Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz

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1 Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1779 Schiller und Graubünden Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter erhältlich. Beilagen der Jahresberichte Anno Domini unter

2 Schiller und Graubünden Bündner Tagblatt Bündner Tagblatt vom 1. Juli Seite 10. Samstag, 1. Juli 2017 Der Zwist mit dem «auswärtigen Komödienschreiber Dr. Schieler» Der Protest gegen die Beleidigung Graubündens in Schillers «Räuber» war die grösste aussenpolitische Verwicklung des alten Freistaates. Seine Vorkämpfer, ein Thurgauer und ein Deutscher, wurden dafür ins Bürgerrecht aufgenommen. von Hansmartin Schmid Selbstverständlich hat auch der Bündner Proteststurm gegen das berühmtberüchtigte Zitat in Friedrich Schillers Jugendwerk «Die Räuber» - «und da rat`ich Dir, reis`du ins`graubündner Land, das ist das Athen der heutigen Gauner» - im Bündner Staatsarchiv seine Spuren hinterlassen. Denn damals war zwischen Graubünden und dem Herzogtum Württemberg, respektive dessen Bürger und Untertanen Friedrich Schiller wirklich Feuer im Dach. Das kam so: Kaum war Schillers Sturm- und Drang-Drama 1779 anonym veröffentlicht, 1782 in Mannheim uraufgeführt und auch auf anderen deutschen Bühnen gespielt worden, da drang die Kunde davon auch nach Graubünden. Der Zufall hatte es nämlich gewollt, dass bei der «Räuber»-Premiere in Hamburg auch der in Hamburg geborene Carl Wredow, jetzt Hauslehrer bei den Salis in Marschlins, der zwei junge Salis auf einer Reise durch Deutschland führte, im Publikum sass und mit Entsetzen die Beleidigung seines Gaststaates vernahm.

3 - 3 - Das Bundestagsprotokoll vom 9. März 1783, mit dem in Punkt 4 die Aufnahme von Johann Georg Amstein und Carl Wredow in Bündner Bürgerrecht festgehalten wurde. Beim damals höchst ungewöhnlichen Namen Wredow - oder damals Vredoff - ist der Protokollführer gestrauchelt, so dass dessen Name durch die Korrekturen völlig unleserlich geworden ist. Foto Olivia Item. Nach seiner Rückkehr orientierte er sofort den Schwager der Salis-Marschlins, den gelehrten gebürtigen Thurgauer Arzt Johann Georg Amstein, der ebenfalls auf Marschlins wohnte und in Graubünden auch als Naturforscher und Publizist einen grossen Namen hatte. Vor allem dieser Schriftsteller und Hausarzt Amstein schrieb unverzüglich einen flammenden Protestbrief an den Berufskollegen, den «Regimentsmedikus Dr. Schieler in Stuttgart»: «Haben Sie, mein Herr, Bünden bei Bündnern kennengelernt, waren Sie selbst in dem Lande, unter dem Volk, dass Sie so fürchterlich brandmarken, und glauben dort die Veranlassung zu Ihrem Urtheil gefunden zu haben, so machen Sie entweder unverzeihliche Fehlschlüsse, oder Sie begehen eine höchst unvorsichtige Verwechslung». Die Protestnote folgte Der Rest ist bekannt. Auch der gelehrte Carl Vredow - oder eben Vredoff, wie er damals genannt wurde - machte die Bündner Regierenden auf das beleidigende Zitat aufmerksam, und diese protestierten beim Herzog von Württemberg, der sich ohnehin durch die Dramen des angehenden «Sängers der Freiheit» Friedrich Schiller bedroht sah.

