PROTOKOLL ZUM SEMINAR LEBENSPROBLEMZENTRIERTER UNTERRICHT Sitzung am: 23.01.2019 Protokollantin: Cornelia Höhler Dozentin: Prof. Dr. Jutta Lütjen Nachdem Frau Dr. Lütjen das Plenum begrüßt hat, merkt sie an, dass die vorige Sprechstunde überfüllt gewesen sei, weswegen sie die Studierenden bittet, sich jetzt zu melden, falls die Absicht bestehe, ihre morgige Sprechstunde zu besuchen, damit sie zeitig da sei, falls sehr viele Studierende kommen wollten. Nach dem verlesenen Protokoll zeigt Frau Lütjen dem Plenum den Verlaufsplan für das Seminar, um gemeinsam zu eruieren, welche Themen noch anstünden und welche von wem gehalten werden würden. Dann wird das Referat über die Allgemeine Pädagogik Georg Feusers ab Folie 15 - und damit der Bildung von entwicklungslogischer Didaktik - fortgesetzt. Hier führt die Studentin zunächst aus, dass die entwicklungspädagogische Didaktik aus vier Grundpfeilern besteht: Der kooperativen Tätigkeit, welche sich um einen gemeinsamen Gegenstand drehe, nach innen differenziert und zugleich individualisiert sei. Dabei fände das Lernen an einem gemeinsamen Gegenstand statt, welcher sich in der nächsten Entwicklungszone befände. Frau Dr. Lütjen merkt hierbei an, dass diese sehr theoretische Aussage vielleicht nicht von allen verstanden worden sei. Die Studentin erklärt, dass SuS einen jeweils individuellen Entwicklungsstand besitzen. Innere Differenzierung am gemeinsamen Gegenstand heißt, der individuelle Prozess im Rahmen des gemeinsamen Gegenstandes um von der aktuellen zur nächsten Stufe der Entwicklung zu gelangen. An das Plenum richtet Frau Dr. Lütjen die Information, dass sie Wert darauf lege, während der Prüfung benannte Inhalte oder Begriffe auch begründen zu können. Sie erklärt ihre Frage, indem sie zwei Felder an die Tafel zeichnet, welche die Objekt und Subjektseite darstellen sollen. Zunächst solle man in Erfahrung bringen, in welcher Zone sich das Kind befände und was in dieser los sei um im Anschluss festzustellen, welche Hilfe es benötige, um die nächste Zone zu erreichen. So könne das Kind in der Zone, in welcher es sich aktuell befände, nichts lernen, da es so unterfordert sei. Viel mehr wäre es die Aufgabe, vorauszudenken, welche weiteren Entwicklungsmöglichkeiten für das jeweilige Kind bestehen würden und welcher Weg dorthin führe. Eine Studentin fragt, wie Feuser es mit den Schulfächern gesehen habe. Diese sollten fächerübergreifend strukturiert sein, erklärt Frau Dr. Lütjen. Der Unterricht habe dabei jahrgangsübergreifend und handlungsorientiert zu erfolgen, was zu besseren
Lernergebnissen führe, wodurch die Schüler und Schülerinnen eine bessere Grundlage erhielten. Sie berichtet von der Paulo-Freire-Schule in Parchim, eine alternative Grundschule mit Orientierungsstufe, bei der Kinder auf diese Art unterrichtet würden. Außerdem würden sie lernen zu lernen und wie man sich selbst Wissen aneignet. Die Kinder sprechen während der Aufgabenbearbeitung mit den anderen Kindern oder fragen den Lehrer, wenn sie etwas nicht verstanden haben oder Hilfe benötigen. Das Ergebnis sei, einen eigenen Lernantrieb zu entwickeln und das Gelernte auch umsetzen zu können. 