Ernährung in der Palliativmedizin

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Transkript:

Ernährung in der Palliativmedizin

Gewichtsverlust und die Folgen J. Arends: Ernährung von Tumorpatienten, Aktuel Ernährungsmed 2012;37:91-106 Tumor Patienten Prognose: Gewichtsverlust vs. Kein Gewichtsverlust NSCLC 418 Medianes Überleben 6 vs. 9 Monate SCLC 290 Medianes Überleben 8 vs. 11m Mesotheliom 72 Medianes Überleben 5 vs. 12 m Mamma 289 Medianes Überleben 45 vs. 70 Wochen Autoren Ross 2004 Ross 2004 Ross 2004 DeWys 1980 Kolon 307 Medianes Überleben DeWys 1980 Prostata 78 Medianes Überleben 21 vs. 43 w DeWys 1980 Magen 54 QoL-Score 54 vs. 72 Andreyev 1998 Pankreas 49 QoL-Score 49 vs. 63 Andreyev 1998 Kolorektal 52 QoL-Score 52 vs. 67 Aneryev 1998

Patientenpräferenz: Überleben oder Lebensqualität? Voogt E et al.: Attitudes of patients with incurable cancer toward medical treatment in the last phase of life. J Clin Oncol 23(9):2012-2019 Winkler EC et al.: Patient involvement in decisions to limit treatment: the crucial role of agreement between physician and patient. J Clin Oncol 27:2225-2230 Ein Drittel der Patienten präferiert Überlebenszeit (v.a. Männer und jüngere Patienten) Ein Drittel bevorzugt Lebensqualität Ein Drittel ist unentschieden Cave: intraindividuelle Fluktuationen

Parenterale Ernährung: Überleben Bard L et al. The effect of total parenteral nutrition on the survival of terminally ill ovarian cancer patients; Gynecol Oncol. 2006;103(1):176-180 Patientinnen mit Ovarialkarzinom Intestinale Obstruktion Ergebnis: Verlängerung des medianen Überlebens um 4 Wochen Benefit vermindert, wenn gleichzeitig eine Chemotherapie erfolgt

Parenterale Ernährung: Körperzusammensetzung Kotler DP et al. Effect of home total parenteral nutrition on body composition in patients with acquired immunodificiency syndrome, J Parenter Enteral Nutr 1990; 14(5):454-8 Prospektive Longitudinalstudie zur verlängerten parenteralen Ernährung bei 12 Patienten mit AIDS Ergebnis: Zunahme des Körpergewichts Zunahme der Fettmasse Keine Veränderung der fettfreien Körpermasse

Verlust der Muskelmasse Murphy RA et al. Nutritional Intervention With Fish Oil Provides a Benefit Over Standard of Care for Weight and Skeletal Muscle Mass in Patients With Nonsmall Cell Lung Cancer Receiving. Cancer 2011;117:1775 82 Open label Studie mit Kontrollgruppe 59 Patienten mit Lungenkrebs unter Chemotherapie 2,2g/d EPA Endpunkte: Muskulatur und Fettgewebe im CT Ergebnis: 40 Patienten beendeten die Studie : 16 EPA und 24 Kontrollgruppe Gewichtsverlust in der Kontrollgruppe im Durchschnitt 2,3 kg Kein Gewichstverlust in der EPA-Gruppe 29% in der Kontrollgruppe hielten die Muskelmasse Patienten mit höchstem Anstieg der Plasma-EPA-Kozentration hatten den höchsten Zuwachs an Muskulatur

Parenterale Ernährung und Tumorwachstum Bossola M et al. Does nutrition support stimulate tumor growth in humans? Nutrition in clinical Practice Vol 2011;26(2):174-180 Parenterale Ernährung. 7 kontrollierte Studien, 154 Patienten, Dauer 7-18 Tage In 5 Studien wurden anerkannte Methoden zur Zellproliferation genutzt (DNA Flowzytometrie, Thymidin oder Bromodeoxyuridin labeling index) Ergebnis: 4 Studien ohne Veränderung der Tumorzellproliferation 3 Studien mit erhöhter Proliferation 2 Studien untersuchten Kombination aus Parenteraler Ernährung und Chemotherapie: PN erhöht Proliferation wenn allein gegeben, nicht in Kombination mit einer Chemotherapie

Künstliche Ernährung am Lebensende - 1 Raijmakers NJH et al. Artificial nutrtion and hydration in the last week of life in cancer patietns. A systematic literature review of practices and effects, Ann Oncol 22:1478-1486,2011 Systematisches Review aus allen englischsprachigen Arbeiten zur Häufigkeit und Effekten der künstlichen Ernährung in den letzten Lebenstagen bei Tumorpatienten von 1998-2008 Häufigkeit: Künstliche Ernährung: 3-53% Flüssigkeitszufuhr: 12-88%

