FAMILIE UND ARBEITSWELT ZWEI (UN)VEREINBARE WELTEN? Ausgewählte arbeitsrechtliche Aspekte der Querschnittsmaterie Vereinbarkeit von Beruf und Familie Impulsreferat ÖIF Jour Fixe 21.3.2012
Themenüberblick 2 Ausgangsfrage: Familienschutz im Arbeitsrecht als Regelungsziel? Der Familienbegriff im Arbeitsrecht Familienschutzverpflichtung im Arbeitsrecht Umsetzung im Arbeitsvertragsrecht Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsrecht Familienpflichten vs. arbeitsvertragliche Leistungspflicht Fazit
3 Familienschutz im Arbeitsrecht als Regelungsziel? Ausgangslage Wer ist Familie? Arbeitsrecht = Sonderprivatrecht der unselbständig Erwerbstätigen Dienstleistungserbringung in persönlicher Abhängigkeit zum Arbeitgeber Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Fokus Begründung für den Schutz familiärer Interessen durch das Arbeitsrecht?
Der Familienbegriff im Arbeitsrecht 1 4 Rechtsdogmatischer Zugang 40 ABGB: Unter Familie werden die Stammeltern mit allen ihren Nachkommen verstanden. Anerkennung unterschiedlichster Familienformen Anhaltspunkte im Zivil-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht Arbeitsrecht: Anknüpfung an die Stellung des Arbeitnehmers als (Familien)Angehöriger
Der Familienbegriff im Arbeitsrecht 2 5 Angehörigenbegriff ( 16 UrlG) Als nahe Angehörige gelten der Ehegatte, der eingetragene Partner und Personen, die mit dem AN in gerader Linie verwandt sind, ferner Wahlund Pflegekinder sowie die Person, mit der der AN in Lebensgemeinschaft lebt. Weitere Bestimmungen MSchG und VKG persönliche Dienstverhinderungsgründe Austritt/Entlassung aus wichtigem Grund Räumung Dienstwohnung Todfallsabfertigung Sterbebegleitung Diskriminierung durch Assoziierung
Der Familienbegriff im Arbeitsrecht 3 6 Familienbegriff im Arbeitsrecht Aspekt Partnerschaft: Ehe, eingetragene Partnerschaft, Lebensgemeinschaft (Beistandspflichten, Gleichbehandlungsrecht) Aspekt Kind: Nasciturus 12. Lebensjahr Alter plus 12 Kriterien Dynamischer offener Typusbegriff Primär durch Ehe und Verwandtschaftsbeziehung determiniert Angehörigeneigenschaft, Haushaltszugehörigkeit, Alter des Kindes
Ein Systematisierungsversuch 7 Familienspezifische Regelungskomplexe MSchG, VKG Familienspezifische Einzelregelungen 12c AZG, 16 UrlG, 23 AngG, 92b ArbVG Allgemeine Regelungen mit gesteigerter familiärer Relevanz 4 UrlG, 6 AZG, 3 GlBG, 8 Abs 3 AngG, 1154b ABGB, 105 ArbVG
Familienschutzverpflichtung im AR? 8 Verfassungsrechtliche Grundlagen Grundrechtsperspektive (Art 8 und 12 EMRK, Art 7 B-VG) Kompetenz- und Staatszielbestimmungen (Bund, Länder) Unionsrechtliche Vorschriften Art 157 AEUV, Art 33 GRC, MutterschutzRL, ElternurlaubsRL EuGH-Rechtsprechung Völkerrechtliche Rahmenbedingungen ILO Übereinkommen Nr. 156 über Arbeitnehmer mit Familienpflichten Revidierte Europäische Sozialcharta
Familienschutzverpflichtung im AR? 9 Ausmaß der Familienschutzpflicht im Arbeitsrecht Keine originäre Pflicht des Staates mit Hilfe des österreichischen Arbeitsrechts Familien aktiv zu fördern Rücksichtnahme auf Familienpflichten und sonstige familiäre Interessen bei der Erstellung und Gestaltung von arbeitsrechtlichen Rechtsvorschriften Familienschutz im einfachgesetzlichen Arbeitsvertragsrecht Konkrete einfachgesetzliche Normen Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Umsetzung im Arbeitsvertragsrecht 10 Arbeitsrechtlicher Familienschutz und Nichtigkeit von ausgewählten Vertragsklauseln Zölibatklauseln sonstige vertragliche Verpflichtungen Weisungsrecht des Arbeitgebers vs. familiäre Interessen des Arbeitnehmers Pflichtenkollisionen Familienpflichten vs. arbeitsvertragliche Leistungspflicht
Einseitige Leistungsbestimmung im AR 11 Allgemeine Grenzen des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts Arbeitsvertrag, KollV, BV, Gesetz Direktionsrecht des Arbeitgebers vs. familiäre Interessen des Arbeitnehmers normative Schranken Arbeitszeitrecht ( 6 Abs 2 AZG, 12c, 19c, 19d Abs 8 AZG) Urlaubsrecht ( 4 Abs 1 u. 2, 16 UrlG, 97 Abs 1 Z 10 ArbVG) Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit ( 105 ArbVG) Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ( 1157 ABGB, 18 AngG) Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers ( 16 ABGB) Reformbedarf in Österreich?