70% der SuS gingen auf ein Gymnasium weiter und bewegten sich dann mit ihrer Leistung im oberen Drittel. Frau Dr. Lütjen weist darauf hin, dass die Paulo Freire Schule auch Referendare ausbildet. Die Dozentin zeigt dann eine Abbildung, welche die dreidimensionale didaktische Struktur einer allgemeinen Pädagogik beinhaltet. In dieser stehen sich Subjekt- und Objektseite gegenüber, wobei das Individuum die Subjekt- der Inhalt die Objektseite darstellen. Seien Subjekt und Objekt kompartibel, würde die Handlung vollzogen werden, was sich in der Handlungsstrukturanalyse zeige. In die Tätigkeitsstrukturanalyse, welche sich auf der Subjektseite befinde, fließe hingegen die Erfahrung und das Umfeld ein. Dabei gebe es sechs Zonen der Entwicklung. Im besten Fall erreiche man die sechste Zone. Auf der Objektseite wäre hingegen die Sachstrukturanalyse. Hierbei handle es sich um das Angebot an die Schüler und Schülerin, welches sie nutzen können. Um eine neue Handlungskompetenz entwickeln zu können, solle den Schülern und Schülerinnen Hilfestellung gegeben werden. Dabei müsse darauf geachtet werden, diese weder zu über- noch zu unterfordern: Das Material müsse auf jeden einzelnen zugeschnitten werden. Hierzu erzählt Frau Dr. Lütjen ein Beispiel, welches sie bei Erstklässlern habe beobachtet können: Zwar sei bei ihnen die Schriftsprache noch nicht ausgebildet gewesen, jedoch könnten sie mit der Unterstützung von Bildern schon eine Geschichte erzählen. Im weiteren Verlauf hätten sie die Silbentrennung mit der körperlichen Unterstützung, dem Aufzeigen der Silben durch Gesten, kennen gelernt. Hierbei bringt die Referentin auch ein Beispiel ein: So gebe es die Möglichkeit, mit drei unterschiedlichen Arbeitsblättern, welche jeweils mit eins bis drei Sternen kenntlich gemacht würden, zu differenzieren. Eine Selbstkontrolle könne zudem an Stationen ermöglicht werden. Daraus ergebe sich jedoch die Gefahr, aus Unlust das leichtere Blatt zu nehmen, entgegnet eine andere Studentin. Dies könne zur Unterforderung führen. Frau Dr. Lütjen erzählt von einem Kind, bei dem es hieße Wenn du es willst, kannst du noch das bearbeiten. Jedoch brauchte es einen anderen Anreiz. Das Kind hatte keine Lust, obwohl es das Blatt bearbeiten hätte können. Auch lernstrukturelle und therapeutische Mittel könnten zum Einsatz kommen. So berichtet sie von einem Jungen aus der ersten Klasse, welcher immer schnell die Aufgaben bearbeiten wolle, ohne dass er jedoch den Weg kenne und zudem hibbelig sei. Hieraufhin sei ihm ein Platz außerhalb des Wuselraums neben einen ruhigen Viertklässler zugewiesen worden, was ihm dabei half, ruhig und strukturiert zu arbeiten. Das Ziel als Lehrender sei es zu überlegen, wie das Kind unterstützt
werden solle. Als nächsten Punkt nennt die Referentin die kooperative Tätigkeit: Die Entwicklung sei ein wechselseitiger Austausch zwischen zwei oder mehr Subjekten. Dadurch, dass man in der Gruppe sei, würde man sich gegenseitig bereichern. Die Kooperation sei dabei ein Schlüsselelement, von welchem sowohl die Schüler und Schülerinnen als auch die Lehrenden gewinnen würden. Wichtig sei dabei, dass kein Wettbewerb entstünde, sondern der kooperative Gedanke im Vordergrund stünde. Dies würde auch das Verlangen nach Anerkennung, welches jedes Subjekt natürlicherweise in sich trage, befriedigen. Der gemeinsame Gegenstand der Kooperation müsse dabei vom Lehrenden bewusst ausgewählt werden, so dass sich jeder mit seinen individuellen Fähigkeiten einbringen könne. Auch sei es wichtig, dass der gemeinsame Gegenstand demokratisch ausgewählt werde. Als Beispiel zeigt sie das Projekt Ernährung, bei dem weder die Zutaten noch das Kochergebnis der gemeinsame Gegenstand sei, sondern der Prozess, welcher vom ersten zum zweiten Zustand führe. So sei der gemeinsame Gegenstand nichts Fassbares, sondern der Prozess der kooperativen Tätigkeit. Die Heterogenität solle sich dabei zu Nutze