1. Präambel Der Fachbereich Bildungseinrichtungen ist das federführende Fachgremium der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), das sich mit der Förderung von Sicherheit und Gesundheit in den deutschen Bildungseinrichtungen befasst. Seine Arbeit basiert auf einem Präventionsverständnis, das das Prinzip der Inklusion als ein wichtiges Element einer nachhaltigen Prävention und Gesundheitsförderung versteht. Mit diesem Papier möchten wir unser Verständnis von Inklusion und inklusiver Prävention verdeutlichen und den Unfallversicherungsträgern und ihren in der Prävention tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Orientierung für ihr präventives Handeln in Bildungseinrichtungen geben. Wir möchten zugleich in der Politik und der Gesellschaft, insbesondere aber auch den Bildungseinrichtungen verdeutlichen, dass die DGUV, vertreten durch ihren Fachbereich, das Thema Inklusion in Bildungseinrichtungen umfassend aufgreift und systematisch befördert. 2. Ausgangssituation 2009 hat die Bunderegierung die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifiziert. Ziel dieser Konvention ist es, für alle Menschen mit Behinderung den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten (UN-BRK Artikel 1, Absatz 1). Auch die DGUV hat in enger Kooperation mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen umfangreichen Aktionsplan erarbeitet, um den Geist der UN- Behindertenrechtskonvention in konkretes und verbindliches Handeln umzusetzen und einen eigenständigen und nachhaltigen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft zu leisten. Dem Bildungsbereich wird dabei ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Ziel der DGUV ist es, Sonderwelten für Menschen mit Behinderungen zu vermeiden. Es geht um die inklusive Arbeitswelt und die Förderung des Inklusionsgedankens in Bildungseinrichtungen. Eine solche Akzentuierung ist wichtig, weil in der Kindertagesbetreuung sowie in Schulen und Hochschulen auch die erzieherischen und bildungsbezogenen Wurzeln und Grundlagen einer inklusiven Lebensweise stecken und entwickelt werden müssen, wenn sie in der Gesellschaft ankommen sollen. 1
3. Verständnis von Inklusion Das Inklusionsverständnis, das der Arbeit zugrunde liegt, ist ein weit gefasstes und entspricht dem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis des Fachbereiches. Es geht davon aus, dass jeder Mensch seine Potenziale hat, die es wahrzunehmen und wertzuschätzen gilt. Demzufolge stellt Inklusion eine Form des gesellschaftlichen Umgangs mit Verschiedenheit von Menschen dar. Sie wird als Prozess verstanden, der zum Ziel hat, die Teilhabe aller Menschen an sozialen Gemeinschaften zu steigern und individuell oder kollektiv erlebte Barrieren zu verringern. Im Hinblick auf Bildung wird Inklusion als ein Prinzip verstanden, das die Aufnahme aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in eine Einrichtung sowie die uneingeschränkte Teilhabe und Gemeinsamkeit auch innerhalb der Einrichtung vorsieht. Inklusion beschränkt sich dabei nicht nur auf die gemeinsame Ausbildung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit und ohne Behinderungen. Es geht auch um die anderen Aspekte von Verschiedenheit, die die Bildungspartizipation von Menschen behindern oder fördern können. Dazu gehören Ausgrenzungen beziehungsweise Benachteiligungen, zum Beispiel auf Grund von Geschlecht und sexueller Orientierung, sozialer Herkunft, spezifischen Lebensbedingungen und/oder Kultur. Inklusion bezieht sich somit auf alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in unserem Bildungssystem von Ausgrenzung und fehlender Teilnahme bedroht sind. Ein weiterer Aspekt von Inklusion, der für die Arbeit bedeutsam ist, ist die institutionelle Entwicklung (Organisationsentwicklung) einer Bildungseinrichtung. Wie müssen Bildungseinrichtungen und darüber hinaus das gesamte Erziehungs- und Bildungssystem beschaffen sein, in denen Menschen mit Benachteiligung Hilfen erhalten, ihre Chancen wahrzunehmen, zu entdecken und zu entfalten? Die Frage der Inklusion und Exklusion wird damit nicht an den Menschen, sondern an der Institution festgemacht. Inklusion im Bereich der Bildungseinrichtungen meint, die Systeme der Kindertageseinrichtung, der Schule und der Hochschule zu verändern, und nicht, dass sich die Menschen in den Bildungseinrichtungen an die bestehenden Systeme anpassen müssen. 2
4. Chancen und Herausforderungen der Inklusion Die Entwicklung der Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen zu inklusiven Bildungseinrichtungen ist aus Sicht des Fachbereichs nicht nur rechtlich geboten, sondern auch aus ethischen Gründen alternativlos. Es ist wichtig, diese Entwicklung mit Nachdruck und mit Systematik zu unterstützen und zu fördern. Es ist aber ebenso notwendig, sie behutsam und sensibel voranzutreiben. Auf der einen Seite kann eine gelungene Umsetzung der Inklusion die Qualität von Erziehung und Bildung fördern sowie zu einer Verbesserung des Wohlbefindens und der Gesundheit der Menschen in den Bildungseinrichtungen beitragen. Vor allem das Sozialklima und die Kultur einer Einrichtung sowie damit verbunden die Werte, die in einer Bildungseinrichtung vorherrschen, und die Haltungen der in ihr