Beitrag: Ein Pfarrer gegen Rechts - Von der Staatsmacht verfolgt

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Ein Pfarrer gegen Rechts - Von der Staatsmacht verfolgt Sendung vom 30. August 2011 Von Thomas Datt, Arndt Ginzel, Jennifer Stange und Ulrich Stoll Anmoderation: Schneller Prozess und nicht viel Aufhebens - Für den Stil ist die Staatsmacht im Freistaat Sachsen bekannt, und dafür, gelegentlich auf dem rechten Auge blind zu sein. Immer wieder waren Ermittler aus fragwürdigen Gründen aktiv geworden und hatten im Eifer des Gefechts überzogen. So geriet auch Pfarrer Lothar König aus Jena ins Visier, der im Februar an einer Demonstration gegen Rechts in Dresden teilgenommen hatte. Aufwieglerischer Landfriedensbruch lautet jetzt der Vorwurf gegen ihn. Auch zwei Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR fühlen sich manche dort an den Überwachungs-Staat erinnert. Text: Jugendpfarrer Lothar König ist zurück aus dem Urlaub. In seiner Abwesenheit hatte die Junge Gemeinde Jena ungebetenen Besuch von der sächsischen Polizei. 30 Beamte durchsuchten Königs Wohnung. Denn der Jugendpfarrer, der sich mit seiner Gemeinde seit Jahren gegen Rechtsradikale engagiert, wird verdächtigt, ein krimineller Aufwiegler zu sein. Selbst das Dienstzimmer nebenan, in dem ich vertrauliche Gespräche führe und Notizen hinterlege, auch das ist durchsucht worden und Sachen beschlagnahmt worden. Sie haben alle Computer mitgenommen, sie haben alle Papiere, CDs, die nicht identifizierbar waren, mitgenommen, Ja, und ganz zuletzt haben sie auch noch den VW-Bus mitgenommen, den wir als Lautsprecherwagen ausbauen. Ein schweres Tatwerkzeug, das war die Begründung. Rückblick. 19. Februar Demonstranten versuchen in Dresden einen Naziaufmarsch zu blockieren. Auch prominente Politiker rufen zu zivilem Ungehorsam auf. Mit dabei sind die Junge Gemeinde Jena und ihr Pfarrer Lothar König mit seinem blauen VW-Bus. Meist bleibt es friedlich, doch vereinzelt kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

2 Verantwortlich für die Gewalt sei auch König, sagen die sächsischen Staatsanwälte und ordnen die Durchsuchung im Nachbarland Thüringen an, ohne die Behörden dort zu fragen. O-Ton Jan Hille, Staatsanwaltschaft Dresden: Es besteht gegen Lothar König nach wie vor der Verdacht, dass er mit seinem Lautsprecherwagen anlässlich der Gegen-Demonstration am 19. Februar 2011 in Dresden gewaltbereite Demonstranten dirigiert hat in Richtung polizeilicher Sperrketten. Es folgte die Durchsuchung. Das Protokoll listet die Vorwürfe gegen den Geistlichen auf: Straf-Vereitelung, Nötigung und schwerer aufwieglerischer Landfriedensbruch. Ein Beweis soll dieses Amateur-Video sein. Dort ist Pfarrer König über Lautsprecher zu hören. Er sitzt in seinem VW-Bus inmitten der Demonstranten, die vor der anrückenden Polizei zurückweichen. Leute kommt mal, wir sind hier so viele, einfach weitergehen, geht mal weiter. Das sind nicht so viele. Keine Schilde, keine Schutzsachen, die Polizei. Die Staatsanwaltschaft behauptet, König habe in diesem Moment zur Gewalt gegen wehrlose Polizisten aufgerufen. Sie hatten Angst vor der Polizei und hauen ab. Und mein Anliegen war, sich um den Lautsprecherwagen zu versammeln. Das ist nicht schwerbewaffnete Polizei, die hier nur zuschlagen will, um Demonstranten zu verletzen oder sonst wie was Böses anzutun. Ich wollte ihnen die Angst nehmen, dass wir unserem legitimen Protest einen Platz verschaffen. Leute kommt mal! Dieselbe Szene, diesmal aber aufgenommen vom Dach des VW- Busses. Der Bus fährt von der Polizeikette weg. Pfarrer König schickte die Demonstranten also nicht in Richtung Sperrkette, sondern die Gruppe sammelte sich vielmehr weit entfernt von der Polizei. Wir zeigen dem Berliner Verfassungsrechtler Professor Martin Kutscha die Aufnahmen. O-Ton Prof. Martin Kutscha, Staatsrechtler: Ich habe den Eindruck, dass der Pfarrer eher mäßigend auf die Demonstranten einwirkt, indem er eben wendet mit dem Auto und sie aufruft, beim Auto zu bleiben. Aber gerade

