Pflege und Betreuung à la Uber und AirBnB?

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Transkript:

Uber & AirBnB in der Pflege? Otto, Hegedüs, Kaspar, Kofler & Kunze Pflege und Betreuung à la Uber und AirBnB? Erscheint in: I. Hämmerle & G. Kempter (Hg.), Umgebungsunterstütztes Leben: Beiträge zum Usability Day XV. Lengerich, Westfalen: Pabst Science Publishers Ulrich Otto a, Anna Hegedüs a, Heidi Kaspar a, Andrea Kofler b & Christophe Kunze c a Careum Forschung, Forschungsinstitut der Kalaidos FH Gesundheit, Zürich (CH) b Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Wädenswil (CH) c Hochschule Furtwangen, Furtwangen (D) Zusammenfassung. Formatvorlage Zusammenfassung (nur ein Absatz) Längst schreitet die Digitalisierung auch im Gesundheitssektor mit großen Schritten voran Stichworte sind Medizintechnik, e-health-anwendungen (Otto, Tarnutzer & Brettenhofer, 2015), BigData-Entwicklungen. Vor allem die in vielen Ländern laufende Debatte um die elektronische Patientenakte (teilweise explizit als Gesundheitsakte bezeichnet) spielt hier eine wichtige Rolle - bisweilen wird sie für das Gesundheitswesen geradezu als das Kernelement der Digitalisierung betrachtet (Buhr, Frankenberger, Fregin & Trämer, 2016). Mit Blick auf die Älteren wird zudem seit Jahren international und mit hohem Finanzeinsatz nach Lösungen des Active and Assisted Living (AAL) gesucht auch hinter diesen technikunterstützten Formen des Lebens im Alter stehen fast immer digitale Anwendungen. 1 1. Notwendig gebremste Digitalisierung in pflegerischen und sozialen Dienstleistungen? Im Sektor der Pflege und Betreuung dagegen scheint die Digitalisierung noch keine so große Rolle zu spielen. Viele erklären dies damit, dass hier der Stellenwert der menschlichen Arbeit der Humandienstleistung so groß ist. So drehen sich viele Debatten eher darum, inwieweit und in welchen Sektoren und Settings diese Leistung bspw. durch Roboter subsituiert werden könne. Natürlich werden auch vielfältige Anwendungen rund um die Humandienstleistung angewendet und entwickelt, bspw. im Kontext ambulanter bzw. Spitex-Dienste. Im organisatorischen Kern der von Menschen erbrachten Dienstleistung allerdings hatte sich lange Zeit eher nichts Grundlegendes verändert. Natürlich hatten sich immer wieder die Gewichte zwischen den Erbringungsmodi verschoben. Neben der Berufsarbeit ob angestellt oder selbständig bleiben die beiden weiteren Säulen die informelle Arbeit von An- und Zugehörigen sowie die unterschiedlichen Formen der Freiwilligenarbeit. Natürlich differenzieren sich alle drei Grundformen immer weiter aus: besonders stark ist der weiter anhaltende Trend zur Verberuflichung und Professionalisierung, verbunden mit einem ent- 1 Der vorliegende Aufsatz beruht in stark erweiterter und überarbeiteter Form auf der Publikation Otto, Hegedüs, Kofler & Kunze (2017). 1

sprechend stark gegliederten Bildungssystem. Die Arbeit von An- und Zugehörigen verändert sich im Kontext der gesellschaftlichen Modernisierung bspw. indem die Vereinbarkeit von Angehörigenpflege und Erwerbsarbeit diskutiert wird oder gemischte Sorgesettings gesucht werden. Und auch die Freiwilligenarbeit verändert sich in immer größeren Teilen seit vielen Jahren bspw. indem neben die stark altruistischen Formen des alten Ehrenamts neuere Formen treten (vgl. bereits z.b. Rauschenbach, Müller & Otto, 1992). Zu diesen gehören auch Formen geringbezahlter Freiwilligenarbeit womit das hergebrachte Kriterium der strikten Unentgeltlichkeit in bestimmten Bereichen bereits länger an Bedeutung verliert. Damit korrespondieren neuere Gratifikationsmechanismen wie bspw. Formen des Zeittauschs bzw. der Zeitgutschrift (vgl. Otto, 1995). Teilweise allmählich und teilweise plötzlich kommt aber auch in diesem Sektor der Erbringung und Organisation menschlicher Arbeit im Rahmen der Dienstleistungen in der Pflege und Betreuung die Digitalisierung deutlich an. Dort wo es plattformvermittelte Dienstleistungen sind, wird seit einiger Zeit häufig einfach von Uberisierung gesprochen (vgl. z.b. Stampfl, 2016; Stegemann, 2016). 