2 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung
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- Dagmar Linden
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1 2 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung 2.1 Begriffsbestimmungen Unternehmer/in, Entrepreneur/in In der Gründungsforschung stößt man auf vielfältige Begrifflichkeiten, die nicht übereinstimmend definiert sind. So werden Begriffe wie Unternehmer/in und Entrepreneur/in häufig synonym benutzt und weitere Etikettierungen wie Existenzgründer/in, Selbständige/r sowie Geschäftsinhaber/in darunter subsumiert. Eine einheitliche Definition des Unternehmers oder der Unternehmerin findet sich auch nicht in deutschen Gesetzestexten. Im allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches wird der Unternehmer bzw. die Unternehmerin als eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt ( 14 Abs. 1 BGB) bezeichnet. Demgegenüber besagt das Umsatzsteuergesetz: Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt ( 2 Abs.1 Satz 1 und 3UstG). Die Definitionen des Unternehmerbegriffs beziehen sich im deutschen Gesetz somit auf den jeweils weiteren rechtlichen Hintergrund. Eine zweite Definitionsmöglichkeit ist nicht rechtlicher, sondern ökonomischer Natur. In der Wirtschaft heißt es derzeit: Der Unternehmer ist eine natürliche Person, die ein Unternehmen plant, mit Erfolg gründet und/oder selbständig und verantwortlich mit Initiative leitet. Er übernimmt das persönliche Risiko oder das Kapitalrisiko (Gabler Kompakt- Lexikon Wirtschaft 2010, S. 446). Aber auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur findet sich kein eindeutiger Unternehmerbegriff. Mehrheitlich ist diese begriffliche Abgrenzungsschwierigkeit dem ökonomischen Wandlungsprozess der letzten Jahrhunderte geschuldet (vgl. Stadler 2009, S. 44). So definierten bereits frühe Ökonomen wie Adam Smith ( ), Jean-Baptiste Say ( ) und Karl Marx ( ) den Unternehmer, wobei diese vornehmlich nur männliche Personen im Blick hatten. Der in diesem Zusammenhang wohl am häufigsten zitierte Ökonom ist der Österreicher Joseph A. Schumpeter ( ), der in seinem zentralen Werk Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung von 1911/1912 den Unternehmer mit ins Zentrum seiner theoretischen Untersuchung stellte. Schumpeter betrachtet in diesem Werk den ausschließlich männlichen Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 A. Siewert, Existenzgründung als biographische Chance, Berufliche Selbständigkeit im Kontext lebensgeschichtlichen Lernens, DOI / _2
2 20 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung Unternehmer unter volkswirtschaftlichen Aspekten und verbindet diese mit psychologischen Ansätzen: Der Unternehmer ist im Schumpeterschen Sinne ein innovativer Mann der Tat (Schumpeter 2006, S.172), der ein Unternehmen selbst gründet, neue Kombinationen von Produktionsfaktoren realisiert und den Produktionsprozess an sich verändert (vgl. ebd., S. 174). Er erschließt neue Märkte, in dem er sich eben nicht nur an der gegebenen Nachfrage orientiert, sondern seine Produkte dem Markt aufzwingt und insofern in den Konkurrenzkampf eintritt (vgl. ebd., S. 133, 174). Dieser Unternehmer handelt nicht aus hedonistischen Gründen, seine Motivation ist die Freude an sozialer Machtstellung und die Freude an schöpferischem Gestalten (ebd., S. 138). Schumpeter sieht in dem Unternehmer, als Innovator, die treibende und entscheidende Kraft für die wirtschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft. Auf dieser begrifflichen Erklärung von Schumpeter bauen die Begriffsdefinitionen des Unternehmers bzw. der Unternehmerin in der Wirtschaftswissenschaft weitestgehend auf. Klandt definiert den Unternehmer als tätigen Eigentümer einer unabhängigen und von ihm geschaffenen Wirtschaftseinheit (Klandt 1984, S. 31). Einige