Georgina Weinitschke Seminar: Probleme und Methoden der Übersetzungswissenschaft Sommersemester 2013 Dozent: Prof. Dr. Carsten Sinner Dossier Translatorisches Handeln Inhalt 1. Einleitung... 2 2. Translatorisches Handeln... 2 3. Handlungsrollen... 3 4. Zur Tätigkeit des Translators... 5 5. Zusammenfassung... 6 6. Überlegungen, Fragestellungen, Kritik... 7 7. Bibliographie... 8
2 Translatorisches Handeln 1. Einleitung Justa Holz-Mänttäris Theorie vom translatorischen Handeln (u.a. 1984) soll nach eigener Aussage eine theoretische Grundlage sein, aus der heraus eine Methodologie entwickelt werden [kann], über die der theoretische Ansatz didaktisch und pragmatisch umsetzbar ist (Holz-Mänttäri 1984). Dieses Dossier soll lediglich die Grundüberlegungen der Theorie des translatorischen Handels darstellen und erläutern. Diese steht in engem Zusammenhang mit dem funktionalen Übersetzen. Sie erweitert Vermeers Skopostheorie und legt den Schwerpunkt insbesondere auf den Handlungsaspekt bei der Translation. Mit anderen Worten: Translatorisches Handeln bezieht sich nicht einfach auf das Übersetzen auf Wortbeziehungsweise Satzebene, sondern meint die gesamte Produktion von sogenannten Botschaftsträgern (dies können Texte, aber auch außersprachliche, non-verbale Elemente sein). Dabei nimmt der Übersetzer die Rolle des Experten ein, der über Kulturbarrieren hinweg funktionsgerechte Produkte liefert. Kennzeichnend für die Theorie ist eine sehr eigene und neu verwendete Terminologie (vgl. Risku 1999). Zentrale Begriffe der Theorie sind unter anderem Expertenhandlung, Handlungsrollen, Kooperation und Botschaftsträger. 2. Translatorisches Handeln Holz-Mänttäris Theorie vom translatorischen Handeln bezieht sich auf die übersetzerische Praxis und ist anwendungsorientiert. Im Fokus steht (wie der Name der Theorie vermuten lässt) die Frage Was tut der Übersetzer?. Ziel der Beschreibung der Handlung des Translators soll sein, die Faktoren greifbar zu machen, die sein Handeln steuern. Die Handlungen selbst werden dabei an ihrer Funktion gemessen. (vgl. Holz-Mänttäri 1984: 17). Holz-Mänttäri definiert translatorisches Handeln als Produktionsprozess eines Handelnden [...] mit der Funktion, Botschaftsträger einer näher zu bestimmenden Art zu produzieren, die in übergeordneten Handlungsgefügen zur Steuerung von aktionalen und kommunikativen Kooperationen eingesetzt werden können (vgl. Holz-Mänttäri 1984: 17). In ihrer Theorie befasst sich Holz-Mänttäri mit der Erkenntnis, dass sowohl der Übersetzungsprozess als auch die dabei angefertigte Übersetzung von den Problemen beeinflusst werden, die auftreten, wenn Auftraggeber und Übersetzer ihre gegenseitigen Wünsche und Forderungen koordinieren müssen. Dabei betrachtet sie zwei Aspekte: Erstens ist wie bei der Skopostheorie das Ziel dieser Kooperation entscheidend für die Translation. Zweitens handelt der Übersetzer innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der der Bedarfsträger seinen eigenen Bedarf nicht erfüllen (und oft nicht verbalisieren) kann.
3 Translatorisches Handeln Die Bedarfsträger müssen also von Experten beraten werden, die wiederum die Verantwortung für ihre Produkte zu tragen haben. Dies ist eine der Kernaussagen von Holz- Mänttäris Theorie: Übersetzen und Dolmetschen (Translation) sind Expertenhandlungen und verlangen bestimmte eben nicht nur sprachliche Kompetenzen. Die Experten (Translatoren) müssen das ihnen übertragene Problem erfassen und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten und auswählen. Dazu müssen sie auch mit dem Auftraggeber kooperieren, weshalb eine Strategie zur besseren Kooperation mit den Auftraggebern und zur Erfassung der verschiedenen möglichen Produktvarianten notwendig ist. Holz-Mänttäri stellt dazu einige Kooperationsmodelle und Handlungskonzepte vor, auf die in diesem Dossier nicht im Einzelnen eingegangen wird. (vgl. Risku 1999) 3. Handlungsrollen Holz-Mänttäri sieht den Translationsprozess als Teil einer sehr komplexen, kommunikativen Situation. Innerhalb dieses Prozesses agieren verschiedene Handlungsträger (Aktante), denen verschiedene Rollen zugewiesen werden. Die einzelnen Aktanten kooperieren miteinander, basierend auf Arbeitsteilung. Holz-Mänttäri (1984:109-111) beschreibt die verschiedenen Rollen folgendermaßen: Die Rolle des Translations-Initiators Die translatorische Handlung wird vom Translations-Initiator (Bedarfsträger) in Gang gesetzt. Er hat Bedarf an einer kommunikativen Handlung. Die in der Handlung zu übermittelnde Botschaft muss transkulturell konzipiert und vertextet werden. In der Praxis kann die Initiative auch (gestaffelt) von mehreren Stufen ausgehen. Die Rolle des Bestellers Dieser bestellt beim Translator (s. u.) für eine bestimmte Verwendungssituation einen Text, der der jeweiligen Funktion entspricht. Die Bestellung kann ebenfalls über mehrere Stufen erfolgen. Die Rolle des Ausgangstext-Texters Der Ausgangstext-Texter verfasst den Ausgangstext, auf den sich das translatorische Handeln bezieht. Dieser kann entweder aus anderen Gründen hergestellt worden sein und fertig vorliegen, oder er wird direkt als Ausgangstext für den Translator verfasst. Auch hier kann es durchaus Vorstufen geben.
4 Translatorisches Handeln Die Rolle des Translators Der Translator stellt den Zieltext im Rahmen des translatorischen Handlungskonzepts her. Er bleibt dabei an seine Rolle und die daraus resultierende Verantwortung gebunden, auch wenn er für bestimmte Teilhandlungen andere Experten hinzuzieht. Die Rolle des Zieltext-Applikators Dieser verwendet den Zieltext, arbeitet also mit ihm. D. h. er kann ihn z. B. vortragen, als Schulungsmaterial verwenden oder als Verkaufsmittel einsetzen. Diese Rolle kann in der Praxis ebenfalls aufgeteilt werden. Die Rolle des Zieltext-Rezipienten Die Botschaft wird für den Zieltext-Rezipienten vertextet. Ein Text kann aber auch für mehrere Rezipienten-Arten erstellt werden. Zusammengefasst bedeutet dies: der Translations-Initiator/Bedarfsträger braucht einen Text der Besteller bestellt einen Text der Ausgangstext-Texter produziert einen Text, von dem der Translator ausgeht der Translator produziert einen (Ziel-)Text der (Ziel-)Text-Applikator arbeitet mit dem (Ziel-)Text der (Ziel-)Text-Rezipient rezipiert den (Ziel-)Text Dabei ist zu beachten, dass sich die verschiedenen Rollen in der Praxis durchaus überschneiden. Außerdem können sie unter Umständen wegfallen oder wiederum unterteilt sein. Holz-Mänttäri weist darauf hin, dass dem Bedarfsträger neben dem Translator eine der wichtigsten Rollen in diesem Handlungskonzept zukommt. Sie sagt: Spezifikationen sind Teil der Textbestellung und damit Bestandteil des Vertrages zwischen Bedarfsträger und Produzent. Sollen die Handlung und ihr Produkt diskutierbar/kritisierbar sein, dann muss ein Maßstab da sein (Holz-Mänttäri 1986: 351f, zitiert in Ortner 2003). Damit betont sie die Wichtigkeit des Übersetzungsauftrags und verdeutlicht, dass es zur Verantwortung des Auftraggebers gehört, den Zweck der Übersetzung so genau wie möglich
5 Translatorisches Handeln zu spezifizieren, um einen angemessenen Zieltext verlangen zu können. Ebenso ist es für den Translator erforderlich, diesen Auftrag in sein translatorisches Handeln einzubeziehen. 4. Zur Tätigkeit des Translators Holz-Mänttäri versteht translatorisches Handeln nicht als reines Übersetzen von Sprache. Sie sagt (Holz-Mänttäri 1986, zitiert in Stolze 2001): Durch translatorisches Handeln als Expertenhandlung soll ein Botschaftsträger Text im Verbund mit anderen Botschaftsträgern produziert werden, ein Botschaftsträger Text, der in antizipierend zu beschreibender Rezeptionssituation zwecks kommunikativer Steuerung von Kooperation über Kulturbarrieren hinweg seine Funktion erfüllt. Der Translator wird hier zu einem Kooperationspartner, der keineswegs dem Aufraggeber oder anderen untergeordnet ist. Er ist gleichberechtigter Experte. Holz-Mänttäris Theorie betont die Professionalität des Translators und trägt daher entscheidend zum Berufsbild der Übersetzer und Dolmetscher bei. Dies beinhaltet aber auch, dass der Übersetzer für sein Produkt verantwortlich ist, also die Haftung für alle seine erbrachten Leistungen übernimmt. Gleichzeitig muss er seine Arbeit und alle getroffenen Entscheidungen jeder Zeit rechtfertigen können. (vgl. Ortner 2003) Holz-Mänttäri ist der Ansicht, dass Übersetzen nicht in erster Linie Kommunikation ist. Für Sie besteht die Aufgabe des Translators in der Herstellung eines Produktes für jemand anderen und für einen bestimmten Zweck. Sie bezeichnet dieses Produkt als Designprodukt bzw. Designtext. Bei der Kooperation mit dem Bedarfsträger, fungieren Translatoren nicht nur als Experten, wenn es um die Produktion des Translats geht, sondern ggf. auch als Berater. Sie befinden sich in einem sehr komplexen, interkulturellen Handlungsgefüge und unterstützen den Auftraggeber nicht nur durch das Erstellen einer Übersetzung, sondern auch beratend, indem sie erkennen und vermitteln, ob der entsprechende Übersetzungsauftrag überhaupt sinnvoll ist. Der Text (das beinhaltet auch non-verbale Elemente) könnte in der Zielkultur zum Beispiel auf Unverständnis oder Ablehnung stoßen. Ihre Aufgabe ist es also nicht ausschließlich, einen Zieltext im Sinne des Auftrags mehr oder weniger isoliert zu produzieren, sondern auch die Gesamtsituation zu evaluieren. Damit kommt der Translator zu einer Produktspezifikation, anhand derer er seinen Zieltext herstellen kann. (vgl. Risku 1999)
6 Translatorisches Handeln Das Textdesign verlangt also, dass Translatoren: den Bedarf und das Produkt spezifizieren, ihre Handlungen projektieren, einen Text produzieren, und den Gesamtprozess kontrollieren. Gleichzeitig müssen sie recherchieren, die Funde für den vorliegenden Fall modifizieren, für ihre Entscheidungen argumentieren und ständig ihre Arbeitsweise adaptieren. (vgl. Holz-Mänttäri 1993, zitiert in Risku 1999) 5. Zusammenfassung Holz-Mänttäris Theorie vom translatorischen Handeln beschäftigt sich u. a. mit der Rolle des Translators in der Gesellschaft und seinem Status als Experte. Sie beleuchtet die Rahmenbedingungen, unter denen der Translator arbeitet, das komplexe Handlungsgefüge, in dem er in der Praxis agiert. Dabei soll ein professionelles Berufsprofil der Übersetzer und Dolmetscher konzipiert werden, das auch in die Ausbildung von Translatoren einfließen soll. Ihr Ziel ist es, sie auf eine Stufe mit den Auftraggebern zu stellen, vor denen Sie ihre Arbeit rechtfertigen können. Der Übersetzungsprozess im traditionellen Sinne wird in ihrer Theorie nicht behandelt. Hier noch einmal die wichtigsten Aspekte der Theorie in der Zusammenfassung: Die Theorie vom translatorischen Handeln betont vor allem den Handlungsaspekt bei der Translation. Translatorisches Handeln umfasst die gesamte Produktion von Botschaftsträgern. Der Translator ist Teil einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Der Auftraggeber und der Translator müssen ihre gegenseitigen Wünsche und Forderungen koordinieren. Entscheidend für die Translation ist das Ziel der Zusammenarbeit zwischen Bedarfsträger und Translator. Im Translationsprozess handeln verschiedene Aktanten in unterschiedlichen Rollen. Übersetzen und Dolmetschen sind Expertenhandlungen. Der Translator fungiert auch als Berater für die interkulturelle Kommunikation. Resultierend aus seiner Expertenrolle haftet der Translator für sein Produkt.
7 Translatorisches Handeln 6. Überlegungen, Fragestellungen, Kritik An dieser Stelle folgen einige Kritikpunkte an Holz-Mänttäris Theorie vom translatorischen Handeln sowie Fragen, die bei der Bearbeitung des Themas entstanden sind. Diese sollen jedoch lediglich einen Anstoß für weitere Überlegungen geben und werden in diesem Dossier nicht kommentiert bzw. beantwortet. Meines Erachtens ist es allerdings wichtig zu ergänzen, dass Übersetzende bei Bedarf auch die Möglichkeit haben müssen, sich in ihrer Rolle als Zieltextproduzenten an der Kommunikation mit den Rezipienten zu beteiligen (Risku 1999). (Zu der Behauptung, Übersetzen sei nicht in erster Linie Kommunikation.) Auch m. E. sind die Ausführungen zu ihrer Systemtheorie und ihren Modellen teilweise sehr umständlich und schwer verständlich (Ortner 2003). Weiteres unterlässt sie es, genauer auf kulturelle Unterschiede und den Umgang damit einzugehen (ebd.). Leider ist die Verfasserin auf weiten Strecken mehr daran interessiert, die Systemtheorie zu erläutern, als das translatorische Handlungsgefüge zu beschreiben (Stolze 2001). Die Skopostheorie wird als Teil der Theorie vom translatorischen Handeln verstanden. Ist das so? Ist der Gedanke, dass der Translator immer den exakten Verwendungszweck seines Produkts kennt (der Bedarfsträger ihn also genau spezifiziert), möglichweise utopisch? Kann eine gute Übersetzung in einigen Fällen nicht auch ohne genaue Kenntnis über die Kommunikationssituation erstellt werden? Sind Bedarfsträger und Translator in der Praxis tatsächlich gleichgestellt? Ist der Translator inzwischen als Experte (nicht nur auf sprachlicher Ebene) in der Gesellschaft anerkannt?
8 Translatorisches Handeln 7. Bibliographie Holz-Mänttäri, Justa (1984): Translatorisches Handeln. Theorie und Methode. Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia. Holz-Mänttäri, Justa (1986): Translatorisches Handeln - theoretisch fundierte Berufsprofile. In: Snell-Hornby (Hrsg.) (1986): Übersetzungswissenschaft. Eine Neuorientierung. Tübingen: Francke, 348-374. Ortner, Stefan (2003): Funktionale Ansätze der Translationswissenschaft Translatorisches Handeln und Skopostheorie im Vergleich. Graz: Karl-Franzens-Universität. [http://www.textfeld.at/text/413] Risku, Hanna (1999): Translatorisches Handeln. In: Snell-Hornby, Mary / Hans G. Hönig / Paul Kußmaul / Peter A. Schmitt (Hrsg.) (1999): Handbuch Translation. Zweite, verbesserte Auflage 2006. Tübingen: Stauffenburg. 107-111. Stolze, Radegundis (2001): Übersetzungstheorien. Eine Einführung. Tübingen: Narr. 4. überarbeitete Auflage 2005.