Konvergenz. Kapitel 2. 1 Grenzwerte von Folgen. Definition 1.1 Eine Folge reeller Zahlen ist eine Abbildung



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Transkript:

Kapitel 2 Konvergenz Grenzwerte von Folgen Definition. Eine Folge reeller Zahlen ist eine Abbildung N R, n a n. Die Zahl a n heißt das n-te Glied der Folge, die Folge insgesamt wird mit (a n ) n N bzw. kurz mit (a n ) bezeichnet. Oft wird die Folge durch das Bildungsgesetz angegeben, durch Aufzählen der ersten Folgenglieder oder durch die rekursive Definition definiert. Zum Beispiel ist die Folge der Quadratzahlen gegeben durch a n = n 2, bzw. alternativ aufzählend a n =, 4, 9, 6,. Beispiel. (Folge der Fibonaccizahlen) Ist a = 0 und a 2 =, und für n 3 ist a n durch die Rekursionsvorschrift a n := a n + a n 2 gegeben. Definition.2 (Konvergenz von Folgen) Die Folge (a n ) n N konvergiert mit n gegen a R, falls gilt: Zu jedem ε > 0 gibt es ein N R, so dass für alle n > N gilt: a n a < ε. Die Zahl a heißt dann Grenzwert der Folge und wir schreiben kurz lim a n = a oder a n a für n. n (gelesen: a n strebt gegen a für n gegen unendlich) Eine Folge (a n ) n N heißt konvergent, wenn es ein a R gibt, das Grenzwert der Folge ist; andernfalls heißt die Folge divergent. Mit den Quantoren (für alle), (existiert) und (daraus folgt) lässt sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen: ε > 0 N R : ( n > N ) a n a < ε. Beispiel.2 (Harmonische Folge) Die Folge a n = /n konvergiert gegen a = 0. Denn zu gegebenem ε > 0 wählen wir N = /ε, und es folgt für alle n > N a n a = /n 0 = /n < /N = ε. 6

Je kleiner die geforderte Abweichung ε > 0 vom Grenzwert und damit die Genauigkeit der Approximation sein soll, desto größer muss im allgemeinen die Zahl N in der Definition des Grenzwerts gewählt werden, das heißt wie in obigem Beispiel hängt N von ε ab, N = N(ε). Eine Ausnahme bildet hier nur die konstante Folge. Beispiel.3 (Konstante Folge) Ist a n = a für alle n N, so folgt lim n a n = a. Denn für ε > 0 gilt a n a = 0 < ε für alle n > 0, also können wir immer N = 0 wählen. Übrigens ist es egal, ob in der Definition des Grenzwerts statt N R die Bedingung N N verlangt wird, denn wir können statt N R ja immer die nächstgrößere natürliche Zahl nehmen. Überhaupt kann N immer vergrößert werden, und in der Regel besteht kein Interesse daran, dass kleinstmögliche n ε N mit a n a < ε für n n ε zu finden. Dies ist natürlich anders, wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll, aber für den Nachweis der Konvergenz reicht es völlig, irgendeine Schranke zu finden, von der ab die Ungleichung gilt. Beispiel.4 (Geometrische Folge) Sei q R mit q <. Dann gilt lim n q n = 0. Um das zu zeigen, können wir q 0 voraussetzen und haben dann / q >, also gilt / q = + x für ein x > 0. Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung, Satz 2.2, q n 0 = q n = ( + x) n + nx nx < ε für alle n > /(εx). Wir können also N = /(εx) wählen. Beispiel.5 Die Folge a n = ( ) n, also a n =,,,... ist nicht konvergent. Denn angenommen es wäre lim n a n = a für ein a R. Zu ε = gibt es dann ein N R mit a n a < für n > N, also gilt für n > N 2 = a n a n+ = a n a + a a n+ a n a + a a n+ < + = 2, ein Widerspruch. Der Begriff des Grenzwerts wird anschaulicher, indem wir folgende Teilmengen von R einführen. Definition.3 (ε-umgebung) Die ε-umgebung von a R ist die Menge U ε (a) = {x R : x a < ε} = {x R : a ε < x < a + ε}. Eine Folge (a n ) n N konvergiert genau dann gegen a R, wenn die Folgenglieder ab einer gewissen Nummer in der ε-umgebung von a liegen, egal wie klein ε > 0 gewählt ist. Satz. (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Falls die Folge (a n ) n N konvergent ist, so ist ihr Grenzwert eindeutig bestimmt. Beweis: Wir beginnen mit einer Vorüberlegung, und zwar behaupten wir 0 < ε 2 a a U ε (a) U ε (a ) =. (.) 7