Autoren, wie Carland u. a. unterscheiden zusätzlich den Unternehmer und die Unternehmerin von dem bzw. der Kleingewerbetreibenden (vgl. Carland u. a. 1984). Dabei sehen Rauch/Frese die Größe des gegründeten Unternehmens als wesentlich an, da sie meinen, ein/e Gründer/in sollte mindestens einen Angestellten haben, um der Gruppe der Unternehmer zugeordnet werden zu können (Rauch/Frese 2000, S. 106). Aus dem englischen Sprachgebrauch stammt der französische Begriff des Entrepreneurs bzw. der Entrepreneurin, der oder die in der englischen und amerikanischen Literatur als Begriff für den/die klassische/n Unternehmer/in verwendet wird (vgl. Blum/Leibbrand 2001, S. 6f.). Im Deutschen werden die Bezeichnungen Unternehmer/in und Entrepreneur/in jedoch nicht durchgängig synonym verwendet, sondern teilweise Unterscheidungen vorgenommen. So ist ein/e Entrepreneur/in zunächst ein/e innovative/r, kreative/r Unternehmer/in und Erfinder/in, der/die angelehnt an Schumpeter, durch neue Markt- und Produkt- Kombinationen unter Einsatz seines/ihres Kapitals eine neue Organisation erschafft. Das bedeutet, dass der/die Entrepreneur/in immer ein/e Innovator/in ist und bleibt, was der/die Unternehmer/in jedoch nicht sein muss. Der/die Entrepreneur/in stellt also in einem Großteil der deutschen Literatur eine Untermenge aus dem Oberbegriff des Unternehmers bzw. der Unternehmerin dar (vgl. Blum/Leibbrand 2001, S. 8). Jedoch finden sich viele vor allem wirtschaftswissenschaftliche Autoren, die die Begriffe synonym verwenden (Fallgatter 2002, De 2005, Klandt 2006, Bührmann/Hansen 2006, Pott/Pott 2010). In Anlehnung dazu wird der Begriff Unternehmertum häufig als die deutsche Übersetzung des englischen Begriffes Entrepreneurship gesehen (vgl. Pott/Pott 2010, S. 3). Diese Bezeichnung impliziert die Unternehmensgründung
3 Ein kurzer Überblick über die Gründungsforschung 21 und -entwicklung, das unternehmerische Handeln sowie alle Faktoren, die damit zusammenhängen (vgl. Fallgatter 2001, S. 13f). In der Wirtschaftswissenschaft hat sich in den letzten 20 Jahren der Teilbereich der Entrepreneurship-Forschung (vgl. Kapitel 2.2) entwickelt, der seit Einrichtung des ersten Gründungslehrstuhls an einer deutschen Hochschule 5 stetig an Bedeutung gewonnen hat. In der Gründungsforschung werden Unternehmer/innen vornehmlich an Merkmalen, wie Größe des Unternehmens, das stetige wirtschaftliche Wachstum oder die Schaffung von Arbeitsplätzen, untersucht und klassifiziert. Jedoch ist ein einheitlicher Ansatz nicht erkennbar, da Größenzuschreibungen meist einen Großteil der Selbständigen und Kleinunternehmer/innen definitorisch nicht mit berücksichtigen würde (vgl. Cholotta 2010, S. 3). Dieser Teil, der vor allem Einzelunternehmer/innen oder Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen impliziert, spielt jedoch in der Volkswirtschaft eine ähnlich bedeutende Rolle wie die großen Unternehmen und ist daher als Untersuchungsgegenstand allgemein und in dieser Arbeit im Speziellen von Relevanz. Diese Heterogenität in den Begrifflichkeiten spiegelt sich auch in den psychologischen, soziologischen und pädagogischen Forschungsansätzen in der Gründungsforschung (vgl. Kapitel 2.2) wider. Ursache hierfür sind die vielfältigen unterschiedlichen und uneinheitlichen Erscheinungsformen von Unternehmertum, sowie die differenten Auslegungsmöglichkeiten hinsichtlich des Unternehmerbegriffs (vgl. Stilz 2006). So werden je nach Forschungsfrage unterschiedliche Samplings untersucht, wie kleine und mittlere Unternehmen, Selbständige, Unternehmer/innen in Teilzeit und im Nebenerwerb oder die große Gruppe der Unternehmer/innen, die aus der Arbeitslosigkeit gründet. Der Begriff Unternehmer/in findet in dieser Arbeit weitestgehend Anwendung, wobei hier vor allem Gründer/innen von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) gemeint sind. Als Unternehmer/in wird die Person verstanden, die ein Unternehmen gegründet hat und es tagtäglich organisiert. Unter Unternehmertum werden in der Studie alle unternehmerischen Handlungen verstanden, die zur Gründung und Entwicklung von Unternehmen führen. 