Ist Talent lernbar? Lernen, Begabung, Talent und Intelligenz aus Sicht der Lernforschung. Podium Leistungssport «Talent» Aarau. Aula der Berufsschule
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- Rüdiger Dittmar
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1 Ist Talent lernbar? Lernen, Begabung, Talent und Intelligenz aus Sicht der Lernforschung Podium Leistungssport «Talent» Aarau. Aula der Berufsschule 23. April 2018 Prof. Dr. phil. nat. Willi Stadelmann
2 1. Lernen Vererbung und soziale Umwelt; Lernen aus Sicht der kognitiven Neuropsychologie; Bedeutung des Vorwissens, Vorkönnens, Vorverhaltens 2. Begabung, Talent und Intelligenz
3 Die Vorstellung von der Trennung von Körper und Geist («Dualismus») gilt in den heutigen Wissenschaften als überwunden. Geist und Körper lassen sich nicht trennen. Geist ist an körperliches Substrat gebunden.
4 Körper und Geist (Psyche) entwickeln sich nicht unabhängig voneinander. Ungenügend entwickelte Bewegungsfähigkeit bremst auch den Intellekt. So führt Bewegung zur besseren Durchblutung von Muskulatur und Gehirn. Volumen und Verästelung von Kapillaren wachsen mit körperlicher Aktivität, sogar neue Gefässe können entstehen (Angiogenese). Damit wird auch die geistige Leitungsfähigkeit erhöht. G&G 5/2009 S Referat
5 Bewegungsfreudige Kinder erzielen im Schnitt bessere Schulnoten und Schulabschlüsse, Ihre Leistungen im Rechnen und oder lesen «wachsen proportional zur körperlichen Ausdauer». Vgl. Charles Hillman (2008) zit. Ayan G&G 5 (2009) S. 32/33 Ratey JJ (2008): The revolutionary new science of exercise and the brain. Little, Brown and Company, New York 5 Referat
6 1. Lernen heisst individuelle Konstruktion von Bedeutung Konstruktivismus «Learning is to construct own meaning by building on own previous knowledge and experience. New knowledge, behaviours and experience are matched against existing knowledge, behaviours and experience. Knowledge shows as endless possibilities of individual active interpretations and representations of all kinds of perception in a social context.» Stadelmann et al.: Individual knowledge check-up MME Institut für Medizinische Lehre der Medizinischen Fakultät der Universität Bern (7./ ) 6 Referat
7 1.1 Grundsätzliche Erkenntnisse über «Lernen» sind seit vielen Jahrhunderten bekannt: «Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.» Konfuzius v. Chr. 7 Referat
8 Man kann einen Menschen nicht lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu tun. es in sich selbst zu finden. es in sich selbst zu entdecken. Galileo Galilei Referat
9 Ziel aller didaktischen Massnahmen ist die Anregung der Lernenden zum Selbst- Tun. Äusserliches Tun Verinnerlichtes Tun 9 Referat
10 «Äusserliches» Tun: Motorik, aktives Wahrnehmen (Sinnesorgane) (Zusammenhang zwischen feinmotorischer Kompetenz und kognitiver Entwicklung.) Heidrun Stöger «Verinnerlichtes» Tun: Reflexion, meditativ 10 Referat
11 Eltern, Lehrpersonen, Trainerinnen und Trainer, Coaches haben keinen direkten Zugriff auf das Lernen der Kinder und Jugendlichen. Lehrende können aber Umgebungen schaffen, Unterlagen bereitstellen, emotionale Zugänge ermöglichen, als Vorbild wirken, stimulieren immer mit dem Ziel, dass Kinder und Jugendliche selbst aktiv werden. 11 Referat
12 1.2 Sind Begabung (= Lernfähigkeit), Talent und Intelligenz erblich? Meine Ausführungen betreffen die «Erblichkeit» von kognitiven (Hirn-)Eigenschaften und nicht die «Erblichkeit» von Krankheiten. Das Gehirn zeichnet sich gegenüber anderen Organen durch seine ausserordentliche Plastizität aus. Vor nicht allzu langer Zeit glaubten auch viele Wissenschaftler noch, das Gehirn werde von genetischen Programmen zusammengebaut. Dieses Weltbild aus dem Maschinenzeitalter spukt leider noch immer in vielen Köpfen herum. 12 Referat
13 13 Referat
14 James Watson 1953 Francis Crick 14 Referat
15 Adenin Guanin Thymin Cytosin = Basen A - T G - C = «Basen- Paare
16 Es bestand die Idee einer vorgegebenen und kodierten Information, die einen Ablauf steuert und ihn zu einem bekannten Ende führt. Also die Idee eines genetischen Programms, nach welchem wir uns entwickeln. 16 Referat
17 Im Erbgut gibt es «Schalter», die dafür sorgen, ob Erbfaktoren an- oder abgeschaltet werden. Dies ist ein Bindeglied zwischen der Aussenwelt und der Welt der Erbfaktoren. Methylierung. Soziale Faktoren wirken auf unsere Erbanlagen ein.