Denn ist x U ε (a) U ε (a ), so folgt mit der Dreiecksungleichung a a = a x + x a x a + x a < 2ε. Seien nun a, a R Grenzwerte der Folge (a n ) n N. Zu jedem ε > 0 gibt es dann N, N R mit a n U ε (a) für n > N, sowie a n U ε (a ) für n > N. Wäre a a, so wählen wir ε = 2 a a > 0 und erhalten für n > max(n, N ) ein Widerspruch. a n U ε (a) U ε (a ) =, Unser nächstes Ziel ist es, einige Rechenregeln für Grenzwerte zu erarbeiten. Wir beginnen mit der Definition.4 (Beschränktheit von Folgen) Eine Folge (a n ) n N heißt a) nach oben (bzw. nach unten) beschränkt, wenn es ein K R gibt mit a n K (bzw. a n K) für alle n N. b) beschränkt, wenn sie nach oben und nach unten beschränkt ist. Beispiel.6 Die Folge a n = n ist nach unten beschränkt, denn es ist zum Beispiel a n 0 für alle n. Sie ist aber nicht nach oben beschränkt: angenommen, es gibt ein K R mit a n K für alle n N. Dann ist K a = > 0, also auch /K > 0, und nach Archimedes gibt es ein n N mit /n < /K, also a n = n > K, ein Widerspruch. Satz.2 (konvergent beschränkt) Jede konvergente Folge ist beschänkt. Beweis: Sei lim n a n = a. Wähle zu ε = ein N R mit a n a < für n > N. Wir können N N annehmen, andernfalls ersetzen wir N durch die nächstgrößere natürliche Zahl. Es gilt dann n > N a n = a n a + a a n a + a < + a n N a n max( a,..., a N ). Wir haben also a n K für alle n, wobei K = max( a,..., a N, + a ). Satz.3 (Rechenregeln für Grenzwerte) Es gelte a n a, b n b mit n. a) Für alle λ, µ R ist (λa n + µb n ) n N konvergent mit Grenzwert lim n (λa n + µb n ) = λa + µb. b) Die Folge (a n b n ) n N ist konvergent mit Grenzwert lim n (a n b n ) = a b. c) Falls b 0, so gibt es ein N 0 R mit b n 0 für n > N 0 und die Folge (a n /b n ) n>n0 ist konvergent mit Grenzwert lim n a n /b n = a/b. Beweis: Wir beginnen mit dem Beweis von b). Nach Satz.2 gibt es ein K > 0 mit a n K für alle n N, und außerdem mit b K. Dann gilt für alle n N a n b n ab = a n b n a n b + a n b ab a n b n b + a n a b K( a n a + b n b ). 8

Zu ε > 0 gibt es nun ein N R mit a n a < ε/(2k) sowie b n a < ε/(2k) für n > N. Also folgt für n > N ( ε a n b n ab < K 2K + ε ) = ε. 2K Für a) reicht es wegen b), den Fall λ = µ = zu betrachten. Zu ε > 0 gibt es ein N R mit a n a < ε/2 und b n b < ε/2 für n > N. Es folgt für n > N (a n + b n ) (a + b) = (a n a) + (b n b) a n a + b n b < ε 2 + ε 2 = ε. Für c) können wir uns auf den Fall a n = b = beschränken, denn sonst schreiben wir a n b n = a n b b n mit b n = b n b und wenden b) an. Es gibt nun ein N 0 R mit b n 2 für n > N 0, also b n = ( b n ) b n 2 > 0. Damit ist die erste Aussage gezeigt. Zu ε > 0 wähle weiter N N 0 mit b n < ε/2 für n > N, und somit b n = b n < 2 ε 2 = ε. b n Bemerkung: Für jede Menge X ist die Menge der Funktionen f : X R ein R- Vektorraum, mit der Addition (f + g)(x) = f(x) + g(x) und der Skalarmultiplikation (λf)(x) = λf(x). Dies gilt auch für X = N, das heißt die Menge der reellen Zahlenfolgen (a n ) n N ist ein R-Vektorrraum, wobei die Addition von a = (a n ) n N und b = (b n ) n N sowie die Skalarmultiplikation mit λ R wie folgt gegeben sind: (a + b) n = a n + b n und (λa) n = λa n für alle n N. Überlegen Sie, dass die nachstehenden Mengen Untervektorräume bilden, die der Reihe nach ineinander enthalten sind: Nullfolgen Die Menge aller (a n ) n N mit lim n a n = 0; Konvergente Folgen Beschränkte Folgen Die Menge aller (a n ) n N, so dass lim n a n existiert; Die Menge aller (a n ) n N, für die ein K 0 existiert mit a n K für alle n N. Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln für Grenzwerte. Beispiel.7 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Seien p, q : R R Polynome vom Grad m, n N 0, das heißt für alle x R gilt p(x) = a m x m + a m x m +... + a 0 und q(x) = b n x n + b n x n +... + b 0, wobei a i, b j R mit a m, b n 0. Wir bestimmen im Fall m n das Verhalten von p(k)/q(k) für k, und zwar liefert mehrfache Anwendung der Konvergenzregeln in Satz.3 { p(k) q(k) = km na m + a m k +... + a 0 k m b n + b n k +... + b 0 k n a m /b n falls m = n, 0 falls m < n. 9

