b) Die Berücksichtigung anderer Referenzen sowohl in Unternehmen wie auch Netzwerken verlangt Reflexivität und Kompromisse. c) Wissenschaftliche, künstlerische, politische Innovationen würden nach der ökonomischen Referenz sehr einseitig und unangemessen bewertet. 4
5 2.2 Das Problem der Vielfalt der Referenzen Auf der Gesellschaftsebene bisher: Differenzierung von institutionellen Bereichen und Feldern, die eigene Codes, Bewertungsformen, Referenzgrößen entwickelt haben Auf der Ebene der Organisationen, Communities und Netzwerke: Mischung der Referenzen, reflexive Innovationsstrategie Auf der Ebene des Handelns: trans-referentielle Praktiken des doing innovation à Empirische Frage vor unterschiedlichen Theoriefolien o Wandel der Diskurse o Wandel der Regime o Wandel der Praktiken 5
6 3.1 Jenseits der rein technischen Innovation Vorteile eines nicht-reflexiven Technikbegriffs bisher: a) sichtbare, berührbare und leicht identifizierbare Objekte und Verfahren b) Scheinbar leichte Abgrenzbarkeit von sozialen Elementen und Relationen Nachteile und Grenzen: a) Schränkt sachliche Vielfalt von materiellen, institutionellen und konzeptuellen Neuerungen ein b) Unterschlägt soziale Erfindungen (Ogburn), die sich nicht auf technische Objekte beziehen (mönchische Askese, Kindergarten, Sozialversicherung, Emissionshandel) c) Ignoriert die Tatsache, dass neue technische Objekte selten ohne institutionelle und konzeptuelle Neuerungen den Status einer gesellschaftlich anerkannten Innovation erreichen (Leasing, Normierung) 6
7 3.2 Das Problem der Vielfalt der Relationen Technik: Form Medium - Beziehung - Beziehung zwischen sachlichen Elementen - Beziehung zwischen Zeichenelementen - Beziehung zwischen Praktiken - Transversal: Beziehungen quer zueinander à Systeme, Formate, Konfigurationen, Umgangspraktiken, Architekturen, Schnittstellen à insgesamt: Konstellationen ( Rekombination, Assemblage ) à Empirische Frage nach Identifikation 7
8 4.1 Ein gesellschaftstheoretisches Innovations-Konzept Ein umfassendes Innovations-Konzept muss a) sowohl die sachliche Verschiedenheit der Elementrelationen aus Objekten, Praktiken und Konzepten einfangen b) als auch der gesellschaftlichen Vielfalt von Wertreferenzen gerecht werden. Zu a) Wie kommt das Neue in die Welt? (1) Sachlich: Variieren, Herstellen (Materialisieren + Praktizieren) (2) Symbolisch: Markieren (Definieren) (3) Sozial: Kommunizieren Zu b) Wann gilt das Neue als Innovation? (4) Räumlich-zeitlich: Verbreiten + Wiederholen à Präsenz (5) Sachlich: Strukturelle Effekte à Wirksamkeit (6) gesellschaftlich: Valorisation (Rechtfertigen und Anerkennen) à Relevanz 8
9 4.2 Zwei Stufen: (I) Relationalität und sachliche Variation Frage: Wie können aus Routine, Ritual, Repetition und Reproduktion von Konstellationen neue Praktiken, Objekte und Konzepte entstehen? Evolutionstheoretisch: Fehlkopien, Abweichungen, Kontextveränderungen, Synthesen, Symbiosen Handlungstheoretisch: - Intentionalistisch: Innovatives Verhalten (Abweichende Mittel bei gleichen Zielen; eher kriminelles als kreatives - Nicht-intentionalistisch: Interaktivität mit Objekten, beim Spielen, Experimentieren und kreativen Handeln (Merton, Dewey, Popitz, Joas) 9
10 4.3 Zwei Stufen: (II) Referenzialität und Regime der Valorisation Frage: Nach welchen Referenzen werden die neuen Varianten als Innovationen bewertet und legitimiert? o Differenzierungstheoretisch: nach Codes der Teilsysteme oder Wertorientierungen der institutionellen Felder (Luhmann, Schimank) o Handlungs/praxistheoretisch: nach pragmatischen Regimen der Rechtfertigung (Boltanski,Thévenot) à Empirische Frage nach Konflikten und Kompromissen bei multi-referentiellen Bezügen 10
11 5.1 Gesellschaftlicher Zusammenhalt trotz Innovation? Innovation = Anomie? Abweichen von Regeln + Routine brechen Umwertung der Werte + moralischer Verschleiß von Gütern Beschleunigung + Verflüssigung der Sozialen Trotzdem Möglichkeit des Zusammenhalts: a) Weniger auf der semantischen Ebene (Diskurse, öffentliche Debatten, Selbstthematisierung) b) Mehr auf der pragmatischen Ebene (Verbreitung von neuen Wirkund Zeichenobjekten, Verbreitung neuer sozialer Praktiken mit der neuen materialen und medialen Infrastruktur, Objektbindung) c) Auch auf der grammatischen Ebene der institutionellen Regime (Zwänge zur Koordination zwischen den Bereichen; heterogene Kooperation und Interaktion; Multi-Referentialität erhöht reflexive Perspektivübernahme) 11
12 5.2 Nutzen und Nachteil? + Gesellschaftliche Vielfalt von Innovationsfeldern und Vergleich auf Einheit und Differenz der Praktiken - Verlust an Schärfe der Operationalisierung + Sachliche Vielfalt von Innovationstypen und Interdependenz von technischer und sozialer Neuerung - Verlust der Besonderheit des Materiell-Technischen + Dynamischer Zusammenhalt der Gesellschaft trotz Innov. durch Vielfalt durch Diskurse, Objekte und Praktiken - Keine Theorie kurzer und längerer Innovationszyklen 12
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