Partizipative Organisationsentwicklung im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung. Prof. Dr. Barbara Ortland
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- Florian Schulz
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1 Partizipative Organisationsentwicklung im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung Prof. Dr. Barbara Ortland
2 Organisationsentwicklung Was Sie bisher wissen: - Drei Ebenen einer Organisationskultur (Avocadomodell) - Notwendigkeit von Wissensmanagement zur Veränderung von Organisationen - Hinweise zu ReWiKs als Ansatzpunkt für die Erweiterung sexueller Selbstbestimmung
3 Was Sie nun hören: Sexuelle Selbstbestimmung Ist es ein Luxusthema? Entwicklungsbedarfe der Einrichtungen als eine Veränderungsaufgabe der Organisationskultur Bisheriger Weg: ReWiKs Grenzen und Möglichkeiten partizipativer Organisationsentwicklungsprozesse
4 Sexuelle Selbstbestimmung ein Luxusthema? Grundlage: weiter Begriff von Sexualität KEIN Luxusthema sondern zentral für die (sexuelle) Gesundheit jedes Menschen Für sexuelle Gesundheit müssen sexuelle Rechte gewahrt werden
5 Sexuelle Gesundheit ist der Zustand körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Wohlbefindens bezogen auf die Sexualität und bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, Funktionsstörungen oder Schwäche. Sexuelle Gesundheit erfordert sowohl eine positive, respektvolle Herangehensweise an Sexualität und sexuelle Beziehungen als auch die Möglichkeit für lustvolle und sichere sexuelle Erfahrungen, frei von Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt. Wenn sexuelle Gesundheit erreicht und bewahrt werden soll, müssen die sexuellen recht aller Menschen anerkannt, geschützt und eingehalten werden. (WHO 2006,19)
6 Entwicklungsbedarfe in Einrichtungen Mögliche Basisannahme: Erwachsene Menschen mit Behinderung brauchen Unterstützung in (allen) sexuellen Belangen. Mögliche Normen/Standards: Die Mitarbeitenden sorgen für passende (heterosexuelle) Beziehungen in den Einrichtungen. Forschungsergebnis Fegert u.a. (2006): - Implizite, unhinterfragte Vorstellungen richtiger bzw. falscher Sexualität bei Mitarbeitenden - Einschränkende Bedingungen für das Ausleben von Sexualität der Bewohner/innen - Mangelnde gemeinsame selbstkritische Reflexion der Mitarbeitenden
7 Entwicklungsbedarfe in Einrichtungen Mögliche Basisannahme: Erwachsene Menschen mit Behinderung haben in Einrichtungen kaum Möglichkeiten Partner/innen zu finden (90% Zustimmung durch Mitarbeitende; Ortland 2016,91).
8 Entwicklungsbedarfe Mögliche Basisannahme: Erwachsene Menschen mit Behinderung haben durch die Behinderung kein Verständnis von Privat-/Intimsphäre. (90 % Zustimmung, Ortland 2016, 89) Mögliche Normen/Standards: Zeit ist Geld! Gemeinsame Nutzung der Badezimmer ist in Ordnung. Mitarbeitende beachten die Privat-/Intimsphäre in der Wohneinrichtung nicht. (65% Zustimmung, Ortland 2016, 91) Forschungsergebnisse BMFSFJ (2012): Mangelnde Wahrung der Privat- und Intimsphäre in Einrichtungen
9 Entwicklungsbedarfe Mögliche Basisannahme: Erwachsene Menschen mit Behinderung haben durch die Behinderung kein Verständnis von eigener Sexualität und angemessenen Verhaltensweisen. (90 % Zustimmung, Ortland 2016, 89). Schwere der Behinderung lässt das Erlernen von anderem sexuellen Verhalten kaum zu. (87% Zustimmung, Ortland 2016,89) Mögliche Normen/Standards: Mitarbeitende sind tolerant gegenüber den sexuellen Verhaltensweisen der Bewohner/innen. Bildungsangebote sind nur selten von Nutzen. Forschungsergebnisse Fegert u.a. (2006): Mangel an sexualpädagogischem Material Mangeln an kontinuierlichen sexualpädagogischen Angeboten
10 Sexuelle Selbstbestimmung ist in Einrichtungen ein Thema der Organisationskultur, das Veränderungen auf allen Ebenen der Organisationskultur benötigt. Ansatzpunkte für Veränderungen sind bekannt.
