Beitrag: Gipfel der Gewalt Lehren aus G20

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Gipfel der Gewalt Lehren aus G20 Sendung vom 11. Juli 2017 von Helmar Büchel, Michael Haselrieder, Birte Meier und Ulrich Stoll Anmoderation: Die Straßenschlachten sind geschlagen, aber der Kampf um die Deutungshoheit hat gerade erst begonnen. Hamburg, gerühmt als Tor zur Welt, ist zum Einfallstor für Gewalttäter geworden. Frontal 21 und Welt/N24 waren dabei, als Linksextreme Teile der Stadt und des Rechtsstaats in Schutt und Asche legten. Als Steine flogen, Barrikaden brannten, Läden zerstört wurden und auch: Vertrauen. Viele Bürger fühlen sich im Stich gelassen. Denn während die Staats- und Regierungschefs geschützt wurden, waren die Anwohner der Gewalt über Stunden schutzlos ausgeliefert. Helmar Büchel und Michael Haselrieder berichten. Text: Hamburg, Schanzenviertel. Samstagmorgen. Die Barrikaden rauchen noch. Aufräumen am Tag nach der Krawall-Nacht. Die Nachbarn erkennen ihr Viertel kaum wieder. Sogar diesen Bastel- Laden haben die Chaoten geplündert. Anwohner treffen auf Mitglieder der linken Szene. O-Ton Anwohner: Das ist unser zu Hause, Junge hier. Wir wohnen hier. Ja, das ist zum Kotzen, was hier passiert ist. Schauen Sie sich das doch mal an. Wir wohnen hier, es ist alles zerstört und die rechtfertigen das hier. O-Ton Frontal 21: Mit Kind dann auch noch hier? O-Ton Anwohner: Ja, mit Kind hier, wir wohnen hier. Tja, Krawall, als ob das normal wäre für die. Ganz normal. Keine Einsicht. O-Ton Frontal 21: Entschuldigung, was sagen Sie denn dazu? Schweigen. Doch noch während des Interviews legen junge Männer im Hintergrund schon wieder schwarz an.

2 O-Ton Anwohner: Der Schwarze Block, wer auch immer ist, war immer unter uns. Leute haben Steine geworfen, haben ihre schwarzen Sachen ausgezogen und waren ganz fein. Also, ich habe Leute gesehen, die haben ihre schwarzen Sachen ausgezogen und sahen ganz süß aus. Die sahen aus, als würden sie gleich zur Lateinklasse gehen. Und dann dachte ich mir, das sind irgendwie Jungs aus der Vorstadt, Mädels aus der Vorstadt, die dann was durch die Gegend werfen. Ich kenne nicht alle. Ich habe nur ein paar gesehen mit ihren Beutelchen, da sind die schwarzen Sachen drin. Das ist schrecklich. In der Nacht zuvor regiert der Schwarze Block die Schanze. Autos brennen, meterhoch schlagen die Flammen direkt vor den Häuser. Die Anwohner sind in ihren Wohnungen gefangen, können nur tatenlos zusehen. Maskierte Männer stürmen einen Supermarkt, nehmen mit, was sie tragen können. Gewalttäter verschanzen sich auf einem eingerüsteten Haus mit Gehwegplatten und Molotow-Cocktails und greifen die Polizisten von oben an. Erst Stunden später rückt die Polizei mit Spezialkräften an und räumt die Schanze. Dabei hatte der Erste Bürgermeister vorher vollmundig versprochen, Hamburg sei eine gastfreundliche Weltstadt - attraktiv und sicher für die Hamburger und die Besucher aus aller Welt: Seien Sie unbesorgt: Wir können die Sicherheit garantieren. (Quelle: Tagesspiegel, ) Nach dem Gipfel kleinlaute Eingeständnisse: O-Ton Olaf Scholz, SPD, Erster Bürgermeister Hamburg, am : Das was wir an Zerstörung erlebt haben, was Fahrzeuge betrifft zum Beispiel, und was Geschäfte betrifft, aber auch die anderen Fragen, die wir eben betrachtet haben, ist das nicht so gelungen, wie wir uns das vorgestellt haben. Das Sicherheitskonzept war abgestimmt mit der Bundesregierung. Die Kanzlerin hatte sich G20 in Hamburg gewünscht. Doch Sicherheitskräfte hatten Bedenken, denn der Gipfelort liegt direkt neben dem linken Schanzenviertel. O-Ton Jan Reinecke, Landesvorsitzender Hamburg, Bund Deutscher Kriminalbeamter: Den G20-Gipfel hier in unmittelbarer Nähe der Messen, in unmittelbarer Nähe zur Roten Flora stattfinden zu lassen, löste schon ein gewisses Kopfschütteln aus bei einer Vielzahl oder bei einer absoluten Mehrheit der

3 Polizeibeamten. Mit dem Ziel Hamburg unbedingt als Gipfelort haben zu wollen, hat man derartige Warnungen bewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass man diese nicht berücksichtigen muss, weil die polizeilichen Kräfte ausreichen würden. Doch spätestens am Freitagabend zeigt sich: Diese Annahme war falsch. Demonstranten dringen bis zur Sperrzone rund um die Elbphilharmonie vor. Ihr Ziel: das Konzert für die Gipfelgäste stören. Doch davon bekommen die Staatschefs drinnen nicht viel mit, genießen Beethovens Neunte. Draußen räumt die Polizei die Straßen. Viele Autonome ziehen sich zurück ins Schanzenviertel. Während Merkel und ihre Gäste in der Elbphilharmonie zum Dinner zusammenkommen, fängt die Schanze an zu brennen. Doch die Sicherheitskräfte greifen nicht ein. Drei Stunden lang ist das Viertel ein rechtsfreier Raum, Gewalttäter regieren. Die Polizei muss sich erst mal sammeln. O-Ton Jan Reinecke, Landesvorsitzender Hamburg, Bund Deutscher Kriminalbeamter: Die Polizei hat in der Tat alle Mittel bekommen, um diesen Einsatz zu bewältigen. Das hat insofern auch gereicht, um den Gipfel, die Gipfelteilnehmer vernünftig zu sichern. Allerdings die anderen Aufgaben, die dieser Gipfel mitgebracht hat, die konnten nicht mehr gesichert werden. Im Klartext: Die Bewohner der Schanze wurden allein gelassen, weil die Polizei die Elbphilharmonie geschützt hat. Der Sturm auf die Schanze erfolgte erst, als Merkel und Co. schon sicher in ihren Unterkünften weilten. Unterwegs mit der ersten Hundertschaft der Bundespolizei aus Blumberg. Gegen Mitternacht wird die Einheit alarmiert als Verstärkung. Erst jetzt greifen sie im Schanzenviertel ein. Die Polizisten machen den Weg frei für die Wasserwerfer, die vor den Barrikaden in Position gehen. O-Ton Christian Kusch, stellvertretender Hundertschaftsführer Bundespolizei: Unser Auftrag war jetzt hier erst mal die Kreuzung zu erreichen, die frei zu machen, dass der Rücken der Kräfte frei ist. Und dann haben wir im vorderen Bereich eine Barrikade gehabt von circa 300 Personen. Da sind wir mit Wasserwerfern und Sonderwagen vorgegangen, haben diese geräumt und gelöscht, sodass wir erst mal wieder freie Bewegungsmöglichkeiten für unsere eigenen Kräfte haben. Bis in die frühen Morgenstunden dauert der Einsatz. Für die Bewohner folgt ein böses Erwachen. Viele fragen sich: Wo war

4 die Polizei, als man sie brauchte? O-Ton Anna Schmidt, Anwohnerin: Ich würde sagen, man hat die Vermummten sich hier austoben lassen, damit in den anderen Bezirken Ruhe ist. Die hätten das gar nicht unter Kontrolle haben können. Ich meine damit, sie haben sie hier austoben lassen und dann hatten sie ja Zeit, die Staatschefs alle sicher nach Hause zu bringen. Ein geplünderter Drogerie-Markt verwüstet. Der Geschäftsführer des Familienunternehmens ist entsetzt: O-Ton Cord Wöhlke, Geschäftsführer Drogeriekette Budnikowsky: Also, ich kann das überhaupt nicht - es gibt Dinge, die man einfach nicht nachvollziehen kann. Wenn Sie das gesehen haben, was hier abgelaufen ist. Ich habe gesagt: Wenn sie die Ware wenigstens mitgenommen hätten. Die haben die Ware ins Feuer geworfen. Sie haben Spraydosen hier ins Feuer geworfen, dass es eine Explosion gibt. Die Menschen, die hier gewohnt haben. Also, man muss einfach sagen, ich möchte nicht der Polizei die Schuld geben, aber es ist hier ein rechtsfreier Raum entstanden, über mehrere Stunden, wo die Leute sich ausgetobt haben. Nach den Krawallen versucht die Polizei Straftäter aus der Nacht zu identifizieren mit mehr Kontrollen will man sie fassen. Die Bundespolizei patrouilliert am Hauptbahnhof. Verdächtige werden festgenommen. O-Ton Jan-Christof Möller, Einsatzabschnittsleiter Bundespolizei: Hier ist festgestellt worden, dass bei einer Person eine Zwille erkannt wurde, und die kontrollieren wir jetzt. Präzisionsschleudern, Molotow-Cocktails, das hatten wir lange nicht mehr. Bis heute sind in Hamburg 186 Personen festgenommen worden, die allermeisten von ihnen Deutsche, einige Italiener und einige Franzosen. 476 Polizisten wurden verletzt. Die Polizei macht die Autonomen der Roten Flora, dem linksradikalen Zentrum in der Schanze, mitverantwortlich für die Gewalt-Eskalation. Deren Sprecher distanzierten sich auf höchst eigenwillige Weise: O-Ton Andreas Beuth, Sprecher Rote Flora, am : Wir als Autonome, und ich als Sprecher der Autonomen, haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen. Also, warum nicht irgendwie in Pöseldorf oder Blankenese. Da gibt s auch bei uns großes Unverständnis, dass man im Schanzenviertel

5 die eigenen Geschäfte zerlegt, die Geschäfte, wo wir selbst, weil wir da wohnen, auch einkaufen. Inzwischen will er das so nicht mehr gemeint haben. Hat die Politik die Gewaltbereitschaft unterschätzt? Vor allem der Linken wird das vorgeworfen. Nachfrage bei zwei Bundestagsabgeordneten, die selbst Polizisten waren: O-Ton Frank Tempel, DIE LINKE, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender: Zumindest sage ich mal selbstkritisch, dass sich auch die linke Seite differenzierter mit den Vorkommnissen beschäftigen muss. Das heißt natürlich, so wie es die Spitzenkandidaten gemacht haben, sich deutlich von Straftätern distanzieren. Das wird nicht immer in allen Teilen getan. Trotzdem muss natürlich auch die Union, die Regierungsseite lernen, dass selbst Gruppe wie der Schwarze Block, wie autonome Linke sehr unterschiedlich sind, bei Weitem nicht alle gewaltbereit. O-Ton Armin Schuster, CDU, MdB, Innenausschuss: Das Kultivieren und fast Feiern von linksautonomen Szenen in Deutschland, in Großstädten, ich hab dafür kein Verständnis, fast fehlen einem die Worte. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir den gleichen Druck und die gleiche Härte gegenüber Linksextremisten zeigen, wie wir es bei Rechts erfolgreich tun. Aufräumen in Hamburg. Selbst wenn die Trümmer beseitig sind: Die Gewalt beim G20-Gipfel wird die Politik noch lange beschäftigen schließlich ist Wahlkampf. Abmoderation: Die linksextremen Gewalttäter haben erreicht, was sie erreichen wollten. Obwohl sie sich vermummen, stehen sie im Mittelpunkt. Sie vermummen und verdecken damit zugleich diejenigen, die inhaltlich gegen den Gipfel protestierten und dabei Flagge und Gesicht zeigten. Das Zögern beim Klimaschutz, der Hunger in Afrika, die Not der Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen - nein, es ist die Gewalt, die von den Gipfeltagen übrig blieb. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.