2. Digitalisierung in Form der Uberisierung Diese Formen der Digitalisierung werden wohl schon bald vieles durcheinanderwirbeln. Die heraufziehende Plattformökonomie verwischt zahlreiche Grenzen: Zwischen Produzent/-innen und Konsument/-innen, zwischen professionellem Angebot und amateurhaftem Gelegenheitsauftrag, zwischen Unternehmer/-in und Arbeiter/-in. Das Uber-Prinzip, die Plattformökonomie, die viel mehr sind als nur eine App, verändern den Arbeitsbegriff, vermischen private Hilfe und Schwarzarbeit, ändern das Verständnis und die Regelung von Monopolen (Stegemann, 2016). Beispiele für das Uber-Prinzip rund um Begleitung, Betreuung und Pflege: Plattformname Grundidee Deutschsprachige Plattformen Beispiele aus Übersee Betreut.ch; careship.de; Veyo-pflege.com; pflegetiger.de CareFamiliy; Honor; hometeam; homehero Teilweise geht es um Vermittlung, v.a. von Begleitung und Betreuung, aber auch um hauswirtschaftliche Dienste und leichte Pflege. Teilweise sind Pflegende Angestellte des Plattformbetreibers. Wie so oft sitzen die Vorbilder für die Internet-Startups in den USA: Diese haben dort jeweils mehrstellige Millionenbeträge an Venturekapital eingesammelt und expandieren sehr schnell. Dabei verfolgen sie verschiedene Strategien der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses. Die einen sehen eine willkommene Angebotsbereicherung und Aktivierung brachliegender Potenziale seien es Dienstleistungen (Uber) oder Wohnräume (Airbnb). Die anderen befürchten eher, dass die mühsam errungene Professionalisierung der Pflege gefährdet wird, dass die Freiwilligenarbeit konkurrenziert wird, dass massenhaft ungeschützte Arbeitsver- 2

Uber & AirBnB in der Pflege? Otto, Hegedüs, Kaspar, Kofler & Kunze hältnisse in der Schattenwirtschaft und Steuerausfälle drohen. Und viele befürchten einfach, dass ihre eigenen bewährten Geschäftsmodelle massiv bedroht sind die Neue Zürcher Zeitung NZZ schreibt über die Angst vor der Uberisierung (Seittele, 2016). Das Grundprinzip der digital matching -Unternehmen (wie Uber, Airbnb usw.) ist einfach: Sie bieten selbst keine Dienstleistungen an, sondern nur eine digitale Vermittlungsplattform für die einfache Abwicklung von Peer-To-Peer-Transaktionen zwischen Anbieter und Nutzer. Wie eine dünne Schicht legt sich Uber als Plattform zwischen zwei Personen, von der einer eine Leistung anbietet und der andere sie nutzt. In großen Teilen der Welt hat Uber sich innerhalb weniger Monate stark verbreitet. Dahinter steckt mehr als nur ein neuer digitaler Trend. Die Zukunft der Arbeit wird gerade programmiert (Stegmann, 2016). Inzwischen stoßen die collaborative consumption -Anbieter (Hamari, Sjöklint & Ukkonen, 2015), wichtige Antreiber der Sphäre der shareconomy und des geteilten Konsums, vielerorts auf Widerstand: So sei ihr Geschäftsmodell ein Angriff auf rechtliche Rahmenbedingungen und untergrabe Arbeitnehmerrechte ebenso wie Qualitätsstandards. Im Fall Airbnb wird bspw. gefragt: darf es sein, dass über die Deklarierung als Ferienwohnungen massenhaft normale dem Wohnungsmarkt und Mieterschutz entzogen werden? Im Fall Uber: wird das Personenbeförderungsrecht ausgehebelt? Und sind die Fahrer nicht doch Angestellte? Kritische Stimmen sagen: Tatsächlich ändert die entstehende Plattformökonomie unser Verständnis von Arbeit grundlegend und nur wenige profitieren. ( ) Es geht um ein Geschäft, Geld gegen Leistung. Die