4 - 4 - Unverzüglich verbot er Schiller jegliche schriftstellerische Tätigkeit, ausser medizinischer Darstellungen, was letztlich ganz wesentlich zu Schillers Flucht aus Württemberg beitrug. Und in späteren deutschen Ausgaben war dann in der Folge zumeist statt vom «Graubündner Land» von den «böhmischen Wäldern» als Athen der Gauner die Rede. Herren vom löblichen Stand Für die beiden Hauptträger des Protestes in Graubünden dagegen nahm die Geschichte ein versöhnliches Ende. In einem der üblichen Ausschreiben fragten die Regierenden 1782 die Gerichtsgemeinden an, ob diese Amstein und Wredow nichts in Bündner Bürgerrecht aufnehmen wollten: «Sodann zeigten Ihro Weisheit der reg. Bundslandammann an, dass dem Vernehmen nach von einem württembergischen Arzte in einem herausgekommenen Schauspiel der Bündner Name auf die verletzlichste Weise zu öffentlicher Beschimpfung der Einwohner unseres Freistaates misshandelt worden, worauf der Herr Dr. Amstein und Herr Präzeptor Vredoff solches auf die bündigste Weise verteidigten; ob diesen Herren vom löblichen Stand aus nicht billig eine Erkenntlichkeit gebühre?» Denn, so hiess es weiter: «Hätte wohl selbst Einer, in dessen Adern Bündner Blut wallet, seine Liebe vor die angegriffene Unschuld, seinen gerechten Unwillen gegen den Verläumder, seinen Muth, die Ehre eines ganzen Volkes zu rächen, besser auszeichnen können, als es Herr Vredoff in seiner besagten Widerlegung gethan?» Später erster Kanzleidirektor Die Gemeinden folgten mit grosser Mehrheit diesem Antrag, sodass der Thurgauer Johann Georg Amstein aus Hauptwil und der Deutsche Carl Wredow, die Graubünden nach Auffassung der Regierung besser verteidigt hatten, als es ein Bündner hätte tun können, zu freien Bündnern mit allen Rechten erklärt wurden. Damit eröffnete sich vor allem für Carl Wredow eine ungewöhnliche Karriere, denn nach der Gründung des Kantons Graubünden wurde der ehemalige Hauslehrer aus Hamburg der erste Bündner Kanzleidirektor.

5 - 5 - Aber auch Johann Georg Amstein, der nun als praktizierender Arzt nach Zizers zog, konnte jetzt als Bündner seine naturwissenschaftliche und schriftstellerische Tätigkeit fortsetzen, wobei er die bündnerische «Oekonomische Gesellschaft» und die wissenschaftliche Zeitschrift «Der Sammler» gründete. Warum hat Schiller dies geschrieben? Wahrscheinlich für immer unbeantwortet bleiben wird die Frage, warum Friedrich Schiller seinen Räuber Razmann von Graubünden als dem «Athen der heutigen Gauner» sprechen liess. Lange Zeit wurde darüber spekuliert, sein Graubünden-Bild hange mit der Bande des schwäbischen Räuberhauptmanns Hannikel zusammen. Doch Schiller schrieb sein Drama in den Jahren 1777 bis 79, Hannikel jedoch trieb sein Unwesen in Chur und Umgebung erst 1786 bis Dann glaubte man, Schiller habe an der ungeliebten Karlsschule in Stuttgart einen ehemaligen Söldnerkorporal aus Graubünden als Aufseher gehabt, der ihn laufend schikanierte, und sich dann auf diese Weise an ihm und den Bündnern gerächt. Denkbar wäre auch ein Zusammenhang mit dem grossen Bündner Prozess Misani. Gaudenzio Misani war bündnerischer Podestà in Tirano und als solcher in hohem Masse korrupt, betrügerisch und grausam. Erst 1773 gelang es den Drei Bünden, Misani in einem riesigen Prozess abzusetzen und zu bestrafen. Dieser Prozess erregte damals in ganz Europa beträchtliches Aufsehen und könnte auch zu Schillers Ohren gekommen sein und ihn zum Gauner-Zitat inspiriert haben. Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist die einer Verwechslung, die schon Amstein in seinem Protestschreiben an Schiller vermutet hat: «eine höchst unvorsichtige Verwechslung». Den unmittelbar nach dem Graubünden-Zitat antwortet ein anderer Räuber: «Bruder! man hat mir überhaupt das ganze Italien gerühmt». Schiller, der nie in der Schweiz oder in Graubünden war, könnte also durchaus Graubünden, vor allem seine damaligen südlichen Untertanengebiete, mit ganz Italien gleichgesetzt und deshalb seine «Reiseempfehlung» für angehende Räuber geschrieben haben. (hms) In loser Folge stellt das «Bündner Tagblatt» in der Reihe «Die Schätze des Bündner Staatsarchivs» die wichtigsten Dokumente des Staatsarchivs Graubünden vor.