12 Familienpflichten vs. arbeitsvertragliche Leistungspflicht 1 Pflichtenkollision Gesetzliche Ausgangslage Entgeltfortzahlungsanspruch bei sonstigen Dienstverhinderungsgründen ( 8 Abs 3 AngG, 1154b Abs 5 ABGB) Pflegefreistellung ( 16 UrlG) Begründete Leistungsverweigerung im Beendigungskontext Fürsorgepflicht Wann liegt eine unzumutbare Pflichtenkollision vor? Abhängig von Reichweite und Umfang der kollidierenden Pflichten Arbeitspflicht Familienpflicht (Personenfürsorge, Beistand, sonstige familiäre Interessen)
13 Familienpflichten vs. arbeitsvertragliche Leistungspflicht 2 Pflichtenkollision Vermeidungsverpflichtung von Pflichtenkollisionen Rechtsgrundlagen Allgemeine Risikoverteilung im Arbeitsvertrag Treuepflicht des Arbeitnehmers Vertragliche Risikoverteilung Ausmaß einer Vermeidungs- und Abwendungsverpflichtung Höchstpersönliche Betreuungsnotwendigkeit? Fremdfinanzierte Betreuung?
14 Familienpflichten vs. arbeitsvertragliche Leistungspflicht 3 Ein Rechtsanspruch auf Arbeitsfreistellung aus familiären Gründen besteht, wenn durch die arbeitsvertraglich geschuldete Leistungserbringung ein unvermeidbarer Konflikt zwischen den geschützten Familienpflichten des Arbeitnehmers und den Interessen des Arbeitgebers eintritt, die betroffenen Rechtsgüter des Arbeitnehmers nach objektiven Maßstäben der Rechtsordnung höher zu gewichten sind als die durch die Nichterfüllung der Vertragspflichten beeinträchtigten Rechtspositionen des Arbeitgebers oder sonstiger Arbeitnehmer im Betrieb und kein schonenderer Interessenausgleich zwischen den Arbeitsvertragsparteien durch Zuweisung anderer Tätigkeiten möglich ist.
Fazit 1 15 Für das Arbeitsrecht ist der Familienschutz nicht primäres Regelungsziel, es finden sich heute jedoch zahlreiche Rechtsansprüche und Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer mit Familienpflichten im Gesetz: Familienspezifische Rechtsansprüche resultieren vor allem aus dem Mutterschutzgesetz und dem Väterkarenzgesetz. Vereinzelt existieren familienspezifische Einzelregelungen auch in anderen Nebengesetzen (Stichwort: Pflegefreistellung). Über die zivilrechtlichen Generalklauseln sowie aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist ein auch die familiären Interessen einschließender Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers garantiert.
Fazit 2 16 Ein genereller Vorrang des Familienschutzes vor der Erfüllung von arbeitsvertraglichen Pflichten besteht nicht. Das MSchG und das VKG decken lediglich einen Teilbereich des Familienschutzes im Arbeitsrecht ab. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt nicht nur den arbeitsvertraglichen Regelungen, sondern muss auch unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht und des Persönlichkeitsschutzes des Arbeitnehmers zulässig sein. Persönliche Arbeitnehmerumstände, insbesondere Familienpflichten, fließen dadurch als Wertungsfaktor bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Weisung mit ein. Notwendigkeit und Ausmaß von Interessenabwägungen
17 Vielen Dank für Ihr Interesse! Für Rückfragen stehe ich gerne unter j.enzelsberger@gmx.at zur Verfügung.