Geht erfolgreiches Tiergesundheitsmanagement auch ohne Medikamente?
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- Gerrit Kai Feld
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1 Geht erfolgreiches Tiergesundheitsmanagement auch ohne Medikamente? Mehr Nachhaltigkeit und weniger Antibiotika Univ.-Prof. Thomas Blaha, Dipl. ECVPH und ECPHM Tierärztliche Hochschule Hannover, Außenstelle Bakum Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) Adjunct Professor at the College of Veterinary Medicine of the University of Minnesota, USA
2 Europa: drei Phasen nach ) Mangel: Mehr (erschwingliche) Lebensmittel für alle = Produktivität 2) Risiken: Weniger (keine) Keime und Rückstände = Lebensmittelsicherheit 3) Schuld: Mehr (gesellschaftliche) Verantwortlichkeit = Tierwohl, Antibiotikareduzierung, Nachhaltigkeit Unser Problem ist, dass wir immer noch wie unter 1) und 2) produzieren (geringste Kosten) und konsumieren (Geiz ist Geil) verantwortliches Produzieren und Konsumieren (z.b. auch Wegwerfen) für 3) muss gekonnt kommuniziert werden
3 Antibiotika im Konzept der Nachhaltigkeit Hans Carl von Carlowitz (1713): Sylvicultura oeconomica = erste nachhaltige Produktion, aber nur für Forstwirtschaft Brundtland-Kommission (1987) Our Common Future Nachhaltigkeit ist inter- und intragenerationelle Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Anderen = erste nachhaltige Gesellschaftsstrategie, aber damals fast ausschließlich Umwelt und Ressourcen Heute: Nachhaltigkeit ist Zukunftsverantwortung und Verteilungsgerechtigkeit aller gesellschaftlichen Prozesse = stetige Steigerung der moralisch-ethischen Qualität menschlicher Gesellschaften (in denen Tierwohl und Bewahrung der Antibiotikawirksamkeit öffentliche Schutzgüter sind bzw. werden)
4 Die Welt mit und ohne Antibiotika prä-antibiotisch a n t i b i o t i s c h post-antibiotisch?? Kriege & Wunden H1N Infektionen, Kindbett Jubel Erstaunen Skepsis Kritik - Ablehnung Domagk Flemming Resistenz sorgfältiger Umgang = prudent use Resistenz? MRSA ESBL EHEC Pest, Cholera, Typhus und und und Meilensteine nur tödliche dann alle dann Tiere ganze Herden Lister, Pasteur Semmelweis
5 Entwicklung der Nutztierhaltung Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion war nach Krieg und Hunger ein Erfolgsrezept der entwickelten Länder Heute sind sichere und gute Lebensmittel auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen erschwinglich und selbstverständlich Obwohl nun ausreichend da ist, produzieren und preisgestalten wir wie zu Zeiten der notwendigen Produktionssteigerung Globalisierung, EU, WTO und multinationale Unternehmen führen zur partiellen Entsouveränisierung der Nationalstaaten, d.h. Gesetze einhalten Ethische Erwartungen erfüllen
6 Das eigentliche Problem ist Die Resistenzen der veterinärmedizinisch wichtigen Krankheitserreger sind NICHT der Grund, warum wir etwas tun müssen MRSA ST398, ESBL und andere resistente Keime, die aus Nutztierbeständen in die Lebensbereiche des Menschen eingetragen werden, sind das wirkliche Problem
7 Results EU baseline study
8 Die omnipräsente Kritik Der Gebrauch von Antibiotika in der Tierproduktion wird weltweit heftigst kritisiert 23. March 2011 auf einem Flug nach Newcastle: frequently misused overprescribed, or incorrectly taken by patients, and recklessly fed to farm animals. DIMDI: in 2011 wurden 1734 Tonnen Antibiotika an Tierärzte verkauft 576 t Tetrazycline, 505 Aminopenicilline und 8 t Fluorchinolone und 3,8 t Cephalosporine der 3. u. 4. Generation
9 Und wofür sind die 1734 Tonnen? Fast ausschließlich für Schweine, Geflügel, Kälber (seit 30 Jahren KEINE Reduktion der Häufigkeit path.-anat. Veränderungen bei Schlachtung!!!) Heimtiere < 1% Der Löwenanteil davon wird zur oralen Behandlung bzw. Verhinderung von bakteriellen Infektionen eingesetzt (nicht die Bestandsgröße, sondern strukturelle und hygienische Mängel) 10% bis 30% davon sind dem Sicherheitsbedürfnis der Landwirte geschuldet
10 Antibiotika-Leitlinien Resistenz bei Zielbakterien = höchstmögliche Wirksamkeit bei geringstmöglicher Resistenz Ziel: Resistenzminimierung Regeln: - (kein prophylaktische Anwendung) - Diagnose, Keimisolierung, Indikation - Resistenztests als Entscheidungsgrundlage (Plättchen, MHK: clin. breakp., epidem. cut-off) - schmales Spektrum, hohe Dosierung - so viel wie nötig, so wenig wie möglich Fokus: Antibiotika Adressat: Tierarzt
11 Minimierungskonzepte Exposition ALLER Bakterien = Lebensmittel mit so wenig wie möglich Antibiotika herstellen Ziel: Minimierung des Selektionsdruckes Regeln: Erfassung und Messen des Einsatzes Durchschnittswerte sind wenig hilfreich Benchmarking/Ranking pro Herde bzw. Tier Anreize und Sanktionen Fokus: Tiergesundheit Adressat: Landwirt (nur bedingt der Tierarzt)