arbeitenden, lehrenden und lernenden Menschen profitieren von einer inklusiven Entwicklung. Auf der anderen Seite bedeutet der Reformauftrag für alle Beteiligten ein verändertes Handeln und damit auch zusätzliche Arbeit und Anstrengungen, auf die sie häufig unzureichend vorbereitet sind. Zudem stehen vielfach noch nicht die eigentlich erforderlichen personellen, materiellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung. Die mit der Entwicklung inklusiver Bildungseinrichtungen verbundenen Belastungen können somit zu Beeinträchtigungen der Gesundheit, vor allem der psychischen Gesundheit der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen führen. Insofern ist es aus Sicht notwendig, die inklusive Organisationsentwicklung mit einer gesundheitsförderlichen zu verbinden. 5. Anforderungen an die Bildungseinrichtungen Die Anforderungen, die eine inklusive Entwicklung an Bildungseinrichtungen stellt, sind vielfältig: - Es ist grundsätzlich erforderlich, in den Bildungseinrichtungen inklusive Werte in die Praxis umzusetzen. Hierzu gehört es u.a., alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die dort betreut werden, lernen und arbeiten, in gleicher Weise wertzuschätzen. - Der Entwicklungsprozess hin zu inklusiven Bildungseinrichtungen muss evolutionär verlaufen, um alle Beteiligten und Betroffenen mitnehmen zu können, die Betreuenden, Erziehenden und Lehrenden angemessen qualifizieren zu können und die Bildungseinrichtungen professionell für Inklusion auszustatten. 3
- In inklusiven Bildungseinrichtungen sind alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprechend ihren Fähigkeiten zu fördern. Dies bedeutet methodisch vor allem offene Lern-Lehr-Formen und verstärktes kooperatives und selbstreguliertes Lernen und Studieren. - Die Vielzahl von Benachteiligungen erfordert die Arbeit in multiprofessionellen Teams. Neben den Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Dozentinnen und Dozenten sollte das sonstige Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungspersonal der Bildungseinrichtungen in die inklusive Arbeit einbezogen werden. - Die Bildungseinrichtungen benötigen eine entsprechende räumliche, materielle und technische Ausstattung. Diese bedeutet nicht nur eine barrierefreie Gestaltung des Raums, sondern auch eine Gestaltung der Angebote, die den Forderungen nach Öffnung und Differenzierung, ohne die inklusive Bildungseinrichtungen nicht denkbar sind, Rechnung trägt sowie inklusionsgerechte Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. - Es ist notwendig, Unterstützungssysteme in Bildungseinrichtungen zu stärken, die sich der Belange aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen annehmen. Dies bedeutet auch, dass es spezialisierte Angebote für Menschen mit besonderen Bedürfnissen geben muss. 6. Anforderungen an die Präventionsarbeit der Gesetzlichen Unfallversicherung Der Fachbereich Bildungseinrichtungen möchte mit seiner Arbeit die im Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung formulierte Zielsetzung unterstützen. Er möchte dazu beitragen, die Bedeutung des Themas für eine ganzheitliche Prävention und Gesundheitsförderung in Bildungseinrichtungen bewusst zu machen und es in die tägliche bildungsbezogene Arbeit der gesetzlichen Unfallversicherung zu integrieren. Die dafür erforderlichen Maßnahmen werden das Thema Inklusion in zweifacher Art und Weise aufgreifen. Zum einen wird es immanenter und selbstverständlicher Bestandteil zukünftig zu entwickelnder Präventionsangebote sein, zum Beispiel in den Branchenregeln. Zum anderen wird es spezifische Maßnahmen zum Thema Inklusion geben, wie zum Beispiel Fachtagungen und Handlungshilfen. 4
Zunächst wird es darum gehen müssen, die Bewusstseinsbildung für die Notwendigkeit einer inklusiven Praxis in den Bildungseinrichtungen zu fördern, denn Inklusion beginnt in den Köpfen. Hierzu werden Angebote für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unfallversicherungsträger notwendig sein, die zum einen der Information, zum anderen der Reflexion und dem Erfahrungsaustausch dienen. Es ist zudem notwendig, die erforderliche inklusive Handlungskompetenz in der gesetzlichen Unfallversicherung schrittweise, aber möglichst schnell aufzubauen. Demzufolge gilt es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der im Bildungsbereich aktiven Unfallversicherungsträger für die inklusive Arbeit vor Ort zu qualifizieren. Nicht zuletzt wird es notwendig sein, Präventionsangebote zu entwickeln, die im Rahmen der Präventionsarbeit in den Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen eingesetzt werden können. Diese unterstützende Arbeit erfordert zum einen Know How, das auch im Rahmen von Modell- und Forschungsprojekten gewonnen werden muss. Zum anderen erfordert sie aus fachlichen, finanziellen und strategischen Gründen die Kooperation mit gesellschaftlichen, staatlichen und politischen Institutionen. Darüber hinaus ist eine stärkere DGUV-interne Zusammenarbeit, insbesondere mit dem Arbeitsbereich Rehabilitation und Entschädigung anzustreben. Nur gemeinsam mit anderen interessierten Personen und Institutionen lässt sich das Ziel einer inklusiven Bildungswelt und darüber hinaus einer inklusiven Gesellschaft verwirklichen. 5