11 Zentrales und doch vernachlässigtes Thema Mögliche Erklärungen für die Vernachlässigung des Themas? Spannungsfeld Sicherheit - Freiheit (doppelt) tabuisiertes Thema Sprechhemmungen/Sprachlosigkeiten wenig (persönliches, einrichtungsbezogenes) konstruktives Erfahrungswissen hinderliche und trotzdem wirkmächtige Normen/Standards
12 Zwischenfazit Sexuelle Rechte: ein befriedigendes, sicheres, lustvolles Sexualleben anzustreben (WHO 2006, 20) Notwendigkeit der Veränderung der Organisationskulturen Herausforderung oder Überforderung??? Spannungsfeld Sicherheit vs. Freiheit Konsequenz: Trägheit und Widerständigkeit in den Organisationen
13 Forschungsprojekt ReWiKs Grundlage: Leitlinien gelingender sexueller Selbstbestimmung in Wohneinrichtungen in leichter und schwerer Sprache Ebene der Reflexion Reflexionsmanuale für Mitarbeitende und Bewohner/innen zu Haltungen/Strukturen/Praktiken Ebene des Wissens Fortbildungsmaterial für Mitarbeitende verschiedener Hierachieebenen sowie Bewohner/innen Ebene des Könnens Praxiswissen aus der Praxis für die Praxis für Mitarbeitende und Bewohnerinnen
14 Erfahrungen aus dem Projekt Einbezug von Bewohner/innen und Mitarbeitenden seit Projektbeginn Vielfältigkeit der inhaltlichen Ansatzpunkte (Reflexion/Wissen/Können) auf allen Ebenen der Organisationskultur positiv Vielfältigkeit der organisationalen Ansatzpunkte bedeutsam Mitarbeitende verschiedener Hierachieebenen, Bewohner/innen in verschiedenen Funktionen Gesamtorganisation
15 Gezielte Organisationsentwicklung Fortbildung zu ReWiKs-Lotsen/innen mit dem Ziel Mitarbeitende zu befähigen, Lern- und Entwicklungsprozesse im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung in ihrer Organisation zu initiieren Aber: Zunächst nur bei den Mitarbeitenden
16 Ziel: Partizipative Organisationsentwicklung Partizipationswillen aller Beteiligten Partizipationsmöglichkeiten aller Beteiligten erkennen und erhöhen Herausforderung (vgl. Schäper/Diekmann/Katzer 2017, Messmer 2017): Organisation: Abgabe von Durchsetzungs-, Entscheidungs- und Handlungsmacht Menschen mit Behinderung: Nutzen der Möglichkeitsräume Potenzierung der Komplexität des Prozesses
17 Chance: Ziel: Partizipative Organisationsentwicklung umfassende Organisationsentwicklung aller Beteiligten Lernmöglichkeiten (und -notwendigkeiten) aller Beteiligten Umfassende Realisierung sexueller Gesundheit im Sinne der Menschen mit Behinderung und der Mitarbeitenden
18 Der offene weitere Weg: Stufenmodell der Partizipation (nach Straßburger/Rieger 2014) Vorstufen der Partizipation: Organisation Bewohner/innen Lebensweltexpertise einholen Erfahrungen aktiv einbringen Meinungen/Einschätzungen erfragen Informieren über Möglichkeiten sexueller Selbstbestimmung Stellung nehmen zu vorgegebenen Entscheidungen Sich informieren über Möglichkeiten sexueller Selbstbestimmung
19 Der offene weitere Weg: Stufenmodell der Partizipation (nach Straßburger/Rieger 2014) Partizipation: Organisation Bewohner/innen Entscheidungsmacht übertragen Entscheidungsfreiheit ausüben Entscheidungskompetenz teilweise abgeben Mitbestimmung zulassen Freiräume für Selbstverantwortung nutzen an Entscheidungen aktiv mitwirken
20 Konsequenz Partizipation im Bereich sexuelle Selbstbestimmung muss erfahrbar werden für alle Beteiligten (Möglichkeitsräume) Es braucht einen ergebnisoffenen gemeinsamen Entwicklungsprozess. So kann Wille zur Partizipation entstehen und sich weiter entwickeln. So kann sich Organisationskultur verändern.
21 Aber: Es gibt Grenzen der Partizipation! Es gibt Grenzen partizipativer Organisationsentwicklung! Ebene der Bewohner/innen Ebene der Mitarbeitenden Ebene der Leitung Ebene der Träger Grenzen sind veränderbar!
22 Literaturverzeichnis BMFSFJ (Hrsg.) (2012): Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland. Kurzfassung. Meckenheim. Fegert, J.M.; Jeschke, K.; Thomas, H.; Lehmkuhl, U. (2006): Sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle Gewalt. Weinheim Messmer, H. (2017): Grenzen von Partizipation. Barrieren einer partizipativen Prozessgestaltung. Vortrag auf der Fachtagung Gestaltung partizipativer Prozesse an der Universität Bielefeld, 27/28.Januar 2017 Ortland, B. (2016): Sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Grundlagen und Konzepte für die Eingliederungshilfe. Stuttgart Schäper, S.; Diekmann, F. ; Katzer, M. (2017): Lebens- und Lernwelten im Alter. In: Zeitschrift für Erwachsenenbildung und Behinderung, Heft 1, 3-16 Straßburger, G.; Rieger, J. (Hrsg) (2014): Partizipation kompakt. Weinheim WHO (2006): Defining sexual health. In: WHO-Regionalbüro für Europa und BZgA (Hrsg.) (2011): Standards für die Sexualaufklärung in Europa, 19-10
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