Gesetzliche Personalvorgaben im Krankenhaus: ausreichend oder zu kurz gedacht?
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- Catharina Schuster
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1 Gesetzliche Personalvorgaben im Krankenhaus: ausreichend oder zu kurz gedacht? Reinhard Busse, Prof. Dr. med. MPH FFPH FG Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin (WHO Collaborating Centre for Health Systems Research and Management) & European Observatory on Health Systems and Policies
2 Haben wir eigentlich zu wenig Pflegepersonal? Was sind die Auswirkungen von zu wenig Pflegepersonal? Nutzen bzw. reichen gesetzliche Vorgaben zu Mindestzahlen?
3 Haben wir eigentlich zu wenig Pflegepersonal? Bezogen auf die Bevölkerung: NEIN (wir liegen sogar ca. 50% oberhalb des EU-Schnitts)
4 Aber: ganz anders sieht es aus, wenn pro stationären Fall verglichen wird hier zunächst das gesamte Krankenhauspersonal pro 1000 Fälle (VZÄ, 2013 bzw. letztes verfügbare Jahr) Einschränkung: Tätigkeitsspektrum umfasst in fast allen Ländern mehr ambulante Leistungen als in Deutschland Zahlen in Bezug auf stationäre Fälle für einige Länder ggf. überschätzt Quelle: Zander B, Köppen J, Busse R (2017): Personalsituation in deutschen Krankenhäusern in internationaler Perspektive. In: Klauber J et al. (Hrsg.) Krankenhausreport 2017
5 Hier nur Pflegefachkräfte und Hebammen (VZÄ) in ausgewählten OECD-Ländern pro 1000 Fälle, 2005 und 2013
6 und hier im Krankenhaus tätige Pflegefachkräfte (inkl. Hebammen) und Ärzte pro 1000 Fälle(2013)(bzw. das letzte verfügbare Jahr) + 150% 25,5 VZÄ (7,6 Ärzte + 17,9 Pflegekräfte) + 150% Quelle: Zander B, Köppen J, Busse R (2017): Personalsituation in deutschen Krankenhäusern in internationaler Perspektive. In: Klauber J et al. (Hrsg.) Krankenhausreport 2017
7 Noch deutlicher sind die Unterschiede, wenn wir die Patienten-Pflegefachkraft-Relation auf Station während einer Tagschicht betrachten (hier Daten der RN4Cast Studie 2010) ,9 9,1 9,7 10, ,1 5,6 5,2 5,9 4,8 3,7 5,4 5,3 2 0
8 Patienten-Pflegefachkraft-Relation in Deutschland hat sich laut unserer 2015er Befragung eher weiter verschlechtert ,8 22, , ,1 13,1 12,4 11,1 11,4 10,4 9,7 9,1 9,2 10,4 10,7 9,6 5 0 Alle Schichten Frühdienst Spätdienst Früh- und Spätdienst Alle Krankenhäuser Unikliniken BG-Kliniken Nachtdienst
9 Schreyögg kommt in seinem Gutachten für das BMG auf bessere Werte als wir in der RN4Cast-Erhebung; er nutzt allerdings alle VZÄ (d.h. auch die nicht auf Station am Patienten tätigen) und geht von 220 Schichte/Jahr aus, d.h. vernachlässigt Fehlzeiten
10 Haben wir eigentlich zu wenig Pflegepersonal? Was sind die Auswirkungen von zu wenig Pflegepersonal? Nutzen bzw. reichen gesetzliche Vorgaben zu Mindestzahlen?
