Resilienz ein individuelles Schutzprogramm gegen psychische Erkrankung auch im Alter?
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1 Resilienz ein individuelles Schutzprogramm gegen psychische Erkrankung auch im Alter? 14. Psychiatrie-Symposium Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, BK Obermain 21. April 2012 Jürgen Melzer
2 Übersicht Begriffsbestimmung, Definition Ergebnisse der Resilienzforschung Risiko-und Schutzfaktoren-Modell der Resilienz Resilienz als Entwicklungsergebnis Resilienzfaktoren Schutz auch im Alter?
3 Ein Fall von Resilienz Der Fall Charlie Chaplin Trennung der Eltern kurz nach seiner Geburt Schwere psychische Erkrankung der Mutter mit Psychiatrieeinweisung Vater schwer alkoholkrank, verweigert Unterhaltszahlungen, trinkt sich zu Tode Mehrere Aufenthalte in den Armenhäusern Londons Drei Ehescheidungen, mehrere Partnertrennungen, Rosenkrieg Tod des Sohnes Norman drei Tage nach der Geburt Mehrfache herbe berufliche und finanzielle Rückschläge
4 Was bedeutet Resilienz? Lat.: resilire = abprallen, wegspringen = Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität Wissenschaftlicher Definitionsversuch: Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen. (Welter-Enderlin 2006)
5 Darin enthaltende wesentliche Aspekte: eine umfassende Haltung und Orientierung / keine einzelne Persönlichkeitseigenschaft oder einzelne Fertigkeit etwas Gelerntes und Erfahrenes etwas individuelles und im sozialen Umfeld gewachsenes etwas Erworbenes, auf das zurückgegriffen werden kann, wenn es in Krisen gebraucht wird etwas, das der Bewältigung dient etwas, das im Lebenszyklus lebenslang wirkt und gilt etwas, das (wieder) weiter führt und weitere Entwicklung ermöglicht
6 Resilienzforschung Entstanden aus der Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie Blick auf Kinder, die sich trotz schwierigster Bedingungen und widrigster Umstände gut und psychisch gesund entwickelten Kauai-Studie von Emmy Werner & Ruth Smith. Seit Beginn der Resilienzforschung in den 70er Jahren bislang 19 Längsschnittstudien (USA, Europa, Australien, Neuseeland), u.a. in Deutschland: Die Mannheimer Risikokinderstudie (Laucht et al. 2000) Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie (Lösel/Bender, 2008)
7 Forschungsergebnis: Sämtliche Studien aus unterschiedlichen Kulturkreisen und über verschiedene Risikoproblemfelder, bestätigen die Ergebnisse der Pioneerstudie von Kauai und zeigen, dass sich in allen untersuchten Risikogruppen, ein Kernbereich von Merkmalen ergibt, die für die seelisch gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (und später für den Erwachsenen) bedeutsam sind (und)...für relativ breit wirksame protektive Faktoren sprechen (Lösel / Bender, 2007)
8 Entstehung von Resilienz im Risiko- und Schutzfaktorenmodell Resilienz entsteht als Entwicklungsergebnis in einem komplexen Wechselwirkungsprozeß aus: Risikofaktoren, die die gesunde psychische Entwicklung bedrohen und behindern, aber auch Bewältigungsaufgaben darstellen Schutzfaktoren, welche Risiken abpuffern und Resilienz fördern und entstehen lassen
9 Rahmenmodell der Resilienz (nach Wustmann 2004)
10 Zwei entscheidende protektive Faktoren im Zusammenspiel von Risiko- und Schutzfaktoren: Die Erfahrung von Empathie und Wertschätzung durch mindestens eine Person => Sichere Bindung, positives Selbstwertgefühl Die Erfahrung, dass Aufgaben und Anforderungen erfolgreich bewältigt werden können und selbst Einfluss darauf genommen werden kann => Gefühl der Selbstwirksamkeit, Basis für Ich-Stärke und Autonomie
11 Resilienz ist somit ein individuell ausgestaltetes Handlungs- und Orientierungsmuster, welches sich in der Konfrontation mit und der erfahrenen Bewältigung von Krisen und Problemsituationen entwicklungsgeschichtlich herausbildet und dauerhaft (als Haltung) verinnerlicht wird. Kinder werden resilient und Erwachsene sind resilient immer in Bezug auf eine Krise, ein Problem, eine Herausforderung, ein Hindernis. Krisen sind konstitutiv für die Resilienz und die Autonomieentwicklung Entscheidende Rolle der Balance aus Risikofaktoren und Schutzfaktoren in einer angemessenen Belastungsund Bewältigungs- Zone.
12 Paradigmenwechsel Von der Pathogenese zur Salutogenese Das Salutogenesekonzept von Antonovsky (1979) beschreibt die positive und resiliente Haltung als Kohärenzgefühl ( Sense of Coherence ). Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung und Haltung, mit der Überzeugung, dass: die Anforderungen aus der inneren und äußeren Erfahrungswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit) die Ressourcen zur Verfügung stehen, die nötig sind, um den Anforderungen gerecht zu werden (Handhabbarkeit) und die Anforderungen Herausforderungen sind, die sinnhaftig sind und Investitionen und Engagement verdienen (Sinnhaftigkeit).