gemacht werden. Diesem entgegen stünden die Schulempfehlungen, welche nach Noten in den Hauptfächern selektieren würden. Auf der Paulo Freire-Schule, so Frau Dr. Lütjen, würden die meisten Schüler und Schülerinnen das Gymnasium schaffen, auch wenn ihnen andere Schulen keine Empfehlung für dieses ausgesprochen hätten. Sie hätten gelernt zu lernen, selbst ein Interesse am Lernen entwickelt und seien vom Lernen begeistert. Auch Kinder mit Lernstörungen hätten Erfolg: Durch Zutrauen und dem nötigen Knowhow könnten sie sich besser entfalten. Diagnostizierung hingegen würde das Zutrauen nehmen und das Blickfeld einschränken. Eine Studentin wirft ein, dass sie das Buch Stark für die Schule von Hurrelmann gelesen habe. So solle man, wenn einem Kind zum Beispiel ein Becher umfalle, nicht schimpfen und es selbst aufwischen, sondern das Kind fragen, was jetzt zu machen sei. Hierdurch könne es dies selbst herausfinden. Dies führe dazu, dass das Kind auch mit Fehlern leben könne und sich nicht, wie durch das Schimpfen hervorgerufen, dumm fühle. Eine andere Studentin fügt hinzu, dass sie einen Artikel über antiautoritäre Erziehung gelesen habe welcher die Frage aufwerfe, warum man ein Kind anders als einen anderen Mitmenschen behandeln solle. Es käme nicht darauf an, Normen und Werte einzuhalten, sondern kooperativ miteinander umzugehen. Frau Dr. Lütjen fügt hinzu, dass Nachfragen und Diskutieren gehöre dazu. Für die Selbstwirksamkeitserfahrung sei es wesentlich, mit dem Kind zu sprechen. So wäre ein Umgang auf Augenhöhe wichtig, bei dem die Grenzen des Kindes, jedoch auch die der Eltern beachtet werden müssten. Die Referentin geht weiter darauf ein, dass Feuser äußere Differenzierung, wie zum Beispiel einen Wochenplan oder Curricula, ablehne. Besser sei es hingegen, die Biographie des Kindes zu berücksichtigen und individualisierte Materialien zur Verfügung zu stellen. Der Lehrer müsse dabei individuelle Lernziele herstellen. Dies mache mehr Arbeit als Frontalunterricht, wirft Frau Dr. Lütjen ein. In einem Fallbeispiel fasst die Referentin nochmal das vorherig Genannte zusammen: Die Lehrenden müssen das Material zuschneiden, ohne den Inhalt zu beschränken. Die Schüler und Schülerinnen
sind zu motivieren und müssen mitgenommen werden, ohne jemanden zu übersehen und ohne Konkurrenz bzw. Wetteifer zu generieren. Unterrichtsinhalte seien dabei nicht zu differenzieren, sondern die Zugänge und die Lernziele. Die Lehrenden fungieren als Hilfe, die Impulse setzen und niemanden zurücklassen. Auch wenn dies nicht immer klappe, solle man sich nicht demotivieren lassen. Dann beginnt das nächste Thema, die Pädagogik nach Paulo Freire, welches mit zwei unterschiedlichen Schwerpunkten von zwei Referentinnen vorgetragen wird. Zunächst wird auf das Menschenbild Freires eingegangen. Die Referentin stellt Paulo Freire zunächst kurz vor. Dabei sticht besonders hervor, dass auf ihn die Thematik des Hungers einen großen Einfluss genommen hätte. So hätte er zunächst ein Jurastudium angestrebt, um die Armen zu unterstützen. Da ihm dieses Ziel hierdurch jedoch nicht als umsetzbar, sondern sogar eher konträr gelagert erschien, schlug er später den Weg des Portugiesischlehrers ein. Der Präsident habe seine Arbeit mit einer Alphabetisierungskampagne unterstützt, jedoch habe ein Putsch die Weiterarbeit verhindert und sogar Haft zur Folge gehabt. Rückblickend könne man jedoch sagen, dass er ein einflussreicher brasilianischer Pädagoge und weltweit rezitierter Autor war. Die Referentin liest ein Zitat vor, in