Fluchterfahrungen und Trauma
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- Kristina Morgenstern
- vor 6 Jahren
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1 Main-Tauber-Institut Main-Tauber-Institut Fluchterfahrungen und Trauma Anforderungen an die Kinder- und Jugendhilfe , Waldenburg Fachtag des Forum Jugendhilfe 1 Pädagogischer Umgang mit traumatisierten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen 1) Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration 2) Die Bedeutung des Ankunftsortes pädagogische Implikationen 3) Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung / Verarbeitung traumatischer Erfahrungen 2 1
2 Main-Tauber-Institut Main-Tauber-Institut 1 Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration Trauma oder kritisches Lebensereignis? Ein Trauma ist.. Definitionen ein vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, welches mit dem Gefühl der Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt Fischer/Riedesser 2003 Ereignis (situationale Faktoren) Bewältigungsmöglichkeiten (personale Faktoren) Emotionaler Faktor: Hilflosigkeit und schutzlose Preisgabe Zeitlicher Faktor: dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis eine Erfahrung, die aufgrund der persönlichen Interpretation des Opfers und seines Entwicklungsstandes sowie seiner konstitutionellen Voraussetzungen überwältigend ist Streek-Fischer Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration Klassifikation von Traumata Ursache Einmalige (Typ I) Anhaltende (Typ II) Non-man-made Disasters Manmade Disasters bindungsferne Menschen bindungsnahe Menschen z.b. Erdbeben, Überschwemmungen z.b. Überfall durch Soldaten Bedrohung bzw. Übergriff durch vertraute Menschen, Familienangehörige Heimatverlust Armut z.b. Vertreibung Misshandlung, Missbrauch, seelische Grausamkeit in der Familie modifiziert nach Weinberg 2006,
3 Main-Tauber-Institut Main-Tauber-Institut 1 Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration Weitere Typen von Traumata Zeugenschaft (auch als Typ III-Trauma bezeichnet) Sekundäre Traumatisierung Schwierigkeit der Validierung: Ich habe kein Recht, darunter zu leiden, es ist mir ja gar nichts passiert 5 1 Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration Sind alle Flüchtlinge traumatisiert? Untersuchung Universität Koblenz; psychologische Forschungs- und Modellambulanz für Flüchtlinge (2006) 40% der AsylbewerberInnen leiden unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) 6 3
4 Main-Tauber-Institut 1 Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration Von den Begriffen zum inneren Erleben Kirchhoff 2010 Ich glaube, dass der Kern jeder Traumatisierung in extremer Einsamkeit besteht. Im äußersten Verlassensein. Onno van der Hart 7 1 Annäherung an das Traumaverständnis im Kontext der (Zwangs-)Migration Sequentielle Traumatisierung Aufeinanderfolge verschiedener traumatischer Sequenzen unter Einbeziehung des politischen und sozialen Kontextes - 1. Sequenz: Verfolgung in der Heimat (Angriff auf die Würde, Abbröckeln des Rechtsschutzes, Vernichtung des wirtschaftlichen Existenz); panische Auflösung der eigenen Umgebung - 2. Sequenz: Untertauchen, Flüchten, Trennung von Familien, Auslieferung an Fluchthelfer / Schlepper, Entbehrung; generelle Bedrohlichkeit - 3. Sequenz: Auftauchen in der anderen Welt, veränderter sozialer Status, Konfrontation mit dem Verlust; Eingliederungsphase 8 4
5 2 Die Bedeutung des Ankunftsortes pädagogische Implikationen Die Bedeutung des Ankunftsortes Bei Kindern mit einer ungünstig verlaufenden dritten traumatischen Sequenz bei einer gleichzeitig günstigeren Verfolgungsphase ist eine schlechtere Entwicklung festzustellen als bei jenen mit einer schwereren Verfolgungsphase, aber einer günstigeren dritten traumatischen Sequenz. Keilson 2002 Bildquelle: NYTimes 9 2 Die Bedeutung des Ankunftsortes pädagogische Implikationen Unsere Aufgabe Die Bedeutung der dritten Sequenz liegt in der Qualität des Pflegemilieus, in seinem Vermögen, die Traumatisierungskette zu brechen und dadurch das Gesamtgeschehen zu mildern, nämlich selbst die erforderliche Hilfe zu bieten oder rechtzeitig Hilfe und Beratung zu suchen, resp. in seinem Unvermögen, wodurch die Gesamttraumatisierung verstärkt wird. Keilson
6 Main-Tauber-Institut 2 Die Bedeutung des Ankunftsortes pädagogische Implikationen Traumapädagogik Traumatisierendes Milieu Traumapädagogisches Milieu Unberechenbarkeit Ausgeliefert sein Wenig Schönes erfahren Abwertung Isolation Gefahr Willkommen sein Gesehen werden Ermutigung, Lob Kontakt zu Kraftquellen Beziehungsangebote Sicherheit Transparenz Unsichere Orte sicherer Ort 11 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen PTBS-Symptome Traumasymptome Übererregung Reizbarkeit, Wut Übertriebene Schreckreaktionen Schlafstörungen Hypervigilanz Intrusives Wiedererleben Albträume, Flashbacks Reinszenierungen im Handeln Vermeidung und reduzierte emotionale Reagibilität.. von Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen, Aktivitäten Hoffnungslosigkeit Gefühlstaubheit (Numbing) Unsere Aufgaben: Helfen beim 1) beruhigen 2) verarbeiten 12 6