Plattformen verstehen es, dieses Geschäft so angenehm, so verführerisch zu gestalten, dass immer mehr Leute Lust haben, mitzumachen, eigenständig ihre Zimmer, ihre Autos oder ihre Arbeitskraft anzubieten. Doch hinter diesem Angebot stehen zumeist Unternehmen, die mit einem Heer schlecht bezahlter, scheinselbstständiger Arbeitnehmer/-innen agieren. Uber kämpft in den USA gerade darum, seine Fahrer/-innen weiterhin nicht als Angestellte behandeln zu dürfen um Steuern und Löhne zu sparen (Stegmann, 2016). Nicht zuletzt deshalb hat Uber seinen Geschäftsbetrieb in verschiedenen Ländern und Städten teils schon wieder einstellen müssen bzw. teils gar nicht starten können. Zurzeit ist offen, wie die Gesetzgeber mit der Thematik umgehen werden Reaktionen reichen von Deregulierung über Nichtstun bis hin zu massiver Regulierung des Marktes, was die neuen Angebote bei den traditionellen Produkten, Diensten und Anbietern verändern, ob die neuen Anbieter die Kritik entkräften können und zwar real, nicht nur medial, und wie schnell der Einfluss auf die Versorgungslandschaft in Begleitung, Betreuung und Pflege wirklich wächst? Das Uber-Prinzip in der Pflege bedeutet: über eine Plattform bieten unterschiedlichste Menschen auch Dienstleistungen im Bereich Begleitung, Betreuung und Pflege für kürzere 3

oder längere Dauer an. In manchen Modellen arbeiten diese auf selbständiger Basis, in anderen als Angestellte des Plattformunternehmens oder auch der KlientInnen. Begriffe im Feld des Uber-Prinzips Bezeichnung Kennzeichen Uberizing eine Plattform zur Verfügung stellen, statt Autos zu kaufen, um sie dann zu vermieten Lösungen ad hoc organisieren statt durch vorhaltende Lagerung on demand und customized Gig economy Bezahlung ist nicht reguläres Gehalt, sondern Bezahlung für gigs! a labour market characterised by the prevalence of short-term contracts or freelance work, as opposed to permanent jobs Gigwork bezieht sich auch auf ortsgebundene Dienste (Gastgewerbe, Personenbeförderung, Lieferdienste, personenbezogene Dienstl.) Freelancing Sowohl bei ortsunabhängigen wie ortsgebundenen Leistungen (Cloudwork) ortsunabhängige Dienstleistungen: crowdwork usw.) 3. Kritische Fragen an die Uberisierung in Pflege und Betreuung Gesellschaftlich entscheidend wird bei der Entwicklung sein, was dabei mit dem Gesamtsystem der Begleitung, Betreuung und Pflege passiert in punkto Stabilität, Fachlichkeit und Qualität, einem Gesamtsystem, das in höchster Weise unter Druck steht durch die Demografie, die Arbeitskräfteknappheit sowie außerordentliche fachliche Herausforderungen, einem Gesamtsystem, das durchaus auch durch vielfältige Ausweitungen und Qualifizierungsschritte gekennzeichnet ist. Aber eben andererseits einem Gesamtsystem mit seiner historisch herausgebildeten geschlechtsspezifisch höchst ungleich verteilten Sorgearbeit, mit seinen Merkmalen der Spannung zwischen formellen und informellen Sphären der Leistungserbringung und der damit zusammenhängenden teilweisen Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse (Beckmann, 2016). Eine verantwortungsvolle Diskussion muss hier die vielen Berührungspunkte mit bestehenden Versorgungsstrukturen beachten: Konkurrenzierung fachlicher Arbeit im berufsorientierten Arbeitnehmermodell? Wird die neue Konkurrenz auch in der Pflege den etablierten Anbietern signifikant Marktanteile abnehmen? Und einer Ausweitung von Formen prekärer Arbeit auf Kosten besser bezahlter und abgesicherter Arbeitsverhältnisse Vorschub leisten? Konkurrenzierung/Substitution freiwilligennaher Tätigkeiten? Und wie stark überschneiden sich die Plattformdienste mit Engagementformen mit Aufwandsentschädigung, wie sie in manchen Bereichen im Sozialwesen üblich sind? Welche Folgen werden die neuen Dienstleistenden auf Engagementformen, Ehrenamt und Freiwil- 4

