Kulturen zwischen Al Qaida und Konsumgenossenschaft *
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- Joachim Berger
- vor 6 Jahren
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1 Kulturen zwischen Al Qaida und Konsumgenossenschaft * "Wo lebst du denn?" Dirk Baecker Zeppelin Universität Mit einer Live-Visualisierung von Stefan Groß (1) Verschiebung des Themas von "Netzwerken" zu "Kulturen" mit der Einladung, bei der Gründung eines Netzwerks nach der Kultur zu suchen, die es trägt und prägt, und mit der Vermutung, dass die soziologische Systemtheorie, in deren Tradition ich stehe, ihren Systembegriff überdenken muss, seit Netzwerke und Kulturen mehr auf sich aufmerksam machen, als Niklas Luhmann dies noch berücksichtigen musste. (2) Wir haben es mit drei Herausforderungen zu tun: mit der kulturellen Wende (Ethnologie und Anthropologie, materielle Praxis, Formen der Reflexion und Selbstkultivierung), die eine Vielfalt von spezifischen Formen sichtbar macht, in der Körper, Geist, Technik und Gesellschaft der Menschen jeweils einen funktionalen Zusammenhang im Sinne von Bronislaw Malinowski bilden können; mit der neuronalen Wende (seit Wissenschaftlern wie Johannes Müller, Hermann von Helmholtz, Aleksandr Luria, Vernon Mountcastle, jüngst verstärkt durch Visualisierungserfolge dank funktioneller Magnetresonanztomographie etc.), die es erlaubt, dem Gehirn nicht nur Gedächtnis und Komplexität, sondern auch Strukturierungsleistungen seiner sozialen Umwelt zuzuschreiben; und mit der digitalen Wende, die eine Soziale Physik in Reichweite rückt, die auf der Grundlage von reality-mining langsam aber sicher vom predictive zum prescriptive coding (Stichwort: Nudges, Thaler/Sunstein 2008, Pentland 2014) voranschreitet und die die Vermutung plausibilisiert, dass wir es seit der Einführung der Elektrizität mit einer neuen Medienepoche zu tun haben, hervorgerufen durch den Überschusssinn instantaner Verknüpfungen und nur zu bewältigen durch den Wechsel von der Differenzierungsstruktur der modernen Buchdruckgesellschaft zu einer Differenzierungsstruktur einer "nächsten Gesellschaft". * Vortrag auf dem Simon, Weber, & Friends-Alumni Jahrestreffen, Berlin, 22. Mai 2014.
2 2 (3) Wir antworten auf diese Herausforderungen mit dem Verzicht auf die Annahme, dass es soziale Systeme gibt. Wir behalten den Systembegriff bei, formulieren diesen jedoch mit W. Ross Ashby als Einheit der Differenz von Organismus und Umwelt und berücksichtigen mit Heinz von Foerster den Beobachter explizit. Ein System ist die Triangulation von Organismus, Umwelt und Beobachter, ein Reflexionsbegriff (Kant, Peirce) mit einer empirischen Referenz. Und wir schlagen vor, Luhmanns Systemtheorie im Sinne von Parsons' Handlungstheorie, das heißt mit explizit kognitionswissenschaftlichen Referenzen zu reformulieren. Es bleibt bei den Ausgangspunkten der Komplexität und der Kontingenz, doch es sich nicht mehr emergente und eigendynamische soziale Systeme, denen wir eine Realität in der Welt unterstellen. (4) Stattdessen arbeiten wir mit dem Begriff einer Kultur. Eine Kultur ist ein Kontrollprojekt (auch im Sinne von Deleuze), das Organismen in sozialen Umwelten beschreibt, die über Gehirne verfügen (sparse and predictive coding, Chris Frith, Georg Northoff; thinking, fast and slow, Daniel Kahneman; thin slices communicate judgments, Nalini Ambady und Robert Rosenthal) und in einer Gesellschaft leben, die über Technik gestaltet wird. Der Systembegriff beschreibt Logiken der Ausdifferenzierung und Reproduktion; der Netzwerkbegriff beschreibt die Determination der Elemente dieser Kulturen durch die Verknüpfungen, in denen sie stehen (Netzwerke als gewichtete, gerichtete Hypergraphen). Wir müssen demnach eine Theorie entwickeln, die einen Begriff der Operation mit einem Begriff der Struktur zu verknüpfen vermag: Wir nennen diese Theorie eine Formtheorie (im Sinne der Form der Unterscheidung nach George Spencer-Brown). (5) Analytisch und reflexiv bedeutet das, dass wir eine Kultur als das Ergebnis ineinander geschachtelter funktionaler Schließung (Organismus, Biologie inklusive Neurophysiologie), neuronaler Schließung (Gehirn, Teleologie), sozialer Schließung (Struktur, Gesellschaft), kausaler Schließung (Technik) und reflexiver Schließung (Geist, Selbstbeschreibung) begreifen und mit Heinz von Foerster von Rekursion und mit Niklas Luhmann vom funktionellen Primat der Negation ausgehen immer im Rahmen des basalen Mechanismus der Überschussproduktion-und-Selektion. Leben ist bedroht vom Tod, Vorhersagen werden laufend korrigiert, Erwartungen werden enttäuscht und Reflexionen stoßen auf Unverständlichkeit (Friedrich Schlegel), Zaudern (Joseph Vogl), Gelächter (Slavoj Zizek). Kants dreifaches Unbedingtes:
3 3 kategorial (Subjekte), hypothetisch (Dinge) und synthetisch (Systeme). (6) Al Qaida, die Konsumgenossenschaft und das Simon-Weber-Friends- Alumninetzwerk: der Terror, die Risikogemeinschaft und die systemische Intervention. Literatur: zur kulturellen Wende: Bronislaw Malinowski, Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur (1941) und andere Aufsätze, dt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005 zur neuronalen Wende: Chris Frith, Making Up the Mind: How the Brain Creates Our Mental Worlds, London: Blackwell, 2007 Jeff Hawkins, On Intelligence, New York: St. Martin's Griffin, 2004 zur digitalen Wende: Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein, Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness, New Haven, CT: Yale University Press, 2008 Axel Pentland, Social Physics: Ho Good Ideas Spread The Lessons from a New Science, New York: Penguin Press, 2014 zu einem dezidiert beobachterabhängigen Systembegriff: W. Ross Ashby, Design for a Brain: The Origin of Adaptive Behavior, New York: Wiley, 1952, 1960 Dirk Baecker, Die Umwelt als Element des Systems, in: ders. (Hrsg.), Schlüsselwerke der Systemtheorie, Wiesbaden: VS Sozialwissenschaften, 2005, S Heinz von Foerster, Wissen und Gewissen: Versuch einer Brücke, dt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993 zur Psychologie: Daniel Kahneman, Thinking, Fast and Slow, London: Penguin, 2011 ferner: Dirk Baecker, Beobachter unter sich: Eine Kulturtheorie, Berlin: Suhrkamp, 2013 Dirk Baecker, Neurosoziologie: Ein Versuch, Berlin: Suhrkamp, 2014 Dirk Baecker, Kulturkalkül, Berlin: Merve, 2014 Dirk Baecker, Organisation als Kalkül, Berlin: Merve, erscheint demnächst
4 4 Live-Visualisierung des Vortrags durch Stefan Groß (Neuland & Partner)
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