3 nicht, indem er versucht, die Leute aufzuwiegeln, meinetwegen Steine zu werfen oder so etwas Ähnliches. In allen vorliegenden Videos vom 19. Februar, in denen Pfarrer König zu sehen und zu hören ist, ruft er zu friedlichem Protest auf, nicht zu Gewalt. Mein Name ist Lothar König, ich melde hiermit eine Kundgebung an. Wir sichern zu, dass das hier friedlich zugeht, gewaltfrei. Gewaltfrei trat Pfarrer König schon zu DDR-Zeiten für Bürgerrechte ein, wie viele in Jena. Die Staatssicherheit hatte ihn im Visier. Jetzt wird er wieder verdächtigt, ein Staatsgegner zu sein. Wenn ich jetzt hier lese, kommen doch fatale Erinnerungen hoch. Und das Verhalten der sächsischen Polizei hier in Jena, in Thüringen, hier in der Pfarrer-Dienstwohnung, erinnert mich doch schon richtig schlimm an Zeiten, von denen ich gedacht hatte, sie wären endgültig vorbei. Auch die Landeskirche Mitteldeutschland ist entsetzt. Für Bischöfin Ilse Junkermann ist das Verhalten der sächsischen Behörden rechtsstaatlich fragwürdig. O-Ton Ilse Junkermann, Landesbischöfin Sachsen: Meine Hauptkritik richtet sich darauf, dass die Ermittler zu diesem starken Mittel der Durchsuchung gegriffen haben und dabei riskiert haben, sowohl das Beichtgeheimnis wie auch das Seelsorgegeheimnis, wie das Recht auf Religionsfreiheit zu verletzten. Staatsanwaltschaft und Polizei nahmen die Gewalt am Rande der Demo zum Anlass, massiv in die Grundrechte zehntausender Bürger einzugreifen. Nicht nur Pfarrer König wird verfolgt, sondern jeder, der am 19. Februar in der Dresdner Südvorstadt war. Insgesamt erfasst die Polizei über eine Million Handy- Verbindungsdaten an diesem Tag in Dresden. Und sie erfasst Personendaten, Namen, Adressen, Geburtsdaten. Eine Massenüberwachung, die sich vor allem gegen friedliche Bürger richtete. Der sächsische Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann hält die Handydatenerfassung auch heute noch für angemessen. Zitat: Die Funkzellenabfrage erfolgte...nur für Bereiche, in denen es zu Auseinandersetzungen im Ausmaß eines

4 Landfriedensbruchs kam. Das sind die Stellen rund um den Hauptbahnhof, an denen es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Und das ist das Gebiet, in dem die Handydaten von tausenden Bürgern ausgespäht wurden. Ein ganzes Viertel, die Dresdner Südvorstadt, unter Überwachung. O-Ton Prof. Martin Kutscha, Staatsrechtler: Die Besonderheit und die neue Qualität besteht darin, dass quasi flächendeckend Handydaten, Kontaktdaten, erfasst wurden, während sonst nur im Einzelfall ganz bestimmte Rufnummern auf diese Weise überwacht werden. Hier also wird praktisch eine ganze Bevölkerung quasi mit dem Netz des Verdachts überzogen, bloß um einige vermutete Straftäter herausfinden zu können. Das scheint mir ganz klar unverhältnismäßig zu sein. Pfarrer Lothar König will sich von der Durchsuchung und den Überwachungsmaßnahmen nicht einschüchtern lassen. Die junge Gemeinde Jena hat inzwischen einen neuen VW-Bus organisiert - natürlich mit Lautsprecheranlage. Eins, zwei, drei, hier ist die Polizei. Hey! Der Kampf gegen Rechtsradikale kann weitergehen. Abmoderation: Über die Razzia der sächsischen Polizei in der Pfarrerswohnung in Thüringen streiten beide Länder inzwischen. Denn die Sachsen kamen ohne Wissen des Nachbarn. Thüringens Innenminister sagt jetzt: Wir hätten den Einsatz in dieser Form nicht durchgeführt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.

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