Uber & AirBnB in der Pflege? Otto, Hegedüs, Kaspar, Kofler & Kunze ligenarbeit haben? Kommt es hier zu Ökonomisierung oder zur Aktivierung oder weiteren Ausschöpfung von sonst brachliegendem Arbeitspotenzial? Gesellschaftliche Ressourcen und Verteilungsaspekte? In den meisten der neuen Angebote werden erhebliche Gebühren durch die Plattformbetreiber vereinnahmt. Entzieht dies dem finanziell sowieso klammen Sozial- und Pflegesektor weitere wichtige Ressourcen? Oder kann Pflege durch die neuen Technologien effizienter organisiert werden? Regelung, Kontrolle, gesetzliche Rahmung der neuen Plattform-Ökonomie? Bei dieser Diskussion gibt es Parallelen zu regulatorischen Problemen neuer Versorgungsformen (z.b. ambulant betreuten Wohngemeinschaften in Deutschland). Verdeutlichen hier die neuen Angebote möglicherweise v.a. den Konflikt zu etablierten (ggf. überholten?) Rahmenbedingungen. Die neuen Arbeitsmöglichkeiten funktionieren ohne 9to5-Job, ohne Anwesenheitspflicht, aber eben auch ohne Kündigungsschutz, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne jegliche Sicherheit, isoliert und meist ohne gewerkschaftliche Vertretung (Stegemann, 2016). Nicht zuletzt die Gewerkschaften wehren sich hier auch in allen betroffenen Ländern mittlerweile lautstark. 2 Wie viel und welche Regulierung braucht es? Wie kann hier eine Regulierung mit Wirkung und Augenmaß zugleich erreicht werden? Qualitätssicherung: Pflege und Betreuung weisen heute hohe Standards und qualitätssichernde Begleitmaßnahmen auf. Dies betrifft auch die vielfältigen Fortschritte in punkto Kompetenz- und Qualifikationsentwicklung. Wie können Rahmenbedingungen geschaffen werden, die trotz der dynamischen Entwicklung der Plattformdienste und zugleich den raschen Veränderungen im gesamten Dienstleistungsgefüge Qualität garantieren? Von den Neuen lernen: Die digitalen Vermittlungsplattformen zeigen auch Potenziale besserer Organisation etablierter Versorgungsformen im Sozial- und Gesundheitswesen. Was können wir von der sharing economy & Co für die Digitalisierung der Betreuung und Pflege lernen, was in Sachen Patientenzentrierung, Flexibilität usw.? Personenbezogene Dienstleistung als Ausschlusskriterium? On-demand Angebote bieten meist homogene, leicht zu vermittelnde und auf klar definierte Kundensegmente ausgerichtete Güter an. Bei personenbezogenen Diensten ist dies schwieriger. Es gibt kein homogenes Gut «Pflege», ebenso wenig wie «die Kundengruppe». Wie wird ein entsprechender Beratungsbedarf bei den Onlineanbietern umgesetzt? Oligopolisierung? In der Plattform-Ökonomie zeigen sich häufig schnelle Konzentrationsprozesse. Einzelne verbliebene Plattformanbieter bestimmen dann allein über Angebotsspektrum, Vergütung usw. Die Uberisierung gibt Plattformen auch Macht über uns, lässt uns zu Unternehmer/-innen unserer selbst werden, immer auf der Jagd nach einem neuen Auftrag, lückenlos überwacht und bewertet durch eine Plattform (Stegemann, 2016). Die neue Form der Arbeit bringt viele Vorteile und die Plattformökonomie bereitet große Komfortgewinne, die wir alle gerne nutzen. 2 Vgl. z.b. zur Diskussion in der Schweiz: http://www.blick.ch/news/schweiz/gewerkschaften-unia-wehrt-sich-gegen-uberisierung-derarbeitnehmerschaft-id5676233.html; http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/standard/unia-will-uber-grenzen-setzen/story/28301629 5