7 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Allgemein: Ebenen der Stabilisierung Sicherheit im Innen und Außen herstellen Körperliche Stabilisierung - Ausreichende Nahrungsaufnahme - Vernünftiger Wach-Schlaf-Rhythmus - Gute Wundversorgung Emotionale Stabilisierung - Selbstberuhigungsstrategien erlernen (z.b. kognitive, imaginative und körperbezogene Techniken), Dissoziationsstopps einüben - Unterbrechen dysfunktionaler Muster - Aromatherapie Soziale Stabilisierung - Regelmäßiger Schul- oder Ausbildungsbesuch - (Wohn-)Perspektive schaffen - Zugang zu Unterstützungssystemen - Integration in soziale Gruppen 13 Wieder festen Boden unter den Füßen spüren! 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Ohne soziale Stabilisierung keine psychische? Vergleichende Studie (Momartin et al, 2006): Untersucht wurden iranische und afghanische Flüchtlinge mit unbefristetem (n=67) und befristetem (n=48) Aufenthaltsstatus Beide Gruppen hatten ähnliche Gewalt- und Verfolgungserfahrungen relevant höhere Symptomatik in allen untersuchten psychiatrischen Symptomen bei der Gruppe mit befristetem Aufenthaltsstatus 14 7
8 Main-Tauber-Institut 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Unterbrechen dysfunktionaler Verhaltensmuster Belastende biografische Erfahrungen Verfestigte Copingstrategien Abb. modifiziert nach Plassmann 2007 Psychobiologisch sinnvoller Selbstheilungsversuch Dysfunktional; heißt: entwicklungsschädigend Validieren Begrenzen 15 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Analyse von Triggern Trigger sind Auslösereize, die Gefühle aus der traumatischen Situation (z.b. Panik, Ohnmacht, Verzweiflung) reaktivieren. Wodurch wurden die Gefühle ausgelöst? Wie lassen sich diese Trigger künftig vermeiden? Wissen um Triggerung kann beruhigen: Es passiert gerade nicht wirklich 16 8
9 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Achtung: Stabilisierungsprozesse funktionieren nur mit guten Arbeitsbündnissen! Stabilisierung muss in erster Linie im Interesse des Betroffenen liegen, nicht in dem des Helfers! Dafür müssen Arbeitsbündnisse geschlossen werden: Wie kann ich Dir helfen, DEIN Ziel zu erreichen? Notwendig ist die Suche von und das Verbünden mit denjenigen Anteilen der Persönlichkeit, die eine Veränderung anstreben Je besser die (Krankheits-)Einsicht und je höher der Leidensdruck, desto höher die Veränderungsmotivation 17 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Containing Unregulierte Gefühlszustände durch unverarbeitetes emotionales Belastungsmaterial 18 Idee und Copyright Grafik: Jan Volmer Gespiegelte, in Worte gefasste, geteilte = verstoffwechselte Gefühlszustände 9
10 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Unterstützung beim Entwickeln von Narrativen Heißt es nicht, das Reden über könne schlimmstenfalls zu einer Retraumatisierung führen? Das stimmt, deshalb: Nicht nur die Inhaltsebene, sondern auch die Prozessebene beachten! Nicht nur WAS wird erzählt? sondern auch WIE wird erzählt? 19 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Techniken der Gesprächsführung I: Die Emotionen im mittleren Bereich halten Die nachhaltigste Auswirkung eines Traumas ist der Verlust der Fähigkeit zur Selbstregulation. Bessel van der Kolk Aktivierung Toleranzfenster Beruhigung nach Plassmann 2007 Beobachtend: Atmung, Redefluss, Präsenz Eigene emotionale Reaktion wahrnehmen Dialogisch, Meta-Kommunikation: Wie geht es Dir jetzt gerade mit der Erzählung? Ist es ein gutes Weinen? Glaubst du, es wäre gut, mit der Geschichte fortzufahren? Nimm dir Zeit, es zu prüfen
11 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Techniken der Gesprächsführung II: Immer wieder Kontakt zu den Ressourcen herstellen Belastungspol Heilungspol Grafik: nach Plassmann 2007 Verbünden mit den Stärken, Fähigkeiten, Interessen, Kraftquellen! Hilfe bei der Entwicklung positiver Zukunftsvisionen! 21 3 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Achtung: Balance halten! Auf Selbstfürsorge achten! Die Kunst in der Arbeit mit traumatisierten Menschen: Der Therapeut muss in der Lage sein, sich von der Traumaerzählung der Kinder berühren zu lassen und gleichzeitig der pathogenen Wucht ihrer Geschichte standzuhalten M. Landolt sich berühren zu lassen : von den Geschichten, Nöten und Bedürfnissen der Kinder, dabei weich, empfindsam und zart zu bleiben, Anteil zu nehmen, mitzufühlen..und gleichzeitig der pathogene Wucht ihrer Geschichte mit all der Destruktivtät, Gewalt, Sinnlosigkeit, dem Leid, dem Grauen und der Ungerechtigkeit standzuhalten. Cave: Voyeurismus Mitleiden 22 11
12 Pädagogische Unterstützung bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen Psychoedukation In modifizierter Form zu finden in einem Artikel von: Dabbert, L. (2016): Methodenbereiche in der Traumapädagogik Nach einer Idee von Leonie York 12
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24 Main-Tauber-Institut Diese Präsentation sowie Informationen über das zertifizierte Curriculum Traumapädagogik und traumazentrierte Fachberatung finden Sie auf
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