Zusammenfassung der wesentlichen Teilergebnisse. von Prof. Dr. Rolf Wank

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Transkript:

1 Zusammenfassung der wesentlichen Teilergebnisse Auszug aus dem GUTACHTEN zur Gültigkeit der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen von Prof. Dr. Rolf Wank Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Ruhr- Universität Bochum unter Mitarbeit von Benedikt Schmidt im Auftrage des Arbeitgeberverbandes Postdienste e. V.

2 5. Teil: Ergebnisse A. Zusammenfassung der wesentlichen Teilergebnisse: - Die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vom 28. 12. 2007 ist nicht wegen Verstoßes gegen formelle Anforderungen des Verordnungsverfahrens nach 1 Abs. 3a AEntG nichtig. Ein etwaiger Verstoß gegen das Beteiligungserfordernis des 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG, wonach das BMAS vor Erlass der Rechtsverordnung den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie den Parteien des Tarifvertrages Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben hat, wäre wegen fehlender Kausalität und wegen fehlender Verletzung eines konkreten Informationsoder Partizipationsinteresses unbeachtlich; Beteiligungsrechte der Betroffenen wurden nicht geschmälert. - Der Verordnungsgeber konnte zulässigerweise den Weg über 1 Abs. 3a AEntG wählen, um die gewünschte Tarifnormerstreckung zu erreichen. Zwar könnte man der Meinung sein, dass das deutsche Tarifrechtssystem mit 5 TVG einerseits und 1 Abs. 3a AEntG andererseits zwei einander ausschließende Verfahrenswege zur Verfügung stellt und dass bei reinen Inlandssachverhalten allein der Weg über 5 TVG offen steht. Da aber vorliegend ein Auslandssachverhalt gegeben ist, kann die Frage auf sich beruhen; es besteht eine hinreichend realistische Gefahr einer arbeitsrechtlichen Entsendeproblematik. - Dahinstehen kann auch die Frage, ob ein Tarifvertrag nach 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG nur auf solche Arbeitsverhältnisse erstreckt werden kann, die bisher (überhaupt) keiner Tarifbindung unterliegen; denn es existiert kein wirksamer anderer Tarifvertrag konkurrierender Verbände, dessen Geltungsbereich sich mit dem des erstreckten Mindestlohntarifvertrages überschneidet. - Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung des 1 Abs. 3a AEntG ist für die Praxis durch das BVerfG entschieden. Da zwischen den Instrumenten der Allgemeinverbindlicherklärung nach 5 TVG und des Erlasses einer Rechtsverordnung nach 1 Abs. 3a AEntG kein Rangverhältnis besteht, greifen auch

3 Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht durch. Ebenfalls unbegründet sind Zweifel hinsichtlich der erforderlichen Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG). - Nach zutreffender Auffassung ist die Tarifnormerstreckung durch Rechtsverordnung nach 1 Abs. 3a AEntG nicht von den materiellen Voraussetzungen des 5 Abs. 1 Satz 1 TVG abhängig. Eine hilfsgutachtliche Prüfung des 50 %-Quorums ergibt, dass dieses im Falle des erstreckten Mindestlohntarifvertrages erfüllt ist. Daran ändert die Verdrängung des Mindestlohntarifvertrages aus den Betrieben der Konzernunternehmen der DP AG durch den Haustarifvertrag der DP AG nichts. Zum einen verlangt 5 Abs. 1 Satz 1 TVG nach seinem Wortlaut allein die Tarifgebundenheit, nicht auch die Anwendbarkeit des Tarifvertrages; die Tarifbindung bleibt von der Verdrängung durch den Haustarifvertrag unberührt. Zum anderen und vor allem aber sind die bei der DP AG beschäftigten Arbeitnehmer trotz der Verdrängung des Mindestlohntarifvertrages durch den spezielleren Haustarifvertrag in das Quorum mit einzubeziehen. Wenn es der Arbeitnehmerseite sogar teilweise gelungen ist, einen höheren als den durch die Rechtsverordnung festgesetzten Mindestlohn zu erreichen, dann dürfen ausländische Unternehmer erst recht nicht in Unterbietungskonkurrenz gegenüber dem Mindestlohn treten. - Trotz der Unanwendbarkeit des 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG im Verfahren nach 1 Abs. 3a AEntG, der für die Allgemeinverbindlicherklärung verlangt, dass diese im öffentlichen Interesse geboten erscheint, darf der Minister bei Erlass der Rechtsverordnung nicht gegen oder ohne öffentliche Interessen handeln. Ihm kommt aber ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Dieser könnte überschritten sein, wenn die Verordnung erlassen wurde, obwohl bereits wirksame Mindestlohntarifverträge anderer Verbände vorlagen. Vor dem Erlass der Verordnung hatten zwei Arbeitgeberverbände Tarifverträge mit der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) geschlossen. Die beiden Tarifverträge sind indes wegen fehlender Tariffähigkeit der GNBZ unwirksam. Der GNBZ fehlt es jedenfalls an der erforderlichen sozialen Mächtigkeit. Den beiden von ihr geschlossenen Tarifverträgen kommt keine indizielle Wirkung für

4 ihre Durchsetzungskraft zu. Da diese Tarifverträge auf gleichläufigen Interessen der Tarifvertragsparteien beruhen, musste die GNBZ sie gegenüber der Arbeitgeberseite überhaupt nicht durchsetzen ; dass ihr eine Verhandlungsstärke eignet, die ausreichend ist, einen Tarifvertrag auch gegen den Willen des sozialen Gegenspielers durchzusetzen, hat sie mit dem Abschluss dieser Tarifverträge nicht bewiesen. Auch die Organisationsstärke der GNBZ reicht nicht aus, um ihre Mächtigkeit zu bejahen. Angesichts der Größe des von ihr gewählten räumlichen und fachlichen Organisationsbereichs ist ihr Organisationsgrad auch bei Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben zur Zahl ihrer Mitglieder äußerst bescheiden. Zweifelhaft ist auch die organisatorische Leistungsfähigkeit der GNBZ. Zweifel an ihrer Gegnerunabhängigkeit lassen sich auf der Grundlage der vorhandenen tatsächlichen Erkenntnisse nicht erhärten. - Der Vorwurf, es handele sich bei dem erstreckten Mindestlohntarifvertrag um einen nicht im öffentlichen Interesse liegenden Monopolsicherungstarifvertrag, ist nicht geeignet, eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums des Verordnungsgebers darzutun. Der Minister durfte die Tarifnormerstreckung für geboten halten, um einer (weiteren) sozial unverträglichen Entwicklung der Lohnbedingungen in der Branche vorzubeugen. Die von Wettbewerbern der DP AG teilweise gezahlten Löhne sowie die Tatsache, dass es sich um einen stagnierenden Markt handelt, auf dem sich der Wettbewerb im Wege der Verdrängung vollziehen wird und dass die Personalkosten in der Branche 60-70 % aller Kosten ausmachen, begründen die Gefahr eines Lohnunterbietungswettbewerbes auf dem Briefmarkt. Die Verhinderung eines Verdrängungswettbewerbes über die Lohnkosten wird vom BVerfG als verfassungsrechtlich legitimes Ziel anerkannt. Ein auf Dumpinglöhnen aufbauendes Geschäftsmodell widerspricht auch den gesetzlichen Vorgaben des PostG für eine sozialverträgliche Gestaltung des Wandels auf dem Postmarkt. B. Gesamtergebnis Die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen ist wirksam.

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