Künstliche Ernährung am Lebensende - 2 Raijmakers NJH et al. Artificial nutrtion and hydration in the last week of life in cancer patietns. A systematic literature review of practices and effects, Ann Oncol 22:1478-1486,2011 Effekte: 5 Studien berichten über Effekte 2 positiv: weniger Übelkeit, weniger Zeichen der Dehydratation 2 negativ: mehr Aszites Prospektive Studien zur Flüssigkeitszufuhr fanden keine positiven Effekte auf die Symptomkontrolle 4 keine Effekte auf: terminales Delir, Überlebenszeit, Durst, Keine Studie berichtet den Effekt allein der künstlichen Ernährung unabhängig von Flüssigkeitszufuhr Keine Studie zur Lebensqualität bei künstlicher Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr

Künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr am Lebensende Good P et al. Medically asssisted hydration for palliative care patients, Cochrane Database Syst Rev 2008; (2): CD006273 Good P et al. Medically assisted nutrition for palliative care in adult patients, Cochrane Database Syst rev 2008; (4): CD006274 Cochrane Reviews Einschluss von randomisiert kontrollierten und hochwertigen prospektiv kontrollierten Studien Ergebnis: Evidenz ist unzureichend um Empfehlungen auszusprechen

Leitlinie künstliche Ernährung Leitlinie künstliche Ernährung der EAPC (European Association for Palliative Care (Bozzetti 1996) Die enterale Ernährung ist für ausgewählte Patienten effektiv. Bei refraktärer Kachexie wird das Anbieten von Appetitanregenden Speisen und eine enterale Zusatzernährung empfohlen, wenn der mit der Nahrungsaufnahme verbundene Distress nicht zunimmt Obwohl es vereinzelt Situationen gibt, die die Einleitung einer parenteralen Ernährung erfordern, überwiegen die Belastungen durch eine parenterale Ernährung den Benefit. Eine parenterale Ernährung ist dann sinnvoll, wenn Patienten eine Lebenserwartung von mehr als 2 Monaten haben und diese durch eine eingeschränkte Nahrungsaufnahme aufgrund intestinaler Probleme verkürzt wird

Leitlinien mit Empfehlungen gegen eine parenterale Ernährung American College of Physicians 1989 American Cancer Society (Doyle 2006: Informed Choices) American Society for Parenteral and Enteral Nutrition (Mirtallo 2004) American Dietetic Association (Maillet 2002)

Entscheidung PEG-Sonde de Ridder M.: Medizin am Lebensende. Sondenernährung steigert nur selten die Lebensqualität. Dtsch. Ärzteblatt 2004; 101:A1298-1299 Klinische Kategorie Anorexie-Kachexie- Syndrom Nein Permanent vegetativer Status Nein Reversible Schluckstörung Nein Schluckstörung mit Komplikationen (z. B. Demenz) Empfohlenes Vorgehen PEG-Sonde nicht anbieten PEG-Sonde nicht empfehlen PEG-Sonde anbieten und empfehlen Für und Wider abwägen: PEG-Versuch? Ethische Rechtfertigung Kein Gewinn durch Sondenernährung Keine Steigerung der Lebensqualität Patient profiztiert von PEG-Sonde Gewinn für Patient fraglich; Nachteile?

Parenterale Flüssigkeitsgabe am Lebensende Bruera E et al. Parenteral hydration in patients with advanced cancer: a multicenter, double-blind, placebo-controlled randomized trial; J Clin Oncol 2012;31:111-118 Randomisierte Studie 129 Patienten in 6 Hospizen Parenterale Flüssigkeitsgabe 1l NaCl/d oder Placebo (100ml NaCl) Endpunkte: Primär: Veränderungen in Fatigue, Myoklonus, Sedierung und Halluzinationen Sekundär: Edmonton Symptom Assessment Scale, Memorial Delirium Assessment Scale, Nursing Delirium Assessment Scale, Unified Myoklonus Rating Scale, FACIT-F, Dehydration Assessment Scale, Kreatinin, Gesamtüberleben Ergebnis: Kein Unterschied

Ernährung von Palliativpatienten Wo steckt das Problem? Patient mit guter Prognose und Lebenswille Patient am Lebensende Ernährung als Symbol Patient Angehörige Behandler Mit freundlicher Genehmigung Groh Verlag