2.2 Ein kurzer Überblick über die Gründungsforschung Die Gründungsforschung, die sich mit vielfältigen Fragestellungen rund um den Themenkomplex der Unternehmensgründungen auseinandersetzt, ist, wie bereits dargestellt, ein interdisziplinärer Forschungsbereich, mit einer deutlichen Dominanz von empirischen Studien gegenüber theoretischen Abhandlungen (vgl. 5 Erster Lehrstuhl für Unternehmensgründung wurde im März 1998 an der European Business School (heute: EBS Universität für Wirtschaft und Recht) in Oestrich-Winkel errichtet.
4 22 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung Brüderl/ Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 20). Auch wenn der Ausgangspunkt der Gründungsforschung in der Wirtschaftswissenschaft liegt (vgl. Klandt 1984, S. 14), setzen sich gegenwärtig diverse andere wissenschaftliche Disziplinen mit unterschiedlichen Fragestellungen, wie den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen von Neugründungen, den Erfolgs- und Misserfolgsaspekten von Gründungen und der Gründerperson an sich auseinander. Die Soziologie, die Psychologie und die Erziehungswissenschaft untersuchen vorwiegend das unternehmerische Handeln und Verhalten, die Gründerperson mit deren Motivationen sowie die Folgen für das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem (vgl. Brüderl/Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 27). Außerdem gibt es auch Forschungen aus den Bereichen der Kulturanthropologie und der Sozialgeschichte, welche sich mit Teilaspekten der Existenzgründung, wie beispielsweise dem Leitbild (Hessler 2004), auseinandersetzen. Die deutschsprachigen Vertreter/innen der Wirtschaftswissenschaft fokussieren sich auf das deutsche Gründungsgeschehen, insbesondere die Entstehung und Entwicklung von Unternehmen aus ökonomischer Sicht sowie die Erfolgsfaktoren von Gründungen 6. Im englischen Sprachraum werden Forschungen, die meist einen ökonomischen Fokus im Gründungsbereich haben, unter dem Begriff entrepreneurship research 7 gefasst. Seit den 1990er Jahren etabliert sich in Anlehnung an den angloamerikanischen Sprachraum in Deutschland die Entrepreneurship-Forschung als eigenständige Disziplin (vgl. Weiß 2010, S. 7). Die Bezeichnung wird von einigen Diskursbeteiligten synonym zum Begriff der Gründungsforschung verwendet (Fallgatter 2002, S. 1). Jedoch verstehen andere Wissenschaftler/innen unter Entrepreneurship vor allem den Aufbau von neuen, innovativen, wachstums- und gewinnorientierten Unternehmen (vgl. Ripsas 1997, S. 71), welche längst nicht alle Gründungen betreffen. In dieser Arbeit wird der Begriff der Gründungsforschung vorgezogen, da hier alle Untersuchungen von Existenz- und Unternehmensgründungen untergeordnet werden können. Corsten unterscheidet in der Gründungsforschung drei Teilbereiche: die Erforschung gründungsbezogener Rahmenbedingungen, der Gründungsaktivität und des Gründungserfolges (vgl. Corsten 2002, S. 7f.). Müller-Böling/Klandt (1990) unterteilen die Gründungsforschung in zwei Forschungsschwerpunkte, das Umsystem und die Unternehmung. Das Umsystem umfasst den Gründungskontext, die Gründungsinfrastruktur und die Gründerperson, die Unter- 6 7 Die Grundlagen der ökonomischen Forschungstradition sind laut Brüderl/Preisendörfer/ Ziegler 2009 die Ausarbeitungen von Jean-Baptiste Say, Frank H. Knight, Israel Kirzner und Joseph Schumpeter (Brüderl/Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 22f.). Wichtige Vertreter in der angloamerikanischen entrepreneurship research sind Frank Knight, Mark Casson (vgl. Blum/Leibbrand 2001, S. 9f.).