welchem es darum geht, dass der Mensch sich durch sein Bewusstsein von der Welt der Dinge abgrenze und als handelndes Wesen über die Welt verändere, wodurch diese zu seiner persönlichen werde. Hier zeige sich das durchgehend positive Menschenbild Freires, welches, so die Referentin, in Abgrenzung zum Tier konstruiert sei. Dabei sei die dialektische Einheit zu beachten, welche aussagt, dass der Mensch die umgebende Wirklichkeit nicht beliebig erschaffen könne, zugleich jedoch die Existenz der Wirklichkeit nicht als unantastbare Objektivität von Subjekten gesetzt sei, da die Wirklichkeit eine bloße Abbildung des Bewusstseins wäre, welche aber nicht gestaltet werden könne. Frau Dr. Lütjen fügt ein, dass dies dem Bildungswegmodell entspreche. Der Einfluss des Menschen auf die Wirklichkeit würde durch die Gestaltung der Kultur erfolgen, führt die Referentin fort. Die Kultur gelte dabei als Gegensatz zur Natur, welcher durch die existenzialistisch-christliche Philosophie geprägt sei, welche sich wiederum auf die Ethik beziehe und ontologisch vorgehe. Die nächsten Zitate würden aufzeigen, dass Freire den Menschen in einen übergeordneten historisch-gesellschaftlichen Kontext eingelassen sah, welcher als werdendes Wesen an Herausforderungen wachse und nicht nur in, sondern mit der Welt sei, in welcher er Grenzsituationen erlebe, die ihn herausfordern würden und ihn somit zur Entwicklung, sowohl positiv als auch negativ brächten. Dieser Vorgang geschehe jedoch nicht von selbst, sondern bedürfe eines eigenen Handelns und einer eigenen Reflektion. Frau Dr. Lütjen merkt an, dass die Menschen sich dafür außerhalb ihrer selbst befinden müssten, um sich selbst beobachten zu können. Zugleich müssten sie jedoch zentrisch sein, um den Augenblick wahrnehmen zu können. Die Referentin merkt an, dass die Menschen darüber zusammen gebracht würden, wenn sie in einen Dialog treten würden, um sich gegenseitig zu erklären und
um Gemeinsamkeiten zu finden. Die zweite Referentin schließt hier mit ihrem Thema zu Grundzüge der Pädagogik der Unterdrückten - der problemorientierte Dialog an und führt zunächst aus, dass es drei Stufen der Bewusstseinsbildung gebe. Befinde sich der Mensch in der ersten Stufe des naiv-transitiven Bewusstseins, sehe er seine eigene Situation durch seinen begrenzten Erfahrungswert als unveränderlich und gottgewollt an. Auch Erwachsene befänden sich oft auf dieser Stufe. Durch den problemorientierten Dialog könne jedoch die zweite Stufe, die des semi-transitiven Bewusstseins erreicht werden. In einem problemorientierten Dialog würde sich der Mensch seiner Probleme bewusst werden, merkt Frau Dr. Lütjen an. Auf der ersten Stufe hätte man beispielsweise ein Problem an der Universität, welches man als unveränderlich ansehe. Führe man hierüber mit seinen Mitstudierenden einen Dialog, würden vielleicht Widersprüche zwischen den Wünschen der Studierenden und der Wirklichkeit bewusst, somit sei die zweite Bewudsstseinsstufe erreicht: Zum einen löse dies Unzufriedenheit aus, jedoch auch zu dem Wunsch, etwas zu verändern wofür jedoch die Komfortzone verlassen und die eigene Opferrolle zurückgelassen werden müsse. Auf der dritten Stufe, der des kritisch-transitiven Bewusstseins, ist der Mensch durch den Dialog in der Lage, Lösungen für seine Probleme, welche er zuvor noch als unveränderlich ansah, zu finden. Dies führe von der erlernten Hilflosigkeit zur Handlungsfähigkeit. An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass in der nächsten Woche an dieser Stelle angesetzt wird.