18 Spektrum Juli Methylgruppe 18 Referat
19 Sicher ist: Ohne Gene funktioniert gar nichts. Aber: Gene sind die Potenziale eines Menschen. Sie bestimmen die kognitiven Entwicklungs- Möglichkeiten eines Menschen. Ob die Möglichkeiten «ausgeschöpft» werden, hängt von der Umwelt ab.
20 Es gibt kein Begabungs-Gen Intelligenz-Gen Musik-Gen Fussball-Gen LehrerInnen-Gen Gewalt-Gen 20 Referat
21 Es kommt darauf an, in welche Familie ein Kind hineingeboren wird, in welcher Umgebung es aufwächst, ob es zuhause einen Hund hat, in welche Schulen es geht, welche Lehrerinnen und Lehrer, welche Freunde es hat, in welchen Vereinen es mitwirkt, ob es ein Musikinstrument spielt, ob es Sport treibt Die Lernbiografie prägt den Menschen zum Individuum, zum Unikat. 21 Referat
22 1.3 Lernen aus Sicht der kognitiven Neuropsychologie 1 Das Gehirn verändert sich beim Lernen physisch: Jeder Mensch hat seine eigene Lernbiografie. 2 Vielseitige Tätigkeiten fördern/stabilisieren die Hirnentwicklung - ein Leben lang. Das Gehirn ist plastisch (Aufbau und Abbau). 22 Referat
23 1.3.1 Wahrnehmung ist notwenige Voraussetzung für Lernen. «Ohne sie würde das Neugeborene gar keine Fähigkeit erwerben und kein Objekt erkennen können. Je älter ein Baby wird, umso grösser werden seine Fähigkeiten und Fertigkeiten. Aber sie entstehen nicht deswegen, weil es älter geworden ist oder weil die Gene dies entwickelt haben, sondern weil es dank der Wahrnehmung gelernt hat, auf die Reize angemessen zu reagieren und sinnvolles Verhalten zu entwickeln.«sattar, Adnan: Was ist Bewusstsein? Germania-Com Berlin (2011) 63 ff
24 Frontal lobe Temporal lobe Cerebellum 24 Referat
25 Vester 1972 Axon Synapse Dendrit 25 Referat
26 26 Referat
27 Damit wir das Glas als Glas erkennen, muss das Gehirn aus der Erinnerung «die Vorstellung Glas abrufen. Wir sehen mit den Augen, das ist wahr, ebenso aber mit unserem Gedächtnis. Das Glas im Kopf wird vom Glas, das wir sehen, bestätigt und umgekehrt.» art 6/84 75
28 Das Gehirn ist taub und blind für die Welt. Es kann nur mit Signalen umgehen. Gerhard Roth Universität Bremen, Referat
29 Sehbilder Tast- und Körperbilder Hörbilder Geruchsbilder Bewegungs- und Handlungsbilder Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten. (2011) S. Fischer S. 41/42 29 Referat
30 1.4 Lernen heisst Hirnentwicklung: Plastizität 30 Referat
31 31 Referat Aus: Martin Meyer: Fittes Gehirn. Universität Zürich//Vortrag Meyer/Stadelmann 2014
32 L. Jäncke (2013) s Referat
33 Durch pruning wird erreicht, dass diejenigen Verschaltungsmuster (Netzwerkteile) erhalten bleiben und gestärkt werden, die häufig benutzt, also immer wieder aktiviert werden. to prune: beschneiden 33 Referat
34 Die Entwicklung eines Säuglings zum erwachsenen Menschen ist bei der Geburt nicht determiniert! Lernen ist ein individueller lebenslanger Prozess, der durch eigene Tätigkeiten in Wechselwirkung mit der Umwelt ermöglicht wird. Lernen heisst selbst tun. 34 Referat