11 Konzeptionelle Überlegungen zum Zusammenhang der pflegerischen Versorgung und der Prozess-und Ergebnisqualität Quelle: Zander B, Köppen J, Busse R (2017): Personalsituation in deutschen Krankenhäusern in internationaler Perspektive. In: Klauber J et al. (Hrsg.) Krankenhausreport 2017
12 Literatur (USA) Needleman et al., New England Journal of Medicine (2002) Zusammenhang zwischen besserer Personalbesetzung und niedrigeren Komplikationsraten (z.b. Harnwegsinfektionen und Pneumonie) bzw. kürzerer Verweildauer Aiken et al., JAMA (2002) Zusammenhang zwischen Personalbesetzung einerseits und Mortalität und FTR andererseits Je zusätzlicher Patient: 7% höhere Wahrscheinlichkeit zu versterben (OR 1,07; 95% CI: ) und 7% höhere Wahrscheinlichkeit bei FTR (OR 1,07; 95% CI: ) Friese et al., Health Services Research (2008) Zusammenhang zwischen schlechterer Arbeitsumgebung und Mortalität (OR 1,37; 95% CI: ) und FTR (OR 1,48; 95% CI: ) auf chirurgischen Stationen der Onkologie Needleman et al., New England Journal of Medicine (2011) Unterbesetzung für >8h/d erhöht Mortalität um 2% (95% CI: 1,01-1,03), hoher patient turn-over um 4% (95% CI: 1,02-1,06) Aiken et al., Medical Care (2011) Senkung der Arbeitsbelastung um einen Patient je Pflegekraft senkt Mortalität um: 9% in Krankenhäusern mit sehr guter Arbeitsumgebung 4% bei mittlerer Arbeitsumgebung nicht bei schlecht bewerteter Arbeitsumgebung
13 Literatur & Ergebnisse (europäisch) Rafferty et al. (2006): England Patienten aus Krankenhäusern mit der besten Personalbesetzung (niedrigste Patienten- Pflegekraft-Relation) hatten signifikant bessere Ergebnisse als in KH mit schlechterer Besetzung. Mortalität in KH mit höchsten Pat-Pfl-Relation (12,4 bis 14,3) 26% höher (95% CI: 12-49%) als in KH mit 6,9 bis 8,3 Patienten Van den Heede et al. (2008): Belgien Kein Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Patienten-Outcomes auf Krankenhausebene (GEE; wiederholt mit Mehrebenenmodell) Deren Erklärung: Varianz in Pflegebesetzung zwischen KH kleiner als in anderen Ländern Van den Heede (2009): Belgien Mortalität nach elektiver Herz-OP signifikant niedriger bei besserer Personalbesetzung RN4Cast-Studie Europäische Länder registered Pflegefachkräfte aus fast 500 Krankenhäusern je nach Krankenhausgröße 2-6 chirurgischen, internistischen oder gemischten Stationen
14 Bewertung der Arbeitsumgebung Rund die Hälfte aller Pflegekräfte bewerteten 2010 ihre Arbeitsumgebung nur als schlecht/ angemessen (statt gut oder ausgezeichnet) 2
15 Bewertung der Arbeitsumgebung der Anteil ist 2015 in Deutschland größer geworden 60% 2 50% 52% 57% 57% 56% 40% 30% 20% 10% 0% 2010 alle KH 2015 alle KH nur alle Uni-KH nur die BG-Kliniken
16 Schlechte Qualität durch Vernachlässigung von Pflegetätigkeiten Zeit für Zuwendung/Patientengespräche Entwicklung/Aktualisierung von Pflegeplänen/- behandlungspfaden Beratung/Anleitung von Patienten und/oder ihren Angehörigen Adäquate Dokumentation der Pflegearbeit Planung der Pflege Adäquate Patientenüberwachung Hautpflege Mundpflege Regelmäßiges Umlagern von Patienten Zeitgerechte Verabreichung von Medikamenten Vorbereitung von Patienten auf die Entlassung Schmerzmanagement Behandlungen und Prozeduren 27,5% 25,8% 17,0% 14,8% 34,4% 20,7% 19,4% 41,7% 40,6% 46,6% 39,5% 45,5% 42,7% 44,4% 37,3% 36,4% 27,9% 28,0% 20,6% 26,6% 23,8% 52,6% 54,8% 53,9% 54,7% 53,7% 80,8% 81,5% Quelle: Zander B, Köppen J, Busse R (2017): Personalsituation in deutschen 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% Krankenhäusern in internationaler Perspektive. In: Klauber J et al. (Hrsg.) Krankenhausreport 2017: erscheint Anfang Oktober 2014 Deutschland 2015 Deutschland 2009/2010 International ,0% 9,2% 24,7% 19,4% 24,5% 22,4% 27,2% 22,0% 34,9% 39,4% 32,3% 3