Beispiel.8 (geometrische Reihe) Für < q < betrachten wir die Folge a n = + q +... + q n = n q k. Dann ergibt sich aus Beispiel 2.2, Beispiel.4 und Satz.3 lim a n = lim n n n Wir schreiben hierfür auch qk = /( q). q k q n+ = lim n q = q. Definition.5 Folgen, deren Folgenglieder Summen sind, heißen Reihen. Die Reihen spielen eine große Rolle in der Analysis und werden in Kürze ausführlicher untersucht. Satz.4 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien (a n ) n N und (b n ) n N konvergent, mit Grenzwerten lim n a n = a und lim n b n = b. Dann gelten folgende Aussagen: a) Ist a n b n für alle n, so folgt a b. b) Gilt c a n d für alle n mit c, d R, so folgt c a d. c) Ist a n c n b n und gilt a = b, so konvergiert auch die Folge (c n ) n N gegen a = b. Beweis: Nach Voraussetzung gibt es zu jedem ε > 0 ein N R mit a n > a ε und b n < b+ε für alle n > N. Die Voraussetzung in a) liefert dann a ε < b+ε beziehungsweis (a b)/2 < ε für jedes ε > 0, also a b. Aussage b) folgt unmittelbar aus a), indem wir c, d als konstante Folgen auffassen. Unter den Voraussetzungen in c) folgt für n > N die Ungleichungskette a ε < a n c n b n < b + ε = a + ε, also lim n c n = a nach Definition des Grenzwerts. Achtung: aus a n < b n folgt nicht a < b, sondern nur a b. Die Striktheit von Ungleichungen geht beim Übergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren. Zum Beispiel gilt /n > 0 für alle n N, aber lim n /n = 0. Beispiel.9 (n-te Wurzel) Hier betrachten wir für a > 0 und n N die Gleichung x n = a. Es gibt höchstens eine Lösung x > 0, denn für x, y > 0 mit x > y folgt x n > y n, oder x, y > 0 und x n y n x y. Die Existenz der Lösung wird im nächsten Kapitel aus dem Vollständigkeitsaxiom hergeleitet. Damit gibt es genau eine Lösung x > 0, die mit a /n oder n a bezeichnet wird, und es gilt a, b > 0 und a b a /n b /n. (.2) Wir behaupten nun lim n a/n =. 20

Für a ist a /n nach (.2). Wir setzen ξ n = a /n 0 und schließen aus der Bernoulli-Ungleichung, Satz 2.2, a = ( + ξ n ) n + nξ n 0 ξ n (a )/n. Also folgt lim n ξ n = 0 bzw. lim n a /n = mit Satz.4 c). Für a < gilt ( a /n (a ) /n) n = a a = a /n = (a ) /n, und die Behauptung folgt aus dem vorigen Fall mit Satz.3 c). Definition.6 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge (a n ) n N konvergiert uneigentlich (oder divergiert bestimmt) gegen +, falls gilt: Zu jedem K > 0 gibt es ein N R, so dass a n > K für alle n > N. Wir schreiben lim n a n = + oder a n + mit n. Uneigentliche Konvergenz gegen ist analog definiert. Beispiel.0 Für q > gilt lim n q n = +. Denn zu gegebenem K > 0 gibt es nach Beispiel.4 ein N R mit (/q) n < /K für n > N, also q n > K für n > N. Insgesamt haben wir für das Verhalten der Folge q n mit n folgende Tabelle: q > lim n q n = +, q = lim n q n =, < q < lim n q n = 0, q (q n ) nicht konvergent. Der Fall < q < wurde in Beispiel.4 behandelt, und der Fall q folgt mit etwas Überlegung aus Beispiel.5 (Übungsaufgabe). Für eine Folge mit a n > 0 für alle n ist lim n a n = + äquivalent zu lim n /a n = 0 (Übungsaufgabe). Zum Schluss dieses Kapitels führen wir noch folgende Bezeichnungen für Teilmengen von R ein: (a, b) = {x R : a < x < b} [a, b] = {x R : a x b} [a, b) = {x R : a x < b} (a, b] = {x R : a < x b} I = b a für ein Intervall I offenes Intervall abgeschlossenes Intervall rechtsseitig offen, linksseitig abgeschlossen linksseitig offen, rechtsseitig abgeschlossen Intervalllänge Hierbei sind + und als offene Intervallgrenzen zugelassen, zum Beispiel ist (, ] = {x R : < x }. Den ε-umgebungen bei der Definition der Konvergenz entsprechen bei uneigentlicher Konvergenz gegen + die Intervalle (K, + ): ab einem gewissen Index müssen alle Folgenglieder in (K, + ) liegen, egal wie groß K gewählt ist. Satz.5 (Konvergenz von Kehrwerten) Für eine Folge (a n ) n N gilt: () Aus a n + (bzw. a n ) folgt /a n 0. (2) Aus a n 0 und a n > 0 (bzw. a n < 0) folgt /a n + (bzw. /a n ). Beweis: Der Beweis wird in den Anwesenheitsübungen besprochen. 2