12 Worüber wir reden müssen Wenn wir die Antibiotikamenge reduzieren wollen, müssen wir nicht nur über die Reduzierung der Menge der Antibiotika sondern über die Exposition und über die Verbesserung der Tiergesundheit reden, und das ist aktives Tiergesundheitsmanagement Erregerfreiheit, Biosicherheit und Vakzinierungen
13 Was ist Tiergesundheit? WHO: Zustand der physischen, mentalen und sozialen Unversehrtheit - auch für Tiere Fehlen von Krankheit (Schmerzen und Leid) Auch Wohlbefinden gehört dazu? Ausschöpfung des genetischen Leistungspotentials ohne Gesundheitsstörungen Freiheit von latenten tierpathogenen und zoonotischen Erregern
14 Der TBI zur pro-tier-messung Der Tierbehandlungsindex (= Therapiehäufigkeit) Die epidemiologische Annahme: Tiere, die oft antibiotisch behandelt werden mussten, waren weniger gesund, als Tiere, die nicht oder nur vereinzelt behandelt werden mussten TBI = Anzahl beh. Tiere (x Wirkst.) x Anzahl Behandlungstage Anzahl der Tiere in der Mastgruppe Der TBI gibt also an, wie viele Tage (statistisch gesehen) alle Tiere einer Gruppe oder eines Bestandes antibiotisch behandelt wurden
15 Exemplarische TI-Verteilung innerhalb einer Praxis Betriebe mit TI über 20 Betriebe mit TI unter 3 Betriebe mit TI > 3 < 20
16 Der Einfluss des TA und des LW auf die Höhe des TBI (Diss. 2013) TÄ 1 : 2 der Landwirtes hat >50-mal mehr Einfluss QS- Daten: bei den meisten Tierärzten rangieren die Werte zwischen < 1 und > 50!!!
17 Exemplarische TI-Verteilung nach Betriebsgröße
18 Exemplarische TI-Verteilung nach Betriebsgröße! = TI über 40
19 HerdenGesundheitsScore (HGS) HGS = Kombination der 4 messbaren Parameter 1) Mortalitätsrate 2) Schlachtbefunde vorangegangener Schlachtungen 3) Mastdauer 4) Tierbehandlungsindex (TBI)
20 Scoring der einzelnen Parameter HGS-Punkte 0 Punkte 1 Punkt 2 Punkte 3 Punkte Mortalität (in %) Mastdauer (in Tagen) TBI (in Behandlungstage der gesamten Gruppe) Schlachtbefunde (als Blaha Index ) > 10 < > > > 9 HGS: von 0 bis 12 Punkte
21 Benchmarking Tiergesundheit (als Voraussetzung für kontinuierliche Verbesserung statt immer zu spät kommender Gesetzes verschärfung ) Kriterien: z.b. Verlustrate, TBI, Schlachtbefunde, Serologie Große und Kleine Zielgerichtete Beratung Anzahl Herden Bei Beratungsresistenz risikoorientierte Überwachung Das ist die rote Linie über der Treppe Summe aus den vier Kriterien low medium high Verlustrate low medium high low medium high TBI Organbefunde 0% Serologische Profile
22 Tiergesundheitsmanagement Kurative Präventive Tiergesundheitsmanagement Tierärztliches Tiergesundheitsmanagement geht weit über die kurative und auch über die,,nur" präventive tierärztliche Tätigkeit hinaus und ist die planvolle und systematische Umsetzung von betrieblichen und überbetrieblichen Maßnahmen zur gezielten Optimierung der Tiergesundheit und des Tierwohls in Nutztierbeständen bei gleichzeitiger Minimierung der Notwendigkeit des routinemäßigen Einsatzes von Antibiotika sowie die nachhaltige Aufrechterhaltung der so optimierten Tiergesundheit. (Blaha und Hartmann, 2013: Tierärztl. Umschau 68, )
23 Die Strategien für ein erfolgreiches Tiergesundheitsmanagement 1. Erregerfreiheit - erregerfreie Tiere in erregerfreie Stallungen einstallen - Tiere aus Herkünften mit bekanntem Infektionsstatus (v.a. latent) 2. Biosicherheit - externe Biosicherheit (bestandseigene Kleidung, Schleuse, Besucher, Vögel, Nager...) - interne Biosicherheit (A-I-A-O, Hygiene, Altersgruppen, Reinigung auch der tierfernen Bereiche, Stiefelwechsel ) 3. Vakzinierungen - bereits gegen bekannte Erreger geimpfte Tiere einstallen - produktionsbegleitende Diagnostik, an Erregerisolierung angepasste Vakzinen u.u. stallspezifische Vakzinen
24 Und wir müssen außer Reduzieren Wie in Skandinavien, Dänemark und seit Kurzem in Frankreich zu freiwilligen, aber verbindlichen Verzichtserklärungen kommen, in der Tiermedizin (Nutztierhaltung) die kritischen Wirkstoffe einzusetzen Und: die Anwendung von Antibiotika muss wie Tierschutz zu einem öffentlichen Schutzgut werden, was die Therapiefreiheit des Tierarztes (und Arztes) einschränken würde, aber
25 Die Tiergesundheitsfürsorge im Wandel der Zeit hoch Die Lebensmittelkette Verbraucher bewusstsein über Lebensmittel sicherheit und Qualität Das Einzeltier Der Tierbestand Tiergesundheit zur Steigerung der Profitabilität durch Bestandsbetreuung Tiergesundheit zur Produktion sicherer, hochwertiger und erschwinglicher Lebensmittel durch geplantes und systematisches Tiergesundheitsmanagement gering Tiergesundheit zur Rettung der Existenz durch Kurieren von Krankheit
26 Thank you!
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