17 Emotionale Erschöpfung und Burnout Knapp 30% litten 2010 unter emotionaler Erschöpfung (bei 15% konnte bereits Burnout festgestellt werden)... 4
18 Emotionale Erschöpfung und Burnout leiden sogar knapp 37% unter emotionaler Erschöpfung (und bei 21% konnte bereits Burnout festgestellt werden) 4 40% 37% 37% 35% 30% 30% 20% 15% 10% 0% 1999 alle KH 2010 alle KH 2015 alle KH nur alle Uni- Kliniken nur die BG- Kliniken
19 Bewertung der Versorgungsqualität durch Pflegekräfte 2010 als schlecht oder mittelmäßig : 14% : 20% BE EN FI DE GR IE NL NO PL ES SE CH US
20 und 2015 (in Deutschland) Qualität schlecht/angemessen schlecht/mittelmäßig ( fair ) Patientensicherheit ungenügend/schlecht 5 Patienten werden zu früh entlassen unzureichende Psychosoziale Versorgung 82% 81% 77% 81% 54% 31% 35% 31% 42% 43% 39% 44% 35% 39% 20% 19% 6% 11% 12% Alle KH 2015 nur Uni- Kliniken 10% 2015 nur BG- Kliniken
21 Pflegefachkräfte und Mortalität * X 1,07/ zusätzl. Pat. 5 Letalität chirurg. Patienten 1,3% X 1,07/ 10% weniger Bachelor * Tag- und Nachtschichten
22 Pflegefachkräfte und Mortalität * X 1,07/ zusätzl. Pat. 5 Rechnerisch 2/3 höher 2,1% (laut Schreyögg-Gutachten: real 2,0%) Letalität chirurg. Patienten 1,3% X 1,07/ 10% weniger Bachelor * Tag- und Nachtschichten
23 Untersuchung mit deutschen Routinedaten ( ) 5
24
25 n/pflege/berichte/gutachten_schreyoegg_pflegesensitive_fachabteilungen.pdf 27. Oktober In vielen Fachabteilungen (u.a. Innere, Geriatrie, Allgemeinchirurgie, Neurologie, Dermatologie) besteht für mind. 7 der 10 PSEI plus Mortalität ein stat. signifikanter Zusammenhang; besonders häufig deutlich ist dieser für Mortalität, Geschwür (PSEI 5), Sepsis (PSEI 6), Schock (PSEI 7) und Infektionen der Operationswunde (PSEI 9)
26 Haben wir eigentlich zu wenig Pflegepersonal? Was sind die Auswirkungen von zu wenig Pflegepersonal? Nutzen bzw. reichen gesetzliche Vorgaben zu Mindestzahlen?
27 Zunächst einmal: wir haben das nicht erfunden
28 Hier die zugunde liegende Überlegung... Verkürzt gesagt: die 25% bzw. 10% der Krankenhäuser mit der schlechtesten Pflegepersonal- Ausstattung müssen mindestens die Werte der 75ten bzw. 90ten Perzentile zu erreichen
29 ege/berichte/gutachten_schreyoegg_pflegesensitive_fachabteilungen.pdf Um das Quartil mit der schlechtesten Pflegefachkraftausstattunganzuheben, wären 2% zusätzliche VZÄ-Stellen (beim Dezilsogar nur 0,4%) notwendig hier wird klar, dass eine solche Maßnahme alleine nicht reicht!
30 Schlussfolgerungen Wir haben eigentlich nicht zu wenige Pflegefachkräfte, aber durch sehr hohe Fallzahlen und immer noch recht lange Verweildauern haben wir am Bett zu wenige. Diese schlechte Patienten-Pflegefachkraft-Relation begünstigt, zumindest wenn sie mit einer schlechten Arbeitsumgebung gekoppelt ist, die Vernachlässigung von Pflegetätigkeiten und verstärkt negative Pflegekraftergebnisse (z.b. Burnout) und ultimativ schlechte Patienten-Outcomes. Die Definition von Mindestgrenzen ist ein richtiger Schritt, bleibt alleine aber vermutlich wirkungslos; notwendig sind Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsumgebung und der Qualifikation und vor allem die Änderung des Zählers, d.h. der Zahl von Patienten und Pflegetagen durch eine Kapazitätenkonzentration und Steigerung der Angemessenheit stationärer Behandlungen. Folien unter
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