35 1.4.1 Frühkindliche Erziehung und Bildung: «Sie meint die bewusste Anregung der kindlichen Aneignungstätigkeit durch Erwachsene. Dies entspricht dem angeborenen Drang des Kleinkindes, sich Wissen anzueignen und sich ein Bild von der Welt zu machen. Damit dies möglich wird, braucht es eine anregungsreiche, liebevolle und beschützende Umwelt.» «Die ersten Lebensjahre sind die kritischste Phase für die Entwicklung eines Kindes. Dies gilt in sozialer, emotionaler und intellektueller Hinsicht. In der frühen Kindheit wird ein wichtiger Grundstein für den Bildungs- und Lebenserfolg gelegt. Was hier unterlassen wird, kann später» [wenn überhaupt] «nur mit grossem Aufwand aufgeholt werden.» Prof. Dr. Margrit Stamm (2009): Frühkindliche Bildung in der Schweiz. Eine Grundlagenstudie im Auftrag der Schweizerischen UNESCO-Kommission. Universität Freiburg (Schweiz)
36 Phänomene und Verstehen «Rettet die Phänomene!» «Zum Verstehen gehört: Stehen auf den Phänomenen.» Martin Wagenschein (1975) in «Erinnerungen für morgen» Beltz Weinheim und Basel (1983) S.135 ff 36 Referat
37 Sehen lernen Hören lernen Riechen lernen Schmecken lernen Spüren lernen Bewegen lernen 37 Referat
38 Bildschirme können die «Primärerfahrung» nicht ersetzen. Bildschirme können Menschen und damit soziales Lernen nicht ersetzen. In den ersten 4 Lebensjahren möglichst keine Bildschirme!
39 Zwischenfazit: Use it or lose it Lernen heisst Hirnentwicklung: «Das Netzwerk baut sich fortlaufend auf und um, wenn es denn genutzt wird» Vgl. Lutz Jäncke: «Bund» 27. März 2017 S Referat
40 1.5 Bewegungssteuerung; Bewegungslernen
41 Kleinhirn: Zentrum der Bewegungskoordination. Kontrolle und Korrektur der ablaufenden Bewegungen. Cortex: Bewegungssteuerung, -auslösung, -speicherung Rückenmark: «Durchgangsstrasse» und Reflexsteuerung 41 Referat
42 42 Referat
43 Rot: sensorische Fasern (Vorderwurzeln) Blau: motorische Fasern (Hinterwurzeln) 43 Referat
44 «Motorischer Homunculus» Sport scolaire et sport des enfants 11 janvier 2013 Stadelmann 44 Referat
45 «Somatosensorischer Homunkulus» Die Neuronen der einzelnen Abschnitte sprechen jeweils Am besten auf Reizung der wiedergegebenen Körper- Bereiche an 45 Referat
46 1.5.1 Zusammenhang zwischen Sprache und Bewegungslernen: Nach heutigem Wissensstand besteht ein funktionaler Zusammenhang zwischen sequenziellen Bewegungen und der Sprache. Der linksseitige prämotorische Kortex überlappt stark mit dem Broca- Areal. Motorisches Lernen durchläuft verschiedene Phasen: Kognitive Phase Assoziative Phase Automatische Phase Kognitive Phase
47 Zu Beginn (kognitive Phase) sind uns die zu lernenden Bewegungen häufig bewusst. Wir können sie explizit beschreiben, aber noch nicht notwendigerweise gut ausführen. Die sprachliche Beschreibung fördert und unterstützt den motorischen Lernprozess. Die assoziative Phase kann durch intensives Üben erreicht werden. Die motorischen Aktionen gelingen bedeutend besser; der Lernende kann die Bewegungen benennen und auch gut verbal beschreiben. In der automatischen Phase sind die Bewegungen automatisiert, ohne dass der Akteur sie noch explizit beschreiben kann. Sie sind nicht mehr bewusst.
