Vollversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialpädiatrischer Zentren (BAG-SPZ) am 12./13. März 2015 in Mainz Vortrag von (Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland- Pfalz) ASYLSUCHENDE UND MEDIZINISCHE VERSORGUNG Vollversammlung BAG-SPZ Asylsuchende und medizinische Versorgung GLIEDERUNG 1.Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland - Daten und Fakten 2.Medizinische Versorgung für nicht-dokumentierte Migrant_innen 3.Medizinische Versorgung nach dem AsylblG Ansprüche laut Asylbewerberleistungsgesetz Betroffene 4.Anspruch auf Leistungen analog zur gkv Begünstigte und Fristen 5.Sonderfall Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 6.Ausblick: Auswirkungen der EU-Aufnahmerichtlinie auf minderjährige Asylsuchende
1. Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland - Asylanträge 2014 Syrien: Bürgerkrieg seit 2011 mindestens 200.000 Tote, ca. 3,5 bis 4 Mio. Flüchtlinge außer Landes, ca. 7 Mio. Binnenvertriebene. Serbien: Roma-Diskriminierung (Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Vertreibung, keine Registrierung der Staatsbürgerschaft, keine Gesundheitsversorgung, die Ausgrenzung von Kindern aus dem Schulsystem). Eritrea: Militärregierung Zwangsrekrutierungen, willkürliche Hinrichtungen, Folter, Militär schießt auf Flüchtlinge monatlich etwa 4.000 Personen, die fliehen. Afghanistan: Im ganzen Land ist mit Anschlägen zu rechnen. 2013 mindestens 8.600 zivile Opfer und rund 3.000 Todesfälle. Die Versorgung insb. der Kinder mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern liegt am Boden. 1. Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland Weg durchs Asylverfahren Einreise Asylantragstellung Zuweisung in eine Erstaufnahmeeinrichtung nach Königsteiner Schlüssel (Kosten liegen beim Land) Nach spätestens 3 Monaten Umverteilung nach Landesschlüssel auf die Kommunen im Land (Kosten gehen auf die Kommunen über, Land erstattet [faktisch nur teilweise!]) Einreise Antragstellung (Aufenthaltsgestattung) Entscheidung: Nichtzuständigkeit lt. Dublin (ca. 15 bis 20 Prozent) Zurückweisung; Ablehnung des Antrags Ausreisepflicht und ggf. Duldung bis zur Ausreise oder bis zur Aufenthaltsverfestigung; Anerkennung eines Schutzbedürfnisses Aufenthaltsgenehmigung ggf. Rechtsmittel oder Folgenantragstellung
1. Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland Stand 31. Dezember 2014 Nicht-Dokumentierte Migrant_innen 100.000 400.000 Personen (Schätzungen) Asylsuchende im Verfahren (Aufenthaltsgestattung) Geduldete Flüchtlinge (wg. Abschiebehindernissen) International (subsidiär) geschützte Personen ( 25, Abs. 2 oder Abs. 3 AufenthaltsG) u.a. Syrien Humanitäre Aufnahme (Kontingent und Bleiberecht) nach 23, Abs. 1 und Abs. 2 AuslG Langjähriger Aufenthalt bei Fortbestehen unverschuldeter Abschiebungshindernisse ( 25, Abs. 4 und Abs. 5 AuslG) Flüchtlinge nach 16a GG oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (früher GFK) ca. 180.000 Personen ca. 115.000 Personen ca. 40.000 Personen ca. 55.000 Personen ca. 75.000 Personen Ca. 145.000 Personen 1. Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland - UMF
2. Anspruch auf medizinische Versorgung: Nicht- Dokumentierte Allg. Erklärung der Menschenrechte (Artikel 25) Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der ( ) Gesundheit ( ) gewährleistet, einschließlich ( ) ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, Menschenrechtlich begründeter gesetzlicher Anspruch auf medizinische Behandlung bei akuten Erkrankungen, akuten oder chronischen Schmerzzuständen und bei Erkrankungen, die zur Sicherung der Gesundheit behandelt werden müssen. (Analog zum Asylbewerberleistungsgesetz) Aber: Außer in akuten Notfällen haben Ärzte und Krankenhäuser das Recht, die Behandlung bis zur Klärung der Kostenfrage zu verweigern. Der gesetzlich vorgesehene Antrag auf Kostenübernahme beim Sozialamt führt aufgrund der Meldepflicht der Behörde dazu, dass die Ausländerbehörde informiert wird Vielfach keine Option für nicht-dokumentierte Personen Wenn Nicht-Dokumentierte in Notfällen direkt ins Krankenhaus gehen, dürfen ihre Daten seit 2009 nicht mehr an Behörden übermittelt werden. Abwarten, bis Erkrankung zum Notfall wird oder Inanspruchnahme ehrenamtlicher medizinischer Netzwerke (z.b. medinetz) 3. Anspruch auf medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Ansprüche laut Asylbewerberleistungsgesetz 4 Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (1)Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung ( ) einschließlich sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen (!) Leistungen zu gewähren. Kein (unumstrittener) Anspruch auf Behandlung bei chronischen Erkrankungen ohne Schmerzen Ohne Einschränkungen erbracht werden Leistungen bei Schwangerschaft und Entbindung, medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen (Zahnvorsorge, Kinderuntersuchungen, Krebsvorsorge etc.) und Schutzimpfungen Leistungen, die zur Genesung, Besserung, Linderung erforderlich sein können, sind z.b. Brillen, Hörgeräte, Prothesen, Rollstühle, orthopädische Schuhe, Physiotherapie, die Gewährung von Sprachmittlerdiensten oder die Übernahme von Fahrtkosten zu einem Behandlungszentrum für Folteropfer. Über die Erforderlichkeit entscheidet die Sozialbehörde!
3. Medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Ansprüche laut Asylbewerberleistungsgesetz 6 Sonstige Leistungen (1)Sonstige Leistungen können (!!!) insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung ( ) der Gesundheit unerlässlich ( ) sind. Als sonstige zur Sicherung der Gesundheit unerlässliche Leistungen kommen z.b. in Frage: Mehrkosten für besonderen Ernährungsbedarf bei Krankheit oder bei Schwangerschaft, Leistungen zur Pflege Behinderter, Eingliederungsleistungen für behinderte Kinder, psychotherapeutische Behandlung, zur Diagnostik, ärztlichen Aufklärung sowie Psychotherapie nötige Dolmetscherkosten, Schwangerschaftsverhütung und Vorsorge gegen sexuell übertragbare Krankheiten.!!! In der Regel Ermessensentscheidung der Sozialbehörde!!! 3. Medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Betroffene (u.a.) Flüchtlinge im Asylverfahren (Aufenthaltsgestattung) Geduldete Flüchtlinge (wg. Abschiebehindernissen) Vorliegen von humanitären Aufnahmegründen (Kontingent und Bleiberecht) nach 23, Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG Langjährig wegen unverschuldeteter Abschiebungshindernisse in Deutschland lebende Personen ( 25, Abs. 4 und Abs. 5 AufenthG) Nach 15-monatigem Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung erhalten die oben genannten Gruppen Leistungen entsprechend SGB XII und haben Anspruch auf medizinische Versorgung analog zu den Leistungen der gkv (außer wenn die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst wurde - z.b. bei Vernichtung des Passes, Identitätstäuschung). Bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder z.b. der Heirat mit einer sozialversicherungspflichtig beschäftigten Person ist der Weg in die gkv offen.
4. Anspruch auf Leistungen analog zur gkv (Weitere) Begünstigtengrupen: International (subsidiär) geschützte Personen ( 25, 2 oder 3 AufenthaltsG) Flüchtlinge nach 16a GG oder GFK Unbefristeter Leistungsanspruch; bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung oder z.b. bei Heirat mit einer sozialversicherungspflichtig beschäftigten Person ist der Beitritt in die gkv möglich. 5. Sonderfall Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Minderjährige Kinder von Asylsuchenden und Flüchtlingen sind im Hinblick auf ihren Anspruch auf medizinische Versorgung ihren Eltern gleichgestellt Aber: 6 Sonstige Leistungen (2) Personen, die ( ) besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterliegen dem Asylbewerberleistungsgesetz, ihnen soll aber die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt werden. In der Praxis häufig strittige (und für die Betroffenen nachteilige) Entscheidungen, obwohl UN-Kinderrechtskonvention und andere nationale und internationale Rechtsnormen das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellen, staatliches Handeln darauf verpflichten und die Koalition sich hierzu ausdrücklich bekannt hat.
5. Sonderfall Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Die UN-Kinderrechtskonvention ist Grundlage für den Umgang mit Minderjährigen, die als Flüchtlinge unbegleitet nach Deutschland kommen. Wir werden die Handlungsfähigkeit im Asylverfahrens- und Aufenthaltsrecht auf 18 Jahre anheben und dadurch den Vorrang des Jugendhilferechts für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge festschreiben. ( Deutschlands Zukunft gestalten Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode) 6. Ausblick: Auswirkungen der EU-Aufnahmerichtlinie auf minderjährige Asylsuchende RICHTLINIE 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (kurz: Aufnahmerichtlinie) Muss bis zum 20. Juli 2015 in nationales Recht umgesetzt werden Die Mitgliedstaaten berücksichtigen in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung dieser Richtlinie die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, ( ), Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben ( ) [Artikel 21] Die Mitgliedstaaten gewähren Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung. [Artikel 19]
6. Ausblick: Auswirkungen der EU-Aufnahmerichtlinie auf minderjährige Asylsuchende RICHTLINIE 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (kurz: Aufnahmerichtlinie) Muss bis zum 20. Juli 2015 in nationales Recht umgesetzt werden SPD-Bundestagsfraktion am 5. November 2014 In den kommenden Monaten werden wir das AsylbLG weiter reformieren. ( ) Wir erleichtern den Arbeitsmarktzugang und im Rahmen der Umsetzung der EU- Aufnahmerichtlinie streben wir unter anderem eine bessere medizinische Versorgung der Betroffenen an.