2 Vollständigkeit der reellen Zahlen Die bisher eingeführten Axiome (K) sowie (A) bis (A3) gelten selbstverständlich auch für die rationalen Zahlen. Dennoch sind die rationalen Zahlen für die Analysis ungeeignet. Wir beginnen mit folgender Beobachtung der Pythagoräer. Satz 2. (Irrationalität von 2) Die Gleichung x 2 = 2 ist in Q nicht lösbar. Beweis: (durch Widerspruch) Angenommen, die Gleichung x 2 = 2 hat eine rationale Lösung, also x = p/q mit p, q N. Durch fortgesetztes Kürzen können wir annehmen, dass höchstens eine der Zahlen p und q gerade ist. Nun gilt p 2 = 2q 2 p 2 gerade p gerade p = 2p mit p N. Daraus folgt weiter 2q 2 = 4p 2 q 2 gerade q gerade. Also sind doch p, q beide gerade, ein Widerspuch. In R ist die Gleichung x 2 = 2 und allgemeiner die Gleichung x n = a für beliebige n N, a > 0 lösbar. Dies könnte man als Grund für die Erweiterung Q R anführen, ähnlich wie die Erweiterungen N Z beziehungsweise Z Q durch die Lösbarkeit von Gleichungen motiviert waren. Dies geht aber am Kern der Sache vorbei: einerseits bleibt die Gleichung x 2 = unlösbar, andererseits bilden die reellen Nullstellen von beliebigen Polynomen mit rationalen Koeffizienten nur eine relativ kleine Teilmenge von R, wie wir noch zeigen werden. Das Ziel der Analysis ist es, neue Objekte Zahlen, Funktionen, Operationen durch Grenzprozesse zu konstruieren. Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus, dass wir den Grenzwert der Folge bereits kennen. Das Vollständigkeitsaxiom muss die Existenz von Grenzwerten in Situationen garantieren, in denen der Grenzwert a priori nicht bekannt ist. Wir betrachten hierzu zwei Beispiele. Beispiel 2. (Zinseszinsrechnung) Wird ein Euro für ein Jahr mit einem Zinssatz x angelegt, so beträgt die Ausszahlung E (x) = + x. Die Idee des Zinseszinses ist es, den Zeitraum in kürzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnitt anzurechenen mit dem Effekt, dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsen produziert. Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat + x 2, nach zwei Monaten (+ x 2 )(+ x 2 ) = (+ x 2 )2, und nach zwölf Monaten E 2 (x) = ( + x 2 )2. Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten ( E n (x) = + n) x n für x R, n N. (2.) Es stellt sich ganz natürlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung, also nach dem Grenzwert lim n E n (x). Beispiel 2.2 (Dezimalbruchdarstellung) Für a R gibt es k 0 Z und k j {0,,...,9} für j N, so dass folgende Darstellung als unendlicher Dezimalbruch gilt: n a = lim a n mit a n = k j 0 j = k 0, k k 2...k n. n j=0 22

Um das zu zeigen, definieren wir induktiv a n = a n + k n 0 n mit a n a < a n + 0 n. Für n = 0 setzen wir k 0 = max{k Z : k a} und haben wie gewünscht a 0 = k 0 a < k 0 + = a 0 + 0 0. Sind k 0, k,...,k n bereits gefunden für ein n N, so definieren wir k n = max{k Z : a n + k 0 n a}. Nach Induktionsannahme gilt a n a < a n + 0 0 n und folglich k n {0,,...,9}. Weiter liefert die Wahl von k n a n = a n + k n 0 n a < a n + (k n + ) 0 n = a n + 0 n. Die Darstellung als unendlicher Dezimalbruch gilt wegen a a n 0 n 0 mit n. Umgekehrt stellt sich aber nun die Frage, ob jede Dezimalbruchfolge a n = k 0, k k 2... k n gegen eine gewisse, reelle Zahl konvergiert. In beiden Beispielen brauchen wir wie gesagt eine Charakterisierung konvergenter Folgen, die ohne die Kenntnis des Grenzwerts auskommt. Die Idee von Augustin Louis Cauchy (789 857) besteht darin, die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwert, sondern untereinander zu vergleichen. Definition 2. (Cauchyfolge) Eine Folge (a n ) n N heißt Cauchyfolge, wenn gilt: Zu jedem ε > 0 gibt es ein N R, so dass a n a m < ε für alle n, m > N. Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus, die Zahlen n, m > 0 mit n < m zu betrachten, denn die Definition ist symmetrisch in n und m und für n = m ist nichts zu tun. (V) Vollständigkeitsaxiom: Jede Cauchyfolge ist konvergent. Damit sind die Axiome (KAV) der reellen Zahlen komplett. Je nach Autor werden auch andere Aussagen als Vollständigkeitsaxiom zugrunde gelegt, die aber natürlich äquivalent sind und sich bei uns als Folgerungen ergeben werden. Satz 2.2 Eine Folge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchyfolge ist. Beweis: Eine Cauchyfolge ist konvergent nach dem Vollständigkeitsaxiom. Sei umgekehrt lim n a n = a. Zu ε > 0 gibt es dann ein N N mit a n a < ε/2 für n > N, und für n, m > N folgt a n a m = a n a + a a m a n a + a m a < ε 2 + ε 2 = ε. Als erste Anwendung der Vollständigkeit betrachten wir die Dezimaldarstellung und zeigen Satz 2.3 (Konvergenz von Dezimalbrüchen) Seien k 0 Z und k j {0,,...,9} für j N. Dann konvergiert der Dezimalbruch a n = n j=0 k j 0 j gegen eine reelle Zahl. 23