13 Empirisch identifizierte Resilienzmerkmale Diese korrelieren mit den zehn Lebenskompetenzen ( life skills ) der WHO (1994) Selbstwahrnehmung Empathie kreatives Denken kritisches Denken Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen Problemlösefähigkeiten effektive Kommunikationsfähigkeit interpersonale Beziehungsfertigkeiten Stessbewältigung Gefühlsbewältigung
14 Die sieben Hauptfaktoren der Resilienz Optimismus / Selbstwirksamkeit Selbstregulation - Stresstoleranz Akzeptanz - Verlassen der Opferrolle - Humor Lösungsorientierung Netzwerkorientierung / Soziale Kompetenz Verantwortungsübernahme Zukunftsorientierung
15 Optimismus / Selbstwirksamkeitserwartung Der Optimist weiß, dass die Welt schlecht ist. Der Pessimist findet es täglich neu heraus. Sir Peter Ustinov Hohe Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura) Realistischer Attribuierungsstil Überzeugung zeitlicher Begrenzung von Krisen, Wahrnehmen von Niederlagen als punktuelle Rückschläge Blick auf die nächsten Schritte ( Bergsteigerregel ), Das Sichtfeld verkleinern können Positive Fehler-Kultur Positives Erleben kleiner Dinge => Glücksforschung Beherrschen von Perspektivenwechsel und Relativierung (Refraiming) Kein Verallgemeinerndes Denken
16 Selbststeuerung / Selbstregulation Gute Fähigkeiten zur Selbstregulation eigener Stimmungen und Befindlichkeiten (Arousal, Activity, Affect, Attention) Gefühle sozial verträglich ausdrücken => Katharsis, Balance Impulse hemmen und bremsen (Belohnungsaufschub) Selbstfürsorge durch Ausgleich, Entspannung und Zerstreuung Stresstoleranz: Effektives Abwägen und Bewerten von unwichtig / positiv / stressbezogen, Lösungsorientierung, positive Selbstermutigung, soziales Hilfesuchen statt Vermeidungs-, Flucht- und Angriffsverhalten, Suchtmittelkonsum, Verdrängung, Verharmlosung, Ablenkung, Selbstbemitleidung, (nach Aßhauer et al. 1999)
17 Akzeptanz Wir können eine Sache nicht verändern, wenn wir sie nicht akzeptieren. C. G. Jung Anerkennen der aktuellen Problemsituation und der jetzt unveränderlichen Realität ( Radikale Akzeptanz, Linehan) Kein langes Binden von Energien durch dysfunktionale Coping- Stile (Schuldsuche, Auflehnung, Verleugnung) Veränderung als Lebensprinzip akzeptieren (Flexibilität) Krise als Chance für Neues begreifen können Die Opferrolle aktiv verlassen! (funktionale Wut, Aggression) Humor als grundlegende Selbstakzeptanz eigener Fehler und Schwächen und der Fehler anderer Akzeptanz beinhaltet Toleranz und Loslassen
18 Lösungsorientierung Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe. Lösungsorientiert statt problemorientiert Kein Stagnieren in Problembeschreibung (Beklagen, Kreisen) (Um)-Definieren von Problemen als Herausforderung Kein Bedienen der Schuldfrage (Sach,- nicht Beziehungsebene) Probleme als Normalfall des Lebens, Routine als Ausnahme Akzeptieren pragmatischer Einzellösungen und Teillösungen Kreativität, Aufbrechen von Handlungsroutinen Hohe Selbsteffizienzerwartung, dass (irgendeine) Lösung funktionieren wird
19 Soziale Kompetenz / Netzwerkorientierung Gute soziale Wahrnehmung, Empathie Flexibler Einsatz der Kommunikationskanäle (Sachebene, Beziehungsebene, Appell, Selbstoffenbahrung) Gut ausgeprägte Emotionale Intelligenz Soziale Netzwerke gestalten, pflegen und nutzen. Um Hilfe bitten und Hilfe annehmen können Freundschaftsflow pflegen und genießen Beenden verunsichernder, destruktiver und ausnutzender Beziehungen Glaube und Religion als mögliche Quelle von Trost und Beistand
20 Verantwortungsübernahme und Zukunftsorientierung Offenheit für Neues, Lösungsorientierung und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung (Optimismus) führen zu offener und hoffnungsvoller Orientierung auf die Zukunft. Hohe soziale Einstellung, soziales Handeln als Lebens-Wert Gesunde Neugierde, Bewahren des Wunderns Faires Trennen zwischen Eigenanteilen, Fremdanteilen und Sachanteilen einer Problem- und Krisensituation Gute Einschätzung von Nutzen-Aufwand (Ressourcenorientiert) Vorwegnahme des Scheiterns, Handlungsflexibilität (Plan B) Pflegen von Träumen und Visionen als positive Antreiber.
21 Resilienz Schutz auch im Alter? Resilienzprozess dauert lebenslang an Nachlassen der körperlichen, geistigen und psychischen Funktionen. Was kann schützen? Grundlegende Akzeptanz des Unabänderlichen, des Lebenszyklus Liebevolles Annehmen können (zunehmender) Schwächen und Behinderungen durch Humor. Frühzeitiges Pflegen und späteres Erhalten sozialer Bindungen, Altersfreundschaftsflow Bewusstes Verantwortung übernehmen im kleineren Feld Bewusstes Wahrnehmen alltäglicher Vergnügungen Fähigkeit, neue Freiheiten genießen zu können, Loslassen Selbstgenügsamkeit und Bescheidenheit als grundlegende Selbstakzeptanz
22 Griechischer Altersfreundschaftsflow trotz Krise
23 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
24 Resilienz- Fragebogen In: Micheline Rampe: Der R-Faktor, Das Geheimnis unserer inneren Stärke, 2004
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