6 Nachtrag Bündner Tagblatt Bündner Tagblatt vom 4. Juli Seite 9. Schiller wollte nicht Graubünden beleidigen Das in Friedrich Schillers Werk «Die Räuber» enthaltene Zitat «... und da rat' ich Dir, reis' du ins Graubündner Land, das ist das Athen der heutigen Gauner» sorgte Ende 1770 für einen Bündner Proteststurm. Doch war die Aussage beleidigend gemeint? Ein Nachtrag auf den Artikel von Hansmartin Schmid im BT vom letzten Samstag. Giusep Nay* Hansmartin Schmid publiziert in seiner Reihe von Beiträgen aufgrund der Akten im Staatsarchiv in verdienstvoller Weise viel Interessantes aus der Bündner Geschichte. Im «Bündner Tagblatt» vom letzten Samstag, 1. Juli, tat er dies zur aussenpolitischen Verwicklung von Alt Fry Rätien mit dem Herzogtum Württemberg, in die dieser wegen der bekannten Aufforderung des Oberräubers Spiegelberg an Räuber Razmann geraten war: «... reis' du ins Graubündnerland, das Athen der heutigen Gauner» in Friedrich Schillers «Die Räuber». Kaum bekannt war, wer die Kunde dieser Untat nach Graubünden brachte und wer die Protestnote aus Graubünden veranlasste sowie noch weniger, dass diesen ausländischen Bürgern für ihre grossherzige Tat sogleich mittels eines Ausschreibens an die Gerichtsgemeinden das Bündner Bürgerrecht verliehen wurde. Am Rande dieses Beitrags weist Schmid auch auf die unterschiedlichen Spekulationen hin, warum Schiller diese Aussage in den Mund eines seiner Akteure legte. Er meint, die unter anderen erörterte Möglichkeit einer Verwechslung und Gleichsetzung von Graubünden mit seinen Untertanengebieten im Veltlin mit ganz Italien sei die wahrscheinlichste.

7 - 7 - Das rief mir einen Artikel dazu in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 10. November 1959 von Hans Felix Pfenninger, Strafrechtsprofessor an der Universität Zürich, in Erinnerung. Diesen hatte dieser mir zusammen mit einer weiteren Dokumentation überlassen, weil ich mich bei ihm für das Verfassen einer Dissertation zur geschichtlichen Entwicklung des Strafprozesses in Graubünden interessiert hatte. Graubünden als letzter Zufluchtsort Pfenninger legt dort dar, «dass als Charakteristikum der Kriminalität in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem in Deutschland das Bandenwesen bezeichnet werden muss und dass besonders Süddeutschland unter den Bettler-, Gauner- und Räuberbanden schwer zu leiden hatte». Hätte man sich einmal zu energischer Gegenwehr zusammengerafft, seien die Banden ins benachbarte Ausland verschwunden: «vom untern Rheinland nach Holland, vom Oberrhein nach Frankreich und von der Gegend westlich des Bodensees nach Österreich und vor allem nach Graubünden». Pfenninger geht gestützt auf die noch näher ausgeführte damalige Lage mit dem Unwesen von Räuberbanden, derer sich in der Folge Frankreich und die Eidgenossenschaft wie auch Holland und Österreich dann erwehrten, davon aus, Spiegelberg habe nur das ausgesprochen, was damals allgemein, vor allem unter Gaunern und Räubern, als feststehende Tatsache gegolten habe, nämlich dass Graubünden ihr letzter Zufluchtsort sei. Die offensichtlich ganz schwierigen Umstände mit dem Bandenwesen und die grossen Anstrengungen, um diese auch aus dem Herzogturm Württemberg zu vertreiben, konnten Schiller kaum verborgen geblieben sein; das inspirierte ihn ja wohl auch mindestens zum Titel seines Dramas. Aus verschiedenen Quellen ist zudem bekannt, dass Friedrich Schiller zusammen mit zwei Bündnern aus der Familie von Salis die militärische Karlsschule in Stuttgart absolvierte, und so liegt es durchaus nahe anzunehmen, er habe auch mitbekommen, dass Graubünden nun von dieser Plage betroffen sei. Schiller verwechselte aufgrund dieser beiden Bekanntschaften kaum Graubünden und Italien, und diese sind im Gegensatz zum Söldnerkorporal aus Graubünden, der ihn an der Militärschule hätte schikaniert und so Anlass zu Rache gegeben haben sollen, belegt.