Beweis: Für n < m schätzen wir wie folgt ab, wobei wir die Formel für die geometrische Reihe, Beispiel.8, und Beispiel.4 verwenden: a m a n = m j=n+ k j 0 j 0 (n+) 9 0 j 0 n < ε für n > N. j=0 Als zweite Anwendung definieren wir die Eulersche Zahl e, und betrachten dazu die Folge a n = n Für n N und m > n berechnen wir a m a n = ( + ) (n + )! n + 2 + (n + 2)(n + 3) +... + (n + 2)... (n + m n) ( + 2 + 2 2 +... + 2 m n ). (n + )! Mit der Formel für die geometrische Reihe, siehe Beispiel.8, folgt die Abschätzung (n + )! a m a n k!. 2 (n + )! für m > n. (2.2) Da /(n + )! /(n + ) 0 mit n, gibt es zu ε > 0 ein N R mit a m a n 2 < ε für n, m > N. (n + )! Aus dem Vollständigkeitsaxiom folgt die Existenz des Grenzwerts lim n a n, so dass folgende Definition sinnvoll ist. Definition 2.2 (Eulersche Zahl) e = Satz 2.4 (Irrationalität der Eulerschen Zahl) e = /k! ist nicht rational. k!. Beweis: Aus Abschätzung (2.2) folgt mit m (n + )! e a n 2 (n + )! Nach Multiplikation mit n! ergibt sich hieraus für n 2 für alle n N. 0 < n n + n! e n! k! 2 (n + ) <. Wäre e rational, so wäre der mittlere Term eine ganze Zahl für n hinreichend groß, ein Widerspruch. Das nun folgende Konvergenzkriterium ist überaus nützlich. Es ist ein hinreichendes Kriterium für Konvergenz, ist aber nicht notwendig für die Konvergenz einer Folge (a n ) n N. 24

Definition 2.3 (Monotone Folge) Eine Folge (a n ) n N heißt monoton wachsend, wenn a n+ a n für alle n N. Manche Autoren bezeichnen diese Eigenschaft auch als nichtfallend, und reservieren den Begriff wachsend für eine Folge mit a n+ > a n. Das bezeichnen wir als streng monoton wachsend. Satz 2.5 (Konvergenzkriterium der Monotonie und Beschränktheit) Jede monoton wachsende, nach oben beschränkte Folge ist eine Cauchyfolge und damit konvergent. Beweis: Sei (a n ) n N monoton wachsend und a n K < für alle n N. Für ε > 0 betrachte M = {j N 0 : es gibt ein n N mit a n a + jε}. Offenbar ist 0 M, und für j M gilt j (K a )/ε. Sei k M maximal. Dann gibt es ein N N mit a N a + kε, und für alle n N folgt a + kε a N a n < a + (k + )ε. Damit gilt a n a m ε für n, m N, das heißt (a n ) ist eine Cauchyfolge. Beispiel 2.3 (Die Zahl e und Zinsrechnung) Zu diesem Zeitpunkt ist nicht einsichtig, warum zur Definition der Eulerschen Zahl die Formel e = /k! gewählt wurde. Darum zeigen wir nun die alternative und vielleicht aus der Schule bekannte Darstellung ( e = lim + n. (2.3) n n) Mit anderen Worten: wenn ein Euro für ein Jahr mit Zinssatz x = bzw. 00 Prozent kontinuierlich verzinst wird, ist das Endkapital e 2, 7828... Euro, statt 2 Euro bei jährlicher Verzinsung, vergleiche Beispiel 2.. Zum Beweis von (2.3) bemerken wir zunächst, dass die Folge b n = ( + n) /n monoton wachsend und nach oben beschränkt ist; dies wurde in Aufgabe 4, Serie 3, gezeigt. Nach Satz 2.5 existiert der Grenzwert b = lim n b n. Mit dem Binomischen Lehrsatz erhalten wir b n = n ( n k ) n k = n k! n n n n... n k + n n k! = a n. Mit n folgt b e nach Satz.4. Die umgekehrte Abschätzung ist etwas subtiler: für beliebiges m N und n m gilt, da die Summanden größer gleich Null sind, b n m k! n n n n... n k +. n Indem wir hier n gehen lassen, folgt mit Satz.4 b m und m liefert b e und damit b = e wie gewünscht. Tatsächlich liefert das Argument lim n b n = e, ohne dass die Konvergenz der Folge b n vorausgesetzt wird. 25 k!,

