Angehörige im akutpsychiatrischen Setting Ihre Erfahrungen und Erwartungen unter besonderer Berücksichtigung der Psychiatrischen Pflege - Ergebnisse einer Befragung Angehöriger psychisch erkrankter Menschen
Inhalt Befragungsdesign Definition Angehöriger Problemdarstellung Darstellung der Ergebnisse Ausgewählte Darstellung Belastungserleben Schuld Einbezug i.d. Behandlung Diskussion der Ergebnisse Fragestellung für die Praxis
Endlich fragt uns mal jemand. Meistens geht s ja nur darum was man mitbringen kann oder so. Oder man hat die Besuchszeit um ne halbe Stunde zu früh angefangen. Dann stört man nämlich. Dann redet man wenigstens mit uns. Ich würde gerne so viel mehr wissen wie es meinem Sohn geht. Aber irgendwie traut man sich dann auch nicht. Dabei ist es doch mein Sohn. Aber wenn der in der Klinik ist dann ist er irgendwie ganz da und ich bin plötzlich nur Besucher. Aber ich bin die Mutter. (Zitat einer Angehörigen im Freitextfeld der hier vorliegenden Befragung; originalgetreue Wiedergabe)
Befragungsdesign Konstruktion eines 61 Items umfassenden Fragebogens Konstruktion als vollstrukturiert-quantitativer Fragebogen mit ergänzenden halbstrukturiertqualitativen Items Auf Grundlage der Literaturrecherche Angehörigenbefragung aus 1993 von Katschnig und Mitarbeitenden EUFAMI Befragung aus dem Jahr 2015
Befragungsdesign Fragebogenkonstruktion begleitet durch Herrn Christian Zechert, BApK Übertragung in die Onlinversion Unipark Pre-Test online und als Paper-Pencil Verbreitung des Fragebogens online und 5 Kliniken (Paper-Pencil) Befragungszeitraum 15. April bis 15. Mai 2017 Auswertung der Daten mittels SPSS 24 und deskriptiv-hermeneutisch
Was ist überhaupt ein Angehöriger? Ein Angehöriger ist gekennzeichnet über die Zugehörigkeit zu jemand Anderem Diese Beschreibung würde die Person selbst über sich so eher nicht abgeben Eher politisch und sozialwissenschaftlich Caregiver(s): a person who provides direct care (as for children, elderly people, or the chronically ill) (Online: www.merriam-webster.com)
Caregiver Mit diesem Begriff wird jede Person einbezogen, die sich einem psychisch kranken Menschen oder behinderten Menschen nahe und angehörig fühlt und sich von seinem Schicksal berühren lässt. (Landesverband Bayern ApK, 2012, S. 4)
Die Situation der Angehörigen Emotionale Belastung Schuld Angst Enttäuschung Scham Verzweiflung und Zukunftssorgen Trauer Stigma
Angehörige Sind immer auch Mitbetroffene Finzen spricht von der zweiten Krankheit und Familienkatastrophe Erfahren und Erleben häufig vorurteilsbeladene Atmosphäre Double-Bind-Theorie (Bateson) Schizophrenogene Mutter (Fromm-Reichmann) Werden noch zu häufig als Störfaktoren und Gefahr gesehen
Fragestellung der Befragung Welche Erfahrungen und Erwartungen haben Angehörige psychisch kranker Menschen mit und an die psychiatrisch Tätigen?
Ergebnisse / Ausgewählte Darstellung N = 342 73,7 % weiblich Durchschnittsalter 53,8 Jahre Lediglich 12,5 % der Befragten waren jünger als 40 Jahre
Angehörige und Belastungserleben Vor dem Aufenthalt bezifferten 73,5 % (n=217) ihre Belastung mit Werten zwischen 6-10, 42,6 % hiervon mit einer 10 Dreiviertel (74,2 %) derer, die ihre Belastung mit sehr stark bewerteten, gaben darüber hinaus an, dass diese Belastung länger als 12 Wochen andauerte Weitere 22,2 % wiesen ihrer Belastung auf der Skala eine 9 zu, bei 75 % hiervon dauerte diese ebenso länger als 12 Wochen an
Angehörige und Schuld Ein Fünftel (20 %) der Angehörigen (n=270) hat im Verlauf der Erkrankung ihres psychisch erkrankten Angehörigen schon einmal Schuldzuweisungen durch Andere erlebt Etwas mehr als ein Drittel (33,5 %) hat sich schon einmal die Schuld an der Erkrankung des Angehörigen gegeben
Angehörige und Schuld Haben Sie Ihre Schuldgefühle mit den psychiatrisch Tätigen besprechen können? (n=90) 30% 70% Ja Nein
Angehörige und Gewalt 25,2 % (n=262) der Befragten haben schon einmal Gewalt durch ihren psychisch erkrankten Angehörigen erfahren
Angehörige und Gewalt Konnten Sie Ihre Gewalterfahrung mit den psychiatrisch Tätigen im Rahmen der Behandlung thematisieren? (n=262) 3% 27% 70% keine Angabe Ja Nein
Angehörige und Einbezug in die Behandlung Wunsch nach Einbezug in die Behandlung? (n=186) 12% 1% keine Angabe Ja Nein 87%
Angehörige und soziale Absicherung Von den Teilnehmenden gaben 64 % (n=258) an, berufstätig zu sein Aus der Gruppe der nicht berufstätigen Angehörigen (n=76) gaben 14 % an, dass sie ihre Berufstätigkeit aufgrund der Erkrankung beenden mussten
Angehörige und soziale Absicherung
Angehörige und soziale Absicherung Berufstätigkeit und finanzielle Notlage durch die Erkrankung (n= 165) 1% 24% 75% keine Angabe Ja Nein
Angehörige und soziale Beziehungen 32,4 % (n=259) erlebten eine Distanzierung ihrer Freunde und Bekannten aufgrund der Erkrankung ihres psychisch kranken Angehörigen 31,7 % (n=259) gaben an, sich selbst wegen der Erkrankung ihres Angehörigen von ihren Freunden und Bekannten distanziert zu haben
Kontakte zu den Berufsgruppen Berufsgruppe Häufigkeit Anteil Keine Angabe 29 10,4 % Pflegende 113 40,6 % Ärzte 51 18,3 % Sozialarbeiter 25 9,0 % Psychologen 26 9,4 % Genesungsbegleiter 3 1,1 % Sonstige 31 11,2 % Gesamt 278 100 %
Diskussion Hohe Frauenquote lässt Annahme zu, dass Frauen bereitwilliger an der Befragung teilgenommen haben und nach wie vor im besonderen Maße die sorgende Rolle übernehmen Durch einen stärkeren Einbezug der Angehörigen in die (Akut-)Behandlung im häuslichen Umfeld (Vor- und Nachsorge) kann u.a. das Belastungserleben der Angehörigen gesenkt werden Schuldgefühle sollten erfragt und bearbeitet werden, da dies von den Angehörigen als hilfreich und entlastend erlebt wird
Diskussion Psychiatrisch Tätige sollten die Angehörigen nach möglichen Gewalterfahrungen fragen. Durch die Thematisierung können u.a. Schamgefühle gemindert und Entlastung gegeben werden Eine Beteiligung der Angehörigen an der Planung und Ausgestaltung der Behandlung führt zu einer verbesserten Akzeptanz der Behandlungsmaßnahmen der Angehörigen
Diskussion Angehörige beantragen aus Schamgefühlen, Angst vor Stigmatisierung und/oder Unwissenheit die ihnen zustehenden (finanziellen) Unterstützungsangebote zu wenig. Psychiatrisch Tätige sollten hier (passgenauere) Unterstützung bieten Angehörige psychisch kranker Menschen sind von Einsamkeit bedroht. Dieser Umstand sollte in der Behandlung mehr Berücksichtigung finden, z.b. in Form zielgerichteter Antistigmaund Aufklärungsarbeit
Konsequenzen für die Praxis Angehörige sollten als Ressource des gesamten Behandlungsgeschehens betrachtet werden Es braucht keine großen Konzepte sondern vielmehr eine humanistische Grundhaltung, die die sozialen Gefüge und Gemengelagen mit berücksichtigt (im Gegensatz zu einer rein biomedizinischen Betrachtungsweise) Psychiatrisch Pflegende sind 24 Stunden und 7 Tage die Woche auf den Stationen, sie haben somit zahlreiche Kontaktmöglichkeiten. Sie sollten diese nutzen und ausgestalten
Literatur und Kontakt Verwendete Literatur sowie die Darstellung der gesamten Ergebnisse dieser hier dargestellten Befragung, senden wir Ihnen auf Wunsch gerne zu. Kontakt: daniel.heinrichs@lvr.de stefan.rogge@lvr.de Daniel Heinrichs M.A.phil., Stationsleitung in der Allgemeinpsychiatrie II LVR Klinik Bonn Stefan Rogge, RN, B.A. Psych. Pflege, Pflegedienstleitung Allgemeinpsychiatrie I LVR Klinik Bonn
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