Dass diese Vorteile mit Dumpinglöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen einhergehen, ist kein Naturgesetz (Stegemann, 2016). Vor diesem Hintergrund muss gefragt werden: Wollen die Akteure im Sozialwesen den Internetunternehmen hierbei das Feld überlassen? Oder gibt es selbstorganisierte Alternativen wie sie etwa als»plattform Cooperativism«diskutiert werden könnten beispielsweise Plattformen durch Genossenschaften oder Non Profit-Verbände betrieben werden? Welche Folgen haben solche Entwicklungen für Angebote der Sozialunternehmen? Und wie sehr müssen letztlich solche selbstorganisierten alternativen Wege auf eine Re-Regionalisierung verweisen, wenn zugleich das immer mächtigere Paradigma der Quartiersorientierung in der Altenhilfe und der Sorge und Mitverantwortung in der Kommune 3 sowie die Leitidee der Caring Community in den Blick genommen wird auf den ersten Blick geradezu das Gegenteil der zumindest prinzipiell räumlich entgrenzenden Digitalisierung? 4. Fazit Die Herausforderung durch die Plattformökonomie mit ihren großen Chancen und beträchtlichen Gefahren wird gerade im Bereich von Pflege und Betreuung ganz offensichtlich noch kaum wahrgenommen. Dies gilt ganz besonders für Österreich und die Schweiz. In Deutschland liegt nicht zuletzt durch die Cash-Leistung der Pflegeversicherung (das Pflegegeld ) eine deutlich schnellere Entwicklungsdynamik vor, die auch die öffentliche Aufmerksamkeit für das Phänomen befördert. Angesichts der gesellschaftlichen Auswirkungen auf den so unterschiedlichen Ebenen von der sozialen Absicherung über die Fachlichkeit bis zum Beitrag zur Bekämpfung der Dienstleistungslücke ist eine möglichst frühe und breite Diskussion unbedingt notwendig. So sehr, wie die Beurteilungen der Plattformökonomie, die Einschätzung ihrer positiven und negativen Effekte auseinander gehen, so wünschenswert wäre zugleich eine wissenschaftliche Fundierung. Denn die meisten der weiter oben gestellten kritischen Fragen beziehen sich auch darauf, was empirisch durch die Plattformökonomie passiert. Die Herausforderung ist dringlich: Es geht aktuell darum, Chancen und Risiken der Plattform-Ökonomie für das Sozial- und Gesundheitswesen frühzeitig zu erkennen und deren mögliche Auswirkungen zu verstehen. Wenn es stimmt, dass Vertrauen, Qualität und Kontinuität im Bereich Humandienstleistungen zumal im Privathaushalt eine besonders große Rolle spielen mehr als bei vielen anderen Plattformdiensten, dann hat dies mehrere Konsequenzen. Es bedeutet zunächst etwas hinsichtlich der Vorhersage kommender Entwicklungen: diese Spezifität sollte gerade nicht zu der Annahme verleiten, dass deshalb die 3 So widmet sich auch der ganz aktuelle Siebte Altenbericht der deutschen Bundesregierung dem Thema "Sorge und Mitverantwortung in der Kommune - Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften". Im Bericht wird erörtert, an welche lokalen Voraussetzungen die gesellschaftliche Teilhabe und ein gutes Leben älterer Menschen geknüpft sind. Zudem wird der Frage nachgegangen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Maßnahmen Kommunen sowie die lokale Politik Strukturen der Sorge und Mitverantwortung aufbauen und mitgestalten können. 6

Uber & AirBnB in der Pflege? Otto, Hegedüs, Kaspar, Kofler & Kunze Plattformdienste im Bereich Pflege und Betreuung nicht oder nur ganz langsam Fuß fassen könnten. Es könnte allerdings durchaus bedeuten, dass Korrektive wirksam werden können: Wenn die Qualität des Ergebnisses im Vordergrund steht, Qualifikation und Fortbildung wichtiger werden und ein hohes Maß an Vertrauen zwischen AuftragnehmerInnen und AuftraggeberInnen mehr zählen als der niedrige Preis, gerät ein auf Dumpingpreise setzendes Plattformmodell schnell an seine Grenze. Dann wird es für die Unternehmen wieder wichtiger, in Individuen zu investieren und diese mit fairen Bedingungen und Karriereperspektiven an sich zu binden. Aus diesem Grund ist auch nicht zu befürchten, dass sich irgendwann der gesamte Arbeitsmarkt in unverbindliche Kleinstaufgaben auflöst (Schmidt, 2016, S. 26). Nur sollte sich niemand allzu sicher auf diese Korrektive verlassen. Es bedeutet zum anderen zwingend, sämtliche Bestrebungen genau auf diese wesentlichen Qualitäten hin sehr genau abzuklopfen: wie lassen sich Vertrauenswürdigkeit, fachliche und menschliche Qualität sowie berechenbare und entlastende Kontinuität und weitere Kriterien absichern und teilweise heißt das auch: kontrollieren? Begleitung, Betreuung und Pflege sind im bisherigen Umfang auf Dauer nicht sichergestellt. Wünsche nach flexiblen Dienstleistungen sowie nach flexibel leistbarer Tätigkeit bleiben im heutigen System vielfach unerfüllt. Die sich durch die Digitalisierung ergebenden neuen Ansätze könnten hier wichtige Beiträge leisten. Doch mit den neuen Lösungsansätzen gehen Risiken einher, die erkannt, diskutiert und eingedämmt werden müssen. Rund um die o.g. Kriterien braucht es weitere aktive Auseinandersetzung mit dem Thema nur so lässt sich das Feld mitgestalten. Und nur so ließen sich wünschenswerte Entwicklungen fördern, wie z.b. echtes Teilen, soziale Unterstützung, bessere Nutzerzentrierung und gesicherte Qualität. 5. Literaturverzeichnis Beckmann, S. (2016). Deutsches Zentrum für Altersfragen (Ed.): Sorgearbeit (Care) und Gender: Expertise zum Siebten Altenbericht der Bundesregierung. Berlin. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-49972-4 Buhr, D., Frankenberger, R., Fregin, M.-Chr. & Trämer, M. (2016). On the Way to Welfare 4.0? Digitalisation of the Welfare State in Labour Market, Health Care and Innovation Policy:A European Comparison. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung FES. URL: library.fes.de/pdf-files/id/13010.pdf Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). (2017). Siebter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Sorge und Mitverantwortung in der Kommune Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften. Berlin: BMFSFJ. https://www.siebteraltenbericht.de/ Hamari, J., Sjöklint, M. & Ukkonen, A. (2015). The Sharing Economy: Why People Participate in Collaborative Consumption. Journal of the Association for Informationen Science and Technology, 67(9), 2047-2059 Otto, U. (1995). Seniorengenossenschaften. Modell für eine neue Wohlfahrtspolitik? Opladen: Leske + Budrich. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-22367 7

Otto, U., Tarnutzer, S. & Brettenhofer, M. (2015). Telemedizin für Ältere Chancen mehren, kritische Punkte angehen! Therapeutische Umschau, 72(9), 577-579 Otto, U., Hegedüs, A., Kofler, A. & Kunze, C. (2017). Uber in der Pflege?: Plattformen mit Dienstleistungen in der Pflege und Betreuung. Krankenpflege, (3), 14-16. Rauschenbach, T., Müller, S. & Otto, U. (1992). Vom öffentlichen und privaten Nutzen des sozialen Ehrenamts. In T. Rauschenbach & S. Müller (Hrsg.), Das soziale Ehrenamt : nützliche Arbeit zum Nulltarif. Weinheim u.a.: Juventa Verlag (Edition Soziale Arbeit, S. 223-242. URN: http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-37314 Schmidt, F.A. (2016). Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung FES. URL: library.fes.de/pdf-files/wiso/12826.pdf Seittele, C. (2016). Dynamik der Digitalisierung. Die Wirtschaftswelt wappnet sich für den digitalen Umbruch. NZZ vom 3.11.2016. http://www.nzz.ch/wirtschaft/digital-business/dynamik-digitalisierungwirtschaftswelt-digitalen-umbruch-ld.125627 Stampfl, N. S. (2016). Arbeiten in der Sharing Economy: die "Uberisierung" der Arbeitswelt? Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 85(3), 37-49 Stegemann, P. (2016). Uberisierung: Wie Plattformen unsere Arbeit verändern. In: bpe, Netzdebatte. https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/220768/uberisierung-wie-plattformen-unsere-arbeit-veraendern 8