Als nächste Anwendung des Vollständigkeitsaxioms diskutieren wir nun das Intervallschachtelungsprinzip. Definition 2.4 (Intervallschachtelung) Eine Intervallschachtelung ist eine Folge von abgeschlossenen Intervallen I n = [a n, b n ] R mit I n+ I n für alle n und I n = b n a n 0 mit n. Satz 2.6 (Intervallschachtelungsprinzip) Zu jeder Intervallschachtelung (I n ) n N gibt es genau ein x R mit x n N I n. Es gilt x = lim n a n = lim n b n. Beweis: Nach Voraussetzung haben wir a a 2... a n...... b n... b 2 b. Aus Satz 2.5 folgt die Existenz der Grenzwerte a = lim n a n bzw. b = lim n b n. Dann gilt nach den Satz.3 und Satz.4 0 b a = lim n b n lim n a n = lim n (b n a n ) = 0. Setze x := a = b. Dann ist a n a = x = b b n, also x I n für alle n. Sei y R mit y I n für alle n, das heißt a n y b n. Durch Grenzübergang ergibt sich nach Satz.4 a y b, also y = x. Satz 2.7 (Existenz der n-ten Wurzel) Zu jedem a > 0 und n N gibt es genau ein x > 0 mit x n = a. Bezeichnung: x = n a = a /n. Beweis: Die Eindeutigkeit wurde schon in Beispiel.9 aus den Anordnungsaxiomen gefolgert. Wir konstruieren die Lösung mit dem Verfahren der fortgesetzten Intervallhalbierung: Bestimme I k = [a k, b k ] für k =, 2,..., so dass mit m k = a k+b k 2 gilt: I = [a, b ] mit a n a b n ; { [ak, m I k+ = k ] falls m n k a [m k, b k ] falls m n k < a. Es folgt I k+ I k für alle k und I k = 2 k I 0 mit k. Sei x R wie in Satz 2.6 gegeben. Per Induktion ergibt sich aus der Definition von I k+ die Ungleichung a n k a bn k für alle k N, und hieraus mit den Sätzen.3 und.4 x n = lim n an k a lim n bn k = xn. Für rationale Exponenten r = p/q mit p Z und q N wird die Potenz erklärt durch a r = (a p ) /q. Dies ist wohldefiniert, denn aus p /q = p 2 /q 2 folgt ( (a p ) /q ) q q 2 = ( ((a p ) /q ) q ) q2 = ( a p ) q2 = a p q 2 = a p 2q = (( a p 2 ) /q 2 ) q q 2, also (a p ) /q = (a p 2 ) /q 2. Weiter zeigt man leicht die Potenzgesetze (für ganzzahlige Exponenten sind diese Regeln klar und wurden schon benutzt) (i) a s a r = a r+s (ii) (a r ) s = a rs (iii) a r b r = (ab) r. 26

Zum Beispiel gilt mit r = k/m und s = p/q (a r a s ) mq = (a k/m ) mq (a p/q ) mq = ( ((a k ) /m) m ) q ( ((a p ) /q) q ) m = (a k ) q (a p ) m = a kq+pm. Dies bedeutet a r a s = ( a kq+pm) /mq = a (kq+pm)/mq = a k/m+p/q = a r+s. Die anderen beiden Potenzgesetze werden ähnlich verifiziert. Beispiel 2.4 (Verfahren von Heron) Hier wollen wir kurz das Verfahren von Heron besprechen, das die Quadratwurzel von a > 0 numerisch effizienter berechnet als das Intervallhalbierungsverfahren. Zur Motivation der Iterationsformel: die gesuchte Zahl a ist die Nullstelle x der Parabel y = x 2 a. Nehmen wir an, es ist schon eine n-te Näherung x n für a berechnet, wobei x 0 der Startwert sei. Dann betrachten wir die Tangente an die Parabel im Punkt (x n, x 2 n a), und wählen als nächste Näherung deren Nullstelle x n+. Wie lautet der zugehörige Algorithmus? Beschreiben wir die gesuchte Tangente mit der Gleichung y = p x + q, wobei p die Steigung und q der y-achsenabschnitt ist. Dann muss die quadratische Funktion (x 2 a) (px + q) genau in x n ihre einzige Nullstelle haben (heuristische Begründung am Bild), also (x 2 a) (px + q) = (x x n ) 2 p = 2x n und q = (a + x 2 n). Die Iterationsvorschrift, gegeben durch die Nullstelle der Tangente in (x n, x 2 n a), lautet demzufolge x n+ = f(x n ) := 2 (x n + a x n ), mit Startwert x 0 > 0. (2.4) Die Frage ist nun, ob dieses Verfahren konvergiert und, wenn ja, wie gut. Zunächst gilt für alle x > 0 ( ) a x a f(x) = 2 a + a, x mit Gleichheit genau für x = a. Also gilt x n a für n, und es folgt weiter x n+ x n = 2 (a/x n x }{{} n ) 0 für n. }{{} a a Ab n = ist die Folge somit monoton fallend und durch a nach unten beschränkt, also konvergiert sie wegen Satz 2.5 gegen eine Zahl ξ > 0. Um zu sehen, dass ξ die gesuchte Wurzel ist, lassen wir in (2.4) n gehen und erhalten ξ 2 = a wie gewünscht. Wie schnell verkleinert sich nun der Näherungsfehler ε n = x n a 0? Für n ist ε n+ = x n+ a = 2 (x n + a x n ) a = 2x n (x 2 n 2 ax n + a) = ε2 n 2x n ε2 n 2 a. Sei zum Beispiel a 4 und die Näherung x n schon auf k Dezimalstellen hinter dem Komma genau, also ε n 0 k, so ist der Fehler der nächsten Näherung nur mehr ε n+ 2 (0 k ) 2 0 2k. a }{{} 27