48 Fazit: Heterogenität. Menschen sind Unikate Jedes Gehirn ist ein Unikat. Jeder Mensch ist ein Unikat. Je mehr der Mensch lernt, desto grösser wird seine Einzigartigkeit. 48 Referat
49 «Es gibt nichts Ungleicheres als die gleiche Behandlung von ungleichen Menschen» Thomas Jefferson Präsident der USA ( ) Official Presidential Portrait by Rembrandt Peale Referat
50 2. Begabung, Talent und Intelligenz «Begabung», «Talent» und «Intelligenz» sind Konstrukte. «Unglücklicherweise herrscht in der Wissenschaft, wenn über Begabung und Hochbegabung gesprochen wird, ein nahezu babylonisches Sprachgewirr.» (Albert Ziegler 2008, s.14) 50 Referat
51 Problem: «Begabung» und «Intelligenz» sind nicht klar wissenschaftlich definierbar. Und: Definierbarkeit wäre Voraussetzung für Messbarkeit. Messen heisst Vergleichen. Vergleichsstandard. 51 Referat
52 2.1 Begabung und Talent «Begabung» umschreibt einen lebenslangen individuellen Lern-Prozess. «Begabung» ist keine Konstante. «Dynamischer Begabungsbegriff». «Begabung» umschreibt die individuelle Lernfähigkeit auf der Basis individueller Potenziale. «Talent» ist Begabung (Lernfähigkeit) in einem engeren Bereich. 52 Referat
53 Begabung und Talent sind Entwicklungs- Produkte aus Potenzial (Genetik) und Umwelt (Tätigkeit). Sie sind Produkte des Lernens auf der Basis der Potenziale. Also: Talent ist lernbar, muss gelernt werden. Angeboren sind die Potenziale und diese müssen stiumliert werden.
54 2.2 Intelligenz Intelligenz ist das messbare Produkt des individuellen Lernens eines Menschen auf der Basis seiner Potenziale (Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Verhalten) im Vergleich mit Gleichaltrigen aus der gleichen Kultur. Intelligenz ist eine Folge von Begabung. Begabung ist Voraussetzung für Intelligenz. Intelligenz ist angewandte, realisierte Begabung 54 Referat
55 «Lernen macht intelligent»! Buchtitel Neubauer/Stern: Lernen macht intelligent. DVA München (2007) 55 Referat
56 Kein Kind wird begabt oder gar hochbegabt und schon gar nicht intelligent geboren. Kinder werden mit verschiedenen Potenzialen geboren. 56 Referat
57 Üben, üben, üben Die Strasse zum Erfolg, zur Exzellenz besteht aus einem jahrelangen, zielstrebigen Üben Anders Ericsson 57 Referat
58 Ericsson et al Üben ist Handlungslernen 58 Referat
59 «können sich weniger intelligente Menschen bei entsprechenden Übungsmöglichkeiten in ein Inhaltsgebiet so einarbeiten, dass sie imstande sind, die gleichen Leistungen zu erbringen wie intelligentere Personen» Neubauer/Stern 2004, Referat
60 «So wurde noch nie eine spätere Nobelpreisträgerin/ein späterer Nobelpreisträger in Hochbegabtenstudien identifiziert, doch einige als ungenügend begabt zurückgewiesen.» Albert Ziegler (2010) 60 Referat
61 UMWELT / STIMULATION Epi- GENOM POTENZIALE BEGABUNG Lernfähigkeit Plastizität LERNEN INTELLIGENZ Genom ist nicht «Dynamischer Begabungs- Dyn. Produkte, konstant. Begriff» Leistungen «Möglichkeit zu «kristallin» Endleistungen «Netzwerk» «fluid» Bestimmter Art und Signaloptimierung Höhe» (H. Roth 1973) Vergleich: Pot. Energie Kin. Energie Leistung 61 Referat
62 Intelligenz Exzellenz Spitzenleistungen in bestimmten Gebieten 62 Referat
63 Motivation Ein aktuelles leistungsmotiviertes Handeln findet besonders dann statt, wenn die Tendenz Hoffnung auf Erfolg die Tendenz Furcht vor Misserfolg überwiegt. Walter Edelmann: Lernpsychologie Beltz 2000 S Referat
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