5 Der/die Unternehmer/in in der ökonomischen Forschung 23 nehmung beinhaltet hingegen den Gründungsprozess, die Gründungsstruktur und den Gründungserfolg (vgl. Müller-Böling/Klandt 1990, S. 150) 8. Der deutsche Förderkreis Gründungs-Forschung e.v. 9 vereint die Gründungsforscher/innen unterschiedlicher Fachdisziplinen und hat seit 1989 über 70 Bücher in der Reihe Entrepreneurship Research Monographien publiziert. Als ein zentraler Forschungsfokus werden dort die Gründerperson und deren Entscheidungen angegeben. Der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) gibt jährlich einen deutschen Länderbericht zu den Unternehmensgründungen weltweit heraus. Dieser wird auf der Basis repräsentativer Befragungsergebnisse und qualitativer Expertenaussagen erstellt (GEM-Report 2011). Kurz zu erwähnen ist noch der kaum überschaubare Pool der eher populärwissenschaftlichen Ratgeberliteratur zur Unternehmensgründung. So setzen sich beispielsweise Assig/Echter (2012) mit den Ambitionen des Unternehmensgründers bzw. der Unternehmensgründerin auseinander, Engels (2008) gibt ein Praxisbuch zu den erfolgreichen Eigenschaften des Unternehmers bzw. der Unternehmerin heraus, Kirsch-Voll (2001) und Arnold (1999) zeigen erfolgreiche und zielorientierte Wege zur Existenzgründung auf und Merk (1997) weist Pädagogen und Pädagoginnen die richtige Richtung in die Gründung und/oder Freiberuflichkeit. 2.3 Der/die Unternehmer/in in der ökonomischen Forschung Das Unternehmertum wird in der Wirtschaftswissenschaft hinsichtlich der Funktionen unternehmerischen Handelns im Produktionsprozess betrachtet (vgl. Brüderl/Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 22). Wie eingangs schon erwähnt, gibt es eine Vielzahl von Autor/innen, die sich unter ökonomischen Gesichtspunkten mit der Rolle des Unternehmers und der Unternehmerin auseinandergesetzt haben. Da der/die Unternehmer/in eine entscheidende Funktion im Gründungspro- 8 9 Diese Arbeit kann keinen umfassenden Überblick über den Stand der gesamten Gründungsforschung liefern, da dies den Rahmen des Dissertationsvorhabens sprengen würde. Außerdem findet sich ein großes Spektrum an Ausarbeitungen, die den Stand der Gründungsforschung meist sehr detailliert dargestellt haben (Brüderl/Preisendörfer/ Ziegler 1996; 2009, Tödt 2001, Blum/Leibbrand 2001, Müller-Böling/Klandt 1990, Barreto 1989). Es wird lediglich ein Überblick über den Forschungsstand der anverwandten wissenschaftlichen Disziplinen unter dem Fokus der Unternehmerperson geschaffen, um die vorliegende Studie wissenschaftlich zu verorten. Der deutsche Förderkreis Gründer-Forschung e.v. entwickelte sich 1987 aus dem Schmalenbach-Arbeitskreis Innovative Unternehmensgründung. Sein Ziel ist das Gedankengut hinsichtlich unternehmerischer Selbständigkeit und unternehmerischen Handelns zu fördern. Mittlerweile ist er einer der führenden wissenschaftlichen Vereinigungen zur Gründungsforschung im deutschsprachigen Raum (vgl. Stand ).