Die Anzahl der gültigen Stellen hat sich also in einem Schritt verdoppelt. Man spricht hier von quadratischer Konvergenz. Beim Intervallhalbierungsverfahren wird die Zahl der gültigen Stellen jeweils höchstens um Eins verbessert, was als lineare Konvergenz bezeichnet wird. Definition 2.5 (Teilfolge) Sei (a n ) n N eine Folge und (n k ) k N eine Folge natürlicher Zahlen mit n < n 2 < n 3... Dann heißt die Folge (a nk ) k N Teilfolge von (a n ) n N. Durch Induktion ergibt sich sofort n k k: es ist n und n k+ n k + k +. Die Teilfolge entsteht aus der ursprünglichen Folge durch Auswahl der Nummern n k. Da Folgen Abbildungen von N nach R sind, ist eine Teilfolge formal als Verkettung von zwei Abbildungen definiert: der Ausgangsfolge a : N R, n a n und der Folge N N, k n k, die die Indizes auswählt. Am Beispiel a n = ( ) n /n 3 und n k = 2k sieht das wie folgt aus: N n k=2k N a n=( ) n /n 3 R k n k = 2k a nk = /(2k ) 3 Definition 2.6 (Häufungspunkt von Folgen) a R heißt Häufungspunkt der Folge (a n ) n N, wenn eine Teilfolge (a nk ) k N gibt, die mit k gegen a konvergiert. Beispielsweise hat die Folge a n = ( ) n +/n 2 den Häufungspunkt +, denn mit n k = 2k gilt a nk = a 2k = + /(2k) 2 mit k. Auch ist ein Häufungspunkt der Folge, denn für n k = 2k ist a nk = a 2k = + /(2k ) 2 mit k. Lemma 2. Die Zahl a R ist genau dann Häufungspunkt der Folge (a n ) n N, wenn für jedes ε > 0 die Menge {n N : a n U ε (a)} unendlich viele Elemente hat. Beweis: Wenn a R Häufungspunkt von (a n ) n N ist, so gilt nach Definition a nk a mit k für eine Teilfolge n k. Zu jedem ε > 0 gibt es dann ein K R mit a nk U ε (a) für alle k > K. Die Abbildung k n k ist injektiv wegen n < n 2 <..., also ist die Menge {n k : k > K} nicht endlich nach dem Schubfachprinzip. Dies beweist die eine Richtung der Äquivalenz. Umgekehrt wählen wir induktiv n k mit n < n 2 <..., so dass a nk U /k (a). Die Induktion bricht nicht ab, da a n U /k (a) für unendlich viele n gilt. Es folgt dann a nk a < /k 0 mit k. Satz 2.8 (Bolzano-Weierstraß) Jede beschränkte Folge reeller Zahlen hat eine konvergente Teilfolge, also mindestens einen Häufungspunkt. Beweis: Konstruktion durch fortgesetzte Intervallhalbierung: wähle eine obere Schranke b und eine untere Schranke a für (x n ) n N, also x n [a, b ] für alle n N. Wir nehmen nun induktiv an, dass I k = [a k, b k ] schon gefunden ist mit der Eigenschaft Setze m k = 2 (a k + b k ) und definiere ( ) x n I k für unendlich viele n. { [mk, b I k+ = [a k+, b k+ ] = k ], falls x n [m k, b k ] für unendlich viele n, [a k, m k ] sonst. 28