8 - 8 - Wie dem aber letztlich auch sei - und obwohl ich wie Hansmartin Schmid der Auffassung bin, warum Schiller den ominösen Satz geschrieben hat, werde sich letztlich nie beantworten lassen -, finde ich es als entscheidend, dass die Empfehlung Spiegelbergs an seinen Miträuber als eine ganz ehrliche erscheint, wenn die dargelegten damaligen Zustände in Betracht gezogen werden, die rund um die vielen Räuberbanden und ihre Bekämpfung herrschten. Dieser empfiehlt den Räubern, sich dorthin zu begeben, wo sich viele ihrer Sorte aufhielten und wo so ihr Zentrum, eben ihr Athen, liegt. Die ursprüngliche Fassung lautete denn auch: «Komm mit uns nach Graubünden, dem Athen der Räuber und Diebe.» Dieser Ausspruch hat deshalb aber nichts damit zu tun, dass die Bündner Gauner seien. Die Passage so und damit als Beleidigung Graubündens zu verstehen, dürfte, wie ich meine, vielmehr darauf beruhen, dass das Theaterstück des jungen Schillers eine bissige Kritik an den damaligen einengenden Feudalverhältnissen und an der mangelnden Freiheit darstellte, die der junge Schiller beklagte. Deshalb betrachteten die beiden in den Diensten des Bündner Adels stehenden bzw. in dessen Kreisen verkehrenden Lehrer und Gelehrten Wedrow und Amstein - die die Kunde nach Graubünden brachten und als Erste privat dagegen energisch protestierten - wohl die streitige Aussage schnell einfach wie das ganze Stück als einen beleidigenden Angriff auf die Herrschenden, und die Regierenden in Graubünden folgten ihnen. Keine Anhaltspunkte für Beleidigung Peter Liver, unser eminenter Rechtshistoriker, stellt in einem im «Bündner Monatsblatt» 1940 publizierten Vortrag zur bündnerischen Strafrechtsgeschichte die mehr als jahrzehntelangen langwierigen Bemühungen Bündens um die Einrichtung des ersten kantonalen Strafgerichts 1808 dar, das endlich wenigstens für die Aburteilung von Vagabunden und fremden Landstreichern zuständig war. Dies sei gelungen, weil «Bünden dem schimpflichen Vorwurf, der Zufluchtsort von Diebesbanden und schlechten Gesindels zu sein, ausgesetzt ward», wie es im Grossratsabschied vom 13. Mai 1807 getönt habe. Und das erinnert Liver an den bösen Spruch in Schillers «Die Räuber» und lässt ihn anfügen: «Man fragt sich, ob die Entrüstung über ihn begründet und ganz echt gewesen ist.»

9 - 9 - Auch Hans Felix Pfenninger untermauert die historische Tatsache eines grossen Rückzugs von Räubern nach Graubünden Ende des 18. Jahrhunderts mit der Zersplitterung der Strafgerichtsbarkeit auf die einzelnen Gerichtsgemeinden und mit dem Fehlen einer kantonalen Zuständigkeit und verneint daher eine Beleidigungsabsicht Schillers. Friedrich Schiller wollte nach meiner Überzeugung somit in keiner Weise die Bündner als Gauner hinstellen und so beleidigen. Jedenfalls fehlen im Wortlaut des berühmten Ausspruchs selber, vor allem in seiner ursprünglichen Fassung und wenn dieser im Zusammenhang mit den damaligen bekannten grossen Schwierigkeiten gerade Graubündens mit der Strafgerichtsbarkeit und so mit dem Bandenwesen betrachtet wird, Anhaltspunkte für eine solche Annahme. * Giusep Nay ist alt Bundesgerichtspräsident und wohnt in Valbella. Internet-Bearbeitung: K. J. Version 07/2017