6 24 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung zess und auch in der vorliegenden Arbeit inne hat, wird hier kurz in Anlehnung an Brüderl/Preisendörfer/Ziegler auf die Arbeit von Barreto (1989) eingegangen, der aus der klassischen ökonomischen Literatur grundlagentheoretisch fundiert vier Hauptfunktionen des Unternehmers herausarbeitet: die Koordination, die Bewältigung von Ungewissheit, die Arbitrage und die Innovation (vgl. Brüderl/Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 22). 1. Die Koordinationsfunktion 10 impliziert die Aufgabe des Unternehmers bzw. der Unternehmerin, die verschiedenen Produktionsfaktoren zusammenzuführen, sie zu kombinieren und zu koordinieren, dabei den Produktionsprozess zu organisieren, zu leiten und zu überwachen. Er bzw. sie ist für alle Entscheidungen verantwortlich und erhält für diese Aufgaben eine entsprechende Entlohnung. 2. Die zweite Hauptfunktion zielt auf die Bewältigung der Ungewissheit und des unternehmerischen Risikos ab 11. Der Kern unternehmerischen Handelns ist hier die Ungewissheit des Marktes und des Wirtschaftslebens zu bewältigen, da der/die Unternehmer/in im Voraus seine/ihre Produktionsfaktoren bezahlt und entlohnt und nur die Differenz zwischen Kosten und Erlös ihm/ihr schlussendlich zufließt. 3. Die dritte Funktion zielt auf das Ungleichgewicht der Absatzmärkte ab 12. Der/die Unternehmer/in sollte aufgrund dieses Ungleichgewichts Gewinngelegenheiten erkennen und ausnutzen. 4. Auch die letzte Funktion, die Innovation, basiert auf dem Ungleichgewicht des Marktes. Der/die Unternehmer/in führt eine dynamische Neukombination von unterschiedlichen ökonomischen Gegebenheiten (Produktionsfaktoren, -methoden, Absatzmärkte etc.) durch und wird so zum/zur Innovator/in 13. Diese funktionalen Charakterisierungen eines Unternehmers bzw. einer Unternehmerin sind in den volkswirtschaftlichen Abhandlungen nur als Ausgangspunkt der ökonomischen Forschung zu sehen, geben aber kaum Auskunft über konkrete Erfolgsfaktoren, die empirisch überprüfbar wären (vgl. Brüderl/ Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 26). Die betriebswirtschaftliche Forschung hat sich in unterschiedlichen Studien dem/der gegenständlichen Unternehmer/in und seinem/ihrem erfolgreichen Han Diese Funktion bezieht sich auf die Arbeiten von Jean-Baptiste Say. Grundlage ist die Theorie von Knights von 1921, und seine Kritik der heroischen Informationsannahmen der klassischen ökonomischen Theorie (vgl. Brüderl/Preisendörfer/Ziegler 2009, S. 23) Ausgangspunkt sind die Arbeiten von Israel Kirzner. Vgl. die Ausführungen zu Joseph A. Schumpeter im Kapitel 2.1.
7 Das psychologische Forschungsinteresse an der Gründerperson 25 deln, seinen/ihren Motivationen und seinen/ihren Ausprägungen gewidmet (Stadler 2009, Herr 2007, Kuttenkeuler 2007, Möckel 2005, Fallgatter 2004, Etter 2003, McKenzie 2000, Moser/Schuler 1999, Preisendörfer 1996, Klandt 1996, Jungbauer-Gans/Preisendörfer 1991). Baldegger/Julien (2011) beschreiben in ihrer interdisziplinären, theoretischen Abhandlung zum regionalen Unternehmertum die Unternehmer/innen sehr viel umfassender als die klassischen Ökonomen, da sie auch biographische Einflussfaktoren, wie familiäre Erziehung und soziale Herkunft der Unternehmer/innen, einbeziehen und die Bedeutung des unternehmerischen Milieus umfassender darlegen (vgl. Baldegger/Julien 2011, S. 109ff.). Eine interdisziplinäre Arbeit, ausgehend vom wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt, hat Tödt (2001) zum Thema gründungsbegleitende Beratung und Weiterbildung von Existenzgründern und -gründerinnen unter den Bedingungen des ostdeutschen Transformationsprozesses vorgelegt (vgl. Tödt. 2001, S. 1). Seine empirische Untersuchung besteht in einer Methodenkombination von schriftlichen Befragungen und halbstrukturierten, problemzentrierten Tiefeninterviews auf der Grundlage eines Interviewleitfadens. In seiner umfassenden Ergebnisdarstellung zeigt er zunächst den Zusammenhang zwischen Motivation, Umwelteinfluss und Gründungsaktivität (vgl. ebd., S. 242f.) auf und wertet dann die konkreten Handlungsstrategien der Gründer/innen aus, welche die Nutzung von Beratungs- und Weiterbildungsangeboten einschließen (vgl. ebd., S 246ff.). Im Anschluss weist er darauf hin, dass durch die Weiterbildungs- und Beratungsprozesse bei den Gründern und Gründerinnen persönliche Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt wurden, die entscheidende Auswirkungen auf die jeweiligen Gründungsprozesse haben (vgl. ebd., S. 249ff.). Abschließend kommt er kurz auf die erfolgswirksamen Faktoren in der Gründungs- und Nachgründungsphase zu sprechen (vgl. ebd., S. 257). In dieser Arbeit kann man Anschlussmöglichkeiten an den erziehungswissenschaftlichen Diskurs der Gründungsforschung erkennen. 2.4 Das psychologische Forschungsinteresse an der Gründerperson In der Psychologie, im Speziellen in der Wirtschaftspsychologie, hat die Untersuchung der Unternehmerpersönlichkeit in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. So wurden Forschungsarbeiten zur erfolgreichen Gründung und Führung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, wie von Frese 1998 und Moser/Batinic/Zempel 1999 vorgelegt (vgl. BDP 2010, S. 21). Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen, die sich mit der Persönlichkeit (Caliendo/Fossen/Kritikos 2011, Markgraf 2008, Müller 2007, Stilz 2006, Heiss 2006, Utsch 2004, Müller 2000) und wenige, die sich mit dem Sozialisationsprozess der Unternehmer/in
8 26 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung auseinandersetzen (Müller 2007). Dabei werden überwiegend die erfolgreichen Existenzgründer/innen betrachtet. Ein geringerer Forschungsfokus befasst sich mit spezifischen praktischen Fragestellungen des Unternehmertums, wie beispielsweise der Nachfolge im Unternehmen (Sektion Wirtschaftspsychologie im BDP 2002, Siefer 1996). Ein Großteil der psychologischen Untersuchungen widmet sich der Unternehmerpersönlichkeit und deren Merkmalsausprägungen: Es werden Eigenschaften, Motive, Fertigkeiten, Einstellungen und Werthaltungen der Gründer/innen empirisch erforscht. Ein Modell zur umfassenden Beschreibung der Persönlichkeit ist die Five-Factor-Theory von Costa und McCrae (1994, 1996), welche die fünf Faktoren der grundlegenden Persönlichkeit darlegt. Diese Theorie besteht zunächst aus sechs großen Elementen: die grundlegenden Tendenzen einer Person ( Basic Tendencies ), die charakteristischen Gewohnheiten einer Person ( Characteristics Adaptions ), die Biographie ( Objective Biography ), das Selbstkonzept ( Self-Concept ) und die Umwelt ( External Influences ). Die fünf Elemente werden durch ein sechstes verbunden ( Dynamic Processes ), welche die Art und Weise sowie die Richtung angeben, in der die Elemente miteinander interagieren (vgl. McCrae/Costa 1996, S. 66ff.). Die Grundlage der Persönlichkeit, ihre Leistungen und Anforderungen, bilden nach Costa und McCrae die Basic-Tendencies, welche wiederum fünf Merkmale implizieren: Extraversion, Agreeableness (Verträglichkeit), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit), Neuroticism und Emotional Stability (emotionale Stabilität) sowie Openess oder Intellect & Imagination (Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen). Diese fünf Faktoren bilden das Fundament des Modells zur Beschreibung der Persönlichkeit ( Big-Five-Theory ) (vgl. Markgraf 2008, S. 11ff.). In der psychologischen Forschung der Unternehmerpersönlichkeit wird weitestgehend eine Stabilität der so genannten Big Five angenommen. Auf dieser Grundlage werden in zahlreichen Studien weitere Persönlichkeitsmerkmale in Bezug auf eine erfolgreiche Unternehmensgründung untersucht. Analysiert werden Kernmerkmale, wie die Risikoneigung und -bereitschaft, die Leistungsmotivstärke, die internale Kontrollüberzeugung, die Selbstwahrnehmung sowie die Selbstwirksamkeit der Gründerpersönlichkeiten (vgl. Rauch/Frese 1998, S. 12 ff., Markgraf 2008, S. 25ff.). Einige Studien untersuchen zusätzlich die Durchsetzungsbereitschaft, die Ungewissheitstoleranz und das Unabhängigkeitsstreben der Gründer/innen (Müller/Gappisch 2002, S. 28, Müller 2000). Müller erkennt signifikante Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und unternehmerischem Handeln. Er sieht in seiner quantitativen Forschung die Selektionshypothese bestätigt, welche in den Eigenschaftsausprägungen der Person die Ursachen für eine unternehmerische Tätigkeit sieht (vgl. Müller 2000, S. 114). Müller entwickelte bis zum Jahr 2000 den Fragebogen zur Diagnose unternehmerischer Potenziale (F-DUP) (Müller 2001), der zwölf
9 Das psychologische Forschungsinteresse an der Gründerperson 27 selbständigkeitsrelevante Primäreigenschaften testet (vgl. Müller 2001). Er gliedert diese in motivationale, affektive, kognitive und soziale Persönlichkeitsmerkmale (vgl. Abb. 1, vgl. Müller 2007). Zukünftige potenzielle Unternehmer/innen können hinsichtlich ihrer Eigenschaftsmerkmale getestet und Prognosen über ihre Eignung erstellt werden. Tabelle 1: Psychologische Gliederung der Persönlichkeitsmerkmale nach Müller (Müller 2007) Motivationale Persönlichkeitsmerkmale Leistungsmotivstärke Internale Kontrollüberzeugung Unabhängigkeitsstreben Affektive Persönlichkeitsmerkmale Antriebsstärke Belastbarkeit Emotionale Stabilität Kognitive Persönlichkeitsmerkmale Analytische und intuitive Problemlöseorientierung Risikoneigung Ungewissheitstoleranz Soziale Persönlichkeitsmerkmale Durchsetzungsbereitschaft Soziale Anpassungsfähigkeit Eine umfassendere psychologische Betrachtung der unternehmerischen Person findet sich in Müllers Beitrag Berufliche Selbständigkeit (Müller 2007). Hier nimmt er in Anlehnung an andere psychologische Studien auch frühkindliche Prägungen und die Sozialisation der Person in den Blick. Eine seiner zentralen Aussagen welche der Psychoanalyse entstammt ist, dass Personen, welche problematische und ambivalente familiäre Beziehungskonstellationen kennengelernt haben, eine höhere Ungewissheits- oder Ambiguitätstoleranz entwickeln, die der unternehmerischen Tätigkeit entgegenkommt (vgl. Müller 2007, S. 381f., vgl. Goebel 1991). Wenn das Elternhaus die Individualität, die Eigenverantwortung und die unabhängigen Sichtweisen ihrer Kinder fördert oder belohnt, kann laut Müller die Leistungsmotivstärke gefördert werden. Diese Erkenntnisse bauen auf der Forschung von McClelland (1987) auf. Ein ausgeprägtes Leistungsmotiv kann die Wahl in Richtung einer unternehmerischen Tätigkeit sowie den Erfolg dieser positiv beeinflussen (vgl. Müller 2007, S. 382). Die elterliche Erziehung hat weiterhin einen prägenden Einfluss auf die Übernahme von Geschlechterrollen und -stereotypen und somit auch auf das Gründungsverhalten der Personen. Frauen trauen sich laut der psychologischen Studien bei Müller weniger zu, Selbständigkeit und Familie miteinander zu vereinbaren (vgl. ebd., S. 382). Müller gibt weiterhin Auskunft über die selbständigkeitsrelevanten Kernkompetenzen: die Eigeninitiative, Selbstführungskompetenz, Fach- und Sozialkompetenz umfassen.
10 28 Der/die Unternehmer/in in der Gründungsforschung Hinsichtlich der selbständigkeitsrelevanten Eigenschaftsmerkmale versucht er, aufbauend auf den amerikanischen Studien von Miner (2000) eine Typologie der unternehmerischen Persönlichkeit vorzunehmen: 1. Distanzierter Leistungstyp (Leistungsträger), 2. Rationaler Ausdauertyp (Unternehmensmanager), 3. Ideenreicher Akquisitionstyp (Verkäufertyp), 4. Kontrollierter Macht-/Ausdauertyp und 5. Ich-bezogener Aktivitätstyp (vgl. Müller/Gappisch 2002, S. 307). Die zwei letztgenannten Typen, die Müller entworfen hat, wurden jedoch noch nicht umfassend erforscht und verifiziert. Stilz (2006) hat mithilfe einer quantitativen Erhebung die Typusbesonderheiten von Unternehmern in Branchen der sogenannten Old und New Economy analysiert (Müller 2007, S. 384). Sie erkennt typenspezifische Unterschiede zwischen den Branchen. So weisen Unternehmer/innen der New Economy 14 ein höheres unternehmerisches Gesamtpotenzial auf, was sich in höheren Ausprägungen in der Problemlöseorientierung, Ungewissheitstoleranz und in der sozialen Anpassungsfähigkeit zeigt (Stilz 2006, S. 166ff.). Markgraf (2008) kommt in einer quantitativen Studie mittels Fragebogenerhebung zu dem Ergebnis, dass die o. a. Big Five und die allgemeine Selbsteinschätzung der Gründerperson einen entscheidenden Einfluss auf die Gründungsneigung und die Gründungsentscheidung des potenziellen Unternehmers bzw. der potenziellen Unternehmerin nehmen (vgl. Markgraf 2008, S.188f.). Utsch (2004) untersucht in einer umfangreichen Studie die psychologischen Einflussgrößen von Unternehmensgründung und -erfolg, wobei auch hier der Fokus auf den Personenmerkmalen der Gründer/innen liegt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass den Personenmerkmalen je nach Stadium des Unternehmensprozesses eine unterschiedliche Bedeutsamkeit zukommt. Daher sei es wichtig, nicht nach Personenmerkmalen zu suchen, die für den gesamten Unternehmensprozess wichtig sind, sondern punktuell begründete Personenmerkmale zu betrachten (Utsch 2004, S. 158). Utschs Forschung baut dabei auf den Arbeiten von Frese (1998, 1995) auf, der vor allem erfolgreiche Unternehmensgründer/innen untersuchte. Die Wiener Gründerstudien (Frank/Korunka/Lueger 2003) untersuchten in ihren psychologischen Studien zur Gründerpersönlichkeit auch die Schule als Ort der unternehmerischen Erziehung und Bildung und stellten fest, dass die frühe Förderung von wirtschaftlichem Wissen und Interesse einen Effekt auf die Entwicklung einer späteren unternehmerischen Tätigkeit haben können (vgl. Frank/Korunka/Lueger 2003, S. 310f.). 14 Die New Economy umfasst neue Geschäftsfelder der Volkswirtschaft, wie die Informationsund Kommunikationstechnologie sowie Bio- und Gentechnologie (vgl. Gabler Kompakt- Lexikon Wirtschaft 2010, S. 316).
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