Es ist offensichtlich, dass ( ) auch für das Intervall I k+ gilt. Nach dem Intervallschachtelungsprinzip aus Satz 2.6 gibt es ein x R mit x I k für alle k N. Zu ε > 0 gibt es nun ein K R mit I k < ε für k > K, also I k U ε (x) für k > K. Damit gilt auch x n U ε (x) für unendlich viele n. Aus Lemma 2. schließen wir, dass x ein Häufungspunkt der Folge (x n ) n N ist. Definition 2.7 (Limes superior/inferior) Für eine reelle Folge (x n ) n N und x R {± } gilt lim sup n x n = x, falls folgende zwei Bedingungen erfüllt sind: (i) es gibt eine Teilfolge x nk mit x nk x für k, (ii) für alle x > x ist die Menge {n N : x n > x} endlich. Entsprechend bedeutet lim inf n x n = x mit x R {± }: (i) es gibt eine Teilfolge x nk mit x nk x für k, (ii) für alle x < x ist die Menge {n N : x n < x} endlich. Der Limes superior ist nicht notwendig obere Schranke der Folge, zum Beispiel gilt lim sup n /n = 0. Er kann auch sein, zum Beispiel für x n = n. Während wir den Grenzwert lim n x n nur dann bilden können, wenn die Folge konvergiert, ist der größte Häufungspunkt x = lim sup n x n und der kleinste Häufungspunkt x = lim inf n x n = x immer definiert, wenn wir jeweils die Möglichkeit x = ± bzw. x = ± zulassen. Dies soll nun bewiesen werden, wobei wir uns o.b.d.a. auf den Limes superior beschränken. Lemma 2.2 Sei lim sup n x n = x <. Dann gilt x > x x ist kein Häufungspunkt von (x n ). Beweis: Setze ε = 2 (x x ) > 0. Für y U ε (x) folgt y x = x x (x y) > 2ε ε = ε, mit anderen Worten U ε (x) {y R : y > x + ε}. Nach Definition 2.7(ii) ist x n U ε (x) nur für endlich viele n N, das heißt x ist kein Häufungspunkt nach Lemma 2.. Satz 2.9 (Existenz des Limes superior) Für jede Folge (x n ) n R gibt es genau ein x R {± } mit lim sup n x n = x. Beweis: Fall : (x n ) ist nicht nach oben beschränkt. Dann ist {n : x n b} unendlich für alle b R. Bestimme induktiv n < n 2 <... mit x nk k. Es folgt lim sup n x n = +. Fall 2: Es gibt ein b R mit x n b für alle n N. Fall 2.: {n : x n a} ist endlich für alle a R. Dann gilt x n und es folgt lim sup n x n =. 29

Fall 2.2: Es gibt ein a R, so dass {n : x n [a, b ]} unendlich ist. In diesem Fall wenden wir das Intervallhalbierungsverfahren aus dem Beweis von Satz 2.8 an und behaupten {n : x n > b k } ist endlich für alle k. Für k = ist das richtig, da b obere Schranke. Sei die Behauptung schon für k N gezeigt. b k+ = b k Die Behauptung gilt nach Induktionsannahme. b k+ = m k Die Menge {n : x n > b k+ } = {n : x n (m k, b k ]} {n : x n > b k } ist endlich nach Fallunterscheidung sowie Induktionsannahme. Sei nun x := lim k b k. Für x > x ist (x,+ ) (b k, + ) für k hinreichend groß, also ist {n : x n > x} endlich und es folgt lim sup n = x. Damit ist die Existenz bewiesen. Angenommen es gibt x < x 2 mit den Eigenschaften (i) und (ii). Wähle x (x, x 2 ). Wegen (ii) für x ist dann {n : x n > x} endlich. Dann kann aber (i) für x 2 nicht gelten, ein Widerspruch. Die Begriffe Häufungspunkt, Limes superior und Limes inferior sind gewöhnungsbedürftig, und wir werden bei Gelegenheit mehr Beispiele betrachten. Die logische Abfolge der zentralen theoretischen Aussagen in diesem Abschnitt war folgende: Vollständigkeitsaxiom: Cauchyfolgen sind konvergent Konvergenzkriterium der Monotonie und Beschränktheit Intervallschachtelungsprinzip Bolzano-Weierstraß: Auswahlsatz Cauchyfolgen sind konvergent Die Implikationen sind so zu verstehen, dass jeweils nur die jeweils vorangehende Eigenschaft von R im Beweis des darauf folgenden Resultats benutzt wurde. Die letzte Implikation werden wir dabei gleich noch zeigen. Es folgt, dass jede der vier Eigenschaften als Axiom für R benutzt werden könnte - die anderen Eigenschaften würden als Sätze folgen. Im nächsten Abschnitt werden wir eine weitere, äquivalente Eigenschaft kennenlernen, nämlich den Satz vom Supremum (Satz 3.). In dieser Vorlesung wird die Konvergenz der Cauchyfolgen als grundlegendes Axiom gewählt. Beweis: Auswahlsatz von Bolzano-Weierstraß Cauchyfolgen sind konvergent Wir zeigen zunächst, dass eine Cauchyfolge (a n ) n N beschränkt ist. Sei n 0 N mit a n a m für n, m n 0. Dann folgt n n 0 a n a